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War der Tod Jesu ein Sühnopfer?

1 Das Sühnopfer Christi – Ein Mythos?

Seit 2000 Jahren haben Christen den Tod Christi als stellvertretendes Sühnopfer verstanden. Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit verlangen danach, dass die Sünden der Menschheit gesühnt oder bestraft werden müssen. Nur wenn Sühne geleistet wird, kann die Beziehung zwischen Gott und Mensch wiederhergestellt werden. Diese Sühne übernimmt Jesus Christus an unserer Stelle, indem er für unsere Sünden am Kreuz von Golgatha mit dem Tod bestraft wird. In der Auferweckung Christi von den Toten bestätigt Gott die Gültigkeit des Opfertodes seines Sohnes und bietet dem Menschen auf dieser Grundlage die Versöhnung an.

Im Nizänischen Glaubensbekenntnis (381) bekennen Christen, dass Jesus “für uns gekreuzigt” wurde. Als evangelische Christen bekennen wir mit dem dritten Artikel des Augsburger Bekenntnisses (1530): Christus, der “wahrer Gott und wahrer Mensch ist, wahrhaftig geboren, gelitten, gekreuzigt, gestorben und begraben, dass er ein Opfer nicht allein für die Erbsünde, sondern auch für alle Sünden war und Gottes Zorn versöhnte”.[1] [1]

Der Theologe Rudolf Bultmann dagegen hielt das neutestamentliche Zeugnis „daß ein Mensch gewordenes Gotteswesen durch sein Blut die Sünden der Menschen sühnt” für “primitive Mythologie.”[2] [2] Ganz auf dieser Linie liegen Verlautbarungen der evangelischen Kirche, in denen der Tod Christi nicht länger als notwendiges stellvertretendes Sühnopfer verstanden wird.[3] [3]

 2 Die Schlachtopfer des Alten Bundes

Bereits das mosaische Gesetz machte deutlich, dass die Sünden Israels durch stellvertretende Schlachtopfer gesühnt werden mussten. Der Hohepriester musste die Sünden des Volkes am Großen Versöhnungstag symbolisch auf die Opfertiere übertragen. Die Opfertiere wurden stellvertretend für das Volk geschlachtet. Durch das Blut der Opfertiere wurde das Volk von seinen Sünden gereinigt und mit Gott versöhnt (3Mose 16,15ff). Für den alten und den neuen Bund gilt: “Es wird fast alles mit Blut gereinigt nach dem Gesetz, und ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung” (Hebr 9,22; vgl. 3Mose 17,11).

3 Christus ist das Opferlamm Gottes

Die alttestamentlichen Tieropfer finden im Leiden und Sterben des Messias ihre Erfüllung. Die Worte, mit denen Jesus das Abendmahl einsetzt, werden erst vor diesem alttestamentlichen Hintergrund recht verstanden: “Trinket alle daraus, das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden” (Mt 26,27.28). Weil es nicht möglich ist, die von Menschen begangenen Sünden durch das Blut von Tieren zu sühnen (Hebr 10,4), musste das Blut des Sohnes Gottes vergossen werden, um Menschen von ihren Sünden zu reinigen. Analog zum alttestamentlichen Ritus wurden die Sünden der Menschen auf diesen einzigartigen sündlosen Stellvertreter der Menschheit übertragen. Als Johannes der Täufer Jesus sah, sah er in ihm die Erfüllung der alttestamentlichen Opfer: “Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt” (Joh 1,29).

4 Das Todesurteil über den Sünder

Als Folge des Sündenfalls gerieten Adam und Eva in eine innere Trennung von Gott und mussten wieder zur Erde werden, von der sie genommen worden waren (1Mose 3,19). Alle Menschen sind als Nachkommen Adams und Evas durch die Sünde von Gott getrennt und somit dem Todesurteil Gottes unterworfen (Rö 5,12; 6,23). Der durch die Sünde von Gott getrennte und unerlöste Mensch erleidet nicht nur den ersten zeitlich-irdischen Tod, sondern auch den zweiten oder ewigen Tod (Offb 20,6-15; vgl. Dan 12,2; Mt 7,13.21; Mt 25,41.46)

5 Christus übernimmt unsere Strafe

Für den Menschen jedoch, der an Jesus Christus glaubt, ist dieses ewige Verdammungsurteil Gottes aufgehoben (Rö 8,1; Jo 3,36; Rö 6,23). Weil Jesus Christus der ewige und vollkommene Sohn Gottes ist (Hebr 7,28), der die ganze Fülle der Gottheit in sich trägt (Kol 2,9) und der von keiner Sünde wusste (Hebr 4,15), war er nie des Todes schuldig. Dennoch erlitt Jesus Christus am Kreuz die Todesstrafe. Der Prophet Jesaja deutet diesen Tod in prophetischer Schau als stellvertretende Übernahme unserer Strafe und Sünde:

 „Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt” (Jes 53,4.5).

Am Kreuz fand ein wunderbarer Tausch statt: Jesus Christus sühnte für unsere Sünde, nahm unsere Schuld auf sich und beschenkte uns im Gegenzug mit seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit (2Kor 5,21).

6 Der Zorn und die Liebe Gottes

Der Zorn Gottes über die Sünde und den Sünder, der an seiner Sünde festhält, durchzieht die ganze Heilige Schrift (Jes 51,20; 5Mose 6,15; Joh 3,36; Rö 1,18; 2,5). Auch der grausame und schändliche Hinrichtungstod Christi bezeugt, dass der Sünder den Zorn und das Gericht Gottes verdient hat. Doch indem Christus den Zorn Gottes an unserer Statt und zu unserer Erlösung auf sich nimmt, offenbart er in seinem Leiden und Sterben zugleich die Liebe Gottes. Gott will nicht, dass der Mensch verloren geht und im Gericht Gottes auf ewig verdammt wird. So unendlich groß ist die Liebe Gottes, dass Gott sein Liebstes opfert, um uns aus selbstverschuldeter Verdammnis zu erlösen (Joh 3,16; Rö 8,32; 1Joh 4,9.10). Und so groß ist die Liebe Christi, dass er sein Leben für uns opfert, um uns aus unserer Verlorenheit zu erretten und uns das ewige Leben zu schenken (Mk 10,45; Joh 10,11; Rö 5,6ff; 1Petr 2,24.25). Wenn ein Mensch erkennt, glaubt und bekennt, dass Christus am Kreuz für ihn und seine Sünde sühnte und für diese Sünde gerichtet und zum Tode verurteilt wurde, dann wird er durch das Zornesgericht hindurch die tiefe väterliche Liebe Gottes begreifen und erfassen, mit der Gott den Sünder rettet und in Gnade annimmt.

Nun, was du Herr, erduldet, ist alles meine Last; ich hab es selbst verschuldet, was du getragen hast. Schau her, hier steh ich Armer, der Zorn verdienet hat. Gib mir, O mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnad. (Paul Gerhardt, O Haupt voll Blut und Wunden, 1656)


[1] [4] Unser Glaube, Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, 3. Erw. Auflage, Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh, 1991, S. 61

[2] [5] H.-G. Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 5. Auflage, Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh 1973, S. 241.

[3] [6] „Aus Leidenschaft für uns – Zum Verständnis des Kreuzestodes Jesu“, Orientierungshilfe, Evangelische Kirche im Rheinland, 2. Auflage, März 2010, S. 30.

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