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Gescheitert: Warum das Elterngeld sein Ziel verfehlt

Dienstag 16. November 2010 von Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.


Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.

Gescheitert: Warum das Elterngeld sein Ziel verfehlt

Dem Elterngeld liegt ein Grundprinzip des „homo oeconomicus“ zugrunde: Zeit ist Geld. Ökonomen sprechen von „Opportunitätskosten“: Sie entstehen, wenn Eltern Zeit nicht in die Erwerbstätigkeit, sondern in die (unbezahlte) Erziehung ihrer Kinder investieren. Kinder seien deshalb für ihre Eltern umso teurer, je besser die Verdienstchancen ihrer Eltern sind. Um die „Nachfrage nach Kindern“ zu erhöhen, soll das Elterngeld als Lohnersatz ein Jahr lang (Baby-Pause) diese Opportunitätskosten senken (1). Verteilungspolitisch bedeutet dies: „Wer hat, dem wird gegeben“ – gutverdienende Frauen erhalten wesentlich mehr für ihr Kind als nicht erwerbstätige oder gering verdienende Mütter. Gleichzeitig strich die Regierung das Geringerverdienenden zwei Jahre lang gezahlte Erziehungsgeld, um den Druck auf Eltern zu einer schnelleren Rückkehr in den Erwerbsberuf zu verschärfen (2). Mehr erwerbstätige Mütter und mehr Kinder waren die Planvorgaben der Bundesregierung beim Wechsel vom Erziehungs- zum Elterngeld. Mehr „Effekte“ durch weniger Gerechtigkeit lautet die Hintergrundphilosophie (3).

Sie markiert einen grundlegenden Perspektivenwechsel: Zwar wollten Arbeitsmarkt- und Gleichstellungspolitiker(innen) immer schon eine stärkere Erwerbsbeteiligung von Müttern. Geburten zu fördern galt dagegen in der breiten Öffentlichkeit als „reaktionäres“ Ansinnen und war damit schlicht indiskutabel. Die Bundesregierung begründete deshalb familienpolitische Leistungen bis vor wenigen Jahren stets mit besseren Lebensbedingungen für (benachteiligte) Familien, dem Kindeswohl, der Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf und der Lastengerechtigkeit zwischen Eltern und Kinderlosen; jedoch nie mit dem Ziel Geburten zu fördern (4). Das Elterngeld begründete die Bundesregierung dagegen explizit mit der niedrigen Geburtenrate in Deutschland. Als zentrale Ursache des Kindermangels erkannte sie, dass viele Frauen bzw. Paare die Entscheidung für die Familie immer länger hinauszögerten, nicht selten bis es für Kinder „zu spät“ war (5). Tatsächlich ist das Alter bei der Geburt erster Kinder seit den 1970er Jahren von unter 25 auf inzwischen über 30 Jahre drastisch angestiegen. Mit diesem Geburtenaufschub verbunden sinkt die Zahl der von jungen Frauen unter 30 Jahren geborenen Kinder: Allein seit Beginn der 1990er Jahren ist sie um mehr als 40% eingebrochen. Auch die gestiegene Zahl der Geburten von Frauen über 30 Jahren konnte diesen Rückgang nicht ausgleichen, so dass insgesamt immer weniger Kinder zur Welt kamen: Im Jahr 2009 erreichte die absolute Geburtenzahl in Deutschland den niedrigsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg (6). Der vom Ausbau der Kindertagesbetreuung (2005) und vom Elterngeld (2007) erhoffte Geburtenaufschwung blieb aus.

Eine Hauptursache dafür war eben der seit 2006 noch beschleunigte Rückgang zu immer weniger Geburten von Frauen unter dreißig Jahren. Das Elterngeld fördert diesen Negativtrend: Denn um den Lohnersatz zu optimieren, müssen Paare die Geburt solange aufschieben bis beide Partner beruflich etabliert sind und gut verdienen (7). Junge Eltern, besonders Mütter, die sich früh für Kinder entscheiden, haben dagegen das Nachsehen, wie die amtliche Statistik beweist (8). Junge Frauen zwischen 20 und 30 Jahren dürften sich daher künftig (noch) seltener für ein (erstes) Kind entscheiden. Je später jedoch das erste Kind zur Welt kommt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass weitere Kinder folgen (9). Das von der Bundesregierung proklamierte Ziel „mehr Kinder in die Familien und mehr Familie in die Gesellschaft zu bringen“ droht zu scheitern. Ungerechtigkeit indiziert, wie das Elterngeld eindrucksvoll zeigt, noch lange keine (demographische) Effektivität.

(1) „Die Begründung für die Einführung des Elterngelds basiert auf dem Opportunitätskosten-Prinzip. Um die Nachfrage nach Kindern und damit die Fertilitätsrate zu erhöhen, müssen die Opportunitätskosten von Kindern verringert werden“. Siehe: Sandra Gruecu/Bert Rürup: Nachhaltige Familienpolitik, S. 3-5, in: Aus Politik und Zeitgeschichte – 23-24/2005, S. 3 und S. 5.

(2) „Eine Verkürzung der (unbezahlten) Elternzeit auf z. B. den Zeitpunkt des vollendeten zweiten Lebensjahres erscheint heute nicht angebracht, da die Kinderbetreuungsmöglichkeiten (zumindest in den alten Bundesländern) noch lange nicht ausreichend sind, um der Mutter einen Wiedereinstieg in den Beruf nach Vollendung des zweiten Lebensjahres zu ermöglichen. Längerfristig sollte aber darauf gezielt werden, die Erwerbsunterbrechung der Eltern, insbesondere der Mütter, relativ kurz zu halten, um der Entwertung des Humankapitals und damit einer Dequalifizierung entgegenzuwirken.“ Vgl. ebd., S. 5.

(3) Die ZEIT schrieb treffend, dass es der Elterngeldpolitik nicht mehr um Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich, Eltern und Kinderlosen, sondern um quantitativ-ökonomisch definierte „Ergebnisse“ ginge. Vgl.: Jonas Vierring: Her mit dem Kind – Kommt wegen des neuen Elterngelds mehr Nachwuchs? Wohl kaum. Aber mehr Mütter können berufstätig sein, in: DIE ZEIT vom 14.06.2006, http://www.zeit.de/2006/25/Elterngeld_xml.

(4) Beispielhaft hierfür ist die folgende Aussage: „Die Entscheidung für ein Kind ist eine persönliche Angelegenheit, in die der Staat nicht unmittelbar eingreifen darf. Die Bundesregierung hält es allerdings für notwendig, eine kinderfreundlichere Umwelt zu schaffen und die Lebensbedingungen für Familien zu verbessern. Die familienpolitischen Leistungen und Vorhaben werden um des Wohles der Familien und ihrer einzelnen Mitglieder betrieben. Das schließt nicht aus, dass von solchen Maßnahmen auch Wirkungen auf die Geburtenentwicklung ausgehen können.“ Siehe: Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Sachverständigenkommission für den Dritten Familienbericht, S. 3-19, in: Die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland (Dritter Familienbericht), Bundestagsdrucksache 8/3120, Bonn 1979, S. 9. Zu den Zielen der Familienpolitik der „Ära Kohl“: Stellungnahme der Bundesregierung zum Fünften Familienbericht, III-XXXIV, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland ? Zukunft des Humanvermögens (Fünfter Familienbericht), Bundestagsdrucksache 12/7560, Bonn 1995.

(5) Siehe: Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes v. 20.6.2006, Bundestagsdrucksache 16/1889, S. 1-2.

(6) Siehe hierzu Abbildung unten: „Geburtenentwicklung nach Alter der Mütter“.

(7) Davor warnte der Erfurter Staatsrechtler Christian Seiler schon in der Bundestagsanhörung zum Elterngeldgesetz. Vgl.: Christian Seiler: Stellungnahme zum Elterngeld vor dem Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ausschussdrucksache, 16(13)81g, S. 8-9.

(8) Siehe Abbildung unten „Elterngeldbezüge nach Altersgruppen.“ 

(9) Siehe hierzu: http://www.i-daf.org/143-0-Woche-14-2009.html.

 

 

IDAF,Nachricht der Wochen 45-46 / 2010 (www.i-daf.org)

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 16. November 2010 um 11:03 und abgelegt unter Demographie, Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik.