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Ehe – Die Ikone Gottes in der Welt

Ehe – Die Ikone Gottes in der Welt

Erst im Angesicht des anderen erkennen wir uns. – Über Mann und Frau, Menschsein und die Friedenschance der Ehe. Ein biblisch-anthropologischer Versuch.

Wir wissen nicht mehr, wer oder was der Mensch ist. Menschenbilder gibt es heute viele. Die Wissenschaft kann uns keine Orientierung geben, sie setzt Orientierung voraus. Doch wo können wir noch Orientierung finden? Vielleicht kann es helfen, entlang der biblischen Schöpfungsgeschichten vom Menschen (Genesis 1 und 2) auf Spurensuche zu gehen mit der Frage, was die Bibel über den Menschen sagt, insbesondere über den Menschen in seiner Geschlechtlichkeit, also über den Menschen, so wie er konkret vorkommt: als Mann und als Frau.

In Psalm 8 heißt es: „Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst und des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst?“ In der Bibel ist der Mensch kein Individuum, autonom oder in sich selbst ruhend. Der Mensch ist vielmehr ein Bedürftiger, ein Beziehungs-Bedürftiger. Er und sie bedürfen – zeitlebens -, daß man ihrer gedenkt und sich ihrer liebend annimmt. Es gibt kein Menschsein ohne Gemeinschaft. In der Bibel meint das immer auch die Gemeinschaft der Generationen und die Gemeinschaft der Geschlechter, die Gemeinschaft von Mann und Frau.

Die Schöpfungsgeschichte des Menschen in Genesis 1,1-2,4

Das erste Kapitel der Bibel ist sprachlich in großer Klarheit strukturiert und geordnet, vergleichbar mit einem Lied, dessen Strophen aufeinander aufbauen – und weist schon rein sprachlich auf eine kosmische Ordnung hin.

Am 6. Tage erschafft Gott die großen Tiere und den Menschen. Obwohl Gott an diesem Tage beide erschafft, weist die Schöpfungsgeschichte des Menschen Besonderheiten gegenüber der Erschaffung der Tiere auf, die auf eine einmalige Stellung des Menschen in der Welt hinweisen.

In Genesis 1 wird allein der Mensch geschaffen ohne irgendeinen Hinweis auf einen natürlichen Kontext oder Materie. Bei den Tieren sind es die Wasser, die von Fischen wimmeln, die Tiere des Feldes kommen vor, die Erde, die Feste des Himmels, das Meer – lauter Hinweise auf einen natürlichen Kontext. Beim Menschen fehlt das völlig. Er besitzt eine einzigartige Entbundenheit vom Biotop, von seinem Lebensraum, die die sogenannten freien und wilden Tiere so nicht haben. Nur der Mensch kann sowohl am Äquator wie in Alaska leben.1

Auch die häufig wiederholte Einteilung bei den Tieren, „jedes nach seiner Art“ (sowohl in Genesis 1 wie auch in 2), kommt beim Bericht von der Erschaffung des Menschen nicht vor. Es gibt nur den einen Menschen. Das ist eine Absage an jegliche Form des Rassismus!

Und nur für den Menschen, nicht für irgendeines der Tiere, wird ausdrücklich die Geschlechtszugehörigkeit angegeben als „männlich und weiblich“. Dieser besondere Hinweis auf die Geschlechtlichkeit des Menschen als Mann und Frau (V 27), hat vom Textzusammenhang her nichts zu tun mit der Fortpflanzung (auch die Tiere pflanzen sich fort), sondern mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Die Fortpflanzung kommt erst später, in Vers 28, durch einen besonderen Segen Gottes hinzu. Unsere Geschlechtlichkeit ist selbstwerthaft und hat zu tun mit dem Bild Gottes.

Sprache schafft Beziehung

Die eigentliche Schöpfungsgeschichte des Menschen2 können wir in drei Abschnitte gliedern: direkte Rede (1, 26); Bericht (1, 27); direkte Rede (1, 28-30).3 Man könnte von einem Rahmen sprechen und vom Bericht als dem Herzstück, für das der Rahmen aber wichtig ist. Zunächst schlägt Gott die Erschaffung des Menschen vor; dann erschafft er sie, männlich und weiblich; und dann segnet Gott sie, spricht sie an und gibt ihnen ihren Auftrag.

Anders als bei der Erschaffung der Tierwelt beginnt die Schöpfung des Menschen mit einem Selbstgespräch Gottes: „Lasset uns (den) Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“ (V 26). Sie beginnt mit Sprache, Kommunikation, mit Beziehung innerhalb Gottes. Gott redet von sich in der Mehrzahl und spricht mit sich selbst. Die Sprachfähigkeit ist neben der Geschichtsfähigkeit ein herausragendes Merkmal, das den Menschen vom Tier unterscheidet. „Der Mensch ist nur Mensch durch die Sprache“ hat Wilhelm von Humboldt, Zeitgenosse Goethes, einmal gesagt.

Die Legende berichtet, der Stauferkaiser Friedrich II. (1215-1250) habe zwölf Edelkinder ihren Eltern entrissen und versucht, sie in einem Waisenheim aufzuziehen.4 Sie hätten alle erdenkbare Pflege erhalten, aber niemand durfte zu ihnen sprechen. Auf diese Weise habe der Staufer die Ursprache des Menschengeschlechts herausfinden wollen. Doch alle Kinder starben. Die Ursprache des Menschengeschlechts ist, so sagt der jüdische Philosoph Martin Buber, das Grundwort „Ich und Du“, oder genauer, „Du und Ich“, denn wir müssen zuerst angesprochen werden, bevor wir lernen können, „ich“ zu sagen.

Wie nichts anderes vermittelt Sprache Beziehung, ja schafft Beziehung. Am Ende der Schöpfungsgeschichte des Menschen – auf der anderen Seite des Rahmens sozusagen – spricht Gott von sich in der Einzahl. Er redet den Menschen direkt an: „Sehet da, ich habe euch gegeben…“ (V 29). Nur bei der Erschaffung des Menschen, nicht bei der Erschaffung der Tiere, redet Gott von sich in der ersten Person. Gott schafft Beziehung zum Menschen.

Hier wird kein androgyner Ur-Mensch beschrieben

Achten wir noch genauer auf den mittleren Teil des Textes (V 27):

Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild,
nach dem Bild Gottes schuf er ihn;
als Mann und Frau schuf er sie.5

Der Dreizeiler ist wie ein Gedicht aufgebaut. Gedicht bedeutet nicht, daß man sich etwas zurechtdichtet, sondern daß in verdichteter Form etwas gesagt wird, was in anderer Form gar nicht so vollendet auszudrücken wäre.

Die Sprachstruktur des Dreizeilers folgt dem sogenannten „Parallelismus“, den wir auch aus den Psalmen kennen. Er bedeutet, daß bestimmte Satzglieder, die parallel zueinander stehen – entweder direkt oder gespiegelt – dieselbe Bedeutung haben, dasselbe aussagen.

(Und Gott schuf den Menschen) (A)
(nach seinem Bild) (B)
(nach dem Bild Gottes) (B)
(schuf er ihn) (A)

Hier besteht ein gespiegelter Parallelismus, eine kreuzartige Stellung der Satzglieder: A B / B A. Diese Sprachform ist nicht zufällig, sie bewirkt eine besondere Betonung dessen, was im Zentrum steht: nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes. Umschlossen und eingerahmt ist das Zentrum vom schöpferischen Handeln Gottes: „Und Gott schuf den Menschen“, steht am Anfang; „schuf er ihn“, steht am Ende. Das bedeutet: Der Mensch ist nicht aus sich selbst heraus zu verstehen, sondern von dem her, der nicht Mensch ist, von Gott her. Und: der Mensch ist geschaffen zum Bild Gottes und soll in der sichtbaren Wirklichkeit etwas widerspiegeln von diesem Bild. Doch wer ist nun „der Mensch“?

(nach dem Bild Gottes)(schuf er ihn) (A)(B)
(als Mann und Frau)(schuf er sie) (A)(B)

Hier besteht kein kreuzartiger, sondern ein direkter Parallelismus: Das, was untereinander steht, entspricht inhaltlich einander: A B / A B. Erst jetzt wird klar, wer „der Mensch“ ist. Erst in der letzten Zeile erfahren wir seine Konkretion, seine Veranschaulichung: „als Mann und Frau“. Dabei werden hier nicht die sonst üblichen hebräischen Wörter für Mann und Frau gebraucht (ish und isha), sondern wörtlich heißt es: „männlich und weiblich“ bzw. „ein männliches und ein weibliches Geschöpf“ (hebräisch: sachar und kebah).

(nach dem Bilde Gottes) (schuf er ihn)
(als Mann und Frau) (schuf er sie)

Durch den Parallelismus und die Wiederholung werden kleine Veränderungen besonders betont. Hier ist es der Wechsel von Einzahl zu Mehrzahl bei sonst unverändertem Wortlaut. Gerade dieser Wechsel von Einzahl und Mehrzahl läßt eine Vorstellung von einem ursprünglich zwittrigen Urmenschen nicht zu. Der Wechsel innerhalb der Gleichheit zeigt, daß „der Mensch“ (ha-adam) von Anfang an zwei Geschöpfe sind. „Ha-adam“ ist keine männlich-weibliche Einheit, die später getrennt worden wäre. Von Anfang an ist das Wort „der Mensch“ synonym mit „ein männliches und ein weibliches Geschöpf“. Auf diese wechselvolle Spannung, die gleichzeitig einmalige Einheit ist, wird der Leser schon durch den vorausgehenden Vers 26 vorbereitet. Da heißt es: „Lasset uns (den) Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei. Sie sollen herrschen…“. Die Verbform „Sie sollen herrschen“ ist Mehrzahl, bezieht sich aber auf „den Menschen“, der im Hebräischen eindeutig in der Einzahl steht.

In außerbiblischen Mythen ist in vielen Fällen nur der Mann nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, die Frau z. B. als Ebenbild der Erde geschaffen. Die Bibel läßt aber keinen Zweifel: Jeder Einzelne, Frau oder Mann, ist nach Gottes Ebenbild geschaffen. Und gleichzeitig gilt: Nur männlich und weiblich gemeinsam ist der ganze Mensch nach Gottes Ebenbild. Logisch läßt sich das nicht auflösen. Es ist wie bei den zwei Seiten einer Münze. Auf der einen Seite ist jeder Einzelne Träger des Ebenbildes. Auf der anderen Seite sind nur Mann und Frau gemeinsam der ganze Mensch nach Gottes Ebenbild.

Der Übergang in Genesis 1,27 von der Einzahl zur Mehrzahl betont und verstärkt einerseits die Unterscheidung der Geschlechter innerhalb der Einheit und andererseits die Einheit bei aller Unterscheidung. Mann und Frau sind dabei einander weder entgegengesetzt noch gleich, sondern aufeinander abgestimmt. Der Parallelismus zwischen „der Mensch“ und „männlich und weiblich“ weist darauf hin, daß die geschlechtliche Unterscheidung nicht Hierarchie, sondern Gleichwertigkeit beinhaltet. Keiner von beiden ist der bessere Mensch. Aber auch: Keiner allein ist schon das Ganze. Keiner hat Macht über den anderen. An beide – ohne Unterscheidung – richtet Gott den Auftrag, zu herrschen über die Erde (V 28). Daß damit keine Gewaltherrschaft gemeint ist, sondern das Hüten und Hegen des Gartens, zeigt Genesis 2.

Nicht nur in Genesis 1, 26 und 1, 27 finden wir diesen spannungsvollen Wechsel von Einzahl und Mehrzahl. Auch in Genesis 2, 24-256 und in Genesis 5, 1b-27 kommt das vor. Genesis 2, 24 z. B. endet mit „und sie werden sein ein Fleisch“ – und Vers 25 beginnt mit: „Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib“.8 Zwar sind sie „ein Fleisch“, doch gleich danach kommt nicht nur das Wort „beide“, sondern das wird noch verstärkt durch die Wiederholung: „der Mensch und sein Weib“ – so als wüßte man noch nicht, wer gemeint ist, als wolle der Autor der biblischen Geschichte noch einmal betonen: Die ursprüngliche Einheit ist die ursprüngliche Unterscheidung. Weder löst die Einheit die Vielfalt auf, noch zerstört die Vielfalt die Einheit. Der katholische Theologe und Denker Hans Urs von Balthasar hat das einmal so ausgedrückt: „Der Mensch ist, in der vollendeten Schöpfung duale Einheit, zwei verschiedene, aber voneinander untrennbare Realitäten, deren eine die Fülle der anderen ist, beide auf eine unabsehbare endgültige Einheit hingeordnet; doppelt, ohne die Einheit durch zwei zu multiplizieren, einfach zwei Pole einer einzigen Wirklichkeit, zwei unterschiedliche Vergegenwärtigungen eines einzigen Seins, zwei entia in einem einzigen esse, eine Existenz in zwei Leben, keineswegs aber zwei Bruchstücke einer Ganzheit, die man nachträglich (…) wieder zusammensetzen müßte.“9 Der Mensch, geschaffen nach dem Bild Gottes, spiegelt die Einheit und Vielfalt wider, die auch in Gott gilt, angedeutet durch das Reden Gottes von sich einmal in der Mehrzahl (V 26) und einmal in der Einzahl (V 29).

Griechische Mythologie und biblischer Glaube

Die Vorstellung von einem ursprünglich zwittrigen, androgynen10 Menschen ist heute sehr modern. Daraus leitet sich auch die Fehldeutung ab, jeder Mensch sei bisexuell. Beides hat seinen Ursprung in der griechischen Mythologie, nicht im biblischen Menschenbild. Von dem Philosophen Platon (geb. 427 v. Chr.) ist uns überliefert: Am Anfang gab es Urmenschen, die Mann-Frau-Gestalten waren. In ihnen war das männliche und das weibliche Geschlecht zugleich enthalten. Sie waren mächtige Kugelgestalten und wurden zu Konkurrenten ihrer Götter, ja kämpften mit den Göttern. Für diese Überheblichkeit wurden sie bestraft, indem sie in zwei Teile geteilt und damit geschwächt wurden. Seit dieser Zeit suchen die auseinandergeschnittenen Hälften einander wieder. Danach wäre unsere Geschlechtlichkeit die Folge einer göttlichen Strafe. Und die Vorstellung von „Ganzheit“, die dahinter steht, wäre eine symbiotische, spannungslose Ganzheit: jede Spannung ist aufgehoben, wenn die beiden „Hälften“ einander endlich wieder gefunden haben.

Die Bibel sieht das anders. In wunderbarer Klarheit sagt sie, daß der Mensch als Frau und Mann geschaffen wurde und daß unsere Geschlechtlichkeit zur Güte der Schöpfung zählt. Ja, unsere geschlechtliche Verschiedenheit steht in Beziehung zum Bilde Gottes. Von Anfang an ist „der Mensch“ synonym mit „männliches und weibliches Geschöpf“. Die daraus sich ergebende einmalige Verwiesenheit des Männlichen auf das Weibliche und des Weiblichen auf das Männliche hat Konsequenzen für die menschliche Gestaltung der Welt, für die Beziehungen der Geschlechter und für unsere Sozialethik – nicht zuletzt im Blick auf sogenannte alternative Lebensformen.

Die Gottebenbildlichkeit des Menschen

„Als grundlegendste Art und Weise zu verstehen, was der Mensch in seiner ganzen Fülle ist, wird der Ausdruck ‚männlich und weiblich’ zu einer Metapher, deren Inhalt das Bild Gottes ist.“11 Um zu verstehen, was der ganze Mensch nach Gottes Ebenbild ist, wird uns kein anderes „Anschauungsmaterial“ gegeben als eben dieses: männlich und weiblich. Die geschlechtliche Unterscheidung ist zwar keine Beschreibung Gottes, die bildhafte Sprache der Schöpfungsgeschichte bewahrt gerade mit äußerster Sorgfalt das gänzliche Anderssein Gottes. Und doch besteht eine Beziehung zwischen „Gott“, „nach dem Bild Gottes“ und „männlich und weiblich“. Gott gibt uns in der menschlichen Wirklichkeit „Anschauungsmaterial“, das in einmaliger Weise auf ihn hinweist. Dieses „Anschauungsmaterial“ hat mit unserer Geschlechtlichkeit zu tun.

Die amerikanische Theologin Phyllis Trible vergleicht den Ausdruck „nach dem Bild Gottes“ mit einem Bildsender und den Ausdruck „männliches und weibliches Geschöpf“ mit einem Bildempfänger.12 Der Bildempfänger ist dabei das sichtbare, anschauliche, bekannte Element, der Bildsender das unanschauliche Element. Wir brauchen oft das Anschauliche, um einen Zugang zum Unanschaulichen zu finden. Geht es uns nicht oft so: wenn wir von einem sichtbaren Menschen geliebt werden, fällt es uns leichter zu glauben, daß auch der unsichtbare Gott uns liebt. Wir brauchen das Sichtbare, um dem Unsichtbaren leichter vertrauen zu können. In Tanja Jeschkes Kinderbuch „Mario fragt nach Gott“ heißt es: „Gott ist die Liebe im Kuß unserer Mutter und in der warmherzigen, festen Umarmung unseres Vaters“. Wie viele von uns haben ihr negatives Vaterbild auf Gott übertragen! Beim Propheten Hosea wird die eheliche Liebe zwischen Mann und Frau zu einem sichtbaren Bild für die (unsichtbare) unerschütterliche Treue Gottes zum Menschen.

Wenn in unserer Welt nicht mehr sichtbar wird, daß nur Mann und Frau gemeinsam den ganzen Menschen nach dem Bild Gottes darstellen, wenn uns das anschauliche Element verlorengeht, weil wir die Einzigartigkeit der Zugehörigkeit von männlich und weiblich leugnen, zum Beispiel indem wir andere sexuelle Lebensformen der Ehe [1] ähnlichstellen, – wie soll da die nächste Generation noch das Urbild des Ebenbildes – Gott – finden?

Hier liegt der tiefste Grund, warum im Alten Testament und dann auch im Neuen Testament homosexuelles Verhalten [2] so eindeutig abgelehnt wird: Homosexuelle Verhaltensweisen lassen das „Abbild vom Urbild“ so unscharf werden, daß man es nicht mehr erkennen kann. Nun mag jemand einwenden, die Ehe ginge doch nicht verloren, wenn ein Teil der Menschheit in anderen sexuellen Lebensformen lebt. Aber die Eindeutigkeit der Ehe geht verloren! Wenn wir die Ehe beliebig werden lassen, indem wir ihr andere sexuelle Lebensformen ähnlichstellen, verdunkeln wir das Bild Gottes auf Erden.

Menschsein heißt, auf einen anderen hingeordnet sein

Nur der Mensch besitzt die eigentümliche Fähigkeit, ständig über sich selbst hinauswachsen zu wollen, hinüberzureichen zu dem, was er nicht ist, sich zu transzendieren. Nach der Bibel sind Sich-transzendieren-müssen, Hingeordnetsein auf einen anderen, auf das, was man nicht ist, und Menschsein eines.13 Geschaffen „nach dem Bild Gottes“ weist der Mensch über sich selbst hinaus. Dasselbe Wort, das in Vers 27 für Bild, Ebenbild gebraucht wird, findet sich in außerbiblischen Texten als Wort für Götterstatue, Götzenbild. In sumerischen und babylonischen Texten finden wir es als Bezeichnung für die kultischen Abbilder der heidnischen Götter. Eine solche Kultstatue fand sich z. B. im sumerischen Tempel und die Vorstellung war, daß der heidnische Gott in dieser Statue „wohne“, die Statue mit seiner Gegenwart aufgeladen sei.14 Im gesamten mesopotamischen Raum war der Begriff „salmu“ für Bild, Götterbild, Ebenbild gebräuchlich und bezeichnete eben die Götterstatue, die man sich als mit der Kraft und dem Wesen der Gottheit aufgeladen vorstellte. Normalerweise stand diese Statue in den heidnischen Tempeln in einem unzugängliche Innenraum und war nur aus der Ferne als etwas Schimmerndes wahrzunehmen. Dieses Wort „salmu“ (in einer hebraisierten Form) wird in Genesis 1, 27 auf den Menschen angewandt. Israel brauchte deshalb eigentlich keinen Tempel. Die Schöpfungsgeschichte will sagen: Gott schimmert nicht von ferne in Tempeln, sondern der Mensch neben dir, insbesondere der ganze Mensch als weibliches und männliches Geschöpf gemeinsam, ist geschaffen als Gottes „salmu“.

Auch die babylonischen Könige als besondere Gott-Könige nahmen für sich in Anspruch, das Ebenbild ihres Gottes, meist des Gottes Marduk, zu sein. Als Zeichen ihres besonderen Hingeordnetseins auf den Götzen Marduk nannten sie sich „Ebenbild des Marduk“.

Im Alten Testament wird immer wieder in einem Atemzug mit dem Befehl zur Vernichtung der Götzenbilder auch die Mischehe mit fremden Frauen verboten. Genauso wie das Götzenstandbild Abbild des fremden Gottes war oder die babylonischen Könige sich Ebenbilder ihrer Götter nannten, so wurde auch die fremdgläubige Frau als hingeordnet auf ihren Götzen gesehen.

Der Umgang mit einer fremdgläubigen Frau im alten Israel nahm deshalb – genauso wie der Umgang mit fremden Götzenbildern – hinein in eine über sich selbst hinausweisende Bewegung auf einen fremden Gott, einen Götzen hin. Auf einen anderen hingeordnet sein, muß der Mensch. Aber ob er auf den Gott der Bibel hinweist oder auf einen Götzen, hängt eben auch davon ab, ob es das richtige oder das falsche Abbild ist. Nach Genesis 1 ist das irdische Abbild „der Mensch“, das hinweist auf das göttliche Urbild, männlich und weiblich gemeinsam. Jean Vanier, der Begründer der internationalen „Arche“-Bewegung, nennt die Ehe deshalb die „Ikone Gottes“ auf Erden, also das richtige Abbild vom Urbild. Alle falschen Bilder nennt das Alte Testament Götzenbilder.

Wenn heute Theologen das biblische Verbot homosexueller Lebensweisen mit dem Hinweis abtun wollen, damals sei nur das Verbot von Götzendienst gemeint gewesen, dann ist dem durchaus entgegenzuhalten: Homosexuelles Verhalten ist und bleibt eine Art „Götzendienst“ in dem umfassenden, anthropologischen Sinn, daß es das falsche „Abbild vom Urbild“ ist. Homosexuelles Verhalten nimmt in eine Bewegung mit hinein, die nicht auf die gegenseitige Verwiesenheit von männlich und weiblich hinzeigt, sondern die die Geschlechter in entgegengesetzte Richtungen treibt. Homosexuelle Partnerschaften (nicht der einzelne homosexuell Empfindende!), in denen entweder das männliche oder das weibliche Element fehlen, sind nicht das „Abbild vom Urbild“. Nur in der sexuellen Ehe-Gemeinschaft von Mann und Frau, nicht in anderen sexuellen Beziehungen, kommt die Vermählung von männlich und weiblich zustande, die auf das Urbild des Gottes der Bibel weist.

Sexualität als schöpferische Beziehungsenergie

In der Schöpfungsgeschichte wird die Geschlechtlichkeit nur bei der Erschaffung des Menschen erwähnt, nicht bei der Erschaffung der Tiere. Vom Textzusammenhang her steht sie zunächst in Beziehung zum Bild Gottes, nicht zur Fortpflanzung. „Die Vermehrung teilt der Mensch mit dem Tier, die Sexualität [3]nicht“15, könnte man sagen. Unsere Sexualität als schöpferische Lebens- und Beziehungsenergie kommt aus unserer Geschlechtlichkeit als Frau und Mann. Unsere Geschlechtlichkeit soll uns sagen: Du bist nicht das Ganze. Es gibt noch etwas außerhalb von dir, wonach du dich sehnst. Ebenbild wird der Mensch dadurch, daß er kraft seiner Geschlechtlichkeit in fruchtbarer Spannung über sich selbst hinausweist auf das hin, was er nicht ist: der Mann auf die Frau, die Frau auf den Mann und beide gemeinsam auf Gott. Auf einen Anderen hingeordnet zu sein, nicht auf uns selbst – zutiefst ist dieser Sinn des Menschseins in unserer Geschlechtlichkeit ausgedrückt. Deshalb kommt auch die Kraft zum anderen, zur anderen hinüberzureichen, also unsere Sexualität, aus unserer Geschlechtlichkeit.

Erst das postmoderne Menschenbild hat versucht, Sexualität theoretisch abzukoppeln vom Mannsein oder Frausein. So als ob unsere Sexualität frei im Raum herumschwebe und wir mit ihr machen könnten, was wir wollten – und dann erfinden wir neue Geschlechter: Homosexuelle, Bisexuelle [2], Transsexuelle [4]. Wenn heute jemand sagt, es sei doch eigentlich gleich, ob ein Mann mit einer Frau oder mit einem Mann schlafe – dann erklärt er damit den Unterschied von Mann und Frau für völlig unwichtig – und damit unsere Geschlechtlichkeit für nebensächlich.

Es gibt aber kein Menschsein ohne Geschlechtlichkeit. Es gibt kein Menschsein oberhalb, unterhalb oder neben dem „Frausein“ oder „Mannsein“. Wer das behauptet, z.B. indem er den sogenannten androgynen Menschen propagiert – der will dem Menschen sein tiefstes Menschsein nehmen. Indem er ihm die Bedeutung seiner Geschlechtlichkeit nehmen will – die Fähigkeit, über sich selbst hinauszuweisen auf das hin, was er oder sie nicht ist, nimmt er ihm nicht nur seine Geschlechtlichkeit, sondern seine und ihre tiefste Menschlichkeit. Allerdings: Unsere durch den Schöpferwillen Gottes gegebene Geschlechtlichkeit kann nicht ausgelöscht werden, sie kann nur verdorben werden.

Die Schöpfungsgeschichte von Mann und Frau in Genesis 2, 4b – 25

In Genesis 2 lesen wir zum ersten Mal die üblichen hebräischen Wörter für Mann und Frau: ish und isha. Dieselben Worte werden auch in Genesis 2, 24 gebraucht, wo es um die Ehe geht. Die Schöpfungsgeschichte in Genesis 1 beginnt (1, 1) und endet (2, 4a) mit dem Himmel. Die Schöpfungsgeschichte in Genesis 2 beginnt  mit der Erde (2, 4b)! Um die Erde geht es, um den Auftrag des Menschen, die Erde zu bebauen, den Garten zu hüten, damit die Liebe darin bleibt. Es geht um den Menschen als den Kultivator der Natur und als den Kultivator von Beziehungen. Es geht um das Verhältnis des Menschen zur Welt, zu Gott und um das Verhältnis von Mann und Frau. Genesis 2 endet in Vers 24 mit der Grundaussage der Bibel über die Ehe: „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie werden sein ein Fleisch.“ Ausdrücklich wird das von Jesus in Matthäus 19 wiederholt und bestätigt.

Das Merk-Würdige in diesem Vers 24 ist: Es heißt dort nicht, daß der Mann Vater und Mutter verläßt, um eine eigene Familie zu gründen. Nein, er verläßt Vater und Mutter nur um der Frau willen, nur um dieser einmaligen, einzigartigen Beziehung willen, um dieses „ein Fleisch werden“ willen! Im Neuen Testament greift der Epheser-Brief (5, 31-32) das auf und redet davon als von dem großen „Geheimnis“.

Der Ehe zwischen Mann und Frau wird also ein Vorrang vor allen anderen familiären Bindungen, Beziehungen und Vereinnahmungen eingeräumt. Diese Vorrangstellung der Einehe wird im Neuen Testament bestätigt, wenn die Einehe mit der einmaligen Bräutigam-Braut-Beziehung zwischen Christus und der Gemeinde verglichen wird.

In Genesis 2 geht es um Beziehungen und um das, was wesentlich zu Beziehungen dazugehört. Vom sprachlichen Aufbau hat er viel mehr Bewegung in sich, Spannung, und weist auf mögliche Spannungen hin. In Genesis 1 ist allein Gott der Handelnde, in allen Sätzen ist er das Subjekt. In Genesis 2 kommt auch der Mensch als Handelnder, als Subjekt vor.

Wieder spielt die Sprache eine herausragende Rolle. Begeisterung wird ausgedrückt, als der Mann zum erstenmal der Frau gegenübertritt. Da sprudelt er ein ganzes Gedicht hervor. Und von noch etwas ist die Rede, was wesentlich zu Beziehungen und zum Menschsein dazu gehört: von Grenzen. Wieder redet Gott direkt zum Menschen, aber sein erstes Reden ist verbunden mit einer Grenzziehung, mit einem „du sollst nicht“ (V 17). Noch bevor der Mensch die Tiere benennt und dadurch Erkenntnis gewinnt und Herrschaft über die Welt ausüben kann, soll er lernen, auf Gott acht zu haben. Gott aber zieht ihm eine Grenze. Warum?

Friedrich Weinreb schreibt dazu: „Alles gehört euch, alles könnt ihr nehmen, nur das eine nehmt bitte nicht. Gleich erhebt sich die Frage: Warum wird da etwas ausgespart, warum das Eine nicht? In den Geschichten des alten Wissens heißt es dazu: Wenn alles klar wäre, könnte es keine Beziehung geben. Dann wäre alles nur ein mechanischer Ablauf. Wozu bräuchte es dann den Menschen?“16

Grenzen setzen, Spannungen aushalten gehört zu Beziehungen dazu, nicht nur zu Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, sondern zu allen Beziehungen. Eine Grenze wird auch gezogen in Vers 24, wo es heißt „und wird Vater und Mutter verlassen“. Wie viele Ehen sind schon daran zerbrochen, weil einer der Ehepartner seinen oder ihren Eltern keine Grenzen gesetzt hat und sie immer in der Ehe mitgemischt haben?

Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei

Nachdem es in Genesis 1 sechsmal hieß: „Und Gott sah, daß es gut war“, heißt es bei der siebten Aufzählung nach der Erschaffung des Menschen (sieben ist die Zahl der Vollkommenheit): „Und siehe es war sehr gut.“ (Vers 31) Daß Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen hatte, war „sehr gut“. Demgegenüber ertönt das „nicht gut“ von Genesis 2, 18: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.“

„Gott hätte, um das Problem des Alleinseins des Mann-Menschen zu lösen, einen anderen Mann erschaffen können, vielleicht sogar eine Gemeinschaft von Männern. Stattdessen löste Gott das Alleinsein des Mann-Menschen durch die Erschaffung einer anderen Person, einer Frau, nicht eines Mannes, nicht einiger Frauen, nicht einer Gemeinschaft von Männern und Frauen. Die Einsamkeit des Mannes war nicht Ausdruck dessen, daß ihm andere Menschen fehlten; es war Ausdruck dafür, daß ihm eine Frau fehlte.“17

Genesis 2, 18 schließt darum mit der Erklärung Gottes: „Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht“18 (hebräisch: „kenägedo“, englisch: „corresponding to it“). Das Wort „ezer“, das hier für „Hilfe“ steht, ist nicht das gewöhnliche Wort, das meist für Hilfe in der Bibel gebraucht wird. Das Wort „ezer“ kommt im Alten Testament fast nur im Zusammenhang mit Gott vor, z. B. wenn es in den Psalmen heißt: „Gott ist meine Hilfe“, „Gott kommt mir zu Hilfe“. Einige Male wird es auch für lebensnotwendige, menschliche Hilfe gebraucht. Gerade weil es dieses außergewöhnliche Wort für Hilfe ist, ist der einschränkende Zusatz bedeutsam „Hilfe, die ihm entspricht“. Durch den Zusatz wird wieder die Ebenbürtigkeit beider betont: Keiner ist der bessere Mensch. Vielleicht kann man die göttliche Hilfe auch so verstehen, daß sie Hilfe zur Ebenbildlichkeit ist.

Nun würde man vielleicht erwarten, daß diese „Hilfe“ im nächsten Satz vorgestellt wird. Stattdessen kommt scheinbar etwas ganz anderes. Es kommt ein Bericht über das verantwortliche, selbständige Handeln des Menschen, der die Tiere mit Namen nennt und so Macht über sie ausübt. Im Leser wird dadurch eine erwartungsvolle Spannung erzeugt, die sich zuspitzt und unmittelbar vor der „Lösung“ ihren Höhepunkt findet in der Aussage: „aber für den Menschen ward keine Hilfe gefunden.“19 Obwohl der Mensch schöpferisch aktiv ist, Macht und Verantwortung hat – so wichtig das alles ist – seine Einsamkeit wird dadurch nicht gelindert.

An dem, was dann geschieht, ist der Mensch ganz unbeteiligt. Gott alleine handelt. Gott läßt den Menschen in einen tiefen Schlaf fallen, sozusagen in eine göttliche Narkose. Er fügt dem Menschen eine Wunde zu (V 2, 21b). Vielleicht können wir das deuten als eine Sehnsucht, die er nach dem anderen, nach der anderen in uns hineinlegt.

Gott baut die Frau nicht aus Erde wie den Menschen, die Tiere und die Pflanzen zuvor, sondern aus der Rippe des Menschen. Damit wird noch einmal betont: Beide sind aus dem gleichen „Stoff“. Nicht die Frau selbst wird aus dem Menschen genommen, sondern nur das „Rohmaterial“, aus dem Gott die Frau baut. Wie ein Brautvater seinem Sohn führt Gott dann die Frau dem Menschen zu. Und er? Er jubiliert und dichtet:

 „Das ist doch Bein von meinem Bein
und Fleisch von meinem Fleisch;
man wird sie Männin nennen,
weil sie vom Mann genommen ist.“ (V 23)

Die hebräischen Worte ish (Mann) und isha (Frau), die Luther mit Mann und Männin wiedergegeben hat, sind noch einmal wie ein Wortspiel, das auf einmalige Zugehörigkeit und Harmonie bei aller Unterschiedlichkeit hinweist. In dem Moment, wo Mann und Frau einander gegenüberstehen, betont das Gedicht die Ähnlichkeit, ja Gleichheit, nicht die anatomischen oder sonstigen Unterschiede. Es geht darum: Wir beide gehören in einmaliger Weise zusammen. Ein jüdischer Kommentar sagt dazu: „Aus dem Schöpfungsbericht schließen die Gelehrten des Talmud, daß der Mensch erst in der Zusammenführung von männlich und weiblich diesen Namen verdient: Mann (i[j]sh) und Frau (isha[h]) haben Gemeinsames und Unterscheidendes in ihren Bezeichnungen. In beiden ist jeweils das hebräische Wort für Feuer (esch) enthalten, nämlich die Buchstaben Alef (hier i, dort e gesprochen) und Schin. Neben esch bleibt jeder Bezeichnung noch ein Buchstabe vom Gottesnamen (unvokalisiert: jh) innewohnend, der erst durch ihre Vereinigung aktiviert wird. Arbeiten Mann und Frau zusammen und sind sich einander Gegenpart und Hilfe, ist der Name Gottes (jah) mit ihnen, gehen sie getrennte Wege und wirken nicht zusammen, werden sie gleichsam vom Feuer verzehrt.“20

Männlich und weiblich

Gott hat die Frau aus einem Bauteil des Menschen, aus der Rippe, gebaut. Heinrich Spaemann schreibt dazu: „Das will für uns besagen: In jedem Menschen sind sie beide. In jedem Menschen gibt es den Empfangenden, den Wartenden, den Lauschenden, den Zusammenhänge Erkennenden, und es gibt den Tätigen, der aus Zusammenhängen Konsequenzen zieht, der Wälder rodet, der Wüsten zu Wasserquellen macht, wie es in der Bibel steht. Diese beiden Seiten im Menschen müssen sein, und jeder Mensch, Mann oder Frau, hat auch beide Seiten. Nur daß eben diese beiden Seiten ihre je eigenen Ausprägungen in Mann und Frau erfahren.“21

Aus Biologie und Medizin wissen wir, daß männliche und weibliche Hormone – wenn auch in ganz unterschiedlichem Mengenverhältnis – im Organismus beider Geschlechter vorkommen. Männliches und Weibliches gibt es in jedem Menschen. Nur daß dies beim Mann eine ganz andere Ausprägung erfährt als bei der Frau. Wenn wir nichts vom Gegengeschlechtlichen in uns hätten, ständen wir doch nur wie Fremde voreinander. Der „Mensch“ ist eben nicht etwas Gemeinsames „oberhalb“ des Weiblichen und Männlichen, „der Mensch“ ist synonym mit „männliches und weibliches Geschöpf“.

Der „Tanz“ zwischen Männlichem und Weiblichem, sagt der Therapeut und Autor Jeffrey Satinover, muß zweifach getanzt werden, in uns und miteinander: „Gottes liebender Wille für unser Leben ist, daß der Tanz zweifach getanzt wird: in uns und zwischen uns. Wenn wir ihn in unserer Zerbrochenheit zum Stillstand in uns bringen…, kommt er auch zum Stillstand zwischen uns. Um in Wahrheit Mann zu sein und in Wahrheit Frau zu sein, männlicher Mann und weibliche Frau, muß der göttlich angeordnete Tanz wieder beginnen – um den Preis des Feuers. … Einer der wichtigsten Merkmale psychologischer und geistlicher Krankheit ist genau dieses Auseinanderfallen – in uns und zwischen uns – von Mann und Frau. Männlichkeit bleibt unter sich – in der Seele und in der Gesellschaft – wie die eingeschlechtlichen Anti-Sex-Bündnisse in Orwells grauenhafter Vision ’1984‘. Das Ergebnis sind unwahre männliche (oder weibliche) Männer, ebenso wie unwahre weibliche (oder männliche) Frauen.“22

Mann und Frau

Erst in Vers 23 von Genesis 2 kommt das übliche hebräische Wort für Mann (ish) vor. Erst indem der Mann die Frau erkennt, erkennt er sich selbst. Indem ihm die Frau gegenübertritt, wird er selbst zum Mann. Im Angesicht der anderen erkennt er, wer er selbst in Wahrheit ist. Ja, er wird erst in der Begegnung mit der Frau zum Mann.

Indem es den Mann gibt, gibt es die Frau; indem es die Frau gibt, gibt es sie beide. Vorher ist nur vom Menschen (ha-adam) die Rede. Beide sind auf einmal da: Mann und Frau. Und gleichzeitig ist noch etwas drittes da: die Liebe, nämlich die Liebe zwischen beiden. Wie könnte sonst das Gedicht (Vers 23) entstehen? Indem Gott Mann und Frau schafft, schafft er gleichzeitig etwas Drittes: die Beziehung zwischen beiden, die Liebe zwischen beiden. Wie könnte sonst der Mann so von sich absehen und die andere, die Frau, preisen, wenn nicht die Liebe da wäre? Wie könnte er erkennen, daß sie Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch ist, wenn nicht die Liebe da wäre? Sonst würde er sich nur abgrenzen. Im Gedicht des Mannes steht das Du im Vordergrund, die Bewunderung der Anderen. Es geht um das Du, um das Hinüberreichen zum Anderen, zur Anderen, das Bewundern des Anderen und um das Absehen vom Eigenen, ohne das Lieben und Gemeinschaft nicht möglich ist.

Das Gegenseitige ist die Brücke zum Ganzen

Dieser biblische Horizont im Schöpfungskontext ist im Zeitalter des Individualismus deutlich umkomponiert worden: „Die Ursehnsucht allen Liebens ist wohl die Sehnsucht nach dem eigenen Selbst“23, verlautbaren die Selbstsucher. Die Voraussetzung, um zu lieben, ist nicht die Suche nach uns selbst, sondern das Begeistertsein vom Du. Die grundlegende biblische Aussage zur Ehe (Genesis 2, 24) steht direkt im Anschluß an den Freudenruf des Mannes über das andere Geschlecht (Genesis 2, 23).

Aber nicht die Suche nach uns selbst ist das Ziel menschlicher Beziehungen, sondern das Hinüberreichen zum Du. Eugen Rosenstock-Huessy schreibt: „Ehe ist nur dadurch vollziehbar, daß sich Mann und Weib nicht auf den eigenen Standpunkt stellen. Bleibt jeder auf seinem Standpunkt, so folgt Scheidung oder Ehe ist nie zustande gekommen. Ehe besteht darin, daß mein Wohl dein, dein Wohl mein Anliegen wird. Die Ergänzung tritt nicht ein, solange nicht in die Beteiligten ein Bewußtsein ihres Entgegengesetzten in sie einzieht. Ich muß auf deine Leistung blicken und du auf meine. … Jedes Ganze verlangt von seinen Gliedern ein Absehen von der eigenen Art und eine Bewunderung der entgegengesetzten. In meinem auf den Gegenpart gerichteten Blick und in dem aus der Bewunderung des Gegenparts quellenden Sehnen, ihm gleich zu bleiben oder zu werden, erkenne ich erst ein Ganzes wirksam an… Niemand heiratet dadurch, daß er an das Ganze der Ehe denkt…. Nein, wir müssen uns gegenseitig mögen und billigen, lieben und bewundern. Das Gegenseitige ist die Brücke zum Ganzen. Wer das Ganze direkt anstarrt, erreicht gar nichts. Durch Absehen von uns selber schaffen wir die Gemeinschaften.“24

„Absehen von uns selber“ – in geschlechtlicher Hinsicht gilt dies für das Absehen vom eigenen Geschlecht. Aber in allgemeinerer Weise gilt das natürlich für alle Gemeinschaften. Auch ein neuer Geschlechtervertrag und Generationenvertrag in unserer Gesellschaft wird nur durch die Bereitschaft aller Beteiligten zustande kommen können, von sich und dem eigenen Vorteil abzusehen.

Die Ehe ist ein Friedensschluß

Die Frage ist heute, was Ehe eigentlich sei. Ganz verschiedene Modelle werden da vorgestellt. Die Antwort der Bibel ist aber eindeutig: Ehe ist eine öffentlich erklärte, einzigartige sexuelle Gemeinschaft zwischen Mann und Frau, die auf der Unterschiedlichkeit, Ergänzungsmöglichkeit und Ergänzungsbedürftigkeit der beiden Geschlechter beruht. Von der Wortbedeutung her geht „Ehe“ mit dem mittelhochdeutschen „eija“ zusammen, was den befriedeten Raum in einer Gemeinschaft bezeichnete. Grundlage der Eheschließung war immer öffentliches Recht, Gesetz, nie einfach Privatvertrag. Ehe, Gesetz, echt und Ewigkeit gehören zur selben Sprachwurzel. Die Ehegelübde sind uns heute fast unverständlich geworden, weil wir sie nur noch privat sehen.

Wir haben weitgehend vergessen, daß die Ehe das Hauptbindeglied zwischen den Geschlechtern, Mann und Frau, und dadurch zugleich zwischen den Generationen ist. Erst durch Eheschließungen wird das Leben in Generationen gegliedert, sonst gibt es nur jüngere und ältere Einzelmenschen. Und erst durch diese Gegliedertheit in Generationen entstehen Großeltern und Enkel, Vergangenheit und Zukunft, hat der Mensch Geschichte und wird in den Geschichtsstrom hineingerissen.

Viele Ehen scheitern. Völligen Frieden kann der Mensch nicht schaffen. Und doch: Von allem, was möglich ist, bringt die Ehe das Möglichste an Frieden zwischen Mann und Frau und zwischen den Generationen. Im gelungenen Eheleben werden tatsächlich nicht nur leibliche Kinder gezeugt, es wird auch eine Leistung vererbt: Der Friedensschluß der Geschlechter. Dieser Friedensschluß zwischen Mann und Frau – wenn er gelingt – wird ganz wesentlich die Weltanschauung unserer Kinder und der nächsten Generation bestimmen.25

Dr. med. Christl Ruth Vonholdt (www.dijg.de [5])

Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Leiterin des Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft [6]. Arbeitsschwerpunkte: Identität, Identitätsentwicklung, Bindungstheorien, Sexualität, Auseinandersetzung mit den Gender-Theorien, christliche Anthropologie.

Anmerkungen

1 Siehe Philipp, Wolfgang: „Die Absolutheit des Christentums und die Summe der Anthropologie“, Quelle & Meyer, Heidelberg 1959, S. 122.
2 Genesis 1, 26-30.
3 Wichtige Einsichten für die folgende Ausführung verdanke ich dem Buch von Trible, Phyllis: Gott und Sexualität im Alten Testament, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1993.
4 Siehe Melzer, Friso: „Unsere Sprache im Lichte der Christusoffenbarung“. Mohr, Tübingen 1995, S. 9.
5 Hier wurde die Elberfelder Übersetzung (Wuppertal 1987) gewählt, da sie von der Satzstellung her dem hebräischen Urtext entspricht, wie übrigens auch die Menge-Übersetzung.
6 Luther-Übersetzung, rev. 1984: „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie werden sein ein Fleisch. Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich nicht.“
7 Luther-Übersetzung, rev. 1984: „… machte er ihn nach dem Bilde Gottes und schuf sie als Mann und Weib und segnete sie und gab ihnen den Namen ‚Mensch‘ zur Zeit, da sie geschaffen wurden.“
8 Im Hebräischen ist das noch stärker ausgedrückt. Das letzte Wort von Vers 24 heißt „ein“ und das erste Wort von Vers 25 heißt „beide“.
9 Balthasar, Hans Urs von: Kehl, M. und W. Löser (Hrsg.), In der Fülle des Glaubens – Hans Urs von Balthasar Lesebuch, Herder Verlag, Freiburg 1980, S. 78.
10 androgyn = männlich und weiblich zugleich; halb männlich, halb weiblich.
11 Trible, Ph., a.a.O., S. 41.
12 Trible, Ph., a.a.O., S. 38.
13 Siehe dazu auch Philipp, W., a a.O., S. 140 f.
14 Siehe Gerl-Falkovitz, Hanna-Barbara: Fragen an die feministische Göttin; in: Theologische Beiträge, Brockhaus, 28 (1997) 5, S. 264.
15 Trible, Ph,. a.a.O., S. 36.
16 Weinreb, Friedrich: Die Wurzeln der Aggression, Thauros Verlag, Weiler 1980, S. 7.
17 Prager, Dennis: Die Ablehnung der Homosexualität im Judentum, Brennpunkt Seelsorge 1997/4, Reichelsheim.
18 Revidierte Elberfelder Bibel, Wuppertal 1987.
19 Siehe auch Alter, Robert: The Art of Biblical Narrative, Basic Books 1983.
20 Herweg, Rachel Monika: Die jüdische Mutter, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995, S. 9.
21 Spaemann, Heinrich: „Vom wiedergefundenen Vater“; in: „OJC-Freundesbrief“, Reichelsheim, 1993/4, S. 133.
22 Satinover, Jeffrey Burke: „The True Masculine and the True Feminine: Are These the Same as Jung´s Anima and Animus?“ Erhältlich durch Author´s Book Service, Boone 1994.
23 Gissrau, Barbara: Die Sehnsucht der Frau nach der Frau, Kreuz Verlag, Stuttgart 1993, S. 172.
24 Rosenstock-Huessy, Eugen: Soziologie I, Kohlhammer, Stuttgart 1956, S. 117.
25 Rosenstock-Huessy, Eugen: Soziologie I, Kohlhammer, Stuttgart 1956, S. 257.