Malthus 2011: Menschenverachtung im Gewand der Ökologie
„Kein Brot für die Welt“: Diese Botschaft illustriert eine aktuelle Publikation zur „Zukunft der Welternährung“ mit einer Weltkarte aus verbranntem Brot. An sättigendem Brot mangelt es mehr als einer Milliarde Menschen. Auf dieses Elend verweist das apokalyptische Titelbild (1). In einer Zeit teurer Rohstoffe, steigender Lebensmittelpreise und politischer Krisen durch Hungerrevolten findet das Problem des Hungers in der Welt auch in den Medien wieder mehr Aufmerksamkeit (2). Es weckt Ängste vor der Zukunft: Wenn schon heute von sieben Milliarden Menschen jeder siebte hungert, wie sollen im Jahr 2050 neun Milliarden Menschen satt werden?
Die Angst vor dem Bevölkerungswachstum ist alt: Schon vor über zweihundert Jahren hielt der britische Pastor Thomas R. Malthus die Erde für „überbevölkert“ Knapp eine Milliarde Menschen zählte damals die Weltbevölkerung. Er hielt es für ein „Gesetz“, dass sich die Menschen stets stärker als die Unterhaltsmittel vermehrten und deshalb notwendigerweise verelenden müssten (3). Die Geschichte widerlegte Malthus: Dank der „grünen Revolution“ der Landwirtschaft und des industriellen Fortschritts gelang es den Europäern im 19. Jahrhundert, die Geißel des Hungers zu besiegen, während sich gleichzeitig die Bevölkerung Europas mehr als verdoppelte. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten Ökonomen fest: „Die Bevölkerung hat nicht die Tendenz, über die Unterhaltsmittel hinauszuwachsen, vielmehr haben die Unterhaltsmittel die Tendenz, über die Bevölkerung hinauszuwachsen“ (4). Diese Erkenntnis hat sich bestätigt: Auch in den letzten Jahrzehnten ist die landwirtschaftliche Produktion schneller gestiegen als die Bevölkerung, so dass sich – im Durchschnitt betrachtet – die Pro-Kopf-Versorgung mit Lebensmitteln verbessert hat (5). An diesem Fortschritt partizipieren aber nicht alle: In manchen Regionen Afrikas hat sich die Ernährungslage sogar verschlechtert: Die Konkurrenz importierter Billigwaren hat ihre Landwirtschaft ruiniert; statt ihren Bedarf aus Eigenproduktion zu decken sind sie von internationalen Nahrungsmittelhilfen abhängig (6). Diese „Almosen“ stammen aus der Überschussproduktion der Industrieländer, die gleichzeitig Lebensmittel in gigantischen Mengen vernichten. Berechnungen der Vereinten Nationen zeigen: Es ist genug Nahrung vorhanden, um jeden Erdenbürger angemessen zu ernähren (7). Der Hunger so vieler Menschen ist kein durch die Endlichkeit natürlicher Ressourcen determiniertes Schicksal, sondern Ausdruck des Versagens der Politik (8).
Symptomatisch für die globalen Ungleichgewichte ist der Ressourcenverbrauch: In den Industrieländern lebt nur etwa ein Fünftel der Weltbevölkerung, das aber etwa zwei Drittel der Energie verbraucht (9). Das belastet die Umwelt: Pro Kopf emittieren die Industrieländer im Vergleich zur sog. „dritten Welt“ etwa die zehnfache Menge des Treibhausgases (10). Die Erde vergiften nicht die vielen Armen, sondern vor allem die (relativ) Reichen (11). Für Emissionen, Abfall und Landschaftszerstörung sind weniger gestiegene Bevölkerungszahlen als Wirtschafts- und Wohlstandswachstum verantwortlich. Neben dem Wohlstandskonsum der Reichen zerstört andererseits aber auch der Kampf der Armen ums nackte Überleben die Natur: Beispielhaft ist das Roden von Urwäldern, um Brennholz und Anbauflächen zu gewinnen. Für den industrialisierten Norden wie den vermeintlich „rückständigen“ Süden gilt: Gefährlich für die Ökosysteme ist weniger die Zahl der Menschen als ihre Lebensweise (12). Deshalb trügt auch die Hoffnung mancher Ökologen, dass weniger Menschen quasi-automatisch die Umwelt weniger belasten: In individualistischen Wohlstandsgesellschaften steigen die Ansprüche an Komfort, Wohnraum und vor allem Mobilität. Dieser Wohlstandslebensstil erklärt, warum sich trotz schrumpfender Bevölkerung in Deutschland der Umwelt- und Landschaftsverbrauch fortsetzt. Ohne ressourcenschonende neue Lebensweisen, das heißt konkret auch: ohne ein Mindestmaß an (Konsum)-Verzicht lässt sich die viel beschworene „Nachhaltigkeit“ nicht verwirklichen. Vermeintlich einfachere Lösungen verspricht der Neo-Malthusianismus: Er (miss)versteht „den Planeten Erde als Raumschiff mit streng begrenzter Tragfähigkeit“ und fordert, die Stärke der „Besatzung“ zu „regulieren“ (13). Menschen als Ballast der Erde? Menschenverachtung kann auch im Gewand der Entwicklungspolitik und der Ökologie daherkommen.
(1) Siehe: Wilfried Bommert: Kein Brot für die Welt. Zur Zukunft der Welternährung, München 2009.
(2) Beispielhaft für eine nüchtern-sachliche Berichterstattung zur Ernährungsproblematik: Jan Grossarth: Die Zukunft der Welternährung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 02.04.2011 Seite 11.
(3) Vgl.: Herwig Birg: Die Weltbevölkerung – Dynamik und Gefahren, München 1996, S. 28-31.
(4) Siehe ebenda, S. 52. Birg zitiert hier Julius Wolf (Der Geburtenrückgang. Die Rationalisierung des Sexuallebens in unserer Zeit, Jena 1912).
(5) Vgl.: Reiner Schulz: Bevölkerung und Umwelt, S. 109-128, in: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Jg. 30, 1/2006, S. 109, S. 115.
(6) Lesenswert hierzu ist die Analyse des de päpstlichen Rates „Cor unum“, in der es u. a. heißt: „Die politisch Verantwortlichen senken unter dem Druck der armen Stadtbevölkerung künstlich die Preise für landwirtschaftliche Güter, da die unzufriedene Stadtbevölkerung als Gefahr für die politische Stabilität des Landes angesehen wird. […] Sie schaden damit aber den Nahrungsmittelproduzenten vor Ort. In Afrika hat sich dieses Szenario 1975-80 sehr häufig abgespielt und dazu geführt, dass die Produktion des Landes zurückgegangen ist. Zahlreiche Länder, die große landwirtschaftliche Reichtümer besitzen wie Zaire und Sambia, wurden plötzlich zu Nettoimporteuren.“ Päpstlicher Rat „Cor unum“: Der Hunger in der Welt. Eine Herausforderung für alle: solidarische Entwicklung, Vatikanstadt 1996, abgedruckt in: Amtsblatt des Erzbistums Köln, 136. Jahrgang, Stück 26 November 1996, S. 303.
(7) Dies betonen auch die Vereinten Nationen: „there is enough food being producted for everyone on the planet to be adequately nourished”. Siehe: United Nations: World Population Monitoring 2001: Population, Environment and Development, New York 2001, S. 19.
(8) „Das Recht auf Ernährung ist eines der Prinzipien, die in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahre 1948 verkündet worden sind. […] Und doch leiden noch immer Millionen Menschen an Hunger, Mangelernährung oder unter den Folgen ihrer prekären Ernährungssituation. Es ist allgemein bekannt, dass die Ressourcen der Erde – als eine Größe betrachtet – alle Menschen ernähren könnten. […] Die Hungersnöte unserer Zeit sind regional begrenzt und in den meisten Fällen vom Menschen verursacht. […] Hunger entsteht zunächst einmal aus Armut. Ernährungssicherheit hängt hauptsächlich von der Kaufkraft der Menschen ab und nicht von der physischen Verfügbarkeit der Nahrung. Dennoch zeigt die Geschichte des 20. Jahrhunderts, dass wirtschaftliche Armut kein unabwendbares Schicksal ist. Zahlreiche Länder haben einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt und machen hierbei weiter Fortschritte; andere hingegen schlittern immer tiefer in die Armut. Sie sind Opfer einer nationalen und internationalen Politik, die von falschen Prämissen ausgeht.“ Päpstlicher Rat „Cor unum“: Der Hunger in der Welt, op. citato, S. 298-299.
(9) Reiner Schulz: Bevölkerung und Umwelt, op. cito, S. 119.
(10) Vgl.: Herwig Birg: Die Weltbevölkerung – Dynamik und Gefahren, S. 121.
(11) „Wirklich bedrohlich ist dagegen der ernsthafte, wachsende und möglicherweise irreparable Schaden, den wir unserer Umwelt zufügen. Diese Bedrohung hängt unmittelbar mit der ökonomischen Entwicklung zusammen, denn Abfall, Verunreinigung und Umweltschädigung nehmen mit Wohlstand und Produktivität zu. Unter ansonsten gleichen Bedingungen sind es die reichen Länder, die die Erde vergiften.“ Siehe: David S. Landes: Wohlstand und Armut der Nationen. Warum die einen reich und die anderen arm sind, Berlin 2002, S. 503.
(12) Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bei Berücksichtigung des vorhandenen Wissens und entsprechend umweltbewussten Wirtschaftens die Bevölkerungsentwicklung nicht zwingend durch eine erhöhte Nahrungsmittelnachfrage zu Umweltschädigungen führt. Schädigend sind vielmehr Faktoren wie Nachfrageänderungen (verstärkter Fleischkonsum der Stadtbevölkerung) oder eine armutsbedingte, als kurzfristige Maximierung konzipierte Ausbeutung der Umwelt. […] Entscheidend ist aber die Höhe und Struktur der Nachfrage, nicht die Größe der Bevölkerung, denn weder die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, noch Energieverbrauch stehen in einem konstanten Verhältnis zueinander oder zur Bevölkerung. […] Die Behauptung „viele Menschen = viel Umweltzerstörung“ ist somit zu simpel, da sie die vielfachen weiteren Einflussfaktoren ausblendet. Vgl.: Reiner Schulz: Bevölkerung und Umwelt, op. cit. S. 118-119.
(13) Siehe: Paul Ehrlich: Das Raumschiff ist überfüllt: DER SPIEGEL 10/1968 vom 04.03.1968, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46135813.html. Explizit auf Paul Ehrlich beruft sich: Alard von Kittlitz: Überbevölkerung. Viele Kinder, viele Sorgen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Oktober 2010 (abrufbar unter www.faz.net [1]).
IDAF, im April 2011 (www.i-daf.org [2])