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Predigt von Erzbischof Jānis Vanags zum Gedächtnis der Proklamation der Republik Lettland

Freitag 25. November 2011 von Erzbischof Janis Vanags


Erzbischof Janis Vanags

Predigt des Erzbischofs der Evangelisch-lutherischen Kirche Lettlands Jānis Vanags, gehalten im ökumenischen Gottesdienst im Dom zu Riga am 93. Jahrestag zum Gedächtnis der Proklamation der Republik Lettland am 18. November 2011.

Am 18. November, unserem Staatsfeiertag, in einer lichten Zeit im dunklen Herbst, hängen wir unsere Landesfahne aus, stecken rot-weiß-rote Bänder an die Wände und schmücken das Okkupationsmuseum mit dem Plakat „Ich liebe Lettland!“ Was denken wir uns eigentlich dabei? Ich liebe das Land Lettland? Ich liebe den Staat Lettland? Gelegentlich betonen Menschen diesen Unterschied zwischen dem Land und den Staat, den wir lieben.

Dazu können wir sagen, dass es nichts Neues ist, Lettland als Land mit seiner lieblichen Natur, seinen sanften Erhebungen und Niederungen, seinen schönen Wäldern, seinem Meer und seinen Flüssen zu lieben. Die Liebe zu unserem Land klingt in den Volksliedern, in den Gedichten und Gesängen unserer Klassiker an. Dieses Land konnte man zur Zeit der deutschen und polnischen Herrschaft und zur Zeit des russischen Zaren lieben. Sogar in den Jahren der Sowjets war das nicht verboten. Das Neue, Ungewöhnliche und sogar Unglaubliche ist die Möglichkeit, den Staat Lettland zu lieben oder über unseren Staat zu reden, in dem wir Lettisch als die einzige offizielle Sprache unseres Staates sprechen können; in dem die Letten mit anderen Völkern vertrauensvolle Beziehungen schaffen wollen; in dem wir unser Landesparlament und unsere kommunalen Vertretungen frei wählen und auch entlassen können; in dem wir denken, lesen, schreiben und reden können, was wir möchten, ohne uns dabei fürchten zu müssen; in dem wir freien Gewissens glauben und beten können. Im Laufe unserer Jahrhunderte alten Geschichte hatten wir die Möglichkeit, Lettland auf diese Weise zu lieben, nicht einmal fünfzig Jahre lang. Und die haben alle lettischen Freiheitsbewegungen herbeigesehnt. Dafür haben die Soldaten der Freiheitskämpfe gekämpft. Dafür standen wir auf den Barrikaden. Und heute gedenken wir des 93. Jahrestages der Ausrufung der Republik Lettland,

Auch wenn dieses kein rundes Jubiläum ist, so ist es dennoch bedeutend, denn es findet in einer historisch bedeutenden Zeit statt. Nicht weniger als die Zeit des nationalen Erwachens vor 20 Jahren ist auch unsere Zeit für die Letten die Zeit einer historischen Wende. Mit den Litauern sind wir die einzigen noch übrig gebliebenen beiden baltischen Völker. Wenn wir in die Geschichte hineinblicken, dann können wir uns nur wundern, wie viele baltische Völker es je gegeben hatte. Da gab es die Altpreußen, die Galinden, die Jatwinger, um einige Namen zu nennen, die man heute noch hier und da hört. Dagegen werden die Sudauer, Dainauer und Poleschken den meisten von uns sogar vom Namen her unbekannt sein. Von der Sprache der Jatwinger ist uns noch ein Wörterbuch mit ganzen 208 Wörtern erhalten geblieben. Die Altpreußische Sprache wird heute wieder erforscht. Es gibt einige Experten, die sich in dieser Sprache sogar verständigen können. Ist das nicht spannend? Und dennoch fällt es uns schwer, uns vorzustellen, dass es einmal vitale Völker und lebendige Sprachen waren. Einmal im Laufe der Geschichte war das ein Spezialgebiet der Experten unter den Historikern Die Galinden zum Beispiel haben dieses Land verlassen und sich in der weiten Welt verstreut. Von ihnen gibt es Spuren sowohl in der Umgebung von Moskau als auch in Frankreich. Man vermutet sogar, dass die Provinz Galizien in Spanien ihren Namen auf die Galinden zurückführen kann.

Heute, da nach den Ergebnissen der letzten Volkszählung in Lettland die Zahl der Einwohner im Lauf von 10 Jahren von 2,3 Millionen auf 1,8 Millionen zurückgegangen ist, von denen mehr als die Hälfte Letten sind, und von denen wiederum mehr als die Hälfte älter ist als 40 Jahre. Vielleicht sollte man daraus keine Panik entstehen lassen und dabei denken, dass auch uns ein ähnliches Schicksal widerfahren könnte. Ich weiß nicht, wie Geschichtsforscher eines Tages unsere Kultur nennen werden? Vielleicht findet man in einem Lande im Osten oder Westen Spuren, welche darauf hinweisen, dass irgendwann dort Letten eingereist seien? Wird es dann für experimentierfreudige Linguisten ebenso spannend sein, sich mit der lettischen Sprache zu beschäftigen wie heute mit dem Altpreußischen? Das ist eine spannende Frage, die wegen ihrer Schärfe heute etwas unwirklich erscheinen mag, aber so ergeht es manchen Völkern, und es gibt Anzeichen, die uns warnen, dass in unserer Geschichte uns solches durchaus nahe bevorstehen könnte. Diesen Atem kann man im Nacken verspüren.

Was tun wir dann, wenn wir das empfinden? Ein Teil der Bürger Lettlands entscheidet sich zu etwas ähnlichem wie der Euthanasie. „Ich liebe vielleicht dieses Land,“ sagen sie, „aber ich liebe nicht diesen Staat. So wie sie mich schlagen, so schlage ich zurück. Wenn sie sich so verhalten, dann mögen sie zum Teufel gehen. Und wenn hier alles zum Teufel gegangen ist, dann reise ich einfach aus.“ In Kommentaren im Internet wird eine solche Entscheidung oft und sehr emotional ausgesprochen. Und man kann nicht abstreiten, dass darin etwas wie ein Empfinden von Gerechtigkeit durchklingt. Doch man kann sich auch anders entscheiden. In der vergangenen Woche habe ich mich bei dem Besuch einer Gemeinde im Norden von Livland mit Vertretern der Kommunalverwaltung, der Kultur, der Schulen und des Geschäftslebens am Ort getroffen. Es war dabei sehr erfrischend, energischen und optimistischen Menschen zu begegnen, die bei diesen Verhältnissen die Zukunft Lettlands im Blick haben, die nicht nur etwas sondern sogar sehr viel tun zum Segen ihrer Mitmenschen und sich selbst zur Freude. Jeder, der es möchte, dass es weiterhin Letten auf dieser Erde gibt, sollte begreifen, dass dieses nicht möglich ist ohne dieses Land, aber auch nicht ohne diesen Staat, den wir lieben sollen. Soviel zur Frage, wofür brauche ich diese Unabhängigkeit, wofür brauche ich diesen Staat? Vielleicht haben andere Volksgruppen bei uns eine Zukunft ohne den Staat Lettland, aber die Letten haben sie nicht. Lettland braucht die Euthanasie nicht, sondern den Auftrieb und den Wiederaufbau.

Diese Sehnsucht nach dem Wiederaufbau konnte man bei der letzten Parlamentswahl deutlich verspüren. In unserer Volksvertretung gibt es viele neue Gesichter, mit denen sich viele neue Hoffnungen verbinden. Aber Jesus sagt: „Man schüttet keinen neuen Wein in alte Schläuche.“ Neue Gesichter allein ändern überhaupt nichts, wenn die alten Gleise bleiben, wenn sich die Sitten und Prinzipien nicht ändern. Wir müssen auch beachten, dass auch nach den Neuwahlen die alte Beamtenschaft im Sattel bleibt, die meistens die bestimmende Rolle spielt. Neue Gesichter in der Regierung lösen noch gar nichts. Wir brauchen neue Ideen, neue Prinzipien, neue Wege. Eingefahrene Strukturen lassen sich nur schwer verändern. Diese sind bestrebt, sich selbst und den bestehenden Zustand zu verteidigen. Vielleicht ist der gegenwärtige Augenblick in der näheren Geschichte für viele besonders bedrohlich, wenn dieser uns mit seinem eisigen Atem in den Nacken bläst und uns dazu anregen möchte, .etwas zum Guten zu wenden? Es gibt keinen Weg zurück.

Oft ist das Neue das gut vergessene Alte. Als die Leute zu Johannes dem Täufer kamen und ihn fragten, wie sie der bedrohlich nahen Axt des Himmelreiches entgehen könnten, beantwortete er ihre Fragen mit recht alltäglichen Dingen. Den Steuerbeamten empfahl er, den Menschen nicht mehr fortzunehmen als festgesetzt ist. Den Soldaten – den Sicherheitskräften der damaligen Zeit – empfahl er, ihre Macht nicht unsachgemäß zu nutzen und keinen zu erpressen oder zu berauben. Mit anderen Worten empfahl er jedem Menschen jedes Standes, ihrer Pflicht gut und gerecht nachzukommen. Tut das, was ihr tun müsst. Das ist schon ein großer Schritt fort von der Axt der Vernichtung. Doch oft stellt sich darauf die Frage, was danach zu tun sei? Je größer die Verantwortung eines Menschen im Amt ist, desto wichtiger wird für ihn die Antwort, woher er die Aufmunterung oder sogar die Anweisung erhält, was er weiterhin tun soll.

Bei den Bergleuten gibt es die Sitte, in die Grube Kanarienvögel mitzunehmen. Nicht aus irgendwelchen sentimentalen Empfindungen, sondern aus ganz praktischen Gründen. Man hat festgestellt, dass Kanarienvögel sehr empfindsame Atemorgane haben. Wenn sich in der Grube gefährliche Gase gebildet haben, dann empfinden sie das als erste. Wenn sie zu husten anfangen und Atemnot empfinden, dann ist das ein Zeichen dafür, dass man sofort die Grube verlassen muss. In unserer Gesellschaft nehmen diejenigen den Platz der Kanarienvögel in der Grube ein, denen das Wasser bis zum Halse steht und die den Verhältnissen schutzlos ausgeliefert sind. Das sind diejenigen, denen nichts anderes übrig bleibt als Wandervögel zu werden und fortzufliegen. Auf sie müssen wir achten, ob bei ihnen nicht ein Zeichen zu erkennen ist, auf das wir reagieren und nicht nur auf ein Orakel in den Nebelschwaden des Olymps warten, wo die Mächtigen und die Göttern Gleichen ihr eigenes Leben und nicht das irdische Leben führen. Das sollten wir nicht in dem Sinne tun, dass wir gnädig unseren armen Kanarienvögeln in ihren Vogelbauern zur Hilfe eilen. Wir müssen es tun, weil wir begriffen haben, dass sie uns für unser eigenes Leben einen wichtigen Hinweis gegeben haben. Wenn sie beginnen, nach Luft zu ringen, dann ist die ganze Gesellschaft, der ganze Staat in Gefahr. Diesem Zustand müssen wir schleunigst entfliehen – auch diejenigen, die noch gar keine Schwierigkeiten empfinden. Wenn wir gefragt würden, wann dieser bedrohliche Augenblick der Geschichte uns näher rückt, können wir sagen – dann, wenn wir die von ihm ausgesandten Anzeichen unbeachtet lassen.

Nicht alle von uns sind in der Lage, dass ihnen dass Wasser bis zum Halse steht, aber auch die Wohlhabenden fühlen sich oft nicht sicher und nicht mehr glücklich. In der Zeit, da es ihnen gut ging, haben sie größere Bissen verschluckt als sie heute verdauen können. Immer wieder dachten welche von uns – das möchte ich haben, das brauche ich, und dann werde ich glücklich sein. Und wenn sie das Erträumte hatten, dann erwies es sich, dass es für ihn zu schwer war, es aufzuheben und zu tragen. Um es zu behalten, braucht man sehr viel, und deshalb wird der Mensch täglich von der Angst und vom Stress begleitet. Auch das hängt mit unseren Wünschen zusammen. Wir haben uns dafür entschieden, unser Lettland nach westlichem Vorbild zu dem Land einer Verbrauchergesellschaft zu machen, ohne dabei zu beachten, auf welche Probleme der Westen selbst zusteuert. Nun haben wir die vielen Waren zum Verbrauch – natürlich, wenn das Geld dafür vorhanden ist. Doch die Verbrauchergesellschaft macht schließlich und endlich den Menschen selbst zur Ware und bestimmt seinen Wert danach, wie viel er kaufen und verbrauchen kann. Der Mensch ist so bedeutend wie seine Fähigkeit zur Konkurrenz im Marathon der Welt des Verbrauches. Diejenigen von uns, die sich auf diese Bedingungen einlassen, treibt die Verbrauchergesellschaft in einen gnadenlosen Wettlauf und Stress hinein, in der der Status und die Kaufkraft zur Identität werden. Die Menschen denken: Wenn ich dieses und jenes erworben habe, wenn ich das besitze, dann habe ich Respekt und Selbstachtung verdient. Dann habe ich es verwirklicht und bin glücklich. Doch um das Erworbene zu behalten, muss der Mensch im Wettkampf des Verdienens Blut, Schweiß und Tränen vergießen und in der ständigen Angst vor der Kürzung des Gehaltes oder vor dem Verlust der Arbeitsstelle leben. Auf jeden Fall kommt der Zusammenbruch der Sicherheit der Wirtschaft auf ihn zu wie die Posaune am Ende seiner Welt mit dem begleitenden Kummer.

Ganz gewiss möchte ich die sowjetischen Zeiten nicht verklären, aber könnt ihr euch noch daran erinnern, wie wir uns damals über ein gutes Buch gefreut haben, das wir erwerben konnten? Wie wir die Veranstaltungen am Tage des Gedichtes besuchten? Mit welcher Gemütsbewegung wir die uns verbotene Kirchentür öffneten und in die Kirche hinein gingen? Das war keine Zerstreuung, sondern das war eine Oase, Balsam für die Seele, Zuflucht und Rettung vor der sowjetischen Ideologie. Auch die Ideologie der Verbrauchergesellschaft hat nichts mehr verdient, als dass man ihr entflieht und vor ihr Zuflucht sucht und einfach aus diesem Wettlauf aussteigt. Dass wir darauf verzichten, unsere Identität und unsere Selbstachtung dort zu suchen, wo die Verbrauchergesellschaft uns den Platz zuweisen möchte. Jesus sagte: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“ Dabei geht es nicht um die himmlische humanitäre Hilfe (obwohl es diese in den Fällen echter Not auch gibt), sondern um den Frieden des Herzens, um das Empfinden von Trost und Sicherheit. Danach streben wir eigentlich auch dann, wenn wir auf unseren Irrwegen wandeln.

Ganz besonders sollten sich diejenigen vom Diktat der Verbrauchergesellschaft befreien, deren Stellung sie verpflichtet, für das gemeinsame Wohl zu sorgen, ihnen aber auch die bequeme Gelegenheit öffnet, zuerst an sich selbst zu denken. Ohne die innere Freiheit sind die neuen Gesichter den alten Risiken unterworfen und die „alten Gesichter“ vermögen es nicht, sich zu verändern. In der christlichen Erfahrung ist eine Methode der Meditation bekannt, bei der jemand in der Stille sitzt und dabei lernt, alle Gedanken zu ignorieren, die durch ihn hindurch streifen. Um die abgeschweifte Aufmerksamkeit ständig Gott zuzuwenden, wiederholt der Betreffende immer wieder ein „sakrales Wort“. Eine ähnliche Übung könnte auch dafür von Nutzen sei, die innere Freiheit von der Verbraucherideologie zu lösen. Dabei lösen wir uns in der Stille von allen Ideen und Gedanken, mit denen diese Ideologie das Bewusstsein bombardiert und dabei seine Aufmerksamkeit auf Gott richtet und dabei immer wieder selbst wiederholt: „Ich brauche nicht viel… ich brauche nicht viel…“ Oder sogar: „Ich habe schon zu viel… Ich habe schon zu viel…“ Und dabei empfinde, wie die Spannung nachlässt und wie sich die Freiheit und der Friede entfaltet. Und dann entdeckst du, dass du einem anderen helfen oder eine gute Sache fördern kannst. Lettland hat die Ressourcen, um alle Bedürfnisse zu stillen, aber nicht um allen Wünschen, Trieben und jedem Ehrgeiz nachzukommen.

Oft hört man die Klage, dass in Lettland der Patriotismus versiegt sei. So ist es auch, doch nicht deshalb, weil die Menschen nicht mehr Patrioten ihres Staates sein wollten. Ihnen fehlt dafür einfach die Motivation und die Kraft. Goethe hat einmal gesagt, dass ein Mensch, welcher ein Ziel hat, alles auszuhalten vermag. Die lettischen Schützen haben es vermocht, in den Freiheitskämpfen Unfassbares auszuhalten, denn sie hatten ein Ziel – der unabhängige Staat Lettland. Sie waren Patrioten. Wir haben bei dem Wiederaufbau unseres Staates uns anscheinend bei unseren Zielen geirrt. In der Bibel heißt es, dass Gott den Völkern ihre Zeiten und Grenzen gesetzt hat nicht, um Waren zu verbrauchen und selbst zur Ware zu werden, sondern um Gott zu suchen, um in Ihm zu leben und uns zu bewegen, um zu Ihm zu gehören. Lettland ist das Land, welches uns Gott geschenkt hat. Deshalb ist Lettland für uns der am besten geeignete Ort, an dem wir unser geistliches Wesen, unsere göttliche Herkunft und unseren göttlichen Auftrag offenbaren können. Schon deshalb lohnt es sich, ein Patriot Lettlands zu sein. Doch wenn sich der Mensch in den Wettkampf der Welt des Verbrauchs hineingeworfen hat, dann wird er allenfalls vielleicht die Zeit und die Kraft für den Patriotismus in dessen entstellter Form finden, der dafür weder den Verstand noch die Anstrengung braucht – den Hass gegenüber Menschen, die einem anderen Volk zugehören. Auch dazu erscheinen mir ein paar Worte notwendig. Patriotismus bedeutet nicht, sich selbst für besser zu halten als andere und das eigene Volk als andere Völker. Wirklicher Patriotismus heißt, für das Wohlergehen des eigenen Volkes und für die Zukunft des Staates Sorge zu tragen. Jesus sagte: Jedes Haus, das mit sich selbst uneins ist, kann nicht bestehen. Es geht zu Grunde. Es wird ein Stärkerer kommen, der alles übernehmen wird. Die Letten haben keine Aussichten, wenn sie die Wirtschaftskrise, den demographischen Sumpf und außerdem noch die Angehörigen der in Lettland lebenden Völker bekämpfen müssen. Ja, die Vergangenheit hat zur Verbitterung viel Anlass gegeben, doch die Zukunft erfordert den Ausgleich und den gemeinsamen Einsatz zum Wohle Lettlands. So steht es im staatlichen Integrationsprogramm. Aber um das zu erreichen, muss man es in seiner Tiefe begriffen haben, dass Patriotismus nicht das Hassen und Zurückstoßen der Angehörigen anderer Völker bedeutet, sondern alles zu tun, was der Zukunft des Volkes dient, oder mindestens andere nicht dabei behindern, wenn sie es auch tun möchten. Lettland braucht dringend den Ausgleich und den gemeinsamen Einsatz zum Wohl eines solchen Staates, in dem die lettische Sprache, Kultur und das Volk selbst in Sicherheit leben und sich in diesen Zielen mit den Bürgern anderer Volkszugehörigkeit einig ist. Sie als Freunde und Mitarbeiter zu gewinnen für ein lettisches, demokratisches und europäisches Lettland, ist eine der schwersten aber auch notwendigsten Aufgaben. Die Zusammenarbeit verschiedener Konfessionen unterschiedlicher Volkszugehörigkeit in Lettland ist ein gutes Zeugnis dafür, dass es möglich ist, wenn es Christus ist, der die Menschen für eine Idee miteinander vereint.

Vor über 20 Jahren bin ich einem christlichen Missionar begegnet, dessen Bericht mir weiterhin in einer lebendigen Erinnerung geblieben ist. Wegen seiner Tätigkeit wurde er in ein Straflager eines Landes in Asien eingesperrt. Die Aufseher achteten streng darauf, dass es nicht zu irgendwelchen Anzeichen käme, die auf eine religiöse Zugehörigkeit hindeuteten. Mindestens er litt sehr darunter, dass er weder beten, noch Gott loben konnte, wie er es gewohnt war. Aber er fand einen Ausweg. Dieser Mann meldete sich freiwillig zur Reinigung der riesigen Kloaken der Klosetts. Der Gestank war dort so entsetzlich, dass die Aufseher sich in einiger Entfernung davon aufhielten. Auf diese Weise erhielt er die Möglichkeit, mit Gott allein zu sein. Bei dem Einatmen des entsetzlichen Gestankes und bei dem Wegschaufeln des Inhaltes der stinkenden großen Kloaken betete er mit lauter Stimme, sang Psalmen und lobte Gott im Himmel. Christus vermochte es, ihm den inneren Frieden und die Freude zu schenken selbst in dem stinkenden Klo eines der brutalsten Gefängnisse dieser Welt.

Ich bin noch nie in meinem Leben in eine solche Tiefe geführt worden und ihr vermutlich auch nicht. Unser Staat ist nicht einmal annähernd auf einer so niedrigen Ebene angelangt. Aber es ist gut zu wissen, dass Christus sogar in solchen Verhältnissen Freude und Kraft schenken kann. Er kann es tun, unabhängig von den äußeren Verhältnissen. Aber das Allerbeste daran ist, dass du bei einer lebendigen Beziehung zu Christus merkst, dass er immer und überall Möglichkeiten hat. Mag uns noch vieles bevorstehen und mögen wir auch unvorstellbares zu erwarten haben, so hat er immer Möglichkeiten bereit, uns auch das überleben zu lassen. Wir können uns wünschen, dass in unserem Staat, in unserer Familie oder bei uns selbst vieles anders wäre. Wir können uns wünschen, dass wir die hohen Staatsanleihen und eine Konsolidierung nach der anderen nicht mehr brauchen und dass nicht so viele unser Land verlassen. Wir können uns wünschen, nicht alt und krank zu werden. Wir können uns wünschen, dass unser Mann oder unsere Frau oder unser Kind nicht gestorben wären. Wir können uns das alles wünschen, aber werden wir es auch erreichen? Oft sicher nicht. Und was dann? Sollen wir in Verbitterung versinken? Sollen wir sagen, dass alles zum Teufel gehen sollte? Besser ist es, sich daran zu erinnern, dass Christus den Frieden und die Freude in jeder Lebenslage schenken kann. Die kann uns niemand wegnehmen. Das hängt auch nicht von dem Willen und den Plänen anderer Menschen ab. Das schenkt dir Christus und das bleibt dir erhalten. Nicht so, dass jeder nun die Hände in den Schoß legen könnte, wenn wir unsere Lebensverhältnisse oder das Leben in unserem Staat in Ordnung bringen möchten, sondern dass wir es tun können als Menschen, deren Leben Christus in Ordnung gebracht und befreit hat. Nur ein erleuchteter Mensch, dessen Leben Christus in Ordnung gebracht hat, vermag es, entsprechend zu handeln.

Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Er ist die Wahrheit, die uns dazu befreit, dass unser Weg in die Zukunft und uns in das Leben führt. Am Staatsfeiertag pflegen wir einander zu fragen, ob wir dieses Land und diesen Staat lieben. In dieser Zeit einer historischen Wende gibt es drei Dinge, die wir lieben sollten, damit wir in die Zukunft unseres Volkes hoffnungsvoll hineinblicken können – unser Land, unseren Staat und Christus. Gott, segne Lettland! Amen.

Übersetzung aus dem Lettischen: Johannes Baumann

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 25. November 2011 um 16:40 und abgelegt unter Christentum weltweit, Gesellschaft / Politik.