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Die babylonische Sprachverwirrung und das Sprachwunder zu Pfingsten

Samstag 16. Oktober 2010 von Dr. Joachim Cochlovius


Dr. Joachim Cochlovius

Die babylonische Sprachverwirrung und das Sprachwunder zu Pfingsten

Nach 1. Mose 11,1 hatten die Menschen, die sich in Mesopotamien gelagert hatten, eine einzige Sprache. Woher kam sie? Da die menschliche Sprache genauso wie der Geist kein menschliches Produkt und auch keine Kulturleistung der Völker darstellt, muß sie als eine besondere Gabe Gottes an die Menschheit verstanden werden. Der redende Gott gibt dem zur Gottesebenbildlichkeit berufenen Menschen Anteil am Wunder der Sprache. Indem Gott Adam mit göttlichem Geist ausstattete, übertrug er ihm auch die Sprachfähigkeit (1. Mose 2,7), indem er mit Adam sprach, brachte er ihn zum Reden (1. Mose 2,16f.). Und indem Adam mit Eva sprach, weckte er ihre Sprachgabe. Diese Initialzündungen wiederholen sich seitdem millionenfach auf der Welt, wenn Eltern zu ihrem noch ungeborenen Kind sprechen und dann mit den Neugeborenen das Sprechen einüben.

Die menschliche Sprache ist ein unmittelbarer Ausdruck der Gottesebenbildlichkeit. Dies zeigt sich besonders an ihrer Macht, im Guten wie im Schlechten. So wie Gottes Wort schöpferisch ist und das bewirkt, was es soll (Ps. 33,9), so vermag auch der Mensch seine Sprache schöpferisch einzusetzen und damit Menschen und Verhältnisse zu ändern. Mit geistlichen Liedern können wir uns gegenseitig ermuntern und uns aus Traurigkeit befreien (Eph. 5,19), mit freundlicher, wahrhaftiger Rede können wir glaubensfernen Menschen das rechte Wort zur rechten Zeit sagen (Kol. 4,6), mit dem Feuer einer bösen Zunge können wir uns aber auch selber beflecken und schwerstes Unheil anrichten („die ganze Welt anzünden“ Jak. 3,5f.).

Welch eine geradezu dämonische Macht die Sprache entwickeln kann, wenn sie von gottlosen Menschen demagogisch eingesetzt wird, kann man nicht nur in der jüngeren deutschen Geschichte, sondern bei den Ideologen unserer Zeit immer wieder und weltweit studieren. Besonders dort, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, wird die demagogische Rede hochgefährlich. Eine Menschheit, die sich wie damals an Euphrat und Tigris eng zusammenschließt, wird schnell zum Spielball der Wortverführer. Das hat die Geschichte oft genug gezeigt. Die von Gott in Babel verfügte Sprachverwirrung kann deswegen durchaus auch als Bewahrung vor Verführung gewertet werden.

Die einheitliche Sprache der Menschen damals vor den Turmbaugeschehnissen war also letztlich die noch vom ersten Menschenpaar und damit von Gott selbst herstammende Sprach- und Ausdrucksform. Alle Menschen, die vor dem Turmbau gelebt haben, verstanden unter den Lauten und Worten das gleiche. Wenn sie Gottes Gebot, die Erde zu füllen, gehorsam umgesetzt hätten, wäre ihnen überall auf der Welt diese eine gemeinsame Form der Kommunikation erhalten geblieben. Gott hätte in dieser einen Sprache zu ihnen reden können, und sie hätten ihn verstanden, so wie Noah und seine Söhne Gottes Reden verstanden haben (1. Mose 9,1-17). Bei aller Tragik des Vertriebenseins aus dem Paradies wäre den Menschen damit wenigstens noch die sprachliche Kommunikation mit Gott erhalten geblieben.

Der Verlust der gemeinsamen Sprache war also eine ähnlich umfassende Katastrophe wie die Sintflut. Diese vertilgte mit Ausnahme der Familie Noahs die gesamte Menschheit, jene zerstörte das Verstehen Gottes und das gegenseitige Verstehen. Aber auch an Katastrophen kann man sich gewöhnen. Die Menschen haben sich längst mit der Sprachverwirrung abgefunden und können sich gar nicht mehr vorstellen, was ihre frühere gemeinsame Sprache für ein Schatz gewesen sein muß. Vielleicht fällt es uns auch deswegen so schwer, das Sprachwunder beim Pfingstgeschehen zu begreifen.

Nach diesen Überlegungen zur Urgeschichte verfolgen wir die babylonische Sprachverwirrung im Licht der weiteren heilsgeschichtlichen Entwicklung. Immer wieder hat Gott zur Zeit des Alten Testaments zu einzelnen Menschen aus Israel und hin und wieder auch zu einzelnen Heiden durch den Heiligen Geist gesprochen. Die Heilige Schrift ist voller Zeugnisse davon. Wie oft heißt es „und das Wort des Herrn geschah“! Aber die Zeit, da die Menschen auf der Erde Gottes Sprache allgemein verstanden, war seit Babel endgültig vorbei. Man könnte fast meinen, daß es immer so bleiben wird, solange Menschen auf der Erde wohnen. Doch diese Annahme wäre ein Irrtum.

Wenn wir in das letzte Buch der Bibel blicken, finden wir große Versammlungen erlöster Menschen vor dem Thron Gottes bzw. auf dem Berg Zion oder am gläsernen Meer, die dort in Wort und Lied Gott rühmen und ihm die Ehre geben (Offb. 7,9ff.; 14,1ff.; 15,2ff.; 19,6ff.). Da drängt sich die Frage auf, in welcher Sprache sie sich eigentlich kundtun. Ihre irdische Muttersprache kann es nicht sein, denn dann hätte der Seher Johannes nur ein heilloses Sprachengewirr gehört, nicht aber den Wortlaut ihrer Lobgesänge vernommen. Diese Menschen haben zweifellos die Sprache Gottes wiedergewonnen, die Gott der Menschheit in Babel genommen hatte. Oder werfen wir einen Blick in das Neue Jerusalem. Den Märtyrern dort werden die Tränen abgewischt. Christus wird ihr Gott sein. Sie werden mit ihm regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit (Offb. 21,3ff.; 22,5). Es ist schlecht vorstellbar, daß dies alles ohne Sprache geschieht. Auch im Neuen Jerusalem sprechen also die Menschen mit Christus und Christus mit ihnen, und diese Verständigung wird nicht in vielen irdischen Sprachen geschehen, sondern in einer einzigen himmlischen Sprache.

Wenn Paulus vom Bürgerrecht der Gemeinde Jesu im Himmel und von der Verwandlung unseres Leibes spricht (Phil. 3,20f.) und daß wir dann allezeit beim Herrn sein werden (1. Thess. 4,17), wird dieser neue Leib ebenfalls die Fähigkeit haben, mit Gott auf ganz direktem Weg zu reden und seine Sprache zu verstehen. Ein geistlicher Leib ist in der Lage, Gottes Sprache zu sprechen und zu verstehen (1. Kor. 15,44).

Wir finden also im Neuen Testament drei endgeschichtliche Situationen vor, wo Menschen die Sprache Gottes wieder sprechen: die Märtyrer vor dem Thron Gottes, die Märtyrer im Neuen Jerusalem und die erlöste Gemeinde Jesu im Himmel.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen können wir jetzt das Ereignis betrachten, das neben der babylonischen Sprachverwirrung wie kein anderes Sprachgeschichte geschrieben hat. Es geht um das Pfingstgeschehen. Was damals in Jerusalem geschehen ist, war in vieler Hinsicht außergewöhnlich, aber der gewichtigste Aspekt dieses Sprachwunders ist die eschatologische Aufhebung der babylonischen Sprachverwirrung.

Betrachten wir den Hergang des Pfingstereignisses. Was geschah damals in Jerusalem vor den anwesenden Juden und jüdischen Proselyten aus der Diaspora? Die Schar der etwa 120 jüdischen Männer und Frauen, aus denen sich nach Pfingsten die erste christliche Gemeinde bildete, war anläßlich des jüdischen Wochenfestes in einem Haus in Jerusalem versammelt. Die Zeichenhandlung des Auferstandenen, als er die Jünger anblies und ihnen den Heiligen Geist verhieß (Joh. 20,22) wie auch deren Bekräftigung bei der Himmelfahrt (Ag. 1,8) stand ihnen deutlich vor Augen. Sie wußten, daß sie den Heiligen Geist empfangen sollten. Aber wann und wie die Verleihung des Heiligen Geistes geschehen würde, wußten sie nicht. Doch dann geschah das Wunder. Sie wurden alle in einem Augenblick mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, „mit anderen Zungen“ zu reden, so wie es der Geist ihnen eingab (Ag. 2,4).

Die Frage, in welcher Sprache sie „mit anderen Zungen“ redeten, ist nicht ohne weiteres zu beantworten. Die gängige Auslegung, daß sie in verschiedenen Fremdsprachen redeten, ist problematisch, denn ein gleichzeitiges Reden in verschiedenen fremden Sprachen ist schwer vorstellbar und wäre akustisch ein großes Kauderwelsch gewesen, bei dem schließlich niemand eine zusammenhängende Botschaft hätte heraushören können. Die anwesenden Juden und Proselyten verstanden jedoch die Rede in ihren verschiedenen Heimatsprachen genau und erkannten, daß hier die großen Taten Gottes gerühmt wurden (Ag. 2,11).

Das Pfingstwunder erklärt sich deswegen am besten so, daß die mit dem Geist erfüllten ersten Christen nicht verschiedene Fremdsprachen, sondern eine einzige Sprache, nämlich die Sprache Gottes redeten, also die Sprache, die den Menschen seit Babel abhanden gekommen war. Die Zuhörer verstanden diese Sprache deswegen, weil der Heilige Geist auch an ihnen handelte und ihnen, während die Christen redeten, deren Rede in ihre eigene Muttersprache übersetzte. Wir haben also zu Pfingsten genau genommen ein doppeltes Wunder vor uns. Der Heilige Geist wirkte an den Redenden und an den Hörenden gleichzeitig.

Wenn wir nun den Inhalt der geistgewirkten Rede betrachten, stellen wir fest, daß sie keine Ansprache an die anwesenden Juden und Proselyten war, sondern ein Gotteslob bzw. ein Gebet. Die „großen Taten Gottes“ wurden gerühmt (Ag. 2,11). Das Sprachwunder diente der Schar der ersten Christen dazu, ihren ersten Gottesdienst nach dem Empfang des Geistes zu feiern. An diesem Gottesdienst muß jeder christliche Gottesdienst Maß nehmen, genauso wie es die Apostel dann auch selber getan haben. Die in der Apostelgeschichte überlieferten Predigten bzw. Predigtkonzepte sind nichts anderes als Lobpreisgottesdienste der großen Gottestaten.

Die ersten Christen bekommen mit ihrem Sprachwunder aber auch gleichzeitig eine Lektion über die eigentliche und tiefste Zweckbestimmung der Sprache Gottes. Diese geheimnisvolle Sprache, die seit Babel von keinem Volk mehr gesprochen wurde, ist in erster Linie eine Ausdrucksform für Huldigungen Gottes. Man könnte – noch weitergehender – formulieren, daß Adam und Eva von Gott die Sprache geschenkt bekamen, damit sie mit Herz und Mund Gott ehren konnten.

Damit sind wir bei der Frage angekommen, was die bleibende, tiefere Bedeutung des Sprachwunders zu Pfingsten ist. Petrus selber gibt hier die beste Antwort. In seiner Pfingstpredigt Ag. 2,14ff. zitiert er den Propheten Joel und erklärt das Sprachwunder als Voraberfüllung endgeschichtlicher Ereignisse. Es bildet also Geschehnisse ab, die bei der Wiederkunft Christi stattfinden werden. Im einzelnen sind dies:

1.) Gott wird nach der Wiederkunft Christi und den damit verbundenen Gerichten seinen Geist auf alle Menschen ausgießen („alles Fleisch“). Im alten Äon, vor Christi Kommen, empfangen den Geist nur diejenigen, die dem Evangelium gehorchen und Jesus Christus im Glauben vertrauen. Die im neuen Äon lebenden Menschen werden dagegen alle Geistträger sein. 2.) Die Nachkommen des Volkes Israel („eure Söhne und eure Töchter“) werden im neuen Äon als Priester- und Königsvolk, erfüllt mit dem Heiligen Geist, Gott in der Sprache Gottes anbeten und ehren („sie sollen weissagen“). 3.) Vor Christi Wiederkunft wird es besondere Zeichen am Himmel und der Erde geben. 4.) Wer in dieser Umbruchszeit den Namen Christi anrufen wird, soll errettet werden.

Das Sprachwunder zu Pfingsten ist also als ein Zeichen zu interpretieren, das auf die Wiederkunft Christi und den damit verbundenen Umbruch der Zeiten hinweist. So wie die Schar der 120 ersten Christen zu Pfingsten gewürdigt worden ist, die Sprache Gottes neu sprechen und auf diese Weise Gott loben zu dürfen, so wird einst das ganze Volk Israel im neuen Äon in dieser Sprache Gott ehren.

Wir dürfen jedoch, wenn wir das Phänomen des Sprachwunders richtig verstehen wollen, nicht beim Pfingstfest stehen bleiben. Es geschah nach dem Zeugnis des N.T. auch noch an anderen Orten. In Cäsarea wurden Heiden mit der Sprache Gottes beschenkt (Ag. 10,46), und in Ephesus Jünger des Johannes (Ag. 19,6). Und schließlich auch in Korinth, wo einzelne in der Gemeinde ebenfalls „mit anderen Zungen“ Gott loben und andere diese Sprache ins Griechische übersetzen konnten (1. Kor. 12-14). Das Sprachwunder trat also zur Zeit des N. T. an wichtigen Missionsknotenpunkten der jungen christlichen Kirche auf.

Wir fassen zusammen: Nachdem seit der babylonischen Sprachverwirrung die Völker die ursprüngliche einheitliche Menschheitssprache, die sie mit Gott und untereinander verbunden hatte, verloren hatten, wird der ersten christlichen Gemeinde durch ein besonderes Wirken des Heiligen Geistes diese Sprache zeichenhaft wiedergeschenkt. Ebenfalls durch ein Wunder vermochten die anwesenden Juden und Proselyten diese Sprache zu verstehen. Anschließend wurde sie und die Fähigkeit der Übersetzung noch weiteren Juden und Heiden zuteil. Mit diesem Sprach-, Hör- und Übersetzungswunder gab Gott der christlichen Gemeinde einen Hinweis auf bestimmte mit der Wiederkunft Christi verbundene Großereignisse. Im neuen Äon wird die Sprachverwirrung überwunden sein. Das erneuerte Volk Israel wird die Sprache Gottes wieder sprechen, und die Völker, die zum Neuen Jerusalem pilgern, werden sie verstehen (vgl. auch Karl Bornhäuser, Das Pfingstwunder, in „Studien zur Apostelgeschichte“, Gütersloh 1934).

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Samstag 16. Oktober 2010 um 22:28 und abgelegt unter Theologie.