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Ein konservativer Kämpfer

Dienstag 25. Oktober 2011 von Administrator


Ein konservativer Kämpfer

Unter dem Titel „Ein konservativer Kämpfer” hat Hans Christoph von Rohr eine lesenswerte und anschauliche Darstellung des Wirkens seines Vaters Hansjoachim von Rohr vorgelegt. Das Buch ist 2010 erschienen. Es bietet auf 164 Seiten viele Informationen über das politische Wollen und die Kämpfe und Konflikte, die der vorpommersche Agrarpolitiker (1888–1971) zu bestehen hatte. Zeitgeschichte wird aus der unverwechselbaren Perspektive der Schilderung eines pommerschen Lebensweges lebendig.

Geboren in Haus Demmin – einem Gut in der Nähe der vorpommerschen Kreisstadt an der Peene – plante Hansjoachim von Rohr nach Schulbesuch in Demmin und Putbus eine Beamtenkarriere. Er studierte in Heidelberg und leistete Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg. Nach einer kurzen Tätigkeit als Regierungsassessor im preußischen Innenministerium änderte er seine beruflichen Pläne und übernahm nach dem Tod seines älteren Bruders den väterlichen Landwirtschaftsbetrieb Vorwerk. Gleichwohl blieb er politisch aktiv und fand eine Heimat in der konservativen Deutsch-Nationalen Volkspartei. Die Partei war Ende 1918 gegründet worden und vereinigte in einem breiten Spektrum unterschiedliche konservative Strömungen und Bewegungen aus der Zeit des Kaiserreiches. Für diese Partei nahm von Rohr – ganz in der Tradition des pommerschen Landadels – von 1924 bis 1932 ein Mandat im preußischen Abgeordnetenhaus wahr. Die politischen Kämpfe der Weimarer Republik waren ihm offenbar eher zuwider, er träumte von der Errichtung einer konstitutionellen Monarchie.

Seine wertkonservative Grundhaltung und eine am täglichen Bedenken der Herrnhuter Losungen orientierte persönliche Frömmigkeit fanden bald Ausdruck und Gestaltungsmöglichkeiten auf dem Feld der Agrarpolitik. Das Eintreten für einen bäuerlichen Familienbetrieb, gelenkt von betriebwirtschaftlichem Sachverstand und einer berufsständischen Organisation der Beschäftigen steht am Beginn seines Wirkens und wird für von Rohr später in den Auseinandersetzungen um die Stellung der Landwirtschaft in der EWG in den fünfziger Jahren wieder zum Leitmotiv werden – gegen alle Stimmen, die für eine gewerkschaftliche Organisation der Landarbeiter oder für das Diktat der ökonomischen Effektivität durch Großraumwirtschaft warben. Im Pommerschen Landbund setzte Rohr ein erstes Mal sein Ideal in die Praxis um, als in dessen Vorstand ein Großgrundbesitzer, ein Bauer und ein Landarbeiter gewählt wurden. Heftige Anfeindungen von allen Seiten konnten ihn nicht beirren. Der von ihm repräsentierte politische Wille trug dazu bei, die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Landbund zumindest hinauszuschieben. Dass von Rohr mit vielen anderen Konservativen der NS-Bewegung ablehnend gegenüberstand, ist unzweifelhaft. Die Blut- und Bodenideologie war ihm so fremd wie ihm die Verbindungen zum Syndikat der deutschen Kali-Industrie suspekt waren. Dennoch stellte er sich dem Wagnis, in der unter Hitler gebildeten Koalitionsregierung von NSDAP und DNVP als Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Verantwortung zu übernehmen. Sein Hauptmotiv war wohl die Abwehr der Gefahr, dass die Folgen der Weltwirtschaftskrise einseitig auf dem Rücken der Landwirte ausgetragen werden könnten. Nachdem er sich wiederholt kritisch öffentlich zur Agrarpolitik der NSDAP geäußert hatte, wurde er im September 1933 aus diesem Amt entlassen. Ob er mit seinem Ausflug in die Politik der Machtergreifung der NSDAP Vorschub geleistet hatte, ist nach dem Ende der NS -Herrschaft diskutiert worden – eine Frage, die sich freilich viele stellen müssen, die damals Verantwortung trugen und die sich bekanntlich mit dem Wissen von hinterher immer leichter beantworten lässt als in der konkreten Entscheidungssituation.

Zu einem ersten Schlag gegen von Rohr holte die neue Führung im Zusammenhang der so genannten Röhm-Affäre aus, hier konnte er sich durch Flucht retten. Seine Fürsorge für sowjetische Kriegsgefangene, von der noch die Rede sein wird, führte zu einer Verurteilung, gegen die der Jurist von Rohr aber erfolgreich Revision einlegte. Nach dem 20.Juli wurde er verhaftet. Eine unmittelbare Beteiligung an der Verschwörung war ihm jedoch nicht nachzuweisen und mit seiner Familie konnte er nach 1945 – das Gut in Vorpommern von der sowjetischen Militärverwaltung enteignet – in Westdeutschland neu anfangen, in bemerkenswerter Treue zu seinen Prinzipien.

Hans Christoph von Rohr erzählt anschaulich die Auseinandersetzungen um die Landwirtschaftpolitik beim Aufbau der sozialen Marktwirtschaft und schildert das Bemühen seines Vaters um ein ausbalanciertes Verhältnis von Markt und Reglementierung vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit und später beim Aufbau der EWG. Das Ideal des bäuerlichen Familienbetriebes ließ von Rohr lange vor dem Aufkommen der Grünen für eine naturverträgliche Landwirtschaft plädieren, für ein Verbot der Käfighaltung, für mäßigen Einsatz von chemischen Mitteln und gegen überzogene Flurbereinigungen und Meliorationen.

Instrument seiner politischen Wirksamkeit war für Hansjoachim von Rohr das von ihm gegründete und im Selbstverlag vertriebene Publikationsorgan „Stimmen zur Agrarwirtschaft“, das mit einfachsten technischen Mitteln ab 1947 zweimal im Monat erschien und es auf über 550 Ausgaben brachte. Keineswegs selbstverständlich ist, dass von Rohr in diesem Organ auch zu außenpolitischen Fragen Stellung nahm. Auch hier lag sein Denken quer zum politisch Üblichen der jungen Bundesrepublik der Adenauer-Zeit. So warb er für eine ernsthafte Prüfung der Stalin-Note vom 10.März 1952, empfahl den Vertriebenen-Verbänden eine Abkehr von jeglichem Wunschdenken und setzte sich für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ein.

Hans Christoph von Rohr hat diese und andere Positionen seines Vaters im Anhang seiner Darstellung dokumentiert durch Auszüge aus Artikeln der „Stimmen“, die sehr interessante zeitgeschichtliche Dokumente sind. Hier findet sich auch seine Rede am Grab auf Walter Darré, seinem großen Gegner der Jahre 1932 / 33. Die unüberbrückbaren Gegensätze werden noch einmal benannt – aber mit menschlicher Größe wird zugleich dafür gedankt, „dass wir ohne jede Künstlichkeit das Andenken des Toten ehren dürfen“.

Menschlichkeit und Zivilcourage charakterisieren Hansjoachim von Rohr, Charakterzüge, die für ihn verwurzelt waren in dem stabilen Gefüge seiner christlichen und konservativen Grundhaltung. Schon Jahre zuvor hatte er sie unter Beweis gestellt, als er für eine würdige Trauerfeier verstorbener sowjetischer Kriegsgefangener auf seinem Gut sorgte und selbst an der Beerdigung teilnahm – mit dem Ergebnis einer Verurteilung wegen „verbotenem Umgang mit Kriegsgefangenen“.

Das Buch regt zum Nachdenken an und beantwortet nicht alle Fragen. Die Rolle Alfred Hugenbergs und der DNVP insgesamt in der Endphase der Weimarer Republik und beim Aufstieg Adolf Hitlers – um nur ein Beispiel zu nennen – hätte gewiss eindeutiger erfasst werden können, auch schon im Erleben des Zeitgenossen. Es bleibt aber dabei: Hansjoachim von Rohr, ein wertkonservativer pommerscher Landwirt zwischen vielen Stühlen verdient ehrendes Gedenken. Das Buch seines Sohnes ist dafür ein wichtiger Impuls.

Christoph Ehricht, Greifswald

Hans Christoph von Rohr, Ein konservativer Kämpfer. Der Agrarpolitiker und NS-Gegner Hansjoachim von Rohr, Hohenheim-Verlag Stuttgart 2010, 164 Seiten, ISBN 978-3-89850-206-1, 16,90 €

Quelle: POMMERN. Zeitschrift für Kultur und Geschichte 49 (2011), Heft 3, S. 44 f.

Die vorstehende Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung des Rezensenten sowie der Redaktion der Zeitschrift POMMERN veröffentlicht.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 25. Oktober 2011 um 8:45 und abgelegt unter Buchempfehlungen, Rezensionen.