Gemeindenetzwerk

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Notwendige Erneuerung

Donnerstag 3. Februar 2011 von Pastor Jens Motschmann


Pastor Jens Motschmann

Predigt: Notwendige Erneuerung (Römer 12,2)

„Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und  Vollkommene.“ (Römer 12,2)

Drei Aufforderungen enthält dieser Satz des Apostels Paulus, drei Ermahnungen. Vielleicht denkt jetzt jemand: Immer wird man in der Kirche ermahnt! Doch das griechische Wort für „Ermahnung“ bedeutet auch „Ermutigung“: Paulus will also ermutigen, wenn er schreibt: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und das Wohlgefällige und Vollkommene.“ Und dieses schreibt Paulus nicht einem einzelnen Gemeindeglied, sondern der Gemeinde in Rom. Es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, wie solche Aussagen, die nun fast 2.000 Jahre alt sind, auch für eine Gemeinde heute aktuell sind.

1.         Stellt euch nicht dieser Welt gleich!

Wie viele Gemeinden geben sich bewusst „weltlich“. Sie wollen den Menschen möglichst nahe sein, ihnen die „Schwellenangst“ vor der Kirche nehmen, damit sie leichter in die Kirche hineinkommen. Das kann allerdings so weit gehen, dass eine Gemeinde am Sonntagmorgen statt zum Gottesdienst zum gemütlichen Klönschnack bei Kaffee und Tee und Brötchen einlädt. Eine andere Gemeinde erregte Aufsehen, als sie im Gottesdienst einen Fahrradkünstler auftreten ließ, der vor dem Altar seine Fahrradkunststücke zeigte. Ich denke auch an einen Pastor, der seiner Gemeinde erklärt, dass man die Sache mit den Wundern und der Auferstehung Jesu in der Bibel nicht so eng sehen müsse, er glaube daran natürlich auch nicht. Das ist alles gut gemeint. Die lieben Mitmenschen sollen geistlich nicht überfordert werden. Aber was da gesagt und getan wird, ist genau das, was Paulus Anpassung an die Welt nennt.

Was ist eigentlich „Welt“ im Sinne der Bibel? Es ist nicht die Welt mit ihren Bergen und Tälern, Wiesen und Wäldern, Flüssen und Meeren, mit ihren Städten und Dörfern. Diese Welt sollen wir hegen und pflegen – und diese Welt, die gute

Schöpfung Gottes, die lieben wir auch von Herzen. Nein, Welt im Sinne der Bibel meint das Gebiet des Lebens, über das Jesus noch nicht Herr geworden ist, das fern von Christus ist oder sich seinem Einfluss entzogen hat. „Stellt euch nicht dieser Welt gleich.“

Das Wörtchen „Äon“, das hier im griechischen Urtext steht, kann mit „Welt“, aber auch mit „Zeit“ übersetzt werden. So übersetzt lautet der Satz: „Fallt nicht in das Schema der Zeit.“ Man könnte auch übersetzen: „Fallt nicht dem Zeitgeist zum Opfer.“ Das ist leichter gesagt als getan. Denn irgendwie hängen wir alle mehr oder weniger am Tropf des Zeitgeistes. Wir hängen mehr oder weniger von dem ab, was in unserer Zeit gerade Mode ist, was man so sagt und was man so denkt und was man so tut. Da ist es wieder: dieses nicht greifbare und doch allgegenwärtige „man“. Es ist der umgangssprachliche Ausdruck für das, was wir den Zeitgeist nennen.

Der große Dichter Johann Wolfgang v. Goethe hat das, was wir Zeitgeist nennen, so beschrieben: „Wenn eine Seite nun besonders hervortritt, sich der Menge bemächtigt und in dem Grade triumphiert, dass die entgegengesetzte sich in die Ecke zurückziehen und für den Augenblick im Stillen verbergen muss, so nennt man jenes Übergewicht den Zeitgeist, der dann auch eine Zeitlang sein Wesen treibt.“

Die Mehrzahl der Menschen wollen auf der Seite der Mehrzahl stehen. Warum? Weil sie ein starkes Harmoniebedürfnis haben. Bloß nicht auffallen, bloß nicht anecken, bloß nicht verspottet werden! Sondern dort sein, wo alle sind. Das schafft ein Gefühl der Sicherheit, der Geborgenheit. Aber machen wir uns nichts vor: Die Mehrzahl ist nun mal unchristlich. Da sind viele unheimlich nette Leute darunter, aber die meisten sind eben unchristlich. Und diese unchristliche Mehrheit wird gelenkt von Meinungsmachern, die ebenfalls in der Mehrzahl unchristlich sind. Diese mehrheitlich unchristlichen Leute sagen uns über Presse, Funk und Fernsehen, was wir zu tun und was wir zu lassen haben. Die sagen uns, was gut und was schlecht ist und – um diesen modernen Ausdruck zu gebrauchen -, was der sog. political correctness, der politischen Korrektheit, entspricht. Der Zeitgeist, die öffentliche Meinung, wirkt natürlich auch in die Gemeinden hinein.

Die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann hat in einem Buch sehr anschaulich beschrieben, was denen passiert, die eine auffällige Minderheiten-Meinung vertreten. „Wer anders denkt (als die Mehrheit, J. M.) ist nicht dumm, sondern schlecht.“ Wer es wagt, öffentlich zu sagen: Abtreibung in der Art und Weise, wie sie in unserem Land weithin betrieben wird, ist in vielen Fällen ein zum Himmel schreiender Skandal – oder Einreisende aus Aids verseuchten Ländern sollten sich einem Aidstest unterziehen – oder die wachsende Verwahrlosung von Jugendlichen und die Zunahme von kriminellen Straftaten unter Kindern und Jugendlichen in unserem Lande ist fast immer auch ein Ausdruck einer rücksichtslosen Selbstverwirklichung von Müttern und Vätern, die ihre Kinder sich selbst überlassen – wer das alles so ungeschminkt sagt, der wird rasch von gewissen Meinungsmachern als unmenschlich bezeichnet: So könne man – da haben Sie wieder dieses „man“ -, so dürfe man doch nicht reden. Doch ich sage es so. Und die Gemeinde muss der Ort sein und bleiben, wo die Wahrheit Gottes über diese Welt und über diese Zeit den Menschen klar und entschieden gesagt wird.

„Stellt euch nicht dieser Welt gleich!“ Wer zur Quelle des Lebens will, muss gelegentlich auch gegen den Strom schwimmen. Das mag auch mal unbequem sein, aber es ist hundertmal besser, weil wir wissen, dass nur auf der Treue gegenüber dem Wort Gottes Segen ruht und nicht auf der Anbiederung gegenüber dem Zeitgeist. Wie gesagt, das ist alles leichter gesagt als getan. Aber dieser Wandel von einem dem Zeitgeist hörigen, zu einem Gott gehorchenden Leben ist möglich. Und damit kommen wir zum zweiten Punkt:

2.        Ändert euch!

Paulus schreibt: „Ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes!“ In der vergangenen Woche erhielt ich aus Ihrer Mitte einen sehr freundlichen Brief, dem ein Zeitungsartikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Januar 2010 beigelegt war. Dieser Artikel trägt die Überschrift: „Warum der Aufruf, sein Leben zu ändern, so ziemlich ohne Belang ist“.

Der Beitrag beginnt mit den Worten: „Wann kann man sagen, ein Mensch habe sich verändert? Erweist sich nicht jede Zäsur (jeder Einschnitt, J. M.) als künstlich? Bleibt nicht… im Grunde alles gleich? Was soll das also heißen:

Du musst dein Leben ändern (Peter Sloterdijk)? So hätte Paulus nie und nimmer gesprochen. Denn er hatte ja an sich erlebt, dass sich ein Mensch von Grund auf ändern kann. Aus dem Christenhasser Saulus wurde ein begnadeter Apostel.

Aber selbst in der Kirche gab es Zeiten, wo so argumentiert wurde, als wäre eine Veränderung des Menschen „so ziemlich ohne Belang“. Ich erinnere mich, wie mich eine Diskussion während meiner Hamburger Studentenzeit in der Evangelischen Studentengemeinde Ende der sechziger besonders erregte. Das Leitungsgremium, der Evangelischen Studentengemeinden in der Bundesrepublik, hatte 1968 Leitsätze für die Arbeit der Kirche an den Universitäten und Hochschulen herausgegeben.

Einer dieser Leitsätze lautete: „Christlicher Glaube erwartet die Veränderung der Welt nicht von der Veränderung von Menschen, sondern von der Veränderung der Strukturen dieser Welt.“

Damit war gemeint:

Erst einmal alle Reichen enteignen, dann gibt es keinen Hunger mehr.
Erst einmal alle Waffen vernichten, dann gibt es keine Kriege mehr.
Erst einmal alle Autoritäten abschaffen, dann gibt es keine Unterdrückung mehr.

Das ist allerdings genau das Gegenteil von dem, was Paulus hier sagt. Wir werden die Strukturen dieser Welt nicht wesentlich verändern können, aber wir selbst können verändert werden – auf Christus hin und durch ihn. Und veränderte Menschen können dann auch – und sei es nur hier und da – die Strukturen dieser Welt unterlaufen und damit die Verhältnisse zum Guten hin verändern. Wir können – im Bilde gesprochen – die Wüsten nicht abschaffen, aber in den Wüsten dieser Welt Oasen anlegen. Und eine Gemeinde soll nach Gottes Willen eine solche Oase sein! Wir können – wiederum im Bilde gesprochen – nicht die Finsternis der Nacht abschaffen, aber wir können in der Dunkelheit ein Licht anzünden – und schon sieht unsere Umgebung anders aus. Eine Gemeinde – und jeder einzelne in ihr – kann und soll ein solches Licht für seine Umgebung sein! Das ist doch etwas Wunderbares, wenn eine Gemeinde diese Möglichkeit sieht und wahrnimmt: Wir dürfen ein Licht für andere sein, dürfen ihnen in ihren Lebensfragen Orientierung geben. Wir dürfen eine Oase sein, eine Auffangstation inmitten schwieriger Verhältnisse. Und es erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit, dass es diesen Geist auch in dieser Gemeinde gibt.

Christen sind Menschen, die sich sagen: Lieber kleine Schritte tun, als untätig auf die ganz großen Lösungen zu warten. Christen sind vor allem Menschen, die nicht immer alles von andern erwarten, sondern bei sich selbst anfangen.

„Erneuerung des Sinnes“ – das können wir nicht von uns aus. Darum steht hier wörtlich übersetzt: „Lasst euch umgestalten durch Erneuerung des Sinnes.“

Wir können nur Gott darum bitten, dass sein Geist uns verwandeln möchte. Und dann kann es geschehen. Dann wachsen in uns die Früchte des Geistes, wie Paulus an anderer Stelle, etwa im Galaterbrief sagt: „Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit… Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln.“ (Galater 5, 22 – 25) Leben wir so? Paulus sagt darum:

3.       Prüfet, was Gottes Wille ist!

Wir prüfen ja vieles, ehe wir uns darauf einlassen. Ich traf neulich einen, der seit 9 Jahren verlobt ist. Finden Sie nicht auch – eine ziemliche lange Zeit für eine Verlobung? Und er prüft immer noch, ob seine Verlobte zu ihm passt. Auch unsere Behörden sind ja sehr kritisch und prüfen sorgfältig, wenn es um Fragen der Lebensqualität geht. Das ist ja auch wirklich wichtig. Da werden die Lebensmittel geprüft, ob sie den amtlichen Vorschriften entsprechen. Da wird das Wasser geprüft, ob es sauber genug ist. Da wird die Luft geprüft, ob sie nicht zu stark mit Kohlen- und Schwefeldioxid zum Beispiel belastet ist. Da wird der Boden geprüft, ob er nicht womöglich verseucht ist. Da werden Gebäude auf Asbest untersucht. Da soll demnächst geprüft werden, ob die in dem stillgelegten, aber einsturzgefährdeten Bergwerk Asse eingelagerten 120.000 Fässer mit radioaktivem Müll in ein anderes Bergwerk gebracht werden können. Da wird geprüft, geprüft und nochmals geprüft! Wir wollen ja, wenn irgend möglich, gesund leben. Ich auch! Aber dazu gehört mehr als ein frisches Ei von gesunden Freilandhennen zum Frühstück, Milch von glücklichen Kühen, Brot und Fleisch und Gemüse ohne chemische Behandlung und im übrigen jedes Jahr eine ärztliche Vorsorgeuntersuchung.

Nochmals: das alles ist gut und notwendig. Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Wer prüft denn all die anderen Dinge, die der Mensch konsumiert, die Geist und Seele vergiften können – und von daher verheerende Folgen haben, bis in den körperlichen Bereich hinein? Wir müssen schon tiefer loten. Und darum die Frage: Prüfen wir auch, was Gottes Wille ist, wenn es um unsere Lebensprobleme geht? Prüfen wir, was Gottes Wille ist, wenn wir jeden neuen Tag, den Gott uns gibt, überdenken? Was ist Gottes Wille? Man braucht dazu nicht unbedingt dauernd die Bibel aufzuschlagen. Es genügt schon, wenn ich mich frage, kann das, was ich jetzt sage oder tue vor Gottes Geboten bestehen? Und diese Gebote kenne ich doch, selbst dann, wenn ich nicht unbedingt bibelfest bin, weiß ich:

Dass Gott an erster Stelle in meinem Leben stehen soll,
dass ich meine Eltern ehren soll,
dass ich nicht töten darf,
dass ich nicht eine andere Ehe zerstören darf,
dass ich nicht stehlen soll,
dass ich nicht lügen soll – ja,
dass schon das Begehren dessen, was ein anderer hat, mich von Gott wegbringen kann.

Diese Gebote sind der unüberbietbare Prüfstein für mein Leben. Wenn ich sie beachte und danach lebe, habe ich es gut. Denn ich halte mir dadurch viele Probleme vom Halse. Ich lerne Nichtiges vom Wichtigen zu unterscheiden. Ich lasse das Nichtige los und halte das Wichtige fest. Und ich finde darüber den Frieden, der nur aus der Treue gegenüber Gott wachsen kann.

Aber nun muss ich ehrlicherweise etwas zugeben, nämlich dieses, dass ich mir manchmal etwas vormache, dass ich meinen wirklichen Zustand vor Gott nicht richtig sehe. Darum – auch darum! – ist die Gemeinde für mich und für jeden von uns so notwendig. Der Mensch, der damit rechnet, dass er in allen Fragen selber klarkommt, steht in der Gefahr sich zu verrechnen. Wir sind keine religiösen Selbstversorger, wir brauchen die Gemeinde, wir brauchen andere Christen, sowohl zur Korrektur als auch zur Ermutigung auf unserem Weg. Paulus sagt: Wir sollen prüfen, „was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ Das Gute ist Gottes Wille. Es geht nicht darum, ob ich mich gut fühle, sondern ob das, was ich denke oder tue, Gott entspricht und ob die Gemeinde der Ort ist, an dem Gott für das Gute, dass er uns gibt, gedankt wird. Das Wohlgefällige ist Gottes Wille. Es geht nicht darum, ob ich Wohlgefallen oder Wohlwollen errege, sondern ob durch die Gemeinde und dadurch auch durch mich, Gottes Wollen zum Zuge kommt. Das Vollkommene ist Gottes Wille. Nicht irgendeiner von uns ist vollkommen. Aber die Gemeinde ist der Ort, wo wir uns diese Tatsache im Lichte der Wahrheit Gottes und unter dem Kreuz getrost eingestehen können,und dann auch herzlicher und weniger verklemmt miteinander umgehen können. Ich sage „können“ – manche machen davon noch viel zu wenig Gebrauch.

Ich schließe: Jeder von uns, aber auch wir alle als Gemeinde, brauchen die notwendige Erneuerung, die uns Paulus mit diesen Worten ans Herz legt: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und das Wohlgefällige und Vollkommene.“

 Amen.

Pastor Jens Motschmann, Bremen am 17.01.2010, zweiter Sonntag nach Epiphanias

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 3. Februar 2011 um 16:49 und abgelegt unter Predigten / Andachten.