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Wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen demographischer Veränderungen

Regional und temporal begrenzt hat es zu allen Zeiten zum Teil beträchtliche Schwankungen der Bevölkerungszahl gegeben. Großräumig und über längere Perioden wies der Trend jedoch stets nach oben. Vor etwa 2000 Jahren dürfte die Weltbevölkerung zwischen 200 und 300 Millionen Menschen gezählt haben. Zu Beginn der europäischen Industrialisierung um 1800 waren es ungefähr 900 Millionen, hundert Jahre später 1,6 Milliarden und heute sind es rund sieben Milliarden. Bis 2050 wird ein weiterer Anstieg auf etwa neun Milliarden erwartet. Damit hätte sich die Weltbevölkerung innerhalb von 250 Jahren recht genau verzehnfacht. Für die Zeit danach nehmen die Abweichungen der Projektionen naturgemäß zu. Übereinstimmend wird jedoch davon ausgegangen, dass das zahlenmäßige Wachstum der Weltbevölkerung im Laufe der zweiten Jahrhunderthälfte zum Stillstand kommen und sich dann der Trend sogar umkehren wird: Nach vielen Jahrtausenden der Expansion zur Kontraktion. Das ist eine menschheitsgeschichtliche Zäsur ohne historische Parallele.

Vorläufer im globalen Trend waren seit Beginn der Neuzeit die Europäer. Ihre Zahl erhöhte sich während des 19. Jahrhunderts von 170 auf 400 Millionen. Dieses Bevölkerungswachstum war mehr als doppelt so hoch wie in der übrigen Welt. Dadurch stieg der Anteil der Europäer an der Weltbevölkerung bis 1900 auf 25 Prozent. Werden die außerhalb Europas lebenden Europastämmigen noch hinzugerechnet, war um 1900 sogar jeder dritte Erdenbürger ein Europäer.

Doch schon mit Beginn des 20. Jahrhunderts verschoben sich diese Proportionen. Das globale Bevölkerungswachstum beschleunigte sich dramatisch, während es sich in Europa deutlich verlangsamte. Im 20. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung außerhalb Europas knapp 4,5mal so schnell wie die Bevölkerung in Europa mit der Folge, dass sich der Anteil der Europäer an der Weltbevölkerung von 25 auf zwölf Prozent mehr als halbierte. Bis 2050 wird -bei einer unterstellten Nettozuwanderung von jährlich einer Million Menschen -ein weiterer Rückgang auf voraussichtlich sieben Prozent erwartet.

Noch ausgeprägter als im europäischen Durchschnitt verlief die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland. Im 19. Jahrhundert erhöhte sich die Zahl der Einwohner von 22 auf 56 Millionen um 160 Prozent. In Europa lag der Anstieg bei nur 140 Prozent. Im 20. Jahrhundert kehrten sich diese Trends jedoch um. Nunmehr wuchs die europäische Bevölkerung schneller als die deutsche, was nicht nur auf die kriegsbedingten Bevölkerungsverluste in der ersten Jahrhunderthälfte zurückgeführt werden kann. Mindestens ebenso bedeutsam war der Rückgang der Geburtenrate, der in Deutschland und einigen anderen Ländern noch früher einsetzte als in Europa insgesamt.

Der letzte Jahrgang, der sich in Deutschland in der Zahl seiner Kinder in vollem Umfang ersetzte, war der Geburtsjahrgang 1881. Nachdem dieser in den 1920er Jahren seine Kinder gehabt hatte, wuchs die Bevölkerung nur noch aufgrund des so genannten demographischen Echos -soll heißen, der Kinderjahrgang war zwar zahlenmäßig kleiner als der Elternjahrgang, aber größer als der Großelternjahrgang steigender Lebenserwartung und Zuwanderung. Von der Mitte bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts waren die Zunahme der Lebenserwartung und Zuwanderung dann die einzigen Quellen von Bevölkerungswachstum. Das demographische Echo spielte keine Rolle mehr.

Im Wesentlichen aufgrund von Zuwanderung hatte sich die Einwohnerzahl bis 2005 von 56 Millionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf knapp 83 Millionen erhöht. Das allerdings war auch der vorläufige Zenit. Seitdem übersteigt die Zahl der Sterbefälle nicht nur die Zahl der Geburten -das war auch schon einige Zeit zuvor der Fall sondern -in Verbindung mit beachtlichen Auswandererzahlen -auch die Zahl der Zuwanderer. Die Folge: Die schon vor Generationen programmierte Schrumpfung der Bevölkerung entfaltet jetzt ihre Wirkungen und dies umso mehr als die Bestandserhaltungsrate, die zunächst auf rund 90 Prozent gefallen war, gegen Ende der 1960er Jahre weiter auf etwa 65 Prozent zurück ging. Mit anderen Worten: Seit über 40 Jahren erhält sich die Bevölkerung Deutschlands zu nur noch etwa zwei Drittel durch Geburten. Alles, was darüber hinausgeht, ist Zuwanderung. Ein Fünftel der derzeitigen Bevölkerung Deutschlands besteht aus Menschen, die seit 1950 aus anderen Ländern hierher gekommen sind und deren Abkömmlingen.

Allerdings ist diese Entwicklung keineswegs auf Deutschland beschränkt. Nicht nur in den deutschsprachigen Nachbarländern Österreich und der Schweiz, sondern auch in weiteren Ländern Europas und in Japan verläuft sie fast identisch. Dabei sind die Bevölkerungsverluste in Süd-namentlich aber in Osteuropa noch höher als hierzulande. Genau genommen gibt es heute kein einziges entwickeltes Industrieland mehr, dessen Bevölkerung ausschließlich aufgrund der Geburtenzahlen stabil wäre. Ohne mehr oder minder große Zuwanderung würden die Bevölkerungen aller dieser Länder schrumpfen.

Ersetzt sich die Bevölkerung Deutschlands zu etwa zwei Drittel durch die Zahl ihrer Kinder, so liegt die europäische Bestandserhaltungsrate auch nur noch bei durchschnittlich 70 Prozent -etwas mehr im Norden und Westen, etwas weniger im Süden und Osten. Dadurch dürfte die europäische Bevölkerungszahl -abhängig von der unterstellten Zuwanderung -bis 2050 von gegenwärtig 730 auf geschätzte 660 Millionen und diejenige Deutschlands von 82 auf ungefähr 75 Millionen sinken. Aber auch in weiten Teilen der übrigen Welt verlangsamt sich das Bevölkerungswachstum stetig und hier und da kommt es auch schon zum Stillstand.

Parallel zum Rückgang der Geburtenraten erhöhte und erhöht sich fast überall auf der Welt die individuelle Lebenserwartung, die bis in das 19. Jahrhundert hinein wenn überhaupt -nur sehr langsam gestiegen war. Selbst in einem Land wie Deutschland betrug die durchschnittliche Lebenserwartung eines zu Beginn des 20. Jahrhunderts Geborenen nur 43 Jahre. Für einen heute Geborenen ist sie doppelt so hoch. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevölkerung entspricht heute derjenigen der entwickeltsten Länder in den 1960er Jahren -etwa 65 Jahre.

Damit altern zum ersten Mal in der Geschichte nicht nur Einzelne, sondern es altert die ganze Menschheit. Was das heißt, kann mangels einschlägiger Erfahrungen nur vermutet werden. Problematisch erscheint es jedoch, bisherige demographierelevante Denk-und Verhaltensformen in die Zukunft fortschreiben zu wollen.

Bedingt durch diesen aus zwei Quellen gespeisten Alterungsprozess -niedrige bzw. sinkende Geburtenraten sowie steigende individuelle Lebenszeiten -hat sich das Medianalter in Deutschland wie in anderen Ländern binnen weniger Generationen verdoppelt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lag es bei 23, heute liegt es bei 46 Jahren. Bis 2040 wird es sich auf etwa 50 Jahre weiter erhöht haben. Der Anteil über 60Jähriger wird bis dahin von derzeit 26 auf etwa 38 Prozent gestiegen sein, der Anteil über 80-Jähriger auf zwölf und der Anteil über 90-Jähriger auf etwa zwei Prozent. In einem Volk von voraussichtlich noch etwa 75 Millionen dürften also in etwa 30 Jahren knapp 29 Millionen über 60-, neun Millionen über 80-und 1,5 Millionen über 90Jährige leben. Dann werden die Deutschen zusammen mit den Japanern, Italienern, Russen und einigen anderen zu den Völkern mit den höchsten Altenanteilen der Welt gehören.

Dass dies in Verbindung mit sinkenden Bevölkerungs-und wahrscheinlich stattlichen Zuwandererzahlen vor dem Hintergrund einer vorerst weiter expandierenden und alles in allem noch recht jungen Weltbevölkerung die früh industrialisierten Länder vor erhebliche Herausforderungen stellt, steht außer Frage. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass es für die Bewältigung dieser Herausforderungen keine historischen oder internationalen Vorbilder gibt. Die Menschheit mit den Europäern und den Völkern der übrigen früh industrialisierten Ländern an der Spitze betritt hier buchstäblich Neuland. Nur so viel scheint sicher: Die noch immer weit verbreitete Vorstellung, die Zukunft werde im Großen und Ganzen sein wie Vergangenheit und Gegenwart, ist nicht nur trügerisch sondern gefährlich. Denn nach allem, was sich heute abzeichnet, wird sich die Zukunft nicht nur, aber eben auch aufgrund demographischer Entwicklungen markant vom bisher Gewohnten unterscheiden.

Die künftigen Gewinner werden deshalb diejenigen sein, die sich auf Trendbrüche einstellen. Zu diesen Trendbrüchen gehört, dass Europa und mit ihm Deutschland seine nicht zuletzt demographiebedingt dominante Stellung in der Welt zügig einbüßen wird. Zwar spielt Demographie heute nicht mehr die gleiche Rolle wie vor 50 oder 100 Jahren. Andere Faktoren wie Bildungsniveau, Innovationsfähigkeit oder Infrastrukturen haben an Gewicht gewonnen. Aber es ist recht unwahrscheinlich, dass jene sieben Prozent, die die Europäer um 2050 an der Weltbevölkerung ausmachen werden und die fünf Prozent, die gegen Ende dieses Jahrhunderts zu erwarten sind, eine ähnlich relative Bedeutung haben werden wie sie die zwölf Prozent heute haben oder die 25 bzw. reichlich 30 Prozent zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten. Entsprechendes gilt für Deutschland, dessen Anteil an der Weltbevölkerung von 3,5 Prozent um 1900 über knapp 1,2 Prozent heute bis 2050 auf 0,8 Prozent fallen wird. Rein demographisch gesehen befinden sich Deutschland und Europa vorbehaltlich einer fundamentalen Trendwende, für die es zur Zeit keine Anzeichen gibt, auf dem Weg der Marginalisierung.

Hinzu kommt, dass die Europäisierung der Welt, die vor 250 Jahren einsetzte, nicht nur zu Ende gegangen ist, sondern sich umgekehrt hat und nunmehr außereuropäische Kulturen sowie Sicht-und Verhaltensweisen in Europa an Bedeutung gewinnen. Wenn Vorhersagen zutreffen sollten, wonach gegen Ende dieses Jahrhunderts ein Fünftel bis ein Viertel der Europäer asiatischen oder afrikanischen Ursprungs sein werden, wird sich im Zuge dieser Bevölkerungsumschichtung Europa über die ohnehin zu erwartenden Veränderungen hinaus zusätzlich verändern.

Über die Natur dieser zusätzlichen Veränderungen besteht Unklarheit. Sie könnten jedoch gravierend sein. Im antiken Griechenland und Rom, dessen Spätphasen ebenfalls von niedrigen Geburten-und hohen Zuwandererraten gekennzeichnet waren, kam es zu regelrechten Kulturbrüchen mit nachfolgenden Neuformierungen auf anderen Grundlagen. Das muss sich nicht, kann sich aber wiederholen, wenn durch Geburtenarmut entstehende Bevölkerungslücken künftig verstärkt durch Zuwanderung zumindest teilweise gefüllt werden.

Dass dieser Weg gegangen wird, ist umso wahrscheinlicher, als sich die zahlenmäßige Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung zunächst im Arbeitsmarkt bemerkbar machen wird und die betroffenen Volkswirtschaften alles daran setzen dürften, absehbaren Arbeitskräftemangel durch Zuwanderung zu vermindern. Für kurze Zeit dürfte der Bedarf durch binneneuropäische Wanderungsbewegungen von den weniger entwickelten zu den entwickelteren Regionen befriedigt werden können. Da das Arbeitskräftereservoir weniger entwickelter Regionen innerhalb Europas jedoch überschaubar ist, dürfte schon bald verstärkt auf nicht-europäische Kräfte zurückgegriffen werden.

Nach den Modellrechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung wird schon in den nächsten 15 Jahre das Erwerbspersonenpotential -das ist die Summe aus Erwerbstätigen, Erwerbslosen und Stiller Reserve -von 44,7 Millionen auf 41,1 Millionen um insgesamt 3,6 Millionen zurückgehen. Um unter dieser Voraussetzung die Zahl der Erwerbstätigen einigermaßen stabil zu halten, müsste die Erwerbstätigenquote von derzeit 77,3 auf 86,5 Prozent um etwa ein Achtel erhöht werden. An sich ist dies -wie nicht zuletzt der internationale Vergleich zeigt -möglich. Ob eine solche Steigerung aber auch den Wünschen und Lebensentwürfen der Bevölkerung entspricht, ist fraglich. So hat sie bereits in den 1960er Jahren durch das Beharren auf einer rapiden Arbeitszeitverkürzung das Arbeitskräfteangebot dermaßen verknappt, dass schon damals Arbeitskräfte aus Drittländern nach Deutschland geholt werden mussten. Das hat bis heute Folgen.

Für eine zunehmende Erwerbsneigung und damit steigende Erwerbstätigenquote namentlich älterer Erwerbspersonen spricht ein voraussichtlich sinkendes Versorgungsniveau im Alter. Ob dies jedoch die generelle Tendenz älterer Erwerbspersonen, ihren Arbeitseinsatz eher ab-als aufzubauen, in vollem Umfang ausgleichen wird, ist fraglich. Der Anteil von Erwerbspersonen im Alter von 50 und mehr Jahren wird zwischen heute und 2025 von rund 27 auf fast 35 Prozent steigen.

Damit werden jüngere Frauen zur wichtigsten Arbeitskräftereserve der Zukunft. Aber auch sie werden die demographiebedingten Lücken nicht zu schließen vermögen. Dies ist nach Auffassung des IAB wie mehrerer anderer Institutionen nur bei anhaltend hohen positiven Zuwanderersalden möglich, die nach Lage der Dinge auf mittlere Sicht eine substantielle Wanderungsbewegung aus Asien und/oder Afrika voraussetzen.

Sollte diese Zuwanderung auf Widerstand stoßen -sei es, weil von den Einwanderungsländern eine Überfremdung befürchtet wird, sei es, weil sich die Auswanderungsländer gegen einen brain drain stemmen -, wären Wachstums-und materielle Wohlstandsverluste unvermeidlich. Zwar würden diese durch die Wiederannäherung an die bestehenden Relationen von Erwerbs-und Gesamtbevölkerung auf längere Sicht auch wieder vermindert. Völlig überwunden würden sie jedoch voraussichtlich nicht. Dazu wären innovationsgetriebene Produktivitätsfortschritte erforderlich, die über die bisherigen deutlich hinausgehen.

Ob es zu solchen Fortschritten kommen wird, ist ungewiss. In einer fortdauernd jungen Gesellschaft wären sie wahrscheinlich. In einer stark alternden sind sie hingegen eher fraglich. Auch wenn ältere und alte Menschen nicht generell fortschrittsfeindlich sind, streben sie, wie eine Reihe einschlägiger Untersuchungen zeigt, vorrangig nicht nach Veränderungen, sondern nach Sicherheit, Geborgenheit, Überschaubarkeit und Ruhe. Fortschritt, der mit diesen Zielen kollidiert, wird nur bedingt akzeptiert. Das Versprechen von Wirtschaftswachstum und materieller Wohlstandsmehrung ist für ältere und alte Bevölkerungsteile in einer materiell wohlhabenden Bevölkerung von geringer Faszination. Ältere Menschen bewegt dieses Versprechen kaum noch.

Die üblicherweise gestellte und dann affirmativ beantwortete Frage nach der Leistungsfähigkeit einer stark alternden (Erwerbs-)Bevölkerung greift daher zu kurz. Mindestens ebenso wichtig ist ihre Leistungswilligkeit. Und da zeigen zahlreiche Indikatoren, dass bereits von der Lebensmitte an das Streben nach materieller Wohlstandsmehrung nachlässt und schließlich fast völlig erlischt. So möchte nur noch jeder fünfte über 44-Jährige und sogar nur noch jeder 25. über 59-Jährige seinen materiellen Besitz mehren. Die übrigen sind mit dem zufrieden, was sie haben bzw. würden auch mit weniger vorlieb nehmen. Von einer Bevölkerung, deren Medianalter in Kürze bei etwa 50 Jahren liegen wird, ist deshalb kaum zu erwarten, dass sie sich -bei auskömmlicher materieller Versorgung -betont dynmisch-expansiv verhält.

Auch im Blick auf die sozialen Sicherungssysteme ist zwischen dem Können und Wollen der Bevölkerung zu unterscheiden, diesmal allerdings aus der Perspektive der Jüngeren, wobei als Jüngere alle unter 65-Jährigen gelten sollen. Noch in 2000 lag das zahlenmäßige Verhältnis zwischen 20-bis 64-Jährigen und über 64-Jährigen bei vier zu eins. Mittlerweile hat es sich auf drei zu eins verkürzt und um 2030 wird es sich auf zwei zu eins verschoben haben. Dieser Trend setzt sich voraussichtlich bis 2050 fort.

Das findet seinen Niederschlag in der Entwicklung des zahlenmäßigen Verhältnisses zwischen Financiers -Beitrags-und Steuerzahlern -sowie aktiv Begünstigten der Alters-, Kranken-und Pflegeversicherung. Selbst wenn unterstellt wird, dass -wie bisher -die Ansprüche aus diesen Systemen zumindest real, voraussichtlich aber auch absolut, weiter beschnitten werden, wird die Belastung von Beitrags-und Steuerzahlern beträchtlich steigen -überschlägig auf etwa 60 Prozent ihres Bruttoarbeitsentgelts bis zum Jahre 2040.

Ob und inwieweit eine Bevölkerung bereit ist, eine solche Entwicklung zu tolerieren ist abermals ungewiss. Dabei dürfte es eine recht untergeordnete Rolle spielen, wie sich die Einkommen absolut entwickeln. Ähnlich wie in wohlhabenden Gesellschaften Armut ein relatives Phänomen ist, zählt nämlich auch bei Steuern und Abgaben nicht so sehr die absolute als vielmehr die relative Belastung. Wird diese gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert, bricht ein System zusammen. Deshalb gilt es in Anbetracht der unabänderlichen demographischen Verwerfungen Verfahren zu finden, die die Belastungen der Steuer-und Beitragszahler tolerabel erscheinen lassen. Mit bloßem Wachstum ist dieses Ziel nicht zu erreichen.

Gegen eine Beschleunigung des Produktivitätsfortschritts spricht ferner, dass sich zusammen mit dem Bevölkerungsgefüge auch das Wirtschaftsgefüge verschiebt. Aus offensichtlichen Gründen benötigen stark alternde Bevölkerungen in wesentlich größerem Umfang als jüngere medizinische und pflegerische Leistungen sowie personennahe, zumeist einfache Dienste. Von der ausreichenden Verfügbarkeit derartiger Leistungen und Dienste werden künftig die Lebensqualität und damit der Wohlstand großer Bevölkerungsteile entscheidend abhängen.

Im Gegensatz zum landwirtschaftlichen und industriellen Sektor sowie weiten Teilen des Dienstleistungsbereichs sind medizinische und pflegerische Leistungen sowie personennahe einfache Dienste für Produktivitätssteigerungen jedoch nur bedingt zugänglich. Mit der absehbaren Ausweitung dieser Aktivitäten müsste mithin der Produktivitätsfortschritt in anderen Bereichen nochmals erhöht werden, wenn sich die Bevölkerungsentwicklung nicht dämpfend auf die Wirtschaftsentwicklung auswirken soll. Ob dies gelingt, lässt sich heute noch nicht sagen und sollte deshalb auch nicht unterstellt werden.

Dies gilt ebenso für zahlreiche andere Bereiche. Entwicklungstrends zahlenmäßig schrumpfender und zügig alternder Bevölkerungen, die ggf. auch noch durch starke Zuwanderungen verändert werden, lassen sich nicht mehr und noch nicht einmal vorrangig in quantitativen Rastern erfassen. Solche Bevölkerungen dürften nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit generationenlang tradierte Bedürfnisse, Interessen und Wünsche ihrer sich ändernden Lebenswirklichkeit anpassen. Damit verändern sie sich aber nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Ihr Wesen wird ein anderes. Das muss bei Überlegungen über die Rückwirkungen demographischer Veränderungen auf das Wirtschafts-und Sozialgefüge berücksichtigt werden.

Quelle:
DEUTSCHER BUNDESTAG
17. Wahlperiode
Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität
6. Sitzung, Montag, 09.05.2011