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Im Bann der Monokultur

Im Bann der Monokultur

Es gibt Begriffe, die klingen rundum positiv und scheinen unanfechtbar gegenüber jeder Kritik. Biomasse ist ein solches Wort. Bio ist gut für den Verbraucher, und Masse verspricht doppelten Gewinn. Als redlicher Beitrag gegen die Klimaerwärmung und gute Erwerbsquelle für den modernen Agrarunternehmer. Ein Großteil der Gesellschaft und vor allem die Politik sieht in der Bioenergie ein innovatives ökologischökonomisches Win-win-Prinzip. Die ökologische Grundlogik: Das beim Verbrennen von Biomasse freigesetzte Kohlenstoffdioxid entspricht genau der Menge, die zuvor im Pflanzenwachstum aus der Atmosphäre heraus gebunden wurde. Um das zu garantieren, soll über Zertifikate belegt werden, daß durch die Verwendung der Biokraftstoffe im Vergleich zu fossilen Energieträgern eine Treibhausgasminderung von 35 Prozent, ab 2018 sogar von 60 Prozent erreicht wird.

Dramatische Preissteigerung bei den Tortillas

Hinter dieser Energiewende stehen politische Vorgaben. Nach EU-Richtlinie müssen Anteile aus Sonne, Wasserkraft, Wind, Geothermie und eben Biomasse am Gesamtenergiebedarf der EU bis 2020 auf 20 Prozent erhöht werden. Allein im Bereich Kraftstoff will die EU-Kommission zehn Prozent über Biosprit absichern. Dafür würden EUweit aber 17 Prozent der Ackerfläche benötigt, und ab 2020 reichte für den Bedarf der eigene Anbau gar nicht mehr aus, sondern müßte durch zusätzliche Importe gedeckt werden. Also wären Transporte nötig, die wiederum Emissionen bedingen. Mit dem Biospritaufkommen der Bundesrepublik sollen national bis acht Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) im Jahr eingespart werden, bis 2020 gilt dann gestaffelt eine Biokraftstoffquote von zehn Prozent. Hochgerechnet wird die Umsetzung eine Fläche von rund drei Millionen Hektar beanspruchen, was etwa 25 Prozent der deutschen Ackerflächen entspricht! Seit über einem Jahrzehnt boomt die landwirtschaftliche Erzeugung der Energiepflanzen dank Subventionen und fester Abnahmepreise, vor allem für Raps, Energieweizen und -roggen sowie Mais. Aus dem alten Landwirt soll nun der moderne Energiewirt werden, als solcher bessergestellt, weil er nicht mehr ausschließlich unsicheren Lebensmittelmärkten und dem Preisdiktat der Discounter ausgesetzt ist. Was Kritiker schon als Monokulturen wahrnehmen, das sieht die Landwirtschaft als rettendes Ufer: Raps-, Sonnenblumen- und Maisfelder, die zu Sprit (E10, BtL-Kraftstoff, Biodiesel) und Strom werden. Der hessische Landwirt Bernd Winter aus Butzbach, angesprochen auf das sich problematisch verschiebende Anbauverhältnis von Ernährungs- und Energiepflanzen: „Ob Tank oder Teller – das ist grundsätzlich schon ein Thema, aber solange wir allein für Teller nicht genug Geld bekommen, müssen wir auch Tank machen.“ Der Rapsanbau könnte laut hessischem Bauernverband glatt noch verdoppelt werden. Doch was ökorechnerisch so eingängig klingt, erweist sich nicht nur im Detail als Problem. Die ethisch erhobene Nachfrage, ob man aus Ackerfrüchten, die immer der Ernährung dienten, nun einfach Sprit herstellen dürfe, wird von der Biomassen-Lobby dadurch entkräftet, daß es eine Konkurrenz von Teller und Tank nicht gebe. Selbst wenn der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks vorrechnet, in einer Tankfüllung steckten 18 Kilogramm Brot, stimme das zwar, aber die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner, wendet ein, die Landwirtschaft steuere im Bereich der erneuerbaren Energie schon jetzt 70 Prozent mit Biomasse bei, benötige dafür aber – bislang – nur 5,4 Prozent der Ackerfläche. Weltweit flössen lediglich 6,4 Prozent der Getreideernte in die Produktion von Treibstoffen. Aber in der Tendenz offenbart sich ein exorbitantes Ausmaß: 23 Prozent der US-Getreideproduktion sowie weltweit 14 Prozent des Weltgetreideverbrauchs, 54 Prozent des brasilianischen Zuckerrohrs und 47 Prozent der EU-Pflanzenölproduktion werden schon zu Kraftstoff. Von 2004 bis 2007 hat sich die Biodieselproduktion in den USA um 1.200 Prozent erhöht. Für Bioethanol brauchten die USA 2007 mehr als 80 Millionen Tonnen Mais, rund elf Prozent der Weltproduktion. Die Maispreise stiegen daher von 2006 auf 2007 abrupt um 54,3 Prozent und führten in Mexiko zu dramatischen Preiserhöhungen bei Tortillas.

Investoren sichern sich Ackerland in Afrika

Joachim von Braun, Direktor des International Food Policy Institute in Washington, schätzt, daß 30 Prozent der Preissteigerung von Lebensmitteln durch die Nachfrage nach Biokraftstoff verursacht werden. Stefan Tangermann, OECD-Direktor für Handel und Landwirtschaft, meint sogar, daß 60 Prozent des Preisauftriebs bei Getreide und Pflanzenöl darauf zurückgehen. Zu den direkten Folgen der Biomassenproduktion gehört, daß wieder mehr Land in Kultur genommen werden muß. Dabei sollen zwar keine ökologisch wertvollen oder kohlenstoffreichen Flächen wie Wald, Grünland, Torf- und Feuchtgebiete einbezogen werden, aber die für die Natur so wertvollen Brachen, bis 2008 noch als Stillegungsflächen von der EU hoch subventioniert, werden allesamt wieder in den Reproduktionsprozeß der Agrarunternehmen einbezogen. Das zerstört gerade in Agrarregionen mit Großflächenwirtschaft wichtige Refugien von Flora und Fauna, die sich in den 1990er Jahren bereits stabilisiert hatten. Außerdem: Wenn der Anbau der bisherigen Agrarprodukte Raps, Weizen oder Mais zur Biokraftstoff-Produktion umgenutzt wird, bleibt die Nachfrage nach den ursprünglichen Nahrungs- und Futtermitteln trotzdem bestehen. Also weicht die Produktion für den durch das Bevölkerungswachstum noch vergrößerten Bedarf auf andere Flächen aus. Gerade der erhöhte Fleischkonsum in Schwellen- und Entwicklungsländern verschärft die Flächenkonkurrenz. Seit 1970 gingen überdies weltweit 30 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche durch Urbanisierung, Wüstenausbreitung, Versalzung und Bodenerosion verloren. Hinzu kommen Extremwetterlagen, die beispielsweise die weltweiten Getreidevorräte im Jahr 2007 auf einen Tiefstand schrumpfen ließen. Investoren sicherten sich in Afrika und Asien bereits die Nutzung von 20 Millionen Hektar Ackerland für Ölpalmenanbau, Jatropha, Reis und Mais zur Spritherstellung, wodurch die dortige Bevölkerung häufig den Zugang zu Boden und Wasser verliert. Die Verdrängungseffekte zugunsten der Biomasse können auch außerhalb des eigenen Landes stattfinden und bedingen oft signifikante Kohlenstoffdioxid-Emissionen. Laut Modellrechnungen der Bioglobal- Studie fallen Treibhausgaseffekte aus solchen indirekten Landnutzungsänderungen sehr hoch aus. Insofern verfehlen Biokraftstoffe die geforderte Treibhausgasminimierung von 35 Prozent erheblich.

Tierische Nebenprodukte werden benachteiligt

Die gepriesene Effizienz der grünen Treibstoffe steht – etwa durch die Empa- Studie 2007 – generell in Zweifel. Selbst die OECD bewertet die Biokraftstoffpolitik als extrem teuer. Ihr zufolge verursacht über Biosprit eingespartes CO2 je Tonne Kosten zwischen 600 und 1.070 Euro. Auch werden nur 30 bis 60 Prozent der CO2-Emissionen gegenüber Benzin und Diesel eingespart. Statt auf neuen Flächen gesondert massenhaft Energiepflanzen anzubauen und klassische Landwirtschaft abzudrängen, empfiehlt sich, Energie aus Abfall- und Reststoffen (Altspeisefett, organische Abfälle) zu gewinnen. Dabei entstehen im Gegensatz zu den Biomasse-Monokulturen kaum Risiken. Doch die junge Branche hat mit Problemen zu kämpfen. So kritisiert der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB), daß in Deutschland verkaufter Biodiesel „immer seltener“ aus Abfall- und Reststoffen produziert wird. Der Anteil sei von fünf Prozent im Jahr 2009 auf rund ein Prozent gesunken. Der Grund hierfür sei, so der VDB, „daß der deutsche Gesetzgeber hinsichtlich des Verkaufs von Biodiesel aus Abfall- oder Reststoffen nur schwer zu überwindende Hürden geschaffen“ habe. So werden unter anderem tierische Nebenprodukte der EU-Kategorie 1 (von Tierseuchen betroffene Tiere) entgegen EU-Richtlinien nicht als förderfähige Biomasse anerkannt. Entsprechend sieht der Verband der Verarbeitungsbetriebe Tierische Nebenprodukte (VVTN) tierischer Nebenprodukte als Bestandteil des Biodiesels gegenüber pflanzlichen Rohstoffen benachteiligt. Überhaupt drohe mit dem vollständigen Ausschluß tierischer Fette von der Biodieselproduktion ab 1. Januar 2012 das Ende eines „nachhaltigen“ Verfahrens fernab von Monokulturen. Doch selbst wenn die gesamte Getreide- und Zuckerernte der Welt zu Bioethanol verarbeitet würde, deckte dies den derzeitigen Benzinbedarf nicht einmal zur Hälfte. Ebenso könnte die Weltpflanzenölproduktion nur 20 Prozent des jährlichen Dieselverbrauchs ersetzen, und dies bei nur geringen positiven Klimawirkungen, hohen CO2- Vermeidungskosten und erhöhtem Flächenbedarf. Gerade der Flächenfraß durch neue Strom- und Erdgastrassen sowie durch den forcierten Biomasseanbau ist dem Deutschen Bauernverband (DBV) ein Dorn im Auge. Zwar möchte sich der DBV der Energiewende nicht verschließen, machte aber dennoch in einer Entschließung zum Deutschen Bauerntag am 1. Juli darauf aufmerksam, daß der Spagat zwischen der Sicherung der Nahrungsmittelversorgung und dem Anbau „von mehr Biomasse“ nur dann gemeistert werden kann, wenn die Landwirtschaft „mit Hilfe der Wissenschaft und Beratung eine nachhaltige Effizienzsteigerung verwirklichen kann“. Parallel mahnte der Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes, Manfred Nüssel, in seinem Grußwort zum Bauerntag an, „den Ausbau der energetischen Nutzung von Biomasse mit Augenmaß“ zu betreiben: „Ansonsten würden wir unwiederbringlich die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere der deutschen Milch- und Veredelungswirtschaft schwächen.“

Heino Bosselmann, Junge Freiheit, Nr. 29/11 vom 15.07.2011 (www.junge-freiheit.de [1])