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Hebräisches und griechisches Denken – Möglichkeiten des evangelisch-katholischen Dialogs

Hebräisches und griechisches Denken – Möglichkeiten des evangelisch-katholischen Dialogs

Es soll im folgenden kurz dargestellt werden,

(A) wie die Differenz der Lehren der beiden Konfessionen in der Reformationszeit kam; danach

(B) der Unterschied zwischen hebräischem und griechischem Denken; dann

(C) die Neuausrichtung der Reformation unter dem Einfluss des hebräischen Denkens. Schließlich

(D) Möglichkeiten der Verständigung zwischen evangelischer und katholischer Kirche und Lehre und die Entscheidung des jetzigen Papstes Benedikt XVI.

A          Luthers Entdeckung des hebräischen / biblischen Denkens

Unter den Kirchenhistorikern gibt es ein kräftiges Ringen um den Termin der Reformation. Verschiedene Termine werden hier angeboten.

I. Man kann zurückgehen zu dem Erlebnis Luthers, dass er zum Glauben und neuen Leben durchbrechen durfte, zum sogenannten Turmerlebnis, von dem er schreibt:

„Tag und Nacht verlangte es mich, Paulus im Römerbrief zu erkennen ¼ Tag und Nacht sann ich nach, bis ich den Zusammenhang einsah zwischen der Gerechtigkeit Gottes und dem Satz, dass der Gerechte ‚seines Glaubens leben’ solle. Dann erfasste ich es, dass die Gerechtigkeit Gottes die ist, durch die Gott in Gnade und bloßem Erbarmen uns rechtfertigt. Da fühlte ich mich völlig neugeboren und durch die offenen Türen im Paradies eingetreten. Die ganze Schrift gewann ein neues Aussehen, und wenn vorher die ‚Gerechtigkeit Gottes’ mich mit Hass erfüllt hatte, so wurde sie mir jetzt unaussprechlich süß und liebenswert. Dieser Satz des Paulus wurde mir zu einer Paradiesespforte.“ [1] [1]

War das der Beginn der Reformation, als Luther diese Bibelstelle aus Röm 1,17 verstand und zur Gewissheit des Heils durchbrach, die es ja nach katholischer Lehre nicht geben darf[2] [2]?

II. Oder war der Beginn der Reformation der Anschlag der 95 Thesen durch Martin Luther am 31. Oktober 1517 an die Tür der Schlosskirche in Württemberg?

III. Die Mehrheit der heutigen Kirchengeschichtler legt das Datum der Reformation auf das Jahr 1518.

Schon 1958 vertrat der Kirchengeschichtler Ernst Bizer in seinem Buch „Fides ex auditu“ die „Spätdatierung“ der reformatorischen Wende Luthers auf das Jahr 1518.[3] [3]

Oswald Bayer vertritt ebenfalls diesen Termin. Eins seiner wegweisenden Bücher trägt den Titel „Promissio“, das heißt auf Deutsch „Verheißung / Versprechen / Zusage“.

Er schreibt, dass dies Wort in den Selbstzeugnissen Luthers eine wichtige Bedeutung hat, nämlich die Zusage Gottes in seinem Wort, durch das er die Glaubensgewissheit gefunden hat. Als einen der wichtigsten Texte dafür nennt Bayer einen Abschnitt aus der Genesisvorlesung Luthers aus dem Jahr 1545, wo Luther sagte: „ich bin getauft, ich bin absolviert, da sterb ich drauf. Was auch immer sich dem entgegenstellt: Anfechtungen und Sorgen, das wird mich durchaus nicht ins Wanken bringen. Denn der, der gesagt hat: ‚Wer glaubt und getauft wird, wird gerettet’ und ‚Was immer du auf Erden lösen wirst, wird im Himmel los sein’ und ‚Das ist mein Leib, das ist mein Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden’, der kann nicht täuschen und lügen. Das ist gewisslich wahr“.[4] [4] Er baut also seine Gewissheit ganz auf die Zusage Gottes in Seinem Wort und Seinem sichtbaren Wort, dem Sakrament. Und er sagte: „Einst unter dem Papsttum, als ich Mönch war, war nämlich jene Stimme, das Wort oder die Zusage (promissio), überhaupt nicht zu hören, und ich danke Gott, dass ich in dieser Zeit leben darf, in der sie in meinen Ohren und in denen aller Frommen erklingt. Denn wer das Wort hört, der erkennt leicht die göttliche Zusage (promissio), die im ganzen Papsttum allen Theologen dunkel und unbekannt war“[5] [5].

Dass Luther diese Zusage entdeckt hat, die ihm das Entscheidende gebracht hat und bis heute das Entscheidende bringt, das bezeichnet also die reformatorische Wende.

Um nun den Zeitpunkt der Reformation zu finden, fragt man unter Kirchengeschichtlern, wo dieses neue Verständnis zum ersten Mal von Luther auch theologisch formuliert wurde. Und da kommt man ins Jahr 1518. Was Luther schon vorher erfahren hatte, musste er nun theologisch ausdrücken. Er wurde im Oktober 1518 in Augsburg vor dem Gesandten des Papstes Kardinal Cajetan verhört.[6] [6] Dabei forderte Cajetan Luther heraus, dass er bekennt, was ihn zum Christen gemacht hat und von dem er deshalb nicht weggehen kann.[7] [7] Und Luther gab ihm am 18. Oktober 1517 die schriftliche Antwort, in der er unter anderem die These verteidigt: „dass niemand gerechtfertigt werden kann, es sei denn durch den Glauben, so nämlich, dass es für ihn notwendig ist, mit festem Glauben zu glauben, dass er gerechtfertigt wird, und in keiner Weise zu zweifeln, dass er die Gnade erlangt. Wenn er nämlich zweifelt und ungewiss ist, wird er eben damit nicht gerechtfertigt, vielmehr speit er die Gnade aus.“[8] [8]

Er geht aus von der Stelle Römer 1,17, eine der Stellen, durch die er seine Heilsgewissheit gefunden hat, wo steht: „Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit Gottes, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Habakuk 2,4): »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«„ – und Luther sieht diese Stelle zusammen mit dem Wort Jesu aus Mt 16,19: „Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“

Es ist ihm wichtig, dass der Zuspruch des Wortes Gottes nicht nur „Information und Appell“[9] [9] ist, wie in der röm.-katholischen Lehre, nach der ja nur die Sakramente Heilsmittel sind, nicht das Wort, sondern Gottes Wort ist ein wirksames Wort, es tut und bringt, was es sagt.

Luther findet hier also zu einem ganz neuen Wort-Verständnis! Es ist nämlich das biblische Wortverständnis oder – das hebräische Wortverständnis, das wir in der Bibel finden, das aber im Abendland noch nicht Fuß gefasst hatte.

Wie hat Luther zu diesem Verständnis gefunden? Durch’s Lesen der Bibel.

Und er fand nicht nur zum hebräisch-biblischen Wortverständnis, sondern noch weit darüber hinaus zum hebräischen, biblischen Denken.

Etwa zu einem neuen Verständnis von Gerechtigkeit, – ja überhaupt zu einer Veränderung ganzer Lehrgebäude von innen heraus. Es sah damals aus wie Revolution, aber es war keine Revolution, sondern eine Reformation – eine Zurückformung zum biblischen Denken.[10] [10]

B          Unterschied zwischen dem hebräischen und dem griechischen Denken.

I           Im Hebräischen ist das Wirkliche in Bewegung, im Griechischen in Ruhe und Harmonie[11] [11]

Der norwegische Theologe Thorleif Boman schrieb in seinem bahnbrechenden Buch „Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen“[12] [12]: „Die dynamische Denkart der Hebräer verraten besonders ihre Verben, deren Grundbedeutung immer eine Bewegung oder Wirksamkeit ausdrücken.“

Einige Beispiele für solche Wörter:

1) Jes 40,8 lesen wir: „Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.“

Was heißt „bleibt“?

Im Hebräischen steht hier das Wort qum, das heißt aufstehen! Also das Bibelwort sagt: Dieses Wort ist wirksam! Es steht auf, setzt sich durch in der Weltgeschichte! Wenn Gott spricht, dann geschieht’s (Psalm 33,9) – in Schöpfung und Geschichte.[13] [13]

2) Wir sehen es auch am Gottesnamen Jahwe (Ex 2,14):

Oft wird die Stelle der Selbstvorstellung Gottes in Ex 2,14 übersetzt: „Ich bin der ich bin“ oder (LÜ) „Ich werde sein, der ich sein werde.“

Die griechische Übersetzung LXX übersetzt „Ich bin der Seiende“.[14] [14]

Im Griechischen bedeutet ja die Ruhe das höchste Sein. Wenn etwas sich bewegt, ist es nicht Gott und nicht vollkommen. Gott muss deshalb „der unbewegte Beweger“[15] [15] sein.

Im Hebräischen aber heißt es: Er ist wirksam! Er ist am Werk! Das Wort „Er ist“ gibt es überhaupt nicht.[16] [16]

Boman (21): „… das bewegungslose, starre Sein (ist) den Hebräern ein Nichts …; es existiert nicht für sie, nur ein Sein, das in innerer Verbindung mit etwas Aktivem, sich Bewegendem steht, ist ihnen eine Realität. Das statische Sein als prädikative Aussage ist eine in Ruhe übergegangene Bewegung, sofern es überhaupt dem hebräischen Denken zum Bewusstsein kommt.“

So sehen wir den biblischen Gott auch als einen Gott, der Empfindungen und Gefühle hat, er ist voll Erbarmen, er kann im Zorn handeln und in Liebe sich dem Menschen zuwenden.

Das entspricht nicht dem griechischen Gottesbild, nach dem Gott unveränderlich und unbeweglich ist.[17] [17]

II          Das hebräische Denken ist ein Beziehungsdenken, das Griechische ein Substanzdenken[18] [18]

Es geht im griechischen Denken um das Wesen der Dinge und Personen, auch des Göttlichen.[19] [19] Der katholische Theologe Herbert Vorgrimler beschreibt es so: „Das ‚Wesen’ ist das nicht der Erfahrung und den Sinnen, sondern nur dem Denken zugängliche Was-Sein; die Wesensfrage lautet: Was ist das? Was macht das zu dem, was es ist und was es von allem anderen unterscheidet?“[20] [20]

Und dieses Wesen, der Stoff, die Natur, ist das Entscheidende.

Anders im hebräischen Denken. Dieses ist personal und denkt in Beziehungen.

III         Das griechische Denken ist wie das vieler anderen Kulturen und Religionen ein Kreislaufdenken,   das hebräische, biblische Denken ist zielgerichtet[21] [21]

Boman[22] [22] schreibt zum griechischen Denken: „Die Geschichte ist eine ewige Wiederholung … Auch in dem Strom der ewig wechselnden Ereignisse suchen die Griechen das Unveränderliche, die gesetzmäßige Wiederholung. Sie gebrauchen also dieselbe Methode der Geschichte wie der Natur gegenüber, weil für sie die Geschichte ein Stück Natur ist. Mit gutem Grunde kann man deshalb sagen, dass ihr Geistesleben ahistorisch ist. Wenn man Gott finden will, muss man ihn in dem Unveränderlichen, in dem geistigen Sein, in den Ideen suchen.“ (Man könnte ergänzen: oder in den Naturgesetzen.)

Und Boman schreibt weiter, wie es im hebräischen Denken ist: „Den Israeliten offenbarte sich Gott in der Geschichte, nicht in den Ideen. Er offenbarte sich, indem er handelte und schuf. Sein Wesen lernt man nicht in Lehrsätzen, sondern in Handlungen kennen. Die meisten Bücher im Alten Testament sind historisch ¼ Die Geschichte ist eine Bewegung auf ein Ziel hin, das von Gott gesetzt ist. Mit seiner Verheißung oder seinem Segenswort setzt er die Bewegung in Gang, überwacht sie und greift handelnd ein …“

IV         Die griechische und die hebräische Zeitauffassung

1          Wenn ein Europäer sagt: „Mein Leben liegt vor mir“ – ist er jung. Denn er geht mit dem Gesicht zur Zukunft.

Wenn ein Hebräer sagt: „Mein Leben liegt vor mir“ – ist er alt. Denn er geht mit dem Rücken in die Zukunft. Er sieht sie nicht. [23] [23]

2          Während der Europäer die drei Zeitstufen Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft kennt, kennt der Hebräer nur die vollendete und die unvollendete Handlung[24] [24].

3          Nach dem griechischen Philosophen Plato ist über dieser sichtbaren Welt ist eine zweite Welt, nämlich die Ewigkeit. Sie steht unbeweglich.[25] [25]

Der Hebräer hat keinen Begriff für die griechische Ewigkeit, sondern der hebräische Begriff olam meint die unbegrenzte Zeit in Vergangenheit oder Zukunft, die auch kürzer sein kann.[26] [26]

V          Der Unterschied im Wortverständnis

Im Hebräischen ist das Wort die Sache, das Kräftige und Wirksame, im Griechischen dagegen ist das Wort (der Logos) das Maßvolle, ein Gesetz, das die Vernunft erkennen kann.[27] [27]

Der hebräische Begriff Dabar heißt zugleich Wort, Tat und Sache.[28] [28]

Die Grundbedeutung ist hinten sein, also wie an einem Wagen, den man schiebt, vorwärts treiben, dann heißt es reden, das Hauptwort: Wort, Sache, Tat.[29] [29]

Boman schreibt[30] [30]: „Im ganzen alten Orient … war das Wort, und zwar besonders das Wort Gottes, nicht nur und nicht in erster Linie Ausdruck von Gedanken, sondern … eine gewaltige dynamische Macht.“ Also so, wie es der Hebräerbrief sagt (Hebr 4,12f.): „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft (logos) geben müssen.“

Und zwar ist dieses Wort personal, gesprochen von einer Person, nicht Naturmacht, nicht substanzhafter Ausfluss.[31] [31]

Eine Person spricht mit Wirkmächtigkeit: Gott spricht, und es geschieht und stellt in die personale Willensentscheidung und ruft in den Glaubensgehorsam.[32] [32]

Das griechische Wort Logos kommt von legein: sammeln, ordnen, dann als weitere Bedeutung reden, rechnen und denken. Das Hauptwort Logos heißt Wort und Vernunft.[33] [33]

Es hat – wie Boman schreibt – „von Hause aus nichts mit der Sprechfunktion zu tun … Das Tiefste in dem Wortbegriff ist also nichts, was mit der Sprechfunktion zu tun hat, weder das dynamische Gesprochensein, wie es im ganzen Orient der Fall war, noch die Artikuliertheit der Rede, sondern der Sinn, der geordnete, vernünftige Inhalt.“[34] [34]

Es will und kann also nicht zuerst kraftvoll wirken, sondern informieren und zum vernünftigen Denken führen.

Es spricht die Vernunft an, das hebräische Wort jedoch den Willen.

VI         Die biblische und hebräische „Religion“ ist eine „Religion“ des Wortes, die griechische eine Religion des Bildes.

Da merken wir gerade für unsere Zeit, die im extremen Sinn eine Welt der Bilder ist, die Affinität zum Griechentum.

Die biblische Offenbarung ist eine Offenbarung des Wortes, im Heidentum ist es in aller Regel das Bild, das Erlebnis, die Erfahrung. Schon am Sinai hat Gott dem Mose und Israel diesen Unterschied eingeschärft, weil Gottes Volk von jeher in Gefahr war, hier den Weg des Heidentums zu gehen und so auch für heidnische Inhalte anfällig zu werden.

Wir lesen 2.Mose 20,22: „Und der HERR sprach zu ihm (zu Mose): So sollst du den Israeliten sagen: Ihr habt gesehen, dass ich mit euch vom Himmel geredet habe.“ Deshalb also sollen sie keine Götterbilder machen. Sie sollen sich an die Offenbarung halten, wie Gott sie ihnen gegeben hat. Auch inhaltlich. Karl Barth hat das zurecht eingeschärft: Wir dürfen von Gott nur so reden, wie Er von sich geredet hat, also analogia fidei, nicht analogia entis (also nicht als Analogie vom irdischen Sein her)[35] [35].

Wir dürfen zum Beispiel von Gott als Vater reden, weil Gott sich mit diesem Wort in der Bibel vorgestellt hat. Er ist kein Geschlechtswesen, hat aber von sich als Vater geredet.

Wir dürfen von Ihm aber nicht als Mutter reden, denn so hat Er nicht von sich geredet.

Martin Noth schreibt in seinem Kommentar zum 2.Mosebuch zu der Stelle 2.Mose 20,22[36] [36]: „Mit den ‚goldenen und silbernen Göttern’ werden Götterbilder überhaupt verboten; denn für geringwertige Götterbilder gilt gewiss das Verbot erst recht. Götterbilder, seien es Bilder Jahwes oder gar Bilder fremder Götter, vertragen sich nicht mit dem im Himmel herrschenden Gott.“ Und wir dürfen – wie gesagt – hinzufügen: Sie vertragen sich nicht mit dem Gott, der durchs Wort sich geoffenbart hat („geredet“).

Der personale Gott offenbart Sich durchs Wort: Er nimmt uns als Person ernst und will ein personales Verhältnis.

Jer 23,28f.: „Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der HERR.

Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?“

Es ist in diesem Zusammenhang auch interessant, dass der Apostel Paulus sogar in der Stadt der Bilder und Theaterdarstellungen Korinth in seinem Gottesdienst keine Theatereinlagen gebracht hat, obwohl er sicherlich dafür sehr geeignete Personen gehabt hätte und die Leute dort dieses Medium sehr gekannt hatten und es gewohnt waren, sondern das Wort war die Mitte des Gottesdienstes und Missionsmittel.[37] [37] Denn im Wort kommt und wirkt Gott, der ja allein seine Gemeinde bauen kann.

Die heidnischen Kulte waren dagegen Erlebniskulte mit Einbeziehung aller Sinne.

Anders war es in Israel. Boman[38] [38]: „Die Israeliten … hatten kein Interesse am ‚photographischen’ Aussehen der Dinge und der Personen.“

VII        Das hebräische Denken ist ganzheitlich im Gegensatz zum Griechischen

Die anthropologischen Begriffe (z.B. Geist, Fleisch, Seele usw.) meinen im hebräischen Denken jeweils den ganzen Menschen, wenn auch unter einem bestimmten Aspekt.[39] [39]

Im griechischen Denken sind Geist, Seele und Leib verschiedene Teile des Menschen. Deshalb kann dort der Leib als Kerker der Seele verstanden werden, der Tod als Befreiung aus diesem Kerker.[40] [40]

Ganz anders etwa Paulus, der schreibt (2.Kor 5,4): „Denn solange wir in dieser Hütte (also in diesem irdischen Leib) sind, seufzen wir und sind beschwert, weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollen, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben.“ Also dass der Leib weggeht, ist nichts Schönes, sondern etwas, was wir fürchten. Wir würden lieber das erleben, was die erleben, die ohne Tod – aber verwandelt – in die Ewigkeit gehen dürfen, wenn Jesus Seine Gemeinde abholt (Entrückung), wie Paulus schreibt (1.Kor 15,51ff.): „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit.“

Es gibt nicht allein ein Heimgehen der Gläubigen zu Christus beim leiblichen Tod, von dem Paulus auch schreibt (Phil 1,23): „… ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein …“, sondern auch die Auferstehung des Leibes, von dem das Apostolische Glaubensbekenntnis spricht. „carnis resurrectionem“ / „Auferstehung des Fleisches“[41] [41] heißt es da sogar eigentlich. Auch der Apostel Paulus redet von der leiblichen Auferstehung (1.Kor 15,42ff.)

So kennt die Bibel, weil sie hebräisch geprägt ist, auch nicht die Leibvergötzung und nicht die Leibfeindlichkeit, wie sie beide im Griechentum vorkommen; sie kennt so auch nicht den Libertinismus, der sagt, es sei egal, was man mit dem Leib tut, und nicht den Asketismus, der die Geschöpflichkeit des Leibes missachtet, etwa die Ehe verbietet; beides findet sich wiederum im Griechentum.

Schon bei Plato (428/27-348/47 v.Chr.) war es gut, dem Leib zu entkommen.[42] [42]

Xenophanes (565-488 v.Chr.) galt als göttlich, keine Bedürfnisse zu haben und sich nicht durch Gefühle beeinflussen zu lassen. Empfindungslosigkeit, Apatheia, ist das Wunschziel.[43] [43]

Die platonisch und neuplatonisch geprägte Ethik konnte sogar leibfeindliche Ausprägungen haben.[44] [44]

Leider wurden solche Gedanken und Strömungen auch in die christlichen und kirchlichen Gruppen und Sekten und Theologien aufgenommen, sodass manches Leibfeindliche, das der Bibel doch fremd ist, uns in der Kirchengeschichte und teilweise im Christentum bis heute begegnet, etwa wenn der Ledigenstand als ethisch besser angesehen wurde.

C          Die Neuausrichtung der Reformation unter dem Einfluss des hebräischen, biblischen Denkens.

I           Das neugefundene Wortverständnis

Über das neugefundene Wortverständnis der Reformation, wie es Luther durch das Lesen der Bibel aufgegangen war, haben wir schon gehandelt (s.o.).

II          Das neue Verständnis von Gerechtigkeit

Luther hat sein Verständnis von Gerechtigkeit und von Rechtfertigung im wesentlichen durch die Beschäftigung mit einem alttestamentlichen Buch, nämlich mit den Psalmen, gewonnen hat.[45] [45]

Er war Professor für biblische Exegese in Wittenberg[46] [46], und seine erste Vorlesung – sie fand von 1513 bis 1515 statt – war über die Psalmen.[47] [47] Wenn auch die lateinische Übersetzung als Grundlage diente[48] [48], so war es Luther doch es von Anfang an wichtig, auch den hebräischen Text heranzuziehen und zu studieren.[49] [49]

Es war ja damals die Zeit des Humanismus mit ihrem Anliegen „ad fontes“, zurück zu den Quellen. Und da hatte Johannes Reuchlin aus Pforzheim ein „Lehrbuch und Lexikon des Hebräischen“ geschrieben. Erst wenige Jahre vor Luthers Vorlesung – im Jahr 1506 – war es in Pforzheim erschienen. Außerdem gab es eine Auslegung Reuchlins zu den sieben Bußpsalmen, die vom hebräischen Text ausging. Und an diesen sogenannten Bußpsalmen machte Luther „die zentralen Beobachtungen zum Stichwort ‚Gerechtigkeit Gottes’“ (Ebach)[50] [50].

Er stieß auch auf die Stelle in Psalm 31,2. „HERR, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden, errette mich durch deine Gerechtigkeit!“ (LÜ)

In seiner lateinischen Bibel stand: „in iustitia tua libera me.“[51] [51] Über dieses Wort dachte er nach. „Errette mich durch deine Gerechtigkeit!“ Wenige Jahre später, im Jahr 1519, drückt er es so aus, was ihn bei dieser Stelle bewegte: „Es heißt: durch deine, nicht durch meine, d.h. durch die Gerechtigkeit Christi, die durch Glauben Gnade und Barmherzigkeit Gottes die unsere wird“[52] [52].

Und wiederum viele Jahre später, im September des Jahres 1540, lässt uns Luther hineinblicken in das, was ihn damals in seiner intensiven Beschäftigung mit den Psalmen bewegte. Er sagte: „Da ich zuerst im Psalm las und sang ‚errette mich durch deine Gerechtigkeit’, da erschrak ich alle Mal und ward den Worten feind: Gerechtigkeit Gottes, Gericht Gottes, Werk Gottes. Denn ich wusste nicht anders, als dass Gerechtigkeit Gottes hier sein strenges Gericht heiße. Wie sollt er mich nun nach seinem strengen Gericht erretten? So wäre ich ewig verloren. Aber die Worte ‚Barmherzigkeit Gottes’ und ‚Hilfe Gottes’ hatte ich lieber. Gott Lob! Als ich die Sache verstand und wusste, dass Gerechtigkeit Gottes die Gerechtigkeit ist, durch die er uns rechtfertigt, die in Christus Jesus geschenkte Gerechtigkeit, da verstand ich die Grammatik, da schmeckte der Psalter mir erst“[53] [53].

Wir wissen, dass es ähnliche Berichte Luthers auch zu Stellen im Römerbrief gibt, wir haben ja schon Römer 1,17 angeführt. Luther las die Bibel als Ganze. Es war ihm wichtig, die Schrift mit der Schrift auszulegen. Und wenn er an einer Stelle arbeitete, dann hatte er auch andere Stellen der Schrift mit im Blick.[54] [54]

Aber anscheinend machte er diese entscheidende Entdeckung bei seiner Arbeit an den Psalmen. Und er sagt – wie wir gehört haben –: „da verstand ich die Grammatik“.

Jürgen Ebach schreibt dazu: „Das Verstehen der Grammatik (der hebräischen Psalmen) ist hier ganz wörtlich zu nehmen. Luther unterscheidet später … zwischen einer formalen und einer effektiven Gerechtigkeit Gottes. Letztere, die effektive, ist die, die für Luther entscheidend wird, nämlich die gerechtmachende Gerechtigkeit, mit der Gott aus Barmherzigkeit den Glaubenden rechtfertigt … Ebendiese effektive Gerechtigkeit aber ist nach Luther ein ‚Hebraismus’, d.h. zunächst eine Figur der hebräischen Grammatik. Ich spitze zu: Luther wurde zum Reformator, indem er die hebräische Bibel in ihrer Sprache und Grammatik verstand! Insofern ist es kein Zufall, dass in der Auslegung der Psalmen die ersten entscheidenden Schritte erfolgten.“[55] [55]

Und Ebach führt – um das weiter deutlich zu machen – noch zwei weitere Stellen an, eine aus Luthers Psalmenvorlesung 1513-1515, wo er zu Psalm 143,1d „erhöre mich um deiner Gerechtigkeit willen“ sagt: „Erhöre mich um deiner, nicht um meiner Gerechtigkeit willen, welche du mir durch den Glauben gibst und geben wirst. Gehe nicht mit mir ins Gericht über meine Gerechtigkeit, sondern vielmehr in die Barmherzigkeit … Um deines Namens willen, Herr, nicht um meines Verdienstes willen …“.

Und eine Stelle aus einer Schrift Luthers führt er an, eine aus dem Jahr 1517, ebenso zu Psalm 143, wo es heißt: „Hier ist zu merken, dass das Wörtlein ‚deine Wahrheit’ und ‚deine Gerechtigkeit’ nicht die ist, mit der Gott wahr und gerecht ist, wie viele meinen, sondern die Gnade, mit der Gott uns wahrhaftig und gerecht macht …“.[56] [56]

Dann schreibt Prof. Ebach: „Luther geht entscheidende Schritte zur reformatorischen Lehre, indem er die Grammatik der Sprache Israels in den Gebeten Israels lernt.“[57] [57]

Nochmals zu dem Begriff Gerechtigkeit:

Im griechischen Denken, das auch unsere Kultur weitgehend geprägt hat, ist Gerechtigkeit ein abstrakter Maßstab.

Im Hebräischen ist Gerechtigkeit ein Gemeinschaftsbegriff: Ein bundestreues Verhalten.

Gerecht ist der, der der Gemeinschaft gemäß lebt, in die er gestellt ist.

Gerecht vor Gott ist, wer im Bund mit Gott steht und diesem Bund entsprechend lebt.

Diesen Bund hat Gott im Blut Jesu gestiftet. Gerecht ist also der, der an Jesus glaubt; der sich hineinnehmen lässt in den Tod und die Auferstehung Jesu: Das alte Leben ohne Gott in Christi Tod und Grab hineingenommen sein lässt und das neue Leben mit Gott lebt.

Und Ungerechtigkeit vor Gott ist, zu meinen, man brauche Jesus nicht, man könne selbst vor Gott gerecht werden, wie der Apostel Paulus im Römerbrief schreibt (Röm 10,3f.): „Denn sie erkennen die Gerechtigkeit nicht, die vor Gott gilt, und suchen ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten und sind so der Gerechtigkeit Gottes nicht untertan. Denn Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.“

Und daher ist auch klar, dass das Christsein nicht nur etwas für den Kopf ist, sondern auch das ganze Leben umfasst: Nur ganz kann man sich ja in den Bund Gottes hineinnehmen lassen. Und zu solch einem Leben gehören auch die Früchte des Glaubens.

Das war auch Luther sehr wichtig.

Und da finden wir zum nächsten wichtigen Punkt, zu dem die Reformation unter dem Einfluss des hebräischen, biblischen Denkens in ihrem Denken gekommen ist:

III         Das biblische Beziehungsdenken anstatt eines Substanzdenkens.

Das katholische Denken in seiner Lehre ist weithin ein Substanzdenken.

1          Etwa in der Anthropologie:

Die Grundstelle für den Menschen finden wir im Schöpfungsbericht der Bibel, in 1.Mo 1,26.

Sie zeigt, dass der (ganze) Mensch auf Gott hin, zur Beziehung zu ihm und dem Nächsten geschaffen ist. Nach katholischer Lehre wird hier unterschieden: Die beiden hier gebrauchten Begriffe (hebr. zäläm und demut) bedeuteten die Natur und die übernatürliche Gnadenausstattung des Menschen. Diese sei verlierbar, jene nicht. Das heißt zum einen: Es wird in Naturen (Substanzen) gedacht statt in Beziehungen, und zum andern: Es besteht ein Kontinuum durch den Sündenfall hindurch. Tatsächlich geht es im Sündenfall geht es aber nicht um Verlust einer Substanz oder Übernatur, sondern um das Abbrechen einer Beziehung – der Beziehung zu Gott.

2          Das Verständnis von Gnade und der Sakramente

In der kath. Theologie unterscheidet man die ungeschaffene Gnade, die Gott selber ist, von der „geschaffenen Gnade /gratia creata“. In der kath. Dogmatik vom Ludwig Ott heißt es[58] [58]: „Die geschaffene Gnade ist eine von Gott verschiedene übernatürliche Gabe oder Wirkung Gottes“. Also eine von Gott ablösbare Wirkung, die Er gibt, wie man eine Sache, ein Geschenk gibt[59] [59], anstatt einer Wirksamkeit. Diese Gnade als Sache wird durch die Sakramente ausgeteilt. Deshalb kann es auch verschiedene „Gnaden“ geben, die durch die verschiedenen Sakramente gegeben werden (die kath. Kirche kennt ja sieben). Man spricht auch von der „eingegossenen Gnade“ (gratia infusa[60] [60]), die bei der Taufe gegeben wird. Sie befähigt den Menschen zu guten Werken.

Beim Abendmahl wird Brot und Wein wesenhaft verwandelt in Leib und Blut Christi (Transsubstantiation[61] [61]) und wird wahrhaft geopfert.

In der Bibel (und der lutherischen Lehre) ist Gnade etwas Personales: Die persönliche Zuwendung Gottes zum Menschen. Und die Sakramente bringen keine Sache, keine dingliche Gnade, sondern sie sind sichtbares Wort, also wieder persönlichen Zuwendung Gottes: Er kommt darin und spricht uns zu, was Jesus Christus uns erworben hat, schenkt es uns also hiermit.

3          Das Verständnis des katholischen Priesters

Durch das Sakrament der Priesterweihe wird der Betreffende in sich verändert: Er bekommt ein unauslöschliches Prägemal (character indelebilis), das ihn zum Beispiel befähigt, das Wunder der Wandlung bei der Eucharistie zu vollbringen.

Und zwar kann er das auch noch, wenn er vom Glauben abfällt, er darf es dann nur nicht.

Ein evangelischer Pfarrer, der dieses Priesterweihesakrament nicht erhalten hat, kann das Wunder der Wandlung nach dieser Lehre nicht vollziehen.

Deshalb ist ja klar, dass die katholische Kirche das evang. Abendmahl gar nicht anerkennen kann. Und da Evangelische ein Verständnis des Abendmahls haben, das nach katholischer Lehre die Exkommunikation zur Folge hat (NR 578ff.), können sie auch nicht zum katholischen Abendmahl zugelassen werden.

4          Das Wort als Heilsmittel

Wenn Gott spricht, geschieht es. So die Bibel. Deshalb ist in der evang. Kirche auch das Wort Heilsmittel. Das Sakrament ist nichts anderes als das Wort, sondern es ist sichtbares Wort.

In beiden kommt Gott persönlich zu uns und wendet sich uns zu.

Nach katholischer Lehre ist das Wort nur „Information und Appell“[62] [62], nicht Heilsmittel. Heilsmittel ist nur das Sakrament, das die dingliche Gnade bringt und den Menschen befähigt.

D         Möglichkeiten der Verständigung zwischen evangelischer und römisch-katholischer Kirche und Lehre

Von dem oben Dargestellten her ist der Graben vor allem durch kulturelle Bedingungen gegeben.

Da nun beide Konfessionen doch die Heilige Schrift anerkennen, – könnte es nicht möglich sein, dass man auch das hebräische Denken der Bibel gemeinsam anerkennt und danach die Lehraussagen korrigiert? Beide Konfessionen wären weithin einig, wenn die Lehren der Kirchen ausgelegt würden nach dem hebräischen Denken, wenn das griechische Substanzdenken zum biblischen Beziehungsdenken umgeformt würde.

Allerdings hat der jetzige Papst Benedikt XVI. diesen Weg abgelehnt. In seiner Vorlesung an der Universität Regensburg am 12. September 2006, die das Thema hatte „Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen“, versuchte er darzustellen, dass ein religiöses Ethos, das Gewalt legitimiert, nicht richtig sei. Ein solches Ethos fand er im Islam, für den Gott absolut transzent sei und in seiner Willensentscheidung deshalb für uns unzugänglich.

Wir können diesen Vortrag hier nicht im Einzelnen besprechen.

Nur – was jetzt für unser Thema von Bedeutung ist –: Benedikt ist es wichtig, dass der biblische Glaube eine Verbindung mit dem griechischen Geist eingegangen sei, wie es eben die katholische Lehre kennt.

Er versucht das zu begründen zum Beispiel mit der Septuaginta (LXX), der vorchristlichen Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische.

Dagegen ist zu sagen, dass diese Übersetzung ja von Juden gemacht wurde; von Menschen, die jüdisch gedacht haben. Und die diese Übersetzung im Neuen Testament zitieren, haben ebenfalls jüdisch gedacht. Und man darf deshalb diese Übersetzung nicht griechisch auslegen, sondern nach ihrer Ursprache, von der sie ausging, und die war hebräisch.

Ratzinger[63] [63] will diese Übersetzung aber nicht allein als ‚selbständigen Textzeugen’, sondern sogar als ‚wichtigen Schritt in der Offenbarungsgeschichte’ sehen. Das heißt: Gott hat sich hier für diesen griechischen Textzeugen entschieden und damit auch für das griechische Denken; die LXX kann griechisch ausgelegt werden ohne die hebräische Urfassung. Das kann er eigentlich nur, weil er sich entschieden hat, dass dieses griechische Denken für den Glauben der Kirche, wie er ihn versteht, wichtig ist.

Er steht offensichtlich bewusst in der Tradition der griechisch geprägten Theologie, wie sie etwa Thomas von Aquin in geradezu vollendeter Weise dargestellt hat.

Thomas kannte das Fragen der griechischen Philosophen, etwa eines Aristoteles, der nach den Ursachen der Bewegungen und Kräfte suchte und dann an die Grenze stieß: Hinter der Physik, hinter den sichtbaren und innerweltlich erklärbaren Bewegungen und Ursachen muss es noch etwas geben, was jenseits der Physik liegt, eine Meta-Physik, einen unbewegten Beweger, der die letzte Ursache hinter allem ist, und das ist Gott. So dachte er.

Auch platonische und neuplatonische Gedanken sind von Thomas aufgenommen worden.

Jenes Fragen der Griechen haben viele mittelalterliche christliche Theologen übernommen und weitergeführt bis hin zu der klassischen Ausformung bei Thomas von Aquin und weiter. Dass es einen Gott gibt, war eine Forderung der Philosophie, und der christliche Glaube erschien als die Antwort.

Dieser Gott – wie ihn die mittelalterliche Theologie kannte – war also der Philosophen Gott, der vernunftgemäß sein muss.

Auch platonische Gedanken sind eingeflossen, so über den Neuplatoniker Dionysius Areopagita über Thomas zum 1. Vatikanischen Konzil der dreifache Weg der Gotteserkenntnis. Bei Thomas ist Gott auch die Spitze des Seinsdoms.

In dieser Tradition steht Benedikt XVI. ganz bewusst.[64] [64]

Deshalb kann er auch – anders als seine Vorgänger – die Aufklärung positiv sehen. Zwar lehnt er deren Gottlosigkeit ab, aber über die Vernunft kann er sich mit ihr verständigen.

Aber Blaise Pascal hat recht: Der Gott Abrahams Isaaks und Jakobs ist nicht der Philosophen Gott.

Ebenso äußert sich der Apostel Paulus 1.Kor 1,18ff.

Jedoch Papst Benedikt XVI. steht – wie gesagt – ganz bewusst in jener Tradition, nach der die christliche Theologie sich mit griechischem Denken verbunden hat.[65] [65]

Deshalb lehnt er auch die Tendenzen ab, die schon im Spätmittelalter „diese Synthese von Griechischem und Christlichem aufsprengen“ wollten, etwa im Voluntarismus eines Duns Scotus, der zwar den Heilswillen kennt, den Gott tatsächlich geordnet hat und durchführt, aber dabei weiß, dass Gott der Freie ist, der auch anders hätte entscheiden können.[66] [66]

In der griechischen Philosophie ist Gott nicht der absolut Transzendente wie in der Bibel, er ist viel enger, auch wesenhaft, bezogen auf die Natur. Deshalb ist er auch der Philosophie mehr zugänglich und auch nicht in der Weise frei, wie der biblische Gott.

Für Ratzinger – von der katholischen Theologie her, für die der Sündenfall nicht so tief ist, verständlich – kann so die Vernunft eine große Rolle spielen auch im Verhältnis zu anderen Religionen.

Die ‚hochrangigen Vertreter des Islam’, die Papst Benedikt XVI. auf seine Regensburger Rede geantwortet haben, haben nicht diese Voraussetzungen der griechischen Philosophie, ihre Denkstrukturen kommen ebenfalls aus dem semitisch-orientalischen Bereich. Sie lehnen es in ihrem Brief ausdrücklich ab, „den analytischen Verstand zum letzten Schiedsrichter über die Wahrheit zu machen“.

Sie weisen also auf die Beschränktheit des menschlichen Denkens, das den transzendenten Gott nicht erreichen kann.

Ähnliches wie bei Duns Scotus finden wir auch bei Luther, der sagt, wir sollen und dürfen uns an den offenbaren Gott (Deus revelatus) halten, wenn es auch einen verborgenen Gott (Deus absconditus) gebe. Das wusste er aus der Bibel.

Und der Papst lehnt die Enthellenisierung des Christentums bewusst ab. Er sagte dort in der Regensburger Vorlesung: „Der These, dass das kritisch gereinigte griechische Erbe wesentlich zum christlichen Glauben gehört, steht die Forderung nach der Enthellenisierung des Christentums entgegen, die seit dem Beginn der Neuzeit wachsend das theologische Ringen beherrscht. Wenn man näher zusieht, kann man drei Wellen des Enthellenisierungsprogramms beobachten, die zwar miteinander verbunden, aber in ihren Begründungen und Zielen doch deutlich voneinander verschieden sind. Die Enthellenisierung erscheint zuerst mit den Anliegen der Reformation des 16. Jahrhunderts verknüpft. Die Reformatoren sahen sich angesichts der theologischen Schultradition einer ganz von der Philosophie her bestimmten Systematisierung des Glaubens gegenüber, sozusagen einer Fremdbestimmung des Glaubens durch ein nicht aus ihm kommendes Denken. Der Glaube erschien dabei nicht mehr als lebendiges geschichtliches Wort, sondern eingehaust in ein philosophisches System.
Das „Sola Scriptura“ sucht demgegenüber die reine Urgestalt des Glaubens, wie er im biblischen Wort ursprünglich da ist. Metaphysik erscheint als eine Vorgabe von anderswoher, von der man den Glauben befreien muss, damit er ganz wieder er selber sein könne.“

Benedikt weiß also um jene Kritik, lehnt sie aber bewusst ab.[67] [67]



[1] [68] Meisner: Luther, S. 30, korr. nach Diwald: Luther, S. 76, siehe auch Bayer, Promissio, S. 2f.

[2] [69] Konzil von Trient, 6. Sitzung, 1647, NR 809+833+834; siehe dagegen Luther z.B. EG, S. 665.

[3] [70] Oswald Bayer: Promissio: Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie, 2.Aufl. 1989, S. 1f.

[4] [71] Bayer, Promissio, S. 3.

[5] [72] Bayer, Promissio, S. 4.

[6] [73] Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, 13.Aufl. Tübingen 1971, § 75 m, S. 282.

[7] [74] Bayer, Promissio, S. 4.

[8] [75] Bayer, Promissio, S. 5, siehe auch W² XV, S. 578, Ziff. 28. Die spätere Acta Augustana, die am 25.1.1518 gedruckt erschien, siehe Münchner Ausgabe³, Bd. I, S. 58ff., besprochen daselbst, S. 446ff.

[9] [76] Mildenberger, Grundwissen der Dogmatik, 9.2.1, 3.Aufl., S. 186; siehe auch Baral, Handbuch der biblischen Glaubenslehre, 2.Aufl. 2001, S. 238 + Anmerkung 820.

[10] [77] Siehe dazu auch Thorleif Boman: Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen (1.Aufl. Göttingen 1952, hier zitiert aus 7.Aufl., Göttingen 1983) (Boman), S. 1; dort u.a. Hinweis auf die Behauptung A. Harnacks (Lehrbuch der Dogmengeschichte I-III), „das Evangelium sei hellenisiert worden, und das Dogma sei ein Produkt des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums“. Siehe ebenso Herbert Vorgrimler: Wie griechisch ist das Evangelium? (Radioessay im Südwestfunk 901293/03.95, S. 2): „Adolf von Harnack stellte bereits 1886 die klassische These auf: ‚Das Dogma ist in seiner Conception und in seinem Ausbau ein Werk des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums’ (Lehrbuch I 20).“

[11] [78] Boman 42. Siehe auch Boman 13: „das hebräische Denken (ist) dynamisch und das griechische statisch.“
Boman sagt zum griech. Denken genauer „dynamisch-harmonisch oder ruhend“ (18).

[12] [79] (1.Aufl. Göttingen 1952, hier zitiert aus 7.Aufl., Göttingen 1983), S. 19.

[13] [80] Dazu auch Boman 18f.

[14] [81] Siehe dazu auch Herbert Vorgrimler: Wie griechisch ist das Evangelium? (Radioessay im Südwestfunk 901293/03.95, S. 11f.

[15] [82] So bei Aristoteles, s. u., E, S. 20 (41).

[16] [83] Siehe dazu auch Boman 28.

[17] [84] Herbert Vorgrimler: Wie griechisch ist das Evangelium? (Radioessay im Südwestfunk 901293/03.95, S. 4-6 + 6-7.

[18] [85] Vgl. Boman 40.

[19] [86] Herbert Vorgrimler: Wie griechisch ist das Evangelium? (Radioessay im Südwestfunk 901293/03.95, S. 6f.

[20] [87] Herbert Vorgrimler: Wie griechisch ist das Evangelium? (Radioessay im Südwestfunk 901293/03.95, S. 6f.

[21] [88] Vgl. Boman 40.

[22] [89] Boman, S. 148f. (Teilweise wurden im Zitat kleinere Buchstaben benutzt, dies ist nicht so im Original).

[23] [90] Der Hebräer hat „vor“ sich die Vergangenheit, „hinter“ sich die Zukunft, in die er mit dem Rücken geht, die er also nicht sieht. (Boman 128ff.).

[24] [91] Boman, S. 124.

[25] [92] Boman, S. 108.

[26] [93] Boman, S. 131f. Das griechische Denken ist räumlich, das hebräische zeitlich (v. Dobschütz, Boman 13).

[27] [94] Boman, S. 54f.

[28] [95] Boman, S. 43.

[29] [96] Boman, S. 55, Gesenius.

[30] [97] Bomann, S. 45.

[31] [98] Boman, S. 47+48.

[32] [99] Vgl. Boman, S. 58f.

[33] [100] Siehe Boman, S. 55.

[34] [101] Boman, S. 54.

[35] [102] Kreck: Grundfragen der Dogmatik, München 1970, S. 228f.

[36] [103] Noth, 2.Mose, ATD, S. 142.

[37] [104] Siehe dazu Plock: Gott ist nicht pragmatisch, S. 36; Mac Arthur: Wenn Salz kraftlos wird, S. 104f.; Brian Edwards: Wenn die Show das Wort erschlägt. Tanz und Theater in Evangelisation und Gottesdienst.

[38] [105] Boman, S. 60.

[39] [106] Siehe dazu Hans Walter Wolff: Anthropologie des Alten Testaments.

[40] [107] Siehe dazu auch Herbert Vorgrimler: Wie griechisch ist das Evangelium? (Radioessay im Südwestfunk 901293/03.95, S. 32ff.

[41] [108] BSLK, S. 21.

[42] [109] Vorgrimler aaO., S. 32.

[43] [110] Vorgrimler aaO., S. 33.

[44] [111] Vorgrimler aaO., S. 34.

[45] [112] Jürgen Ebach: Luthers Auslegung der Psalmen (Vortrag am 21.3.1996 in der Abdinghofkirche in Paderborn, abgedruckt in: Jürgen Ebach: Weil das, was ist, nicht alles ist, Theologische Reden 4, S. 246ff. (S. 247).

[46] [113] Nachfolger von Johannes Staupitz.

[47] [114] Ebach, S. 246.

[48] [115] Ebach, S. 250.

[49] [116] Ebach, S. 251.

[50] [117] Zu alledem Ebach, S. 251.

[51] [118] Ebach, S. 251.

[52] [119] Zitiert aus Ebach, S. 254.

[53] [120] Zitiert aus Ebach, S. 254.

[54] [121] Siehe dazu Ebach, S. 254f.

[55] [122] Ebach, S. 256f.

[56] [123] Ebach, S. 257.

[57] [124] Ebach, S. 258.

[58] [125] S. 267.

[59] [126] Dazu Mildenberger, Dogmatik, 8.1.1, S. 296ff., L. Ott, S. 267.

[60] [127] Mildenberger 8.1.1.

[61] [128] Siehe unten 6. Teil B, III, 4.2, dort Abschnitt „Die Lehre der römisch-katholischen Kirche ¼“.

[62] [129] Mildenberger, s.o.

[63] [130] „Ratzinger“ ist der bürgerliche Name von Papst Benedikt XVI.; seine Regensburger Rede hat er als Professor gehalten nicht als Papst.

[64] [131] Karl Hardecker: Zur Theologie von Papst Benedikt XVI., in: a+b 8/2007, S. 22ff. (22f.).

[65] [132] Karl Hardecker: Zur Theologie von Papst Benedikt XVI., in: a+b 8/2007, S. 22ff. (22f.).

[66] [133] Ratzinger, Regensburger Vorlesung, S. 4.

[67] [134] Die zweite sieht er bei der liberalen Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts mit Adolf von Harnack ‚als herausragendem Repräsentanten’ (S. 5).

Boman, S. 11: „A. Harnack (hatte) auf die große Bedeutung für die Lehrbildung in der altchristlichen Kirche, welche griechisches Denken und Geistesleben besessen hatte, aufmerksam gemacht und behauptet ¼, das Evangelium sei hellenisiert worden, und das Dogma sei ein Produkt des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums“ (Anm. 4: „Lehrbuch der Dogmengeschichte I-III“)


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Quelle
: Karl Baral, Handbuch der biblischen Glaubenslehre, 3. Auflage, VTR, Nürnberg, 2010, 410 Seiten, 24,95 €, ISBN: 978-3-941750-34-0.

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Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlages (www.vtr-online.de [135]).