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Gottes Wort – Die Grundlage für Glauben und Handeln der Kirche

Gottes Wort – Die Grundlage für Glauben und Handeln der Kirche

1. Wie steht es mit dem „sola scriptura – allein die Schrift“?

Ein Blick in die Verfassung der Landeskirche klärt, was zumindest für die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens gilt. Dort heißt es:

„Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens steht als Kirche der Reformation in der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche auf dem Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben und in den drei altkirchlichen Symbolen, in der unveränderten Augsburgischen Konfession von 1530, in der Apologie, in den Schmalkaldischen Artikeln, in den Katechismen Martin Luthers und in der Konkordienformel als den Bekenntnisschriften unser evangelisch-lutherischen Kirche bezeugt ist.“

Die Verfassung benennt die Bibel als die Grundlage für Glauben und Handeln der Kirche und die Bekenntnisse als das einmütige Zeugnis aus dieser Grundlage. Damit findet das reformatorische „sola scriptura“ – „allein die Schrift“ seinen verfassungsmäßigen Ausdruck. Dies ist Konsens in unserer Landeskirche und wird, soweit ich weiß, von niemandem in Frage gestellt.

Nun wird aber in der theologischen Beurteilung von Homosexualität ein tiefgreifender Riss in unserer Kirche deutlich. Er ist nicht durch den, mittlerweile berühmt gewordenen, § 39 erst zu Stande gekommen, sondern er ist damit nur etwas sichtbarer geworden. Im Hinblick auf das Verständnis der Hl. Schrift ist er schon seit längeren vorhanden. Darüber ist eine offene und grundsätzliche Debatte längst überfällig. Wir befinden uns seit einigen Jahren in Fragen, die das Verständnis der Hl. Schrift betreffen in einer Grundlagenkrise. Die Tragik oder auch Ironie ist nun, dass ausgerechnet das Gesetz, das zur Grundlage für eine größere Einheit unter den Evangelischen Kirchen in Deutschland werden soll, nun gerade den rechtlichen und inneren Frieden auch in unserer Landeskirche auf das Stärkste zu belasten scheint.

Vielleicht gebraucht GOTT diese Begebenheiten aber auch, um seine Kirche zu erwecken. Die gegenwärtigen Fragen könnten im besten Fall einen Hunger nach Vergewisserung und Stärkung in den Grundlagen des Glaubens hervorrufen und es könnte ein neues kritisches Fragen über das Handeln Kirche in der Welt hervorbrechen. Die Kirche hat dies in jeder Generation nötig, um ihren biblischen Auftrag erfüllen zu können. Dabei brauchen die sich entgegenstehenden Auffassungen in der Kirche die Courage, wirklich miteinander zu reden und sich gegenseitig in Liebe zur Buße zu ermahnen. Vergewisserung im Glauben haben wir nicht selbst in der Hand, sondern sie ist eben selbst schon Gnade, die uns durch das Wort Gottes geschenkt ist. In Psalm 119,130 heißt es: „Wenn dein Wort offenbar wird, so erfreut es und macht klug die Unverständigen.“ Denn das göttliche Wort unterscheidet sich eben von allen menschlichen Worten, weil es allein vom ewigen Leben lehrt (Luther).

2. „sola scriptura“ als die Unterscheidung von Wortes Gottes und Menschenlehre

Jede Generation von Christen hatte ihre spezielle Herausforderung in der Nachfolge Christi. Und es gäbe weder die Bekenntnisse noch die großen Lehrer der Kirche, wenn es nicht die Versuche der Verdunklung und die inneren und äußeren Angriffe auf die apostolische Lehre und das prophetische Wort im Volk Gottes gegeben hätte.

Papst Benedikt XVI. schreibt in seinem ersten Band des Jesusbuches über solche Angriffe: „Heute wird die Bibel weithin dem Maßstab des sogenannten modernen Weltbildes unterworfen, dessen Grunddogma es ist, dass Gott in der Geschichte gar nicht handeln kann – dass also alles, was Gott betrifft, in den Bereich des Subjektiven zu verlegen sei. Dann spricht die Bibel nicht mehr von Gott, dem lebendigen Gott, sondern dann sprechen nur noch wir selber und bestimmen, was Gott tun kann und was wir tun wollen oder sollen. Und der Antichrist sagt uns dann mit der Gebärde hoher Wissenschaftlichkeit, dass eine Exegese, die die Bibel im Glauben an den lebendigen Gott liest und ihm selbst dabei zuhört, Fundamentalismus sei; nur seine Exegese, die angeblich rein wissenschaftliche, in der Gott selbst nichts sagt und nichts zu sagen hat, sei auf der Höhe der Zeit.“

Damit ist ein zentrales Anliegen und das Geschenk der Lutherischen Reformation zum Ausdruck gebracht – sola scriptura. Es geht ja genau darum „Gott selbst aus der Bibel zuzuhören“ – genau das meint jenes „sola scriptura“ – „allein die Schrift“. Sie legt sich selbst aus. Sie ist ihr eigener Interpret und bedarf nicht unserer Theologie um verstanden zu werden. Sie bedarf nicht erst unser, sondern wir ihrer.

Manche Diskussionen und Auseinandersetzungen kehren in der Kirche zyklisch wieder und müssen, wie es scheint, in jeder Generation neu verhandelt und durchgefochten werden. Dazu gehört die Auseinandersetzung über den Grundsatz „sola scriptura“. Dabei ist das nicht erst eine Erfindung der lutherischen Reformation, sondern seit Gott ein Schriftsteller geworden ist, so hat der große Denker Hamann über den Urheber der Bibel gesprochen, seit sich der Hl. Geist erniedrigt hat und er ein Geschichtsschreiber der kleinsten, … der nichts bedeutenden Begebenheiten auf der Erde geworden ist, um den Menschen in seiner eigenen Sprache, in seiner eigenen Geschichte, in seinen eigenen Wegen die Rathschlüsse und Wege der Gottheit zu offenbaren“, seit es also so etwas wie Heilige Schrift gibt, solange gibt es auch die Auseinandersetzung darüber, was göttliche Autorität und Geltung beansprucht und besitzt oder was nur menschliche Lehre und Ansicht ist aber ebenfalls göttlichen Geltung für sich beanspruchen will. An dem Wort der Schrift scheiden sich, wie wir wissen, von Anbeginn die Geister, denn der Glaube ist nicht jedermanns Ding, wie die Bibel selbst bezeugt (2. Thess. 3,2).

Dieser Hl. Streit zieht sich durch die Geschichte des Bundes Gottes mit Israel und auch durch die Geschichte der Kirche. Es gibt eben einen Kanon Hl. Schriften.

„Ihr sollt nichts dazutun zu dem, was ich euch gebiete, und sollt auch nichts davontun, auf das ihr bewahrt die Gebote des Herrn, eures Gottes, die ich euch gebiete!“ (Dtn. 4,2 u. a.)

Die Schrift begründet die Einheit im Glauben und Handeln der Kirche, weil sie die Geister scheidet und einen Riss in der Welt offenbar macht. Geschieht es nun, dass sich die institutionelle Gestalt der Kirche mehr an der Welt als am Wort orientiert, dann wird diesen Riss auch in ihrer Institution sichtbar. Dies ist auch im Neuen Testament gut bezeugt:

Aus dem Mund von Jesus Christus:

„Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.“ (Joh. 17,22.23)

„Meint ihr, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht.“ (Lk 12,5)

Aus dem Mund des Hl. Apostel Paulus:

„Seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: EIN Leib und EIN Geist, wie ihr auch berufen seid zu EINER Hoffnung eurer Berufung; EIN Herr, EIN Glaube, EINE Taufe; EIN Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.“ (Eph 4,3-6)

„Denn es müssen ja Spaltungen unter euch sein, damit die Rechtschaffenen unter euch offenbar werden.“ (1.Kor 11,19)

Und auch dem Mund des Hl. Apostel Petrus:

„Endlich aber seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig.“ (1.Petr 3,8)

„Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer, die verderbliche Irrlehren einführen und verleugnen den Herrn, der sie erkauft hat; die werden über sich selbst herbeiführen ein schnelles Verderben. Und viele werden ihnen folgen in ihren Ausschweifungen; um ihretwillen wird der Weg der Wahrheit verlästert werden.“ (2.Petr 2,1)

Es ist außerordentlich interessant zu betrachten, wie nun Luther zum „sola scriptura“ findet. Denn vom „sola scriptura“ her lässt sich für die luth. Reformation ihre geistliche Autorität und Vollmacht begründen.

Exkurs: Luthers Weg zum „sola scriptura“

Luther findet durch die Leipziger Disputation mit Eck vom 27.06.-15.07.1519 zum sola scriptura (vgl. dazu Helmar Junghans „Luthers Weg zum sola scriptura“ in Amtsblatt EVLKS 2009 Nr. 10/B29-32 und Notger Slenczka: Die Schrift als „einige Norm und Richtschnur“ in Die Autorität der Heiligen Schrift für Lehre und Verkündigung der Kirche, Schriftenreihe des Lutherischen Einigungswerkes, Heft 1, S. 53-78).

Damals ging es unter anderem um die These von Johannes Eck hinsichtlich der päpstlichen Gewalt. Er behauptete unter anderem:

„Die allein Herrschaft und einzigartige Machtstellung in der Kirche Gottes ist durch das göttliche Recht und durch Christus eingesetzt.“

Er argumentierte vor allem mit den Kirchenvätern und deren Auslegung der Bibel in dieser Frage. Luther argumentierte mit Bibelstellen selbst und bekräftigte seine These: Nicht ein Mensch (Papst) sei das Haupt der irdisch sichtbaren Kirche, sondern Christus selbst. Und fügte ein Argument aus der Ökumene hinzu, nämlich dass die griechische Kirche zu keiner Zeit den Papst als ihr Haupt anerkannt habe. Luther war nicht gegen den Papst aber er wandte sich gegen den Anspruch des Papstes, einen Primat auf Grund göttlichen Gesetzes zu haben.

Die Autorität der Hl. Schrift als „einige Norm und Richtschnur“ war für beide kein Streitpunkt. Eklatant wurde es für Eck nur als Luther die Auslegung der betreffenden Bibelstellen durch Hieronymus und Bernhard von Clairvaux bestritt und sagte:

„Es betrübt mich, dass Herr Dr. so tief in die Hl. Schrift eindringt, wie ein Wasserläufer ins Wasser, ja er scheint sogar vor ihr zu fliehen, wie der Teufel vorm Kreuz. Daher ziehe ich der gesunden Ehrerbietung der Väter die Autorität der Hl. Schrift vor.“

Luther wollte nicht wegen einer geringeren Autorität eine höhere aufgeben.

„Denn das Wort Gottes steht über allen Worten der Menschen.“ –

Luther weiter:

„Er achte Bernhardt und verachte auch nicht seine Meinung, aber in diesem Streit müsse der ursprüngliche und eigentliche Sinn der Hl. Schrift aufgenommen werden.“ „Es kann kein Christgläubiger über die Hl. Schrift – die das eigentliche göttliche Recht ist – hinaus gezwungen werden, wenn nicht eine neue und bewiesene Offenbarung hinzugekommen ist. Ja wir werden sogar durch das göttliche Recht daran gehindert, etwas zu glauben, was nicht durch die göttliche Schrift oder durch unverkennbare Offenbarung bewiesen ist.“ (Luther in Aufnahme eines Zitates von Augustinus)

Und schließlich erklärt Luther:

„dass ein Konzil gelegentlich geirrt hat und irren kann, zumal in Dingen die nicht den Glauben betreffen, und das ein Konzil keine Ermächtigung hat, neue Glaubensartikel einzusetzen, sonst haben wir endlich so viele Artikel wie Meinungen der Menschen.“

Weder Papst noch Konzile (oder Synoden) können das Gewissen über die Gebote der Hl. Schrift hinaus binden und Sünden bestimmen. Das gehört fortan zum wieder entdeckten Grundsatz evangelischer Treue zur Hl. Schrift.

Die Autorität der Hl. Schrift für Glauben und Handeln der Kirche ergibt sich (für Luther) nicht von einer anderen geringeren Autorität her. Nicht der Papst oder ein Konzil haben die Schrift in Geltung gesetzt. Sie sind damit nicht berechtigt durch eigenwillige Auslegung eines Lehramt (päpstliches oder akademisches) oder durch Mehrheitsentscheidungen von Synoden über Geltung oder Nichtgeltung, über Göttliches oder Menschliches, über Zeitloses oder Ewiges, über Sünde oder Nichtsünde entscheiden.

Das Wort der Hl. Schrift bedarf nicht erst unserer Auslegungskunst und Deutung, damit es verständlich oder annehmbar wird, noch unserer Rechtfertigung, sondern wir bedürfen zuerst ihrer Auslegung und Deutung und wir bedürfen ihrer Rechtfertigung, damit wir, in Beschlag genommen von Gottes Geist, sie quasi von innen her verstehen und predigen können. Wir müssen der Bibel nicht erst auf die Sprünge helfen bei den Menschen mit unseren Künsten. Die Kunst der Predigt ist nicht, dass wir die Schrift meistern, sondern, dass sie uns meistert. Rechte Predigt legt das Wort nicht von menschlicher Warte her aus, mit dem Ziel, dass den Hörer die Ohren danach jucken, sondern sie legt Prediger und Hörer gleichermaßen vom Wort her aus und der rechte Prediger und begnadete Hörer lässt sich durch von ihr ansprechen und treffen, auslegen und trösten. Das ist die Großmacht der evangelischen Predigt in ihrer Knechtsgestalt. Zu unserer Verblüffung findet sie sich eben auch zu Zeiten im Mund eines Papstes. Wir erleben es Gott lob in unseren Tagen.

Luther schreibt:

„Ich will nicht nach menschlichen Maßstab die Schrift, sondern nach dem Urteil der Schrift aller Menschen Schriften, Worte und Taten verstehen.“

Das ist es, was seinen Kontrahenten Dr. Eck in Leipzig bei der Disputation so aufregt. Er schreibt entsetzt über Luther an den Kurfürsten:

„Er (Luther) leugnet und bestreitet über einen Gegenstand die Meinung und Auslegung der heiligen Väter, des Augustin, des Hieronymus, Gregors, Leos, Cyprians, des Chrysostomos und des Bernhard. Das klingt nicht gut unter Christen, dass einer sich anmaßt, rein aus eigenem Verstand den Sinn der Heiligen Schrift besser zu kennen als die heiligen Väter miteinander.“

Nun Luther legte die Schrift eben gerade nicht nach eigenem Verstand aus – da hat ihn Eck (absichtlich) missverstanden, sondern er bringt zum Ausdruck, dass die Schrift selbst eine Stimme hat und selbst zu Wort kommen kann sogar gegen ihre Ausleger. Wir erblicken das Licht der Schrift nicht durch das Licht der Ausleger und ihre Kunst oder in dem vermeintlichen Licht unseres Verstandes, sondern wie der Ps. 36,10 formuliert: „In deinem (Gottes) Licht sehen wir das Licht!“ Dieses Licht und Feuer des Hl. Geistes haben die Evangelischen natürlich nicht gepachtet. Christus das Licht hat sich aber der Kirche in ihrer Geschichte immer wieder erschlossen und Irrtum überwunden durch die Treue zur Hl. Schrift. Oft mit dem Preis des Leidens bis hin zum Martyrium. Gott ist Licht, Jesus Christus ist das Licht, das Wort Gottes ist das Licht und die Kirche ist das Licht. Unsere Vernunft ist biblisch anders zu beschreiben. Es geht letztlich darum auch um die Geltung des 1. Gebots bei der Auslegung der Hl. Schrift.

3. „sola scriptura“ – das Reden der Schrift als Reden Gottes

Der Text der Bibel enthält eben nicht nur Information über Gott und den Menschen, sondern die Bibel ist das Medium (vgl. Slenczka ebd.) durch das Gott spricht und wirkt. Sie erweist sich selbst als solches und legt sich selbst und die Menschen aus. Der Hl. Geist hat eben nicht nur die Apostel, Propheten und deren Hörer im Blick, sondern er hat auch den jeweiligen Leser und Hörer in seiner Zeit im Blick behalten. Die Aktualität der Bibel ist eins ihrer großartigen Geheimnisse. Aus ihr empfängt der Mensch den Glauben als eine Gabe Gottes. Dieser versetzt den Menschen in die Lage, die ganze Schrift zu verstehen und das menschliche Trachten und Handeln in der Welt zu beurteilen. Damit kann der Mensch eine Unterscheidung treffen und ist nicht alternativlos festgelegt, dem wechselnden menschlichen Trachten und Handeln zu folgen, sondern Christus hin zum ewigen Leben. Darum kann der „geistliche Mensch alle Dinge beurteilen und wird doch selbst von niemanden beurteilt. “ (wie Paulus formuliert in 1. Kor. 2,15) Das aber bringt ihn in permanente Anfechtung und stellt ihn in einen geistlichen Kampf, dem er nicht entgeht und dem er nicht ausweichen kann. Dieser Kampf macht aber auch die weltweite Einheit des Leibes Jesu sichtbar und den Ausleger zur richtigen „Theologen und Doktor der Hl. Schrift“ (Luther).

Die Einheit kann nicht juristisch herbeigeführt oder gesichert werden. Sie kann auch nicht theologisch herbei diskutiert werden. Sie ist ja in Christus längst gegeben und kann im Kreuz, dass der Gemeinde Jesu in der Welt auferlegt ist, auch erblickt und letztlich an deren Treue zur Hl. Schrift auch entdeckt und erfahren werden. Wir müssen uns über die aufziehende Verdunklung im Zeugnis der Christenheit nicht wundern. Sie ist nichts Neues. Es gab immer schon Zeiten, in denen das Wort Gottes schwer zu ertragen gewesen ist und Zeiten in denen es nicht geliebt, ja sogar verkannt oder verfälscht wird. Doch der Sieg gehört Gott gegen allen momentanen Augenschein. Und es muss geschehen, damit sich das Wort Gottes erfüllt. Verbum domini manet in aeternum! Das Wort Gottes bleibt ewiglich! Daraus ergeben sich für das Kirchenrecht und für unser gegenwärtiges Handeln wichtige Schlussfolgerungen:

4. „sola scriptura“ und Kirchenrecht

Die Kirche bedarf nicht Satzungen und Ordnungen, die der Hl. Schrift widersprechen und damit die Kirche bei der Erfüllung ihres Auftrags im Weg stehen. Die Einheit der Kirche besteht eben nicht in ihrem Recht, dass sie sich gibt, sondern in Christus, dem sie nachfolgt und dessen Stimme sie aus der Schrift hört.

Luther hat bekanntlich das kanonische Recht in Wittenberg samt Bannandrohungsbulle verbrannt und später erneut betont. Er würde es wieder tun. Er lehnte damit aber weder das Kirchenrecht als solches oder eine rechtliche Ordnung der Kirche in der Welt ab, sondern nur den Anspruch und die Anmaßung, dass das kirchliche Recht selbst göttliche Autorität habe und in einem solchem Zusammenhang etwa alles dem Urteil Roms unterworfen sei. Niemals kann sich das Recht der Kirche über die Schrift selbst erheben und bestimmen, was zu glauben ist oder was Sünde ist und was nicht.

Weil die Kirche in der Welt aber nicht ohne eine institutionelle Gestalt sein kann, bedarf sie der Ordnung und entwickelt ein eigenes kirchliches Recht als strukturellen Rahmen für ihren Auftrag. Sie entfaltet es als ein Recht nach innen (Kirchenrecht im eigentlichen Sinn) und als ein Recht nach außen (Staatskirchenrecht). Das kirchliche Recht, auch und besonders in evangelischer Verantwortung, ist aber anders als das weltliche Recht und die weltliche Obrigkeit an die Willensbekundung GOTTES in der Hl. Schrift gebunden und kann selbst keine eigene Rechtsnorm neben der Hl. Schrift entwickeln, um nicht in Widerspruch mit sich selbst zu geraten. Kommt es nach außen oder nach innen zum Streit der Normen, dann bleibt der Kirche nur der Weg des leidenden Bezeugens. Denn jedes kirchliche Recht ist auf die Zustimmung und Akzeptanz angewiesen. Es gibt keine kirchliche Polizei, die dessen Umsetzung überwacht. Das kirchliche Recht hat Kraft aus der Hl. Schrift oder es ist kraftlos und fruchtlos. Im schlimmsten Fall lässt es sich vor den Karren des Antichrists spannen und wird zum Instrument der Spaltung der Kirche (status confessionis), dafür sollte sich kein Kirchenjurist benutzen lassen.

5. „sola scriptura“ und unsere gegenwärtige evangelische Verantwortung als Getaufte

Was ist der Weg für uns heute? Sollten wir römisch-katholisch werden? Eine nicht unbeachtliche Zahl von Evangelischen tritt über. In England betrifft es ganze Gemeinden. In der Tat sind die klaren bibelorientierten Äußerungen des Hl. Stuhles zu Fragen der Ethik (zu den Themen Schwangerschaftsabbruch, PID, Homosexualität u. a.) profilierter, darum steht es uns als Evangelischen gut an, sie zu lesen und zu kennen. Viele Enzykliken aus der jüngsten Vergangenheit, die man zunächst äußerst verächtlich gemacht und bekämpft hat, haben sich im Nachhinein als weitsichtig und richtig erwiesen. Die Treue zum Wort Gottes hat der römischen Kirche bisher jedenfalls weltweit gesehen keinen Schaden gebracht. Wer braucht und wem nützt ein liberaler Protestantismus der mit einer windelweichen Trivialmoral den gesellschaftlichen Trends hinterher hinkt? Welche Lücke hinterließe er? Es liegt eine gewisse Versuchung darin, sich dem Bischof von Rom zu unterwerfen und damit dem ethischen und theologischen Kuddelmuddel in der evangelischen (deutschen) Welt zu entfliehen.

Nach röm.-kath. Verständnis gilt neben der Bibel als Norm eben noch das Lehramt des Papstes. Wenn der Papst ex cathetra redet, dann redet er so als die unfehlbare Stimme Christi selbst. Die röm.-kath. Kirche ist nach ihrem eigenen Selbstverständnis die einzig richtige Kirche und diese ist (nach 1. Tim. 3,15) eine Säule der Wahrheit in der Welt ist und damit kann sie auch in ihrem lehrhaften Sprechen die Wahrheit für sich in Anspruch nehmen. Hinzu kommt noch die Autorität der Tradition der Kirche in der Auslegung der Hl. Schrift.

Wie schwach und schwammig wirken angesichts solcher Autoritäten die demokratisch-synodal verfassten evangelischen Landeskirchen, deren Struktur die Gleichschaltung der Kirche mit dem System des Nationalsozialismus nicht aufhalten konnte. Den Deutschen Christen gelang es leicht, sich in Kirchenparlamenten Mehrheiten zu verschaffen. Aber es kam auch zur Bildung einer bekennenden Kirche und zur Barmer Theologischen Erklärung.

Ist also diese offensichtliche Schwäche der Evangelischen nicht zugleich auch ihre Stärke?

Wir haben nichts als das Wort der Hl. Schrift in der Hand, um dem Bösen zu widerstehen. Doch das ist ja eben mehr als ein Lehramt und gesamte Tradition der Kirche, wenn wir dem lebendigen Gott aus der Hl. Schrift zuhören, wie uns der Papst empfiehlt, dann genügt dies um die Kirche zu begründen (CA VII)!

Als Getaufte zu leben bedeutet, zu jeder Zeit die Vollmacht auszuüben, die in der Hl. Taufe geschenkt ist. Damit ist die Verantwortung und Berufung verbunden, die zu unserem Leben als Getaufte gehört. Diese Berufung teilen wir jedoch mit allen Jüngerinnen und Jüngern des Herrn. Dieser Berufung steht oft eine speziell evangelische Versuchung im Weg nämlich der, für sich selbst Papst sein zu wollen mit der Auffassung, die Korrektur und Ermahnung der Mitbrüder nicht nötig zu haben. Wir brauchen von Zeit zu Zeit eine Bekehrung hin zur Kirche, als den Leib Christi ebenso wie eine Bekehrung hin zum Wort Gottes. Darin liegt unsere evangelische Berufung und Vollmacht auch in diesen Tagen. Die Gemeinde hat die Vollmacht, Lehre zu beurteilen und die Pfarrer (und Bischöfe) zu wählen bzw. auch eben nicht zu wählen.

Die Kirchgemeindeordnung in Sachsen gibt den jeweiligen Kirchenvorständen und Kirchgemeinden dazu übrigens eine Menge Entscheidungsgewalt. Wer soll denn einer Kirchgemeinde einen Pfarrer oder eine Pfarrerin aufdrängen können? Wer hindert sie daran die Kirchvorsteher oder Synodalen aufzustellen oder abzuwählen, die sie für nicht vertrauenswürdig halten? Doch Hand aufs Herz! Scheuen wir uns nicht auch oft vor solcher Verantwortung. Haben sich nicht die Frommen lange Zeit aus der synodalen Arbeit zurückgehalten und sich mit nur wenig Begeisterung eingebracht, weil sie dachten es wird schon irgendwie? Oder weil sie meinten, Kirchenpolitik sei ein „weltliches Geschäft“? Wie viele lebendige und aktive Kirchgemeinden bringen Verständnis dafür auf, dass sie ihre besten Leute freizustellen und freizuspielen, damit sie einen Großteil ihrer Kraft und Zeit einmal eben nicht in der Gemeinde, sondern in der weiten Ebene der Kirchenpolitik einbringen? Wie intensiv wissen wir um die Termine der Synoden und kennen wir die Entscheidungsträger? Welche Gebetskreise wissen um das was ansteht? Wie viele wissen, wie unsere Landeskirche rechtlich geordnet ist? Wir sehen und merken hoffentlich, dass die Irrungen und Wirrungen in unseren Tagen, auch ein Signal für uns zur Umkehr und Neuorientierung am Wort Gottes sind.

Pfarrer Falk Klemm, Referat beim Glaubens- und Besinnungstag am 24.09.2011 in Frankenberg