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Nur Verlierer: Worauf die Politik für Alleinerziehende hinausläuft

Lebenslage Alleinerziehend – wo ist das Problem? Für die „Spin-Doktoren“ des gesellschaftspolitischen Diskurses steht die Antwort fest: Es sind die politisch-institutionellen Rahmenbedingungen, die Alleinerziehenden das Leben schwer machen: Unflexible Arbeitszeiten, fehlende Betreuungsplätze und eine falsche Sozialpolitik, die im Steuer- und Sozialversicherungsrecht noch immer die Ehe fördere. Leidtragende seien die Kinder Alleinerziehender, die aufgrund dieser Missstände überproportional von Armut betroffen seien (1). Aber was ist „Armut“?

Früher bedeutete Armut den Mangel an Überlebensnotwendigem – Nahrung, Kleidung und Wohnung. Bis heute evoziert der Begriff Armut vor allem bei Älteren Bilder existentieller Not. Im heutigen öffentlichen Sprachgebrauch steht „Armut“ dagegen für soziale Ungleichheit: „Arm“ sind – so die Definition der Europäischen Union – Personen, „die über so geringe Ressourcen verfügen, dass sie den in ihrer Gesellschaft als annehmbar geltenden Lebensstandard nicht erreichen“ (2). Der derzeit gebräuchlichste Indikator, um diese relative materielle Deprivation zu messen ist die sog. „Armutsrisikoquote“: Als armutsgefährdet gilt demnach, wer nur über maximal 60% des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens (Medianeinkommens) verfügt. Die Lebenslage Alleinerziehend ist aus dieser Sicht fast schon per se ein Armutsrisiko: Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Haushalten von Alleinerziehenden liegt nur wenig über diesem Schwellenwert; fast die Hälfte dieser Haushalte hat ein niedrigeres Einkommen und gilt demnach als armutsgefährdet. Ihr Armutsrisiko ist damit um ein Mehrfaches höher als das von Paarfamilien (3).

Noch wesentlich höher wäre dieses Armutsrisiko, wenn der Staat nicht durch Transferleistungen helfen würde: Mehr als 40% der Alleinerziehenden beziehen Hartz-IV-Leistungen (4). Insgesamt sind fast ein Drittel aller Alleinerziehenden für ihren Lebensunterhalt überwiegend auf staatliche Transfers angewiesen, das Risiko vom Sozialsystem abhängig zu sein ist damit für Alleinerziehende mindestens fünf Mal höher als für Mütter in Paarhaushalten. Seit den 1990er Jahren hat sich diese Schere sogar noch geöffnet: Die Transferabhängigkeit der Alleinerziehenden hat zugenommen, während gleichzeitig der Anteil der Alleinerziehenden an den Familienhaushalten weiter gestiegen ist (5). Damit wächst das Gewicht des Staats als Familienernährer: Von den etwa 2,4 Millionen Kindern Alleinerziehender erhält rund eine Million Hartz-IV-Leistungen, die damit fast die Hälfte der über zwei Millionen Kinder in „Bedarfsgemeinschaften“ ausmachen (6). Dass mehr Kinder als früher in Abhängigkeit vom staatlichen Sozialsystem aufwachsen, ist also auch eine Folge der seit den 1970er Jahren drastisch gestiegenen Alleinerziehendenanteile und damit mittelbar der gesunkenen Stabilität von Ehen (7).

Die gegenwärtige Sozialpolitik glaubt die Lösung für diese Problematik gefunden zu haben: Mütter sollen ihren Lebensunterhalt unabhängig vom Einkommen eines Partners allein durch Erwerbsarbeit bestreiten (8). Dieses Leitbild erfordert einen Umbau des Gesellschaftssystems: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch öffentliche Ganztagskinderbetreuung ist da nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Schließlich müssen die Frauen hinreichend hohe Löhne erzielen, die sie und ihre Kinder vor Armut schützen. Auch dafür soll der Staat – z. b. durch Mindestlöhne sorgen, (Voll-)Beschäftigung wird ohnehin vorausgesetzt (9). Selbst wenn dieser etatistisch anmutende Wunschkatalog (Vereinbarkeit, Beschäftigung, existenzsicherndes Einkommen) erfüllt wäre, bliebe aber dennoch das Problem der relativen Armut: Denn in dem Maße wie sich die Doppel-Verdiener-Familie als Norm verbreitet, wird es für Alleinerziehende immer schwieriger, den Durchschnitt des Haushaltseinkommens zu erreichen, weil sie eben nur über ein Einkommen verfügen. Ein Einzelner kann eben weniger leisten als ein dauerhaft solidarisch verbundenes Paar – darin liegt das Kernproblem der Lebenslage Alleinerziehend. Um die sozialen Folgen dieser Gesetzmäßigkeit auszuhebeln, müssten Ehepaare faktisch diskriminiert werden. Genau darauf laufen die Forderungen hinaus vermeintliche „Privilegien“ der Ehe nun doch endlich abzuschaffen (10). Dies würde Alleinerziehenden zwar nicht nutzen, Ehepaare mit Kindern aber schaden. Wer kann das wollen?

 (1) Prototypisch für diese Sichtweise: Hans Bertram: Editorial, in: Lebenslage Alleinerziehend – wo ist das Problem? Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit Nr. 2/2011.

(2) Vgl.: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Armut und Lebensbedingungen: Ergebnisse aus LEBEN IN EUROPA für Deutschland 2005, Wiesbaden 2006, S. 17.

(3) Vgl.: Tilmann Knittel/Hanna Steidle: Lebenssituation und soziale Lage von Alleinerziehenden, S. 4-20, in: Lebenslage Alleinerziehend – wo ist das Problem? op. cit., S. 11.

(4) Vgl. ebd., S. 12-13.

(5) Der Anteil der Alleinerziehenden an allen Familienhaushalten ist in Deutschland zwischen 1996 und 2009 von 13 auf 19% gestiegen. Vgl.: Statistisches Bundesamt: Alleinerziehende in Deutschland, Ergebnisse des Mikrozensus 2009, Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 29. Juli 2010, Wiesbaden 2010, S. 9. Zum Anstieg der Transferabhängigkeit siehe Abbildung unten: „Lebensunterhalt von Müttern in Deutschland“.

(6) Zur Zahl der Kinder in Ein-Eltern-Familien: Statistisches Bundesamt: Alleinerziehende in Deutschland, op. cito, S. 16. Zur Zahl der Kinder in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Dossier Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Alleinerziehende, Basel-Berlin März 2009, S. 25.

(7) In den 1970er Jahren lagen die Anteile der Alleinerziehenden noch unter 10%, haben sich seitdem also etwa verdoppelt. Vgl.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Alleinerziehende in Deutschland – Potenziale, Lebenssituationen und Unterstützungsbedarfe, Monitor Familienforschung Ausgabe 15, Dezember 2008, S. 7. Treffen zu den Folgen dieser Entwicklung: Meinhard Miegel: Epochenwende – gewinnt der Westen die Zukunft? Berlin 2007, S. 190.

(8) Siehe hierzu auch: http://www.i-daf.org/194-0-Woche-2829-2009.html [1].

(9) Derzeit erhalten viele erwerbstätige Alleinerziehende ergänzende SGB-II-Leistungen, weil ihr Einkommen nicht unterhaltssichernd ist. Es ist daher nur folgerichtig, neben einer aktiven Beschäftigungspolitik zugunsten Alleinerziehender auch Mindestlöhne in typischen Frauenberufen zu fordern. So z. B.: Kirsten Scheiwe: Sozialleistungen für Alleinerziehende und ihre Kinder – ein Problemaufriss, S. 43-55, in: Lebenslage Alleinerziehend – wo ist das Problem? op. cito, S. 47.

(10) Siehe hierzu: http://www.i-daf.org/361-0-Wochen-3-4-2011.html [2].

IDAF Nachricht der Wochen 29-30 / 2011