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Ist PID ethisch vertrebar und rechtlich zu billigen?

Ist die PID ethisch vertretbar und rechtlich zu billigen, um den Wunsch nach gesunden Kindern zu erfüllen?

1. Zur Einführung

Man kann, wie etwa der Ratsvorsitzende der EKD, Präses Nikolaus Schneider, viel „Sympathie“ und „Verständnis“ für die Menschen haben, die ein gesundes Kind durch PID (Präimplantationsdiagnostik) haben möchten. Dies sind aber keine ethischen, sondern bestenfalls „seelsorgerliche“ Kategorien. Ich habe z.B. viel Verständnis für jenen Patienten, der durch den Tod bedroht auf eine neue Leber wartet und der mich fragt, warum man eigentlich, wenn ein Mensch definitiv ohnehin sterben muss und schon unwiderruflich bewusstlos ist, nicht bereits vor dem Hirntod Organe entnehmen darf, ob das Transplantationsgesetz, das das verbietet, nicht geändert werden sollte. Als Seelsorger bringe ich Verständnis für schwere Schicksale auf und lasse mich auf die Fragen der Menschen ein, auch wenn ich deren angestrebte Lösungen ihrer Probleme aus einer die Interessen des jeweiligen Individuums übergreifenden ethischen Sicht nicht billigen kann. „Verständnis“ ist keine hinreichende Kategorie, etwas – mit dem Philosophen I. Kant gesprochen – zur Maxime allgemeinen Handelns oder gar zum Recht zu erheben.

2. Die wesentlichen ethischen Probleme der PID

Durch die PID kann in Zusammenhang mit einer Erzeugung von Embryonen außerhalb des Leibes der Frau und anschließender Übertragung von Embryonen in den Mutterleib (=IVF) eine Testung auf Dispositionen für Krankheiten vorgenommen werden. Bei der PID stellen sich zwei grundlegende ethische Probleme, die sich hauptsächlich aus unserem Verständnis von Menschenwürde (Grundgesetz =GG, Art.1.1) und dem sich daraus ergebenden Schutz des Menschenlebens und Rechts auf Leben (GG Art.2.2) ergeben:

(1) Zahlreiche Embryonen werden bewusst erzeugt, verbraucht, getötet oder konserviert, um einen oder zwei vielleicht „gesunde“ Embryonen in den Mutterleib zu transferieren.

(2) Die Embryonen werden getestet und daraufhin wird, wenn bei den Embryonen die Veranlagung zu der getesteten Krankheit festgestellt wird, ein „Lebensunwerturteil“ gefällt, das die Selektion dieser Embryonen zur Folge hat.

Beide Handlungen stellen unser bisheriges Verständnis von Menschenwürde in Frage, das auch noch Grundlage des Embryonenschutzgesetzes ist.

2.1. Verbrauchender Umgang mit Embryonen und Menschenwürde

Für eine PID werden über ein Dutzend Embryonen bewusst erzeugt, von denen in der Regel nur zwei in den Mutterleib transferiert werden. Die anderen werden selektiert, konserviert und gegebenenfalls einem verbrauchenden Umgang zu Forschungszwecken und anderen Zwecken zugeführt.

Ein solcher Umgang mit menschlichen Embryonen wäre nur ethisch und rechtlich zu rechtfertigen, wenn Embryonen im frühen Lebensstadium noch nicht unter dem Schutz der Menschenwürde (nach Grundgesetz = GG, Art.1) stünden. Man geht also zumindest von einer abgestuften Schutzwürdigkeit und Wertigkeit des Menschenlebens aus, wobei der „Wert“ des Menschenlebens kurz nach seiner Entstehung so gering angesetzt wird, dass er gegen andere Güter, Werte und Interessen von Menschen abgewogen und ihnen auch geopfert werden darf. d. h., dass Menschenleben um dieser Interessen willen sogar getötet werden darf.

2.1.1 Menschenwürde als Prädikat empirischer Lebensqualitäten und Autonomie

Grundlage dieses veränderten Verständnisses von Menschenwürde ist, dass Würde letztlich nur bestimmten Eigenschaften, Fähigkeiten und Lebensqualitäten und nicht dem ganzen Lebensträger (Organismus), der gesamten Leiblichkeit zukommen soll. Immer häufiger wird der Inhalt der Menschenwürde im GG primär und gar ausschließlich in der Selbstbestimmung, der Autonomie des Menschen gesehen und wird diese als eine empirisch feststellbare Fähigkeit verstanden, die sich im Laufe der Entwicklung des Lebens entweder herausbildet oder aufgrund hirnorganischer Fehlentwicklungen sich überhaupt nicht entwickeln und am Ende des Lebens durch Krankheiten und Gebrechen (z.B. Demenzen) in Verlust geraten kann. Der Mensch soll sich demnach in einem Prozess erst zum Menschen und nicht von allem Anfang an als Mensch entwickeln. Und mit der Entwicklung des Lebens entwickelt sich auch die in der Menschenwürde gründende Schutzwürdigkeit des Lebens, die durch den Abbau des Lebens folgerichtig auch wieder abnehmen und zuletzt in Verlust geraten kann. Solches Menschenleben wäre dann allenfalls um seines „gewesenen“ Menschseins willen als Mensch mit Würde zu achten und zu behandeln.

Letztlich kommt Menschenwürde demnach nur dem geborenen Menschleben zu, das über diese empirische Fähigkeit der Selbstbestimmung verfügt, und allenfalls dem Menschenleben, dass diese Fähigkeit in seiner Entwicklung mit großer Wahrscheinlichkeit erreichen wird. Je wahrscheinlicher dies mit fortschreitender Entwicklung im Mutterleib oder auch außerhalb des Mutterleibes (Peter Singer u.a.) ist, um so schützenswerter ist das Leben. Das kann auch einschließen, dass man ab einem bestimmten Grad der Wahrscheinlichkeit dem Menschenleben schon Würde zuspricht, aber zugleich auch, dass man Leben, dass nie eine Chance hat, „hirnorganisch intakt“ geboren und insbesondere in den Mutterleib transferiert zu werden, den Schutz der Menschenwürde ganz abzusprechen darf.

Nur unter der Voraussetzung dieser abgestuften Schutzwürdigkeit, die Würde in einen abstufbaren Wert auflöst, könnte die PID und der mit ihr verbundene verbrauchende und „tödliche“ Umgang mit Embryonen ethisch und rechtlich gerechtfertigt werden. Damit wird eine entscheidende Veränderung im Verständnis von „Menschenwürde“ vollzogen, die weit über das enge Handlungsfeld PID hinaus Folgen haben wird.

2.1.2. Menschenwürde als „transzendente“ Größe

Das Verständnis von Menschenwürde in Artikel 1 des GG ist maßgeblich mitbestimmt durch die jüdisch-christliche Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Diese gründet in der besonderen Beziehung Gottes zum Geschöpf Mensch und der ihr entsprechenden besonderen Bestimmung des Menschen in der Schöpfung. Der Mensch konstituiert sich weder in seinem Leben noch in seiner Würde selbst. Er verdankt sein Leben und damit sein Personsein und seine Würde anderen, letztlich nicht den Eltern, sondern Gott. Leben ist anvertraute Gabe Gottes. Demnach sind Personsein und Menschenwürde keine empirischen Qualitäten, sondern „transzendente Prädikate“, die von Gott her dem ganzen organismischen Leben (Lebensträger) vom Beginn bis zum Tod unverlierbar zugesprochen sind. Kein menschliches Leben muss erst Lebensqualitäten vorweisen, die nachweisen, dass es der Prädikate Person und Menschenwürde würdig ist. Es entwickelt sich nicht zum Menschen mit Würde, sondern immer als Menschleben mit Würde. Deshalb muss ihm die Menschenwürde auch nicht erst von Menschen zuerkannt werden, vielmehr ist sie von allen Menschen zugleich mit dem Gegebensein von Leben in allen Stadien des Lebens anzuerkennen, unabhängig vom Grad seiner körperlichen und seelisch-geistigen Fähigkeiten. Es kann keinen Verlust der Menschenwürde geben, solange das Leben in seiner Leiblichkeit existiert. In diesem Begründetsein der Menschenwürde in „Transzendenz“, in Gott, ist der Grund zu suchen, dass alles Leben einer totalen ge- und verbrauchenden Verfügung von Menschen entzogen sein soll. Menschenleben ist immer in erster Linie um seiner selbst willen von Gott gewollt und von Menschen in seiner Würde und seinem Recht auf Leben zu achten. Auch Kinder sind nicht primär um der Eltern willen im Leben, sondern sie sind in erster Linie den Eltern anvertraute Gabe und Aufgabe, sind um ihrer selbst willen zu wollen und zu achten.

Es ist zwar umstritten, inwieweit dieses christlich geprägte Verständnis von Menschenwürde ohne diese religiösen Voraussetzungen zu begründen ist. Jedoch ist auch in der deutsches Rechtsverständnis maßgeblich prägenden Philosophie I. Kants festgehalten, dass die Freiheit und mit ihr die Würde des Menschen keine empirischen Größen, sondern transzendentale Ideen sind und dass die Person und das ihr zukommende Prädikat Würde dem Menschen als „Natur- und Gattungswesen“, also allem biologisch menschlichen Leben zuzuordnen ist. Kant hat die christliche Sicht im Grunde in eine transzendentale Begründung überführt. Das Gegebensein von Leben gebietet uneingeschränkte Achtung seiner Würde, die es verbietet, menschliches Leben bloß als Mittel zum Zweck, insbesondere zu fremdnützigen Zwecken (auch der Eltern) zu ge- und verbrauchen. Insofern stimmt Kants Begründung der Menschenwürde wenigstens in ihren praktischen Konsequenzen mit der kurz angedeuteten christlichen Sicht überein.

Auf dem Hintergrund dieses, bisher vom Bundesverfassungsgericht noch nicht in Frage gestellten Verständnisses von Menschenwürde ist die PID ethisch nicht zu bejahen und rechtlich nicht zu billigen. Diese Bewertung geht von der biologisch-anthropologisch wie theologisch gut begründeten Annahme aus, dass die befruchtete Zygote, mit der die Embryonalentwicklung begonnen hat, ganzheitlich reguliertes organismisches Menschenleben ist, das unter dem Schutz der Menschenwürde steht und nicht ein biologisches „Etwas“ ist (vgl. dazu U. Eibach, Gentechnik und Embryonenforschung, 2. Aufl. 2005; W. Härle, Würde. Groß vom Menschen denken, 2010). Offen bleibt bei der PID die Frage, wie die sogenannte Polkörperchen-Diagnostik zu beurteilen ist, bei der vor dem Abschluss der Verschmelzung des Genoms von Samen- und Eizelle dem Polkörperchen Zellen mit dem Genom des werdenden Embryos entnommen und diagnostiziert werden. Dabei wird also kein schon definitiv entstandener Embryo selektiert und zerstört. Das bedeutet, dass dieses Vorstadium des Embryos noch nicht unter dem Schutz der Menschenwürde steht. Doch ist auch diese Testung die Basis für ein Lebensunwerturteil und insofern auch nicht ohne ethische Probleme.

2.2. Selektion „kranker“ Embryonen und Menschenwürde – Zum Unterschied von Pränataldiagnostik(=PND) und PID

Das gekennzeichnete empiristische Verständnis von Menschenwürde wird auch zur Rechtfertigung der Selektion von Embryonen mit genetischen und sonstigen Dispositionen für Krankheiten herangezogen. Die entscheidende Weichenstellung ist vollzogen, indem die Menschenwürde an Lebensqualitäten, vor allem hirnorganischer Art, gebunden und von ihrem Vorhandensein abhängig gemacht wird. Werden diese Lebensqualitäten mit einer mehr oder weniger gewissen Wahrscheinlichkeit nicht vorhanden oder auch nur mehr oder weniger gestört sein, so dürfen die entsprechenden Embryonen danach selektiert werden.

Basis dafür ist ein eindeutiges negatives Lebenswerturteil (Lebensunwerturteil) anderer über Menschenleben, das zur Rechtfertigung seiner Selektion und Tötung angeführt wird. Würde man solche Urteile rechtlich billigen, so besagt das, dass Lebensunwerturteile rechtfertigende Grundlage von Tötungshandlungen sein dürfen und rechtens sind, dass es also lebensunwertes bzw. menschenunwürdiges Leben gibt, dass Menschen solche Urteile über ihr eigenes und fremdes Leben fällen dürfen und daraufhin nach ihrem Ermessen über es verfügen dürfen. Damit ist eine Weichenstellung vollzogen, die sich nicht auf den Anfang des Lebens beschränken lässt, sondern schnell auch am Ende des Lebens eine Rolle spielen wird, nämlich dann, wenn aufgrund von Krankheiten und Abbau der Lebenskräfte diejenigen Lebensqualitäten, an die die Menschenwürde angeblich gebunden sein soll, nicht mehr gegeben sind. Es wird damit anerkannt, dass es „lebensunwertes“ Leben gibt, das den Eltern und auch ihm selbst und dann auch der Gesellschaft nicht zumutbar ist. Da dieses Urteil nicht von dem „selektierten“ Leben selbst, sondern von anderen über es gefällt wird, handelt es sich um eine Fremdverfügung mit Todesfolge, die im krassen Widerspruch zu Art. 3 des GG steht, der eine Diskriminierung wegen Krankheit, Behinderung und anderem verbietet. Wird die PID rechtlich erlaubt, so werden zugleich Lebensunwerturteile und darauf basierende Tötungshandlungen rechtlich gebilligt, sofern es sich um Tötung von Embryonen und damit von Menschenleben handelt. Aber auch wenn, wie bei der Polkörperchen-Diagnostik noch kein Embryo und damit Menschenleben definitiv entstanden ist, bleibt die ethische Problematik des Lebensunwerturteils und der Selektion bestehen.

Der Hinweis, dass das ja auch bei der Pränataldiagnostik mit folgender Spätabtreibung der Fall sei, trifft nicht zu, denn hier soll – wenigstens gemäß dem Gesetz – nicht die Behinderung und Krankheit und damit der Lebensunwert des Kindes, sondern allein der schon bestehende Konflikt zwischen den Lebensinteressen der Frau und dem Lebensrecht des Kindes ausschlaggebend sein und ausschließlich die Unzumutbarkeit eines Lebens mit einem behinderten Kind für die Frau rechtfertigender Grund für einen Schwangerschaftsabbruch sein und keinesfalls die Unzumutbarkeit der Behinderung für das Kind selbst und sein angenommener „Lebensunwert“. Dass dies eine rechtliche Konstruktion ist, die Lebensunwerturteile umgehen soll und die der Realität des Lebens nur sehr bedingt gerecht wird, ist sicher ebenso offensichtlich. Immerhin wurde hier das entscheidende Problem der Lebensunwerturteile klar in Blick genommen und zu umgehen versucht.

Ein solcher Konflikt zwischen zwei bereits existierenden Leben besteht bei der PID nicht ungewollt schon, sondern er wird erst durch menschliches, durch das Handeln von Ärzten bewusst erzeugt, auf der Basis der Wünsche und der Selbstbestimmung von Menschen (Eltern), die für sich nicht nur ein Recht auf ein Kind, sondern sogar auf ein gesundes Kind beanspruchen. Sicher kann dies und ist dies auch oft bei einer Abtreibung infolge pränataler Diagnostik der Fall. Wir haben aber keine rechtliche oder sonstige wirksame Handhabe, Eltern, die Träger genetischer Risken sind, die bewusste Zeugung von Kindern zu verbieten, wenn sie gleichzeitig mit dem Entschluss verbunden wird, es im Falle einer Behinderung abzutreiben. Der Konflikt wird dann in ethisch nicht zu billigender Weise bewusst erzeugt, indem eine „Schwangerschaft auf Probe“ eingegangen wird. Dies ist ethisch (und auch rechtlich) nicht zu rechtfertigen, aber auch rechtlich nicht zu verhindern. Hier bleibt letztlich nur die Möglichkeit, solche bewusst herbeigeführten Konfliktsituationen durch eine ethische Gewissens- und Bewusstseinsbildung zu verhindern, die zum Verzicht auf eine Schwangerschaft auf Probe bereit macht. Die PID führt zu einer „Zeugung auf Probe“ und Selektion von Menschenleben und ist, weil sie vermeidbar ist, ethisch ebenso abzulehnen wie die Schwangerschaft auf Probe, und, weil die Ärzte die Zeugung auf Probe durchführen, rechtlich kontrollierbar und daher rechtlich abzulehnen oder zu billigen.

Die entscheidende Weichenstellung, die mit einer rechtlichen Billigung der PID vollzogen würde ist also die, dass wir damit rechtlich anerkennen, dass es subjektiv wie objektiv lebensunwertes Leben gibt und dass Lebensunwerturteile nicht gegen das Grundgesetz verstoßen. Voraussetzung ist das gekennzeichnete veränderte Verständnis von Menschenwürde in Artikel 1 GG. Die Tragweite beider Schritte kann überhaupt nicht überschätzt werden. Lebensunwerturteile können nun konsequenterweise schnell auf geborenes Leben ausgedehnt werden. Und es ist nicht auszuschließen, dass diejenigen Menschen, die in unserer Gesellschaft mit Krankheiten leben, für die eine PID rechtlich zugelassen wird, dies als eine rechtliche Diskriminierung zu „lebensunwertem Leben“ empfinden, die durch Artikel 3 GG verboten ist.

2.3. Kinderwunsch und ärztliches Handeln bei der PID

Aber bei einer PID handeln nicht nur – wie bei der natürlichen Zeugung eines Kindes – eine Frau und ein Mann, sondern zugleich Dritte, Ärzte, deren Handeln nicht allein durch den Wunsch der Paare gerechtfertigt ist, sondern einer Rechtfertigung im Horizont der ärztlichen Standesethik, des Berufsrechts und vor allem der rechtlichen Billigung durch den Gesetzgeber bedarf. Ihr Handeln darf nicht gegen das Gesetz verstoßen. Die Ärzte, deren Handeln rechtlich kontrollierbar ist, erzeugen durch ihr Handeln erst bewusst eine Konfliktsituation und die Notwendigkeit, ein Lebensunwerturteil fällen zu müssen, und führen auf dieser Basis die Selektion durch. Die Herbeiführung dieser Konfliktsituation ist faktisch und rechtlich vermeidbar, ist kein unvermeidbares Schicksal, das der Staat durch seine Rechtsordnung nicht kontrollieren kann wie die „natürliche Zeugung“ und „Schwangerschaft auf Probe“. Ihre Herbeiführung ist eigentlich nur zu rechtfertigen, wenn es nicht nur ein Recht auf ein Kind, sondern auch ein Recht auf ein gesundes Kind gibt. Sind dazu alle Mittel recht, bis hin zur Leihmutterschaft? Aber bei wem wäre ein solches Recht einklagbar? Niemand kann ein Kind garantieren und erst recht nicht ein gesundes Kind. Dass ein Kind geboren wird, kann die Reproduktionsmedizin nicht garantieren, und dass ein gesundes Kind nach einer PID geboren wird auch nicht, nicht einmal für genetisch bedingte Krankheiten, geschweige denn für die viel zahlreicheren anderswie bedingten Krankheiten. Deshalb wird häufig zur PID auch noch eine Pränataldiagnostik in Anspruch genommen, nicht selten mit einem Schwangerschaftsabbruch als Folge. Es kann also kein einklagbares Recht auf ein Kind geben, sondern nur ein Recht auf natürliche Zeugung und Fortpflanzung. Insofern steht der Gesetzgeber nicht in der Pflicht, ein Recht auf Zeugung eines Kindes ohne Behinderung und Krankheiten zu ermöglichen.

Aus ethischer Sicht wäre hier in einer Gesellschaft, in der man immer mehr davon ausgeht, dass das Leben nach den eigenen Wünschen planbar und machbar sein muss und kann, an die Möglichkeit des bewussten Verzichts zu erinnern. Man gewinnt den Eindruck, dass der Verzicht aufgrund überindividueller ethischer Gesichtspunkte keine „ethische Option“ mehr ist. Warum müssen wir alles machen, was machbar ist? Und warum muss uns der Verzicht erst durch die technische Unmöglichkeit des Machens aufgezwungen werden? Bei höchstens 25% der Frauen, die die künstliche Befruchtung in Form der IVF in Anspruch nehmen, wird der Wunsch nach einem Kind Wirklichkeit. Bei der PID wird die Erfolgsrate wahrscheinlich noch geringer sein. Die weitaus größte Zahl der Kinderwünsche wird auf diese Weise nicht erfüllt, Der Verzicht wird diesen Menschen dann durch Erfolglosigkeit aufgezwungen. Es bliebe noch die Möglichkeit der Adoption und damit der Verzicht auf ein biologisch und genetisch eigenes Kind. Aber auch dieser Weg endet oft in dem aufgezwungenen Verzicht.

Psychologische Untersuchungen von Frauen, denen bei IVF kein Erfolg beschieden war, zeigen, dass diese Frauen sich, nachdem sie sich auf den Verzicht auf ein Kind eingestellt und ihn auch innerlich angenommen haben, sich in der Lebenszufriedenheit nicht von denen unterscheiden, die durch IVF ein Kind bekommen haben. Ein solcher innerlich angenommener und erst recht ein bewusster Verzicht auf die Inanspruchnahme der Reproduktionsmedizin ist wahrhaft Ausdruck von „reifer Autonomie“, die anerkennt, dass wir nicht „Herren“ über unser Lebensgeschick sind, dass das Leben oft und in Krankheit und Alter erst recht oft nicht nach unseren Wünschen gestaltbar und verfügbar ist, dass wir schwere Schicksale auch annehmen und tragen müssen und können. Das medizintechnische Wegmachen von „Leiden“, das oft wiederum neues Leiden erzeugt, kann und darf nicht der einzige Weg sein und bleiben, in denen wir unerfüllte Wünsche und krankheitsbedingte Krisen zu bewältigen versuchen. Wir dürfen Wünsche haben, aber sie verzweifelt um jeden Preis zu verfolgen, führt meist in eine tiefe Enttäuschung, weil die Erfüllung der entscheidenden Wünsche des Lebens, zu denen auch der Wunsch nach einem eigenen Kind gehört, letztlich nicht machbar sondern ein Geschenk ist. Es gibt und sollte auch andere Formen der Bewältigung eines schweren Schicksal geben als die des verzweifelten Kampfes gegen das Schicksal, nicht zuletzt die Annahme und das Ertragen des Geschicks, insbesondere dann, wenn die Erfüllung des Wunsches nur mit ethisch bedenklichen Mitteln erreichbar ist.

3. PID: Nur eine Methode, die schwere Einzelschicksale behebt? Oder PID als neues Mittel und neue Form der Eugenik?

Es wird oft der Eindruck erweckt, es ginge bei der PID nur darum, ein schweres Geschick einzelner Menschen zu beheben. Insbesondere weist man darauf hin, dass nicht nur der berechtigte Wunsch nach einem gesunden Kind durch sie – wenn auch nur zu einem geringen Prozentsatz – erfüllt werden kann, sondern dass auch eine „Schwangerschaft auf Probe“ und die für die Frau und alle Beteiligten belastende Spätabtreibung dadurch verhindert werden kann, die PID ihr gegenüber daher auf jeden Fall ethisch der Vorzug zu geben sei. Aber es ist kaum damit zu rechnen, dass die Zahl der Pränataldiagnosen mit einem Schwangerschaftsabbruch und Spätabtreibungen durch die PID in nennenswerter Weise gesenkt wird. Je mehr dies aber der Fall sein sollte, um häufiger muss die PID durchgeführt werden, was nicht nur im Interesse der betroffenen Frauen und Paare, sondern auch im ökonomischen Interesse der Anbieter dieser Leistungen (Reproduktionsmedizin) liegt.

Zugleich wird dann aber immer offensichtlicher, dass die PID eine Methode ist, die Geburt von Menschen zu verhindern, die genetische Dispositionen für Krankheiten tragen, und möglichst kein Kind zur Welt kommen zu lassen, dessen Krankheit oder Disposition für eine Krankheit man durch PID schon frühzeitig diagnostizieren kann. Die PID bietet sich damit als Methode an, kein vermeidbares Risiko einer Schwangerschaft mit einem kranken Kind und auch mit Dispositionen für Krankheiten mehr einzugehen. Und dazu gehören auch Krankheiten, die erst im fortgeschrittenen Lebensalter auftreten werden oder auch nur können, die also für die Eltern bis dahin überhaupt keine Belastung darstellen, die ihnen nicht zumutbar ist. Dann wird aber auch immer deutlicher, dass die PID nicht mehr nur eine Methode ist, individuelle Krankheiten und angeblich unzumutbare Belastungen für die Eltern zu verhindern, sondern eine neue Form der „liberalen Eugenik“ (Jürgen Habermas), die nicht nur dazu dient, den Eltern, sondern auch der Gesellschaft die Belastungen durch behinderte und unheilbar kranke Menschen zu ersparen. Das „therapeutische Objekt“ ist dabei nicht mehr nur die Frau mit Kinderwunsch, sondern ebenso die Gesellschaft. Sehr schnell könnte sich daraus ein gesellschaftlicher Druck entwickeln, die PID in Anspruch zu nehmen, um ein behindertes Kind als „Schadensfall“ für Krankenkassen und die Gesellschaft zu vermeiden. Die PID kann z.B. von Krankenkassen nach Kosten und Nutzen berechnet werden, und die Investitionen in die PID werden sich dabei schnell zu ungunsten eines Rechts auf Leben behinderter Kinder rechnen. Wer diese, das individuelle Lebensgeschick einer Frau übersteigenden Gesichtspunkte ausblendet, ist blind gegenüber den Eigengesetzlichkeiten einer sich immer mehr nach ökonomischen Gesichtspunkten organisierenden und ihren „Kunden“ Angebote unterbreitenden Medizin und dem Trachten nach einem glücklichen Leben, für das die Abwesenheit von Krankheiten und Gebrechen immer mehr als unabdingbare Voraussetzung betrachtet wird.

Sicher, man ist bemüht, solche Entwicklungen hin zur Eugenik zu vermeiden, doch zeigt ein Blick auf die Entwicklung der Pränataldiagnostik (=PND), dass ihr Anwendungsspektrum immer mehr in Richtung weniger schwerer Krankheiten und Behinderungen ausweitet wurde und zu Abtreibungen bis hin zu Spätabtreibungen führte, obwohl diese ein für viele Frauen sehr schweres bis traumatisierendes Geschehen sind. Dieses „Hindernis“ für eine Abtreibung eines schon weit entwickelten und von der Mutter stetig gefühlten lebendigen Kindes entfällt bei der PID. Hier wird allenfalls die belastende Methode der IVF und ihre geringe Erfolgsrate eine Barriere sein, die IVF mit einer PID in Anspruch zu nehmen. Aber eine stetige Ausweitung der Indikationen für eine PID in Richtung weniger schwerer Krank-heiten und auch für Krankheiten, die sich erst im fortgeschrittenen Lebensalter ausprägen, und für bloße Dispositionen für Krankheiten, die mit einer mehr oder weniger großen Wahrscheinlichkeit eintreten, wird gerade bei der PID nicht zu vermeiden sein. In unserem kulturellen Kontext wird man sich dann vielleicht auf die Grenze einigen, dass die PID nicht zur Auswahl des Geschlechts, vielleicht auch vorläufig noch nicht zur Auswahl positiver Eigenschaften eingesetzt werden darf, um eine Menschenzüchtung analog zur Tierzüchtung zu verhindern. Die Tendenz zur „liberalen Eugenik“ (J. Habermas), in der sich der Wunsch einzelner nach einem gesunden Kind mittels der PID und der Wunsch der Gesellschaft nach einer möglichst von behinderten und kranken Menschen freien Gesellschaft decken, wird langfristig wahrscheinlich kaum zu vermeiden sein.

Die PID soll nicht nur zur Diagnostik von Krankheitsrisiken, sondern ebenso zur Steigerung der geringen Erfolgsrate der IVF eingesetzt werden, indem man Embryonen, die sich makroskopisch und mikroskopisch in ihrer Anatomie und Entwicklung als nicht normal erweisen, nicht transferiert, sondern selektiert. Primäres Ziel ist dabei nicht, ein „gesundes Kind“ zu bekommen (was vorausgesetzt wird), sondern die Chance auf eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes zu erhöhen. Diese Form der PID soll dann im Grunde bei allen IVF angewandt werden und wird daher quantitativ die mit weitem Abstand größte Zahl der PID ausmachen. Zur ethischen Rechtfertigung führt man „therapeutische Gründe“ an. Es müssten dann nicht mehr drei Embryonen, sondern nur ein oder höchstens zwei Embryonen in den Mutterleib transferiert werden. Damit sinke das Risiko von Mehrlingsschwangerschaften, die für Mutter und Kinder ein erhöhtes medizinisches Risiko darstellen. Dies rechtfertige diese Form der PID. Vorausgesetzt wird dabei, dass, wer medizinische Risiken senkt oder gar heilt, (immer) recht hat, gleich welcher Art die Mittel sind, mit denen dieses Ziel erreicht wird.

Vielleicht gibt es eine Begrenzung der PID, die überprüfbar ist und längerfristig einer Entwicklung hin zur Eugenik widerstehen kann, die Begrenzung der PID auf Krankheiten, die zu spontanen Spätaborten oder die bald nach der Geburt zum Tod führen. Die Durchführung der PID ist bei diesen Krankheiten nicht wirklich mit der Bestreitung verbunden, dass die Embryonen unter dem eindeutigen Schutz der Menschenwürde stehen, und auch nicht mit einem Lebensunwerturteil. Über das Leben dieser Kinder ist im Grunde schon von der Zeugung an zum Tode entschieden, und zwar von einer „Instanz“, die sich menschlicher Verfügung entzieht. Sie sind nicht lebensfähig, und wenn sie lebend geboren würden, würde man auf Grund der Tödlichkeit der Krankheit („infauste Prognose“) auch keine lebensverlängernden medizinischen, sondern nur noch palliative Maßnahmen einsetzen. In diesem Fall kann man eingestehen, dass ein echter ethischer Konflikt besteht. Eine Schwangerschaft mit einem Kind, das bei der Zeugung schon dem Tod geweiht ist, wirft in der Tat die Frage auf, ob dies der Mutter zumutbar ist. Es gibt Frauen, die nach einer PND im Wissen um eine „infauste Prognose“ ihres Kindes dieses doch bis zum spontanen Abort oder zur Geburt austragen, auch, um nicht am Tod ihres Kindes „aktiv“ beteiligt zu sein. Dieser Entschluss ist ethisch sehr zu würdigen, aber dies kann wegen der enormen seelischen und körperlichen Belastungen kaum als allgemeine ethische Forderung erhoben werden. Eine PID mit Selektion der Embryonen mit solchen Krankheiten bleibt aber doch eine Form der „aktiven Tötung bzw. Sterbehilfe“, auch wenn die Tötung nicht aufgrund eines Lebensunwerturteils geschieht, sondern den schon unwiderruflichen Prozess zum Tode durch eine Selektion vor der Schwangerschaft beendet. Insofern bleiben auch gegenüber der PID in solchen Fällen erhebliche Bedenken und ist auf jeden Fall dem Verzicht auch auf diese Indikation zur PID der Vorzug zu geben.

4. Ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Möglichkeit der PID zu eröffnen?

– Wer Leiden beseitigt und krankes Menschenleben verhindert, hat nicht immer Recht!

Das gekennzeichnete liberale Verständnis von Menschenwürde als Fähigkeit zur Selbstbestimmung, als Autonomie, geht davon aus, dass der Staat die Freiheit des Menschen zur Lebensgestaltung nur dann einschränken darf, wenn erwiesen ist, dass dadurch anderen Menschen oder Gruppen der Gesellschaft oder dem Gemeinwohl eindeutig geschadet wird. Nun, der Erweis, dass das bei der PID der Fall ist, ist nicht einfach zu erbringen. Die Frage ist aber, ob er überhaupt erbracht werden muss und kann. Er könnte nur erbracht werden, indem man die PID vorher rechtlich billigt oder man auf die Erfahrungen mit der PID in anderen Ländern zurückgreift. Aber kaum ist je ein technisches Verfahren wieder aus der Welt geschafft worden, was einmal rechtlich gebilligt wurde. Insofern kann man, wenn man Menschenwürde nicht mit Autonomie gleichsetzt, umgekehrt fragen, ob durch ein Verbot der PID Menschen geschadet oder ihre Freiheitsrechte eingeschränkt werden oder ob das Verbot gar gegen ihre Würde verstößt. Dieser Erweis kann ebenso wenig erbracht werden.

Aufgabe des Gesetzgebers ist es, alles Menschenleben und die Rechte aller Menschen zu schützen. Durch die PID werden – wie dargestellt – die für die Achtung der Würde und Rechte aller Menschen und den Schutz allen Menschenlebens entscheidenden ethischen und rechtlichen Grundsätze in Frage gestellt, nämlich dass Menschenleben vom Beginn bis zum irdischen Ende seines Lebens unter dem Schutz der Menschenwürde steht, und das Verbot von Lebensunwerturteilen und auf ihnen basierender Tötungshandlungen. Es ist eine besondere Verpflichtung des Staates, die Rechte derjenigen zu schützen, die sich aufgrund ihres körperlichen und seelisch-geistigen Zustands nicht mehr selbst schützen können und deren Menschenwürde und Lebensrecht vielleicht sogar in Frage gestellt wird. Jede Aushöhlung dieser Rechte stellt eine Gefährdung des Lebens der schwächsten und schutzbedürftigen Menschen in der Gesellschaft dar.

Gerade die rechtliche Billigung von negativen „Lebenswerturteilen“ und entsprechenden Selektionsverfahren im vorgeburtlichen Bereich wird auf lange Frist – bei wachsendem sozial-ökonomischen Druck, der von den schwerstpflegebedürftigen, vor allem betagten Menschen ausgeht – nicht ohne Auswirkungen auf das geborene Leben, insbesondere auf behinderte und hirnorganisch geschädigte Menschen (z.B. schwere Demenzen) bleiben. Es entsteht also zugleich die Frage, ob solche Urteile und mit welchen Begründungen sie nur auf bestimmte Stadien am Anfang des Lebens begrenzt sein sollen, ob sie nicht auf alle Stadien des vorgeburtlichen und des geborenen Lebens, wenigstens aber auf alle Grenzbereiche des Lebens ausgedehnt werden dürfen, zumal Argumentationen, die in einem Bereich des Lebens und der Medizin als zutreffend anerkannt werden, in anderen, aber ähnlich gelagerten Lebenssituationen nicht grundsätzlich falsch sein können. So gesehen ist die Alternative zwischen einer Ethik, die Prinzipien geltend macht (z.B. uneingeschränkte Achtung der Würde, Verbot von Lebensunwerturteilen, Tötungsverbot), und einer (Verantwortungs-) Ethik, die von den Folgen her denkt (z.B. „Ethik des Heilens“), nicht aufrecht zu erhalten, denn das Insistieren auf der uneingeschränkten Beachtung dieser ethischen Prinzipien schützt insbesondere das Leben der Schwächsten und dient dem Gelingen des Lebens aller Menschen in der Gemeinschaft der Menschen, dient der „moralischen Gesundheit“ der Gesellschaft. Sie dienen dem Leben und schützen es vor Verfügungen anderer. Alle „Ethik des Heilens“ wurzelt daher in der Beachtung dieser ethischen Prinzipien und ist ihnen uneingeschränkt ein- und unterzuordnen. Sie dienen dem Schutz des Lebens aller Menschen, insbesondere des Lebens der schwächsten Menschen, die ihre (Menschen-) Rechte nicht oder nicht mehr selbst geltend machen können, dazu vielmehr des Gesetzes und der Anwaltschaft anderer bedürfen.

Die Humanität einer Gesellschaft zeigt sich weniger daran, ob wir diese oder jene Krankheit und Einschränkung des Lebens besser mit medizintechnischen Mitteln „wegmachen“ können, als vielmehr daran, wie die Gesellschaft mit den unheilbaren, chronisch kranken, behinderten und pflegebedürftigen Menschen umgeht. Eine Gesellschaft, die meint, sie könne eine Welt ohne Krankheiten und Behinderungen medizintechnisch oder sonst wie herstellen, und die dieses Ziel verfolgt, verfällt einer unheilvollen Utopie von einer Gesellschaft, die sich nur aus starken, gesunden und autonomen Menschen zusammensetzt. Schon allein die Utopie, dass sich der eine Fortschritt zur heilen Welt ohne Krankheiten und Leiden in den vielen einzelnen technischen Fortschritten in der Bekämpfung von Krankheiten vollziehen kann und wird, ist im Grunde inhuman, insofern man so nicht nur Krankheiten und Behinderungen nur als zu bekämpfende und „weg zu machende“ Zustände betrachtet, sondern im Grunde auch den unheilbaren und behinderten Menschen einen wirklich gleichrangigen Platz in der Gesellschaft verweigert. Diese Utopie ist diskriminierend, widerspricht insofern Artikel 3 des GG, stellt eine Gefährdung des Lebensrechts der schwächsten, behinderten und unheilbaren Menschen in einer Gesellschaft dar, die Gesundheit, Leistungs- und Genussfähigkeit und Jugendlichkeit glorifiziert.

Der bedeutende Arzt und Medizintheoretiker Victor von Weizsäcker hat in seiner Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS-Medizin darauf hingewiesen, dass der ungeheure Kampf der Medizin gegen Krankheit, Behinderung und Tod einerseits und die Ausmerzung angeblich „missratenen“ und „unheilbaren Menschenlebens“ nur die zwei Seiten ein und derselben Medaille seien, nämlich der Glorifizierung der Gesundheit als höchstes Gut und eines „transzendenzlosen“ Verständnis des Menschen, das den Menschen nicht mehr von Gott her ansieht, sondern nur in seinen immanenten empirischen Fähigkeiten, die seine Würde ausmachen sollen. Diese Sicht führe notwendig zur Kategorie des „lebensunwerten“ Lebens. Diese Äußerung sollte man nicht mit dem Hinweis abtun, dass zwischen der NS-Medizin und gegenwärtigen Tendenzen, z.B. zur „liberalen Eugenik“ (J. Habermas), keinerlei Beziehungen bestehen. Die PID stellt uns auch vor die Frage, welchen Platz behinderte und unheilbar kranke und pflegebedürftige Menschen in unserer Gesellschaft haben und in Zukunft haben sollen. Insofern sollte der Gesetzgeber sich jeder Gesetzgebung enthalten, von der eine Gefährdung der Menschenrechte dieser schwächsten Menschen ausgehen kann. Und dazu würde eine rechtliche Billigung der PID gehören. Die Freiheitsrechte des Einzelnen dürfen um dieses Guts willen eingeschränkt werden. Wer Leiden beseitigt und krankes Menschenleben verhindert, hat nicht immer Recht. Nicht jedes Mittel ist dazu recht und sollte erst recht nicht vom Gesetzgeber zum Recht erhoben werden.

Weiterführende Literatur des Verfassers zur PID:

Gentechnik und Embryonenforschung. Leben als Schöpfung aus Menschenhand?, Wuppertal (2002), 2. Aufl. 2005

Präimplantationsdiagnostik – Grundsätzliche ethische und rechtliche Probleme, in: Medizinrecht 21 (2003), S. 441 – 451

Prof. Dr. Ulrich Eibach, Bonn, Apl. Professor für Systematische Theologie und Ethik, Ev. Theol. Fak. der Universität Bonn; 1981- 2007 Pfarrer am Universitätsklinikum Bonn und Beauftragter der „Ev. Kirche i. Rhld.“ für Fortbildung und Fragen der Ethik in Biologie und Medizin.

Der Verfasser dieser Stellungnahme war über 30 Jahre Klinikseelsorger am Uniklinikum Bonn mit großen Abteilungen für Pränatalmedizin, Neonatologie und Reproduktionsmedizin. Er hat die Zeit miterlebt, als viele „Spätabtreibungen“ lebend zur Welt kamen (weit über die 22. Woche hinaus). Dann wurde der Fetozid im Mutterleib vor einem Schwangerschaftsabbruch zur Regel. Er hat mit vielen betroffenen Frauen /Paaren in solchen Situationen gesprochen und viele Aussegnungen von Spätabtreibungen vorgenommen. Er hat in der Neonatologie den Kampf ums Überleben von Frühgeborenen und schwer behinderten Säuglingen erlebt, die wesentlich schwerer behindert waren als die Föten / Säuglinge, die in der Pränatalmedizin wegen Behinderung abgetrieben wurden. Er hat die daraus entstehenden Konflikte und Wertungswidersprüche als belastend für Eltern, für Ärzte, Pflegekräfte, Hebammen und Seelsorger/innen erlebt. Und er hat sich auf diesem Erfahrungshintergrund selbst an der Diskussion über ethische Probleme der Pränatalmedizin und der PID durch zahlreiche Veröffentlichungen beteiligt.