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Predigt über das Gleichnis vom Sämann

Mittwoch 25. Mai 2011 von Erzbischof Janis Vanags


Erzbischof Janis Vanags

Predigt über Luk. 8,4-15 (Das Gleichnis vom Sämann)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen. Der Text dieser Predigt steht im Evangelium nach Lukas, Kap. 8,4-15. Und es begab sich danach, dass er durch die Städte und Dörfer zog und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes, und die Zwölf waren mit ihm. Als aber eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis: Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und einiges fiel auf den Fels, und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und einiges fiel mitten unter die Dornen;  und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das gesagt hatte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Es fragten ihn aber seine Jünger, was das Gleichnis bedeute. Er aber sprach: Euch ist’s gegeben, die Gleichnisse des Reiches Gottes zu verstehen, den anderen aber in Gleichnissen, damit sie es nicht sehen, auch wenn sie es sehen, und nicht verstehen, auch wenn sie es hören. Das Gleichnis aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes. Die aber auf dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden. Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht. Die aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalte in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.

Lasst uns beten: Herr Gott, Heiliger Geist, komm und erleuchte die Herzen deiner Gläubigen und entzünde sie mit dem Feuer deiner Liebe und segne uns in der Wahrheit deines Wortes, das die ewige Wahrheit ist. Amen

Viele waren aus allen Städten zusammengekommen, lesen wir. Das könnte ähnlich ausgesehen haben wie heute, da sich zu den Feiern des 120. Jahrestages ihres Bestehens sowohl Gemeindeglieder als auch Gäste in der Rigaer Lutherkirche versammelt haben. Sicher kommen nicht alle von ihnen aus Riga, sondern auch aus anderen Städten und nicht nur aus dem Stadtteil Torņakalns, sondern auch aus anderen Stadtteilen. Somit könnte die Situation, in der Jesus die Leute anredete, der Situation in unserem Gottesdienst heute sehr ähnlich gewesen sein. Und Jesus erkennt in dieser Menschenversammlung eine Gelegenheit. Er ist bestrebt, sie so gut, wie es ihm möglich ist, zu nutzen. Wie nutzt Er diese hervorragende Gelegenheit?

Er erzählt den Menschen ein Gleichnis. Gerade das mag uns vielleicht seltsam erscheinen, dass er überhaupt in Gleichnissen redet, und nicht klar und deutlich zur Sache kommt, damit es alle verstehen? Mir scheint es am glaubhaftesten zu sein, dass Er in diesem Augenblick von solchen Dingen redet, bei denen es nicht nützlich erscheint, sie in dieser bunt zusammen gewürfelten Menschenversammlung klar und deutlich auszusprechen. Viele von den Hörern hätten es nicht vermocht, eine solche direkte Rede zu akzeptieren. Er weist selbst darauf hin, wie es um die Sache steht: Zuhören können alle. Daraus etwas heraushören können nur diejenigen, die Ohren zum Heraushören haben, begreifen können es nur diejenigen, denen es gegeben ist, und annehmen können es nur, die dafür ein feines, gutes Herz haben, das mit Geduld ausgestattet ist.

Ich habe den Eindruck, dass Jesus hier keinen vorbereiteten Text mit deutlichen Aussagen abliest, durch welchen die Einsichten des größten Teiles seiner unvorbereiteten Zuhörer wie von einer Wand her angesprungen werden. Jesus erzählt ein Gleichnis, und dieses Gleichnis ist wie ein Samenkorn, welches die Fähigkeit hat, sogar tief in den kleinsten Ritz eines  Heuhaufens hineinzufallen und dort als Samen lange weiter zu existieren, und im geeigneten Augenblick aufzugehen, zu wachsen und zur geeigneten Zeit sogar Frucht zu bringen. Natürlich wird unsere Aufmerksamkeit am meisten auf den Teil des Gleichnisses gelenkt, in dem von den verschiedenen Arten des Wachstums die Rede ist, nachdem das Samenkorn heruntergefallen ist; doch davor lohnt es sich, auf die verschiedenen  Umstände zu blicken, die in diesem Gleichnis als Begleiterscheinungen geschildert werden. Was geschieht dort im Heiligen Lande?

Um das zu bedenken, sollten wir uns daran erinnern, dass wir heute den vorletzten Sonntag der Epiphaniaszeit haben. Das bedeutet, dass wir noch mitten in der Zeit der weihnachtlichen Betrachtung stehen. Wir blicken auf das Kommen Christi in die Welt. Es gibt kein geeignetes Wort, welches uns die Menschwerdung Gottes beschreiben könnte – die Heilige Dreifaltigkeit

blickt in der ganzen unbegreiflichen Weite des Kosmos uns, die von ihr erschaffene Menschheit, an. Was entdeckt sie dabei? Sie entdeckt etwas, was sie zu einem völlig unbegreiflichen Schritt treibt – dazu, dass Gott selbst Mensch wird, und als Mensch lebt und stirbt. Das ist die am meisten überraschende und großartigste Rettungsaktion, die es in der Menschheitsgeschichte je gegeben hat. Jetzt können wir fragen: was hat denn Gott eigentlich erblickt, was ihn nötigte, so radikal zu handeln? Das ist die Frage, die wie ein Samenkorn in jedes unserer Herzen fallen müsste, um dort aufzugehen, zu keimen und zu wachsen: was gibt es in meinem Leben, in meiner Lebensführung, in meiner Persönlichkeit, bei dem Gott keinen anderen Ausweg entdecken konnte als nur die, sein göttliches Wesen aufzugeben und bis zur irdischen Menschengestalt und sogar zum Tod am Kreuz hinabzusteigen? Was erblickte er bei mir, was ihn alles stehen und liegen lassen ließ, um sich eilends zu uns herabzustürzen?

Wenn nicht zu allen diesen Fragen, so sollten wir mindestens dazu  angeregt werden, das, was Jesus sagt und tut, nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Die für den Menschen unserer Zeit bezeichnende Einstellung zur Botschaft von  Christus ist weder die Begeisterung noch der Hass, und nicht einmal die Gleichgültigkeit.  Als die bezeichnende Einstellung möchte ich die Oberflächlichkeit nennen. Im Internet werden am intensivsten die Meldungen kommentiert, die auf irgendeine Weise das Christentum betreffen. Das weist deutlich darauf hin, dass den Menschen das Christentum nicht gleichgültig ist. Doch in den gleichen Kommentaren stellen die Menschen bei ihrer Beurteilung ein bewundernswertes Selbstbewusstsein zur Schau, das aber nicht im Wissen, sondern nur in der Oberflächlichkeit seine Wurzeln haben kann. Doch lassen wir die Kommentare im Internet. Manches Mal muss man sich über die  Anmut und  Eleganz nur wundern, mit der sogar Theologen in Interviews die Worte Jesu wiederzugeben vermögen. Welch eine elegante und anmutige Oberflächlichkeit! Unzählbar sind die Beschwerden und Vorwürfe von Menschen, die heiraten oder ihre Kinder taufen lassen wollen, darüber, dass sie als Nicht Getaufte und Nicht Konfirmierte nun zum Konfirmandenunterricht kommen sollen. Der erscheint ihnen beschwerlich und überflüssig. Aber wir können auch uns selbst danach fragen, wie sehr wir uns bemüht haben, die Botschaft Christi und die Lehre unserer Kirche kennen zu lernen?

Der Herr spricht vom Samen, der auf den Weg fällt und zertreten wird. Dieses Handeln könnten wir als Misshandlung bezeichnen, und wenn auch nicht absichtlich, so doch unachtsam. Vom Hörer, der sich nicht in das Wort vertiefen möchte, sagt Jesus, dass es der Teufel bei ihm am leichtesten hätte, es ihm wegzustehlen. Im 21. Jahrhundert könnten wir fragen, ob es diesen Teufel überhaupt gibt? Denken wir doch darüber nach, ob es uns nicht auch so ergeht, wie Jesus es beschreibt – dass wir das Wort Gottes hören und uns darüber freuen, dass es so kräftig und schön ist und danach völlig anders handeln. Wo bleibt das Wort in unseren Ohren, das nicht unseren Willen und unser Handeln beeinflusst? Jesus sagt, dass der Teufel es wegstiehlt. Ja, wir sind wirklich oberflächlich, wenn das um so leichter geschieht, dass uns das Wort verloren geht und gestohlen wird. Wenn wir uns einem anderen gegenüber oberflächlich verhalten, dann sind wir nicht darauf bedacht, auf ihn zu achten. Wir vergessen das leicht, was bei uns keine Vorrangsstellung einnimmt. Doch für Jesus hat das Säen des Wortes eine Vorrangstellung. Er hat den unbegreiflichen, vielleicht sogar verzweifelten Schritt getan, und ist Mensch geworden, und ist dann überall hingegangen, wohin Er nur kommen konnte, und hat den Samen des Wortes ausgestreut. Das Aussäen des Wortes war für Ihn eigentlich das Wichtigste, womit er sich in dieser Welt beschäftigt hat, denn er weiß, dass nur das Wort Gottes fähig ist, zwei Dinge zu bewirken: den Glauben zu erwecken und zu erretten. Das sagt er auch an dieser Stelle. Hier klingt auch die Sorge Jesu an, wenn er darüber redet, dass der Teufel uns das Wort wegstehlen möchte, um zu verhindern, dass wir glaubten und errettet würden.

In einem andern Gleichnis spricht Er vom Sämann, der auf einem Felde guten Samen sät, aber sein Widersacher kommt, der dazwischen Unkraut aussät. Dieses Unkraut sieht zuerst dem Getreide auf den Halm so ähnlich, dass man es von dem nicht unterscheiden kann. Doch jedes Unkraut möchte später mit dem guten Getreide konkurrieren und es überwuchern. Jesus betont, dass Er der Sämann sei und gekommen sei, seinen Samen des Wortes Gottes zu säen. In unser Bewusstsein werden im Alltag viele Handvoll von Samen unterschiedlicher Art hineingeschüttet, die auch aufgehen möchten und dem guten Samen so sehr ähnlich sind. Jesus spricht: Ich bin gekommen oder der Sämann ist ausgegangen, zu säen seinen Samen.

Manches Mal entnehme ich, wie ich zugeben muss, mit Verwirrung und Unverständnis der Presse, dass zum Beispiel christliche Eltern, die normalerweise von sich behaupten, dass sie Lutheraner seien, bei anderer Gelegenheit  sagen, dass nach ihrer Ansicht christlicher oder biblischer Unterricht in Schulen unnötig sei. Unnötig! Dass es unnötig sei, das zu tun, um dessentwillen Jesus vom Himmel gekommen und Mensch geworden ist. Was sind das für Ideen, die hier eingesät wurden und stärker und größer gewachsen sind als das Wort? Political Correctness, Toleranz,  Trennung von Kirche und Staat? Es gibt Leute in dieser Welt, die sich um das alles kümmern und manches säen, aber unser Herr Jesus ist um das Säen seines Samens besorgt, denn unter den vielen Samen ist dieser der einzige, der Glauben schenkt und errettet, und von dem Gott versprochen hat, dass er zu Ihm nicht leer zurückkehren würde, doch zuerst das schaffen müsste, was zu tun ist. So wird uns der Glaube geschenkt und so werden wir errettet.

Beachten wir die Intensität, die Jesus diesem Wort beimisst, das nicht belehren, ergänzen und unsere Lebensqualität verbessern, sondern erretten möchte. An einer anderen Stelle heißt es – wie einen Holzscheit vor dem Feuer. In seiner Beziehung zu uns ist Jesus von der Oberflächlichkeit oder von der Political Correctness oder ähnlichem sehr weit entfernt. Er muss Seelen retten.

Andere Sorgen macht sich der Sämann um den felsigen Boden. Es gibt viele und verschiedene Steine. Sicher spricht Jesus auch aus eigener Erfahrung, denn zu Beginn seines Dienstes in der Öffentlichkeit hatte er es gerade damit zu tun. In der Stadt seiner Kindheit, und in der er als Jugendlicher aufwuchs, in der Synagoge der Stadt  Nazareth, verkündigt Er die Frohe Botschaft, dass Er vom Geist gesalbt ist, um die Freudenbotschaft den Armen zu verkündigen und das Jahr der Gnade des Herrn auszurufen. Alle, die in der Synagoge waren, stimmten Ihm zu und wunderten sich über diese Worte der Gnade, die von Seinen Lippen kamen. Doch ihre Vorurteile erwiesen sich so hart wie Steine. Was redet Er da? Ist das nicht Josephs Sohn? Und nach ein paar Augenblicken greifen sie zu Steinen, um Ihn zu steinigen. Tatsächlich, auf Steinen Wurzeln zu schlagen ist auch für das Wort Gottes ein schweres Vorhaben. Es fällt in uns hinein und beginnt zu keimen, aber dann greifen wir nach Steinen, mit denen wir uns gegenseitig bewerfen, und bereits nach wenigen Augenblicken ist das Aufgekeimte schon verdorrt und am Ende. Darin sind wir um kein Haar besser als diejenigen, in  die bisher kein Samenkorn hineinfallen konnte. Der Sämann muss seine Arbeit wieder von vorne beginnen. So ergeht es ihm immer wieder, und nie kommt der Same auf felsigem Boden zum Reifen.

Aber vielleicht ist der schlimmste felsige Boden die geistige Trägheit. Vor kurzem hatte ich ein Buch in meiner Hand, dessen Autor im Vorwort gestand, dass es ein Buch über das Gebet sei. In diesem Vorwort sagte er: „Sehr lange überstieg mein Wissen über das Gebet meine Gebetserfahrungen sehr weit“ Geht es uns nicht auch oft ähnlich? Unsere Ohren sind gegenüber neuen Erkenntnissen über das geistliche Leben geöffnet, wir diskutieren gerne darüber, stimmen der einen  Ansicht zu oder bringen Gegenargumente vor, können uns aber oft nicht disziplinieren, um das regelmäßig in unserem Alltag umzusetzen, wozu wir nach unseren Worten stehen und fallen.

Das Wachsen im Geist, das geistliche Urteilsvermögen und die religiöse Dimension der menschlichen Erfahrung sind genau dasselbe wie die Lebensmittel bei der Zubereitung eines Mittagessens. Ohne Lebensmittel kann man keine Mahlzeit zubereiten, und ohne die Erfahrung mit Gott im Gebet und bei anderen geistlichen Disziplinen ist alles Gerede über Geistlichkeit und Glauben wie ein Samenkörnchen auf dem Boden eines kleinen Wassertopfes. Der sprudelt schnell auf und verdampft schnell und laut, vielleicht verbrüht er auch noch jemanden, aber er verschwindet dann auch, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.. Oder, um das mit den Worten unseres Herrn auszudrücken: „Eine Zeitlang glauben sie, doch dann fallen sie ab, denn sie haben keine Wurzeln.“ Keine Wurzeln der Erfahrung.

So ist nun der Anfang dieser Überlegungen mit diesen Sorgen voll. Aus diesem Gleichnis können wir erkennen, wie viel es in unserem geistlichen Leben gibt, was bei Jesus Angst und Sorgen auslöst. Doch am Ende können wir Seinen Worten viel Freude und Befriedigung entnehmen. Wenn der Same auf gutes Land gefallen ist, dann kann er wachsen und hundertfach Frucht bringen. Ich hatte einmal die Möglichkeit, bei dem berühmten roten Uluru Felsen in der Mitte Australiens zu sein.  Bei einer Rundwanderung durch die Wüste  bemerkte ich, dass dort oben zwei Arten von Bäumen wuchsen. Die einen waren nicht viel größer als ein Mensch und die anderen waren groß und stark und viel höher als die ersten. Später erklärten mir dort ansässige Bewohner, dass das alles Bäume der gleichen Frucht seien. Der Unterschied liegt bei der Tiefe ihrer Wurzeln. Mehrere Jahre nach ihrem Aufwachsen versuchen die jungen Bäume mit ihren Wurzeln nach Wasser und Nährstoffen in diesem Wüstenboden zu suchen. Die mit einer größeren Ausdauer Begabten von ihnen können bis zum Grundwasser durchdringen und wachsen kräftig weiter. Ihre Äste sind voller Früchte. Doch die Bäume, die mit ihren Wurzeln nicht bis zum Grundwasser durchgedrungen sind, die bleiben kleiner und tragen weniger Früchte. Wenn Jesus in Australien gelebt hätte, dann hätte er vielleicht diese Bäume in sein Gleichnis eingeflochten.

Vielleicht versuchen wir jetzt, nicht so sehr dieses Gleichnis zu verstehen, sondern etwas aus diesem Gleichnis Jesu zu empfinden und zu erleben. Vielleicht schließen wir für einen Augenblick unsere Augen, auch diejenigen, die hinter ihren Fernsehschirmen sitzen. Versuchen wir ruhig und tief zu atmen und hören wir auf die Geräusche, die von außen her zu uns hineindringen in unseren Raum aber auch in unseren Körper. Wir haben es mit unseren Ohren vernommen und wie Maria tief in unserem Herzen verschlossen. Versuchen wir es uns nicht nur vorzustellen, sondern zu empfinden, wie er zu wachsen und Wurzeln zu treiben beginnt. Diese Wurzeln beginnen wie goldene Fransen ihren Weg in unseren dunklen Tiefen zu suchen. Sie strecken sich und tasten sich weiter vor auf ihrer Suche nach etwas Wertvollem, was das Leben erhält. Sie sind auf der Suche nach dem, was sie weiterwachsen, reifen und Früchte bringen lässt. Wir können uns auch vorstellen, dass diese Wurzeln auf ihrem Wege  auf einen Stein stoßen, der fest, trocken und tot ist. Sie versuchen dennoch, ihn zu umgehen und an ihm entlang weiter voran zu kommen, auch vielleicht in ihn einzudringen, um ihn aufzuspalten. Ich danke Euch, die Ihr Eure Augen geschlossen habt. Öffnet sie nun wieder, die Ihr sie geschlossen habt.

Bei der Betrachtung des Gleichnisses Jesu können wir es uns noch einmal wirklich vorzustellen versuchen, wie der Same Gottes in uns Wurzeln schlägt. Wir haben bereits einiges darüber gesprochen, was wohl das felsige Land und die Dornen bedeuten könnten, über die wir so vieles in den biblischen Kommentaren nachlesen können, doch wichtiger wäre die Frage nach etwas anderem. Was ist das gute Land? Was bedeutet es,  dass die Wurzeln Gottes in uns ihre Triebe entfalten möchten? Was ist es, das mich am Leben erhält und was den Keimen des Wortes Gottes die Möglichkeit schafft, sich bei uns zu entfalten und Frucht zu bringen? Was erhofft der Sämann bei uns vorzufinden? Dazu vielleicht zuerst die am meisten bohrende Frage, die uns bei dem Hören des Gleichnisses vom Sämann kommt: Was für ein Land bin ich? Wenn Gott in mich den Samen seines Wortes hineinsät – wohin wird er da fallen – auf den Wegesrand, auf felsiges Land, unter die Dornen, auf gutes Land? Auf gutes Land und in ein ehrliches Herz, das wäre gut. Habe ich ein feines, gutes Herz? Und wenn ich empfinde, dass ich es nicht habe, wie kann ich dazu  kommen? Was bedeutet ein feines gutes Herz und gutes Land? Wenn ich fühle, dass ich viel mehr Steine und Dornen habe, kann ich daran etwas ändern? Es kann doch nicht sein, dass es uns für Zeit und Ewigkeit bestimmt ist, rettungslose Steine zu sein, und Jesus nur gekommen ist, um uns das zu sagen? Wenn er uns schon dieses Gleichnis erzählt, dann muss es auch die Möglichkeit geben, sich oder etwas zu ändern. Aber was? Und wie?

Der Herr Jesus hat selbst die Bedeutung dieses Gleichnisses offen gelegt. Seinen Worten können wir entnehmen, dass den zwölf Jüngern diese Erklärung genügte. Ihnen war es gegeben, die Gleichnisse des Reiches Gottes zu verstehen. Doch wenn wir mit der Betrachtung dieses Gleichnisses fortfahren möchten, dann bemerke ich zuerst, dass Jesus, wenn er vom Wegesrande, vom felsigen Boden, vom guten Wachstum spricht, immer von derselben Substanz, dem Lande, redet. Zwar ist dieses Land von unterschiedlicher Qualität, und dennoch geht es in allen Fällen um das Land. Welches ist die Substanz in uns, die uns zusammen mit dem Samen des Wortes Gottes weitergehen lässt, Hilfe bei dem Keimen leistet und Frucht bringen hilft? Um  was für eine Substanz geht es? Ich denke, dass Jesus hier von unseren Wünschen und Sehnsüchten spricht. Wünsche und Sehnsüchte sind Notwendigkeiten oder das Empfinden von Unvollkommenheit und der Sehnsucht nach Gott, nach Seinen Gaben. Dieses Empfinden von Unvollkommenheit kann nur Gott stillen.

Jesus spricht von einem guten und feinen Herzen. Ich denke, dass es hier um den Wunsch geht, auf Gott ehrlich und ungeteilten Herzens zuzugehen. Es ist der Wunsch, die Erschütterung des Herzens, die Vergebung der Sünden zu erfahren. Es ist der Wunsch aus tiefstem Herzen, Jesus näher kennen und lieben zu lernen und den eigenen Weg in der Nachfolge als dessen Jünger zu vertiefen. Der Wunsch aus ganzem Herzen, am Tod und an der Auferstehung Christi Anteil zu haben und die Liebe zu Ihm und Seine Gnade zu erreichen.

Das gute Land, das zu erreichen uns der Same des Wortes Gottes zu erreichen helfen möchte, ist die fundamentale Sehnsucht des Menschen nach Gott. Jesus spricht zu Seinen Jüngern: „Euch ist das gegeben.“ Wirklich, diese geistliche Sehnsucht ist uns in des Wortes wahrer Bedeutung „gegeben“. Das ist die geschenkte Größe. Wir können sie nur deshalb erfahren, weil wir sie bereits haben. Gottes uns bereits geschenkte Gaben des Heiligen Geistes warten dort auf uns, um offenbart zu werden. Möge das Wort Gottes, das unser Bewusstsein erreicht hat, mit seinen Wurzeln fruchtbares Land erreichen. Wem das noch nicht gegeben ist, zu dem spricht Jesus in Gleichnissen. Aber seinen Jüngern sagt Er: „Euch ist es gegeben!“

Auch wenn Jesus vom Wegesrande und vom Felsengrund redet, spricht Er von den Wünschen, Sehnsüchten und vom Drang. Auch von den entstellten und verwirrten Wünschen, Die gibt es nicht nur in dieser Welt, sondern sie sind jederzeit bemüht, mit der Stimme unseres Verstandes bei dem Fassen von Beschlüssen zu konkurrieren. Wir wissen, was wir beschließen und wie wir handeln sollten, doch diese Wünsche des Augenblickes machen es so schwer. Jesus spricht: „Damit versucht der Teufel, Euch das Wort wegzustehlen.“

Das in jedem Augenblick eine eigene Ausdrucksweise – abwegige sexuelle Wünsche, Ehrgeiz, Machtgelüste, Genusssucht und Süchte, an deren Wortende immer der Wortteil ‚Gelüste’ oder ‚Sucht’ steht. Doch das alles ist nicht von selbst entstanden, sondern irgendwelche dunklen Begierden hindern uns daran unseren Schöpfungszustand vor Gott zu bekennen und setzen uns selbst absolut. Mit einem Wort gesagt: Das alles kommt vom Stolz. Aber sollte das wirklich so sein?

Es gibt einen Witz über einen Pfarrer, der sehr gerne Golf spielte. Golf ist ja, wie Ihr wisst, ein Spiel, bei dem man einen kleinen Ball mit möglichst wenig Schlägen in ein Loch hineinbekommen muss. Einmal gelang es diesem Pfarrer, sich einen dienstfreien Sonntag zu erkämpfen, an dem er, statt zur Kirche zu gehen, sich dem Golfspiel hingab. Und, o Wunder, jedes Loch traf er mit dem ersten Schlag. Das ist fast unvorstellbar, denn das Ziel ist sehr klein und weit entfernt am anderen Ende des Feldes. Petrus im Himmel sieht sich das an und stellt dem Herrn die Frage: „Herr, dieser Dein Diener übertritt Dein Drittes Gebot von der Heiligung des Feiertages, und Du beglückst ihn mit einem solchen unglaublichen Erfolg!“ Gott antwortet ihm lächelnd: „Ja, aber weil es Sonntag ist, kann er das niemandem erzählen.“

Tatsächlich, jede dieser kranken Begierden zeigt ihr wahren Antlitz erst dann, wenn wir uns ihrer rühmen und sagen wollen: „Das kommt von mir. Schaut mich doch an! Rühmt mich! Beneidet mich doch!“ Stolz ist wirklich ein felsiges Land. Die von ihm entstellten Wünsche dienten dem, der zuerst wegen seines Stolzes fiel,  aber jetzt seine Hand nach dem Reich Gottes ausstreckt und sich darum müht, in dieser Welt das alte Babel zu erbauen. Er erbaut es durch  Menschen und ist bestrebt, das auch durch uns zu erreichen. Durch diese Erkenntnis beschloss Gott, Mensch zu werden, um uns wie ein Holzscheit aus dem Feuer zu ziehen.

In uns gibt es felsiges Land, Steine am Wegesrand, und krankhafte Gelüste sind immer bestrebt, uns herab zu ziehen, aber wir brauchen nicht auf dem felsigen Lande oder auf den Steinen am Wegesrande und unter den Dornen liegen zu bleiben. Im Leben eines wahren Jüngers Christi kommt ihm der Heilige Geist zur Hilfe, um zu erreichen, dass unsere alltäglichen Wünsche und Absichten immer mehr unserem tiefsten Verlangen entsprechen, dem uns von Gott geschenkten Verlangen nach Gott, dem Verlangen, zum guten Land zu werden. Dafür lohnt sich jede Anstrengung. Erasmus von Rotterdam sagte: wenn du bei dir Habsucht oder Geiz entdeckst, dann gib den Armen eine noch größere Gabe. Wenn du entdeckst, dass dir das Beten schwer fällt, dann füge deinen Gebeten noch einige Minuten hinzu. Wirke allem dem entgegen. Doch, so notwendig unsere Bemühungen auch sein mögen, sie können trotzdem uns keinen neuen Geist und kein neues Herz schaffen, welche die Kennzeichen für eine wahre Bekehrung sind.

Der wahre Schöpfer und Weltverbesserer ist Gott. Sein Wort feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar  und lässt wachsen, dass sie gibt Samen, zu säen und Brot, zu essen. Vorhin haben wir dieses Wort aus dem 55.Kapitel des Propheten Jesaja gehört. Wir haben das Recht, dem nicht zu widerstehen, sondern es zu befolgen und uns darauf zu verlassen. Das können wir mit dem Gebet und der Betrachtung des Wortes Gottes tun. Menschen erbitten viele Dinge, doch wir sollten bei unserem Beten auch unsere Wünsche und deren Heilung im Blick haben. Wir können von Gott den starken, intensiven Wunsch erbitten, mit einem guten, feinen Herzen Jesus noch besser kennen zu lernen, Ihn vollkommener zu lieben und Ihm an seiner Seite nachzufolgen. Erbitten wir von Gott die Gnade, uns das zu wünschen, was auch Christus möchte. Erbitten wir die Gnade, den Weg zu beschreiten, den Jesus vorangegangen ist, und an dessen Leben Anteil zu haben.

Jesus, sagte, dass diejenigen, die keine tiefen Wurzeln haben, zur Zeit der Anfechtung abfallen würden. Man könnte meinen, dass dieses uns Menschen des 21. Jahrhunderts nicht beträfe, denn wir leben  in einem Mitgliedsland der EU so, dass wir eigentlich hier um des Glaubens willen keine Prüfungen und Anfechtungen zu erwarten haben. Doch gerade hier kann es Prüfungen und Anfechtungen geben bei diesem Gebet um die Nähe zu Jesus und um die Anteilnahme an Seinem Leben. Die könnten sogar sehr gefährlich werden. Denn wenn wir darum bitten, dann müssen wir damit rechnen, dass es wirklich geschehen könnte, dass Gott unser Gebet tatsächlich erhört und uns auf den gleichen Weg schickt, den Christus gegangen ist. Jesus diente in Armut, in Demütigungen und Verletzungen. Deshalb spricht die Bitte um ein Leben in der Nachfolge Jesu im Prinzip genau das Gegenteil von dem aus, was wir uns in unserem Alltag wünschen, was uns auch viel sicherer und anziehender erscheint. Das Wort Gottes ist dennoch in der Lage, das gute Land in uns zu entdecken

Bei der Betrachtung des Geschehens in den Evangelien und bei seinem Miterleben im Herzen werden wir in ein solches Verhältnis zu Christus mit verwurzelt, dass wir von dem tiefen Wunsch mit erfasst werden, Ihm gleich zu sein und seinen Wünschen zu entsprechen. Und wenn wir Gottes Absichten bei der Erschaffung der Welt betrachten und Seine unzählbaren Gaben, Seinen unfassbaren Segen betrachten und Seinen Dienst und Seinen Opfertod für uns bedenken, dann erhalten wir die größte Seiner Gnadengaben – Die Liebe zu Gott und dem Herrn Jesus Christus. Das ist unser größtes Geschenk, weil Jesus Christus uns durch Seinen Jünger Johannes gesagt hat, dass die Liebe die Angst vertreibt und uns bei Gott bleiben lässt.

Heute feiern wir das 120 jährige Jubiläum zum Bestehen dieses Gotteshauses, das sich über das ganz besonderes große Geschenk freuen kann, dass es Sonntag für Sonntag unter seinem Dach viele Leute aus den unterschiedlichsten Gegenden miteinander vereint. Ebenso wie damals, als Jesus das Gleichnis vom Sämann erzählte, der ausging, zu säen seinen Samen. Zu diesem Jubiläum möchte ich Euch gratulieren und diesem Hause und Dir, liebe Gemeinde und Deinen Pfarrern wünschen, eine solche Familie zu werden, in welcher der Same des Wortes Gottes in reichem Maße ausgesät wird, in welcher die Menschen im herzlichen Kennenlernen Jesu wachsen, das Wachsen in der Liebe zu Ihm erfahren, die sie von aller Furcht befreit, zu einem guten Land zu werden für den Samen des Wortes Gottes. Möge dieses bei Euch wirklich hundertfache Frucht bringen! Amen.

Predigt von Erzbischof Jānis Vanags im Festgottesdienst zum 120 jährigen Bestehen des Gotteshauses am 27. Februar 2011 in der Lutherkirche in Riga.
Übersetzung aus dem Lettischen: Johannes Baumann

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 25. Mai 2011 um 10:31 und abgelegt unter Predigten / Andachten.