Gemeindenetzwerk

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„Lohnender Einsatz“

Freitag 25. März 2011 von Pastor Jens Motschmann


Pastor Jens Motschmann

Predigt: „Lohnender Einsatz“ (Römer 12,1)

„Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.“ (Römer 12,1)

Unser kurzes Bibelwort enthält drei Aussagen, die uns sehr präzise sagen, was das A und 0 jedes Christseins und damit auch jeder Gemeinde ist:

1. Gottes Erbarmen.
2. Unsere Hingabe.
3. Beides führt zum „vernünftigen Gottesdienst“.

1. Gottes Erbarmen

Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom: „Ich ermahne euch durch die Barmherzigkeit Gottes…“ Gottes Erbarmen steht also am Anfang dieses Kapitels. Es sollte auch am Anfang aller unserer Ãœberlegungen über Glauben und Kirche, Gemeinde und Gemeindeaufbau stehen. Heute wird viel von Gemeindeaufbau gesprochen. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Büchern über dieses Thema. Warum ist gerade heute dieses Thema so aktuell? Viele Gemeinden machen weithin einen etwas müden, um nicht zu sagen einen zerstörten Eindruck. Da hämmert hier und da noch eine Band im Keller des Gemeindehauses, aber die Junge Gemeinde hat sich schon längst aufgelöst. Da kommen die Senioren noch einmal im Monat zu einem Plausch bei Kaffee und Kuchen zusammen, aber der Gottesdienst am Sonntagmorgen ist schlecht besucht. Da gibt sich der Kantor und Organist die größte Mühe, wenigstens durch die Kirchenmusik noch Gemeinde zu sammeln, aber einen Bibelkreis oder einen Hauskreis sucht man im Angebot der Gemeinde vergeblich.

Gestern las ich in der Zeitung, dass in der Wesermarsch vier Kirchengemeinden zu einer einzigen fusionieren. Das soll die Gemeindearbeit effektiver machen, soll sie beleben. Eine Gemeinde wird aber nicht dadurch lebendiger, dass man bestimmte verwaltungstechnische Neuerungen einführt, sondern dass man sich erst einmal selbstkritisch fragt: „Was haben wir in der Vergangenheit falsch gemacht, dass Menschen, die Mitglieder unserer Kirche sind, nicht mehr oder nur noch selten zu uns kommen?“ Dazu werde ich in dieser Predigtreihe einiges sagen. Jetzt nur soviel:

Erstens: Alles, was wir in einer Gemeinde anfangen oder weiterführen, muss einen eindeutigen Bezug zum Wort Gottes, zu Christus haben.

Zweitens: Gemeindeaufbau bedeutet nicht nur, Menschen für Jesus zu gewinnen, sondern zuallererst eine klare geistliche Ausrichtung am Maßstab der Bibel zu gewinnen, damit die Menschen, die wir für Jesus gewinnen wollen, auch wissen, wer dieser Jesus eigentlich ist.

Drittens: So wichtig und unverzichtbar unser Bemühen auch ist, so sollte uns bei allem, was wir in der Gemeinde anfangen oder weiterführen vor Augen stehen, dass es Gottes Erbarmen ist. Er ist es, der seine Gemeinde erhält. Ohne sein Erbarmen wäre keiner von uns hier. Ohne sein Erbarmen wäre nämlich keiner von uns zum Glauben gekommen und dabei geblieben. Ohne sein Erbarmen wäre die Kirche längst untergegangen. Es ist die Barmherzigkeit Gottes, dass trotz all unserer Fehlhaltungen und Fehlentscheidungen eine Sehnsucht nach dem Wort Gottes, nach Christus und nach seiner Gemeinde da ist. Menschen, denen wir es nie und nimmer zugetraut hätten, sind zum Glauben gekommen. Bei Gott sind alle Dinge möglich! Darauf dürfen wir ganz fest vertrauen – und nicht auf Fusionen und auf Veranstaltungen, die genauso gut das Rote Kreuz oder die AWO anbieten können. Die machen gute Arbeit, denen müssen wir mit unsren Angeboten nicht Konkurrenz machen. Wer zur Kirche kommt, darf auch erwarten, dass dort Kirche hörbar und sichtbar wird. Etwas locker gesagt: Wo Kirche draufsteht, muss auch Kirche drin sein. Das heißt: kirchliche Arbeit sollte auf ganzer Linie die Barmherzigkeit Gottes widerspiegeln.

Die Barmherzigkeit Gottes besteht zuallererst darin, dass er in Jesus Christus Mensch wurde und somit in diese Welt kam – in unser Leben, in Freud und Leid. Den korrupten Zöllner Zachäus holt er vom Baum herunter, auf dem er saß, um Jesus bei seinem Einzug in Jericho besser sehen zu können. Bei ihm kehrt Jesus ein und verhilft ihm zu einer neuen Ausrichtung seines Lebens.

Der Ehebrecherin, die auf frischer Tat ertappt worden ist und gesteinigt werden soll, steht er bei und gibt ihr die Chance, ihr Leben in Ordnung zu bringen. Der Verfasser dieses Briefes, Paulus, der ja ursprünglich die Gemeinde Gottes blutig verfolgte, hätte es selbst nie und nimmer für möglich gehalten, dass ihn dieser Jesus Christus, den er von Herzen hasste, so sehr aus der bisherigen Lebensbahn werfen konnte. Denn aus ihm wurde nicht nur ein Christ, sondern einer der größten Lehrer der Christenheit überhaupt.

So könnte man die ganze Bibel durchgehen, die ganze Kirchengeschichte und auch die Geschichte unseres Lebens. Immer werden wir auf diese Barmherzigkeit Gottes sehen. Sie ist alle Morgen neu, wie es in den Klageliedern des Jeremia heißt. Aber sie findet dort eine Grenze, wo sich ein Mensch beharrlich verweigert, wo er bei seinem trotzigen Nein bleibt, wo er Gottes ausgestreckte Hand bewusst zurückstößt. Weil wir wissen, wie kostbar Gottes Wort ist, wie teuer ihm seine Liebe und Barmherzigkeit geworden ist, indem er seinen Sohn in diese unsere Welt gab, und weil wir wissen, wie furchtbar es ist, von Gott getrennt leben zu müssen, dürfen wir doch nicht Gottes Zuwendung missachten.

2. Unsere Hingabe

Sehen Sie: Die Barmherzigkeit Gottes hat gewissermaßen zwei Stränge. Von der Hingabe Gottes an uns, hörten wir bereits. Davon spricht Paulus mit Leidenschaft in den vorangegangenen 11 Kapiteln seines Briefes an die Römer. Das ist sein Thema: Ehe wir zu Gott kommen, ist Gott längst gekommen. Ehe wir an Hingabe denken, hat sich Gott längst zu uns gewendet. Jesus Christus ist der Inbegriff dieser Hingabe an uns. Und diese Hingabe Gottes an uns will er weitergeben – durch wen? Durch uns! Wir drücken ja vieles in Fremdwörtern aus. Und ein sehr häufig gebrauchtes heißt: Engagement. Wofür oder wogegen engagieren wir uns alles? Für die Bewahrung der Umwelt, für misshandelte Kinder, für den Frieden, für Projekte in der Dritten Welt usw. Es ist erfreulich, dass sich auch in unserer Stadt und in unserem Lande so viele Menschen engagieren, wenn sie nur in richtiger Weise – um ein anderes Fremdwort zu gebrauchen – motiviert werden.

Aber nun muss ich doch auf einen kleinen, aber wie ich meine, wesentlichen Unterschied aufmerksam machen. Engagement ist eine Sache, Hingabe eine andere (Rudolf Bösinger). Engagement drückt etwas Teilweises aus. Der Engagierte ist irgendwo dabei, aber nicht total. Und eben damit ist Paulus nicht zufrieden: „Ich ermahne euch, dass ihr … eure Leiber hingebt als ein Opfer.“ Dieses Wort will das, was mehr ist als Engagement, nämlich: Hingabe! Engagement fragt: Wie weit soll ich mich einbringen? Hingabe antwortet: Ganz! Engagement ist immer noch etwas in Prozenten, Jesus aber hat sich hundertprozentig eingesetzt – mit Leib und Seele. Hingabe – hier steht Opfer bedeutet immer auch ein Stück Verzicht – aus Liebe. Und jetzt sind wir ganz dicht an der Sache dran, um die es hier geht. Wer liebt, ist bereit sich dem, den er liebt, ganz hinzugeben, mit Herzen, Mund und Händen, wie es in einem Danklied heißt. Das kann sogar so weit gehen, dass man ganz wörtlich seinen Leib hingibt zum Opfer. Ich denke an einen jungen Mann, der für seinen Freund bei sich eine Niere herausnehmen ließ, damit dieser Freund leben kann. Unvergessen ist mir ein Bild aus dem Balkan-Krieg Anfang der neunziger Jahre. Eine Mutter in Sarajewo, rettete auf der Straße ihr Kind, indem sie mitten in einer plötzlich ausgebrochenen Schießerei ihren Jungen an eine Hauswand drängte und ihn zur anderen Seite hin mit ihrem Körper schützte. Sie starb, das Kind lebt.

„Ich ermahne euch, dass ihr … eure Leiber hingebt als ein Opfer!“ Kann man denn zu einem solchen Opfer jemanden „ermahnen“? Dazu muss man wissen, dass im griechischen Urtext das Wort für „ermahnen“, parakalein, nicht so sehr das strenge Fordern meint, das wir aus dem Wort heraushören, sondern es meint auch das Ermutigen, den Zuspruch. Im Evangelium des Johannes wird dieses Wort sogar im Blick auf den Heiligen Geist gebraucht. Er ist der Paraklet, der Tröster, der Beistand. Paulus ermahnt also in diesem Sinne, er ermutigt zu dieser hingebenden Liebe. In dem bekannten Gebet „Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens“, das dem Franz von Assisi zugeschrieben wird, heißt es am Schluss:

„Denn wer da hingibt, der empfängt; wer sich selbst vergisst, der findet…; und wer da stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.“ Das ist es, was Paulus meint: „Wer da hingibt, der empfängt.“ Was empfängt er? Die Vergebung der Schuld und damit den Frieden, der höher ist als alle Vernunft. Er empfängt den Heiligen Geist, der ihm das Wort Gottes aufschließt, der ihm Kraft und Heilung gibt. Er empfängt die Geduld und Gelassenheit, die aus dem Glauben kommt. Er empfängt die Freude, die auch im Leid bleibt. Mit einem Wort: Er empfängt Christus in seinem Leben. „Wer hingibt, der empfängt…“ Das ist die Grundlage für den vernünftigen Gottesdienst. Diesen Ausdruck des Paulus lassen Sie uns nun abschließend etwas genauer betrachten.

3. Der vernünftige Gottesdienst

Der Gottesdienst ist zumindest in der evangelischen Kirche weithin in Verruf geraten. Wer geht denn da noch hin? So werden doch auch Sie sicherlich gelegentlich gefragt? Wer geht denn da noch hin? Ich hörte immer wieder bei Hausbesuchen von denen, die so gut wie nie in die Gemeinde oder in den Gottesdienst kommen: „Herr Pastor, wir haben auch unsern Glauben. Dazu müssen wir nicht sonntags zur Kirche rennen.“ Da kann man nur sagen: Sie haben recht, Sie müssen nicht zur Kirche rennen, es genügt vollkommen, wenn Sie nach dem Frühstück in aller Ruhe zur Kirche gehen. Sie haben ebenfalls recht, wenn sie sagen: „Wir haben auch unsern Glauben.“ Das bestreite ich nicht. Fast alle Menschen haben ihren Glauben. Die Frage ist nur, ob es der Glaube ist, der mich nicht nur in guten Tagen begleitet, sondern der mich in schweren Zeiten hindurch trägt, ob es der Glaube ist, mit dem ich leben und mit dem ich getrost und getröstet sterben kann? Also nicht irgendein Allerweltsglaube, sondern das Vertrauen, dass ich einen Heiland habe, der auch mich meinte, als er mit seinem Opfer, mit seiner Liebe, mit seiner Hingabe am Kreuz von Golgatha die Sünde der Welt und auch mein Versagen und meine Schuld auf sich lud. Und dieses Vertrauen soll der sonntägliche Gottesdienst stärken, damit ich auch unter der Woche Gott und damit auch meinen Mitmenschen in rechter Weise dienen kann. Auf diese Konsequenz zielt das Wort des Paulus vom „vernünftigen Gottesdienst“ ab. Was meint dieser Begriff? Er klingt ja irgendwie sonderbar, steht aber tatsächlich wortwörtlich so auch im griechischen Urtext. Vernünftig meint hier nicht das, was uns die Vernunft sagt, sondern gemeint ist das Verstehen, was uns mit der Liebe und Hingabe Gottes gegeben ist. Gemeint ist das Nachdenken darüber, wie ich meinen Glauben und mein Leben zusammenbringe und zusammenhalte. Helmut Thielicke, der 1986 verstorbene Hamburger Theologe, hat einmal sehr treffend gesagt: „Der Christ … lebt immer im Gehege des Bedingungssatzes: Wenn . ..‚ dann: Wenn Gott mein Gott ist, dann ist der Kollege, mit dem ich überquer bin, dann ist das Mädchen, das ich liebe, dann ist die Zimmerwirtin, die vielleicht ein Drache ist, auf jeden Fall im Lichte Gottes mein Nächster geworden.“ (Helmut Thielicke: Glauben als Abenteuer. Stuttgart 1980, S. 71 f.)

Wenn ich zum Glauben gekommen bin, dann sehe ich mich selber anders: Mir wird deutlich, wo es mir an Liebe und Geduld fehlt; mir wird deutlich, wie viel Grund zur Dankbarkeit ich habe und ich spüre, wie meine Sorgen zwar noch da sind, aber dass sie ihren Stachel verloren haben. Denn Gott weiß ja um alles eher als ich und wird mich leiten auch durch die dunklen Täler meines Lebens. Wenn ich mir mit liebevollem Herzen die Gemeinde ansehe, dann werde ich sehen, was sie hat und was ihr fehlt. Das werde ich dann nicht nur nüchtern und sachlich wie ein Buchhalter feststellen, sondern ich werde mir überlegen, was ich dazu beitragen kann, dass das Gemeindeleben noch lebendiger werden kann. Wenn mir der Gottesdienst so viel bedeutet und damit ja auch die Gemeinde, die ihn trägt, dann werde ich nicht nur selber gerne kommen, sondern auch andere einladen, in die Gemeinde mitzukommen. Ein Freund von mir pflegt zu sagen, wenn es darum geht, an jemanden heranzutreten und ihn um etwas zu bitten: „Denke daran: Das Nein hast du schon in der Tasche, aber das Ja kannst du gewinnen.“ Die Gemeinde ist ein Feld des lohnenden Einsatzes – im Blick auf uns selbst und im Blick auf andere. Aber vergessen wir bei allem nicht: Am Anfang steht Gottes Erbarmen, die Antwort darauf ist unsere Hingabe und damit haben wir teil am „vernünftigen Gottesdienst“.

Amen.

Pastor Jens Motschmann, Bremen, 10.01.2010

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 25. März 2011 um 10:50 und abgelegt unter Predigten / Andachten.