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Je mehr Staat, desto weniger Kinder

Montag 14. Juli 2008 von pro Christliches Medienmagazin


pro Christliches Medienmagazin

Je mehr Staat – desto weniger Kinder
Interview mit Prof. Dr. Gerd Habermann

Er ist kein Freund einer „Schönredepolitik“: Gerd Habermann, Hochschullehrer und Publizist. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der Frage der Familienpolitik – und kritisiert eine Verstaatlichung der Familie. Wir haben mit Gerd Habermann über dessen Thesen und Kritik an der Politik gesprochen.

pro: Herr Professor Habermann, Sie sehen in Deutschland eine „Familienverstaatlichung“, die durch gezielte Maßnahmen die Familie durch „künstliche Organisationen“ zu ersetzen sucht. Ist das das neue Leitbild der gegenwärtigen Familienpolitik? Wie begründen Sie Ihre Diagnose dieses mutmaßlichen Trends?

Habermann: Es ist kein neues Leitbild, sondern eine seit langem bestehende Grundlage. Im Kommunistischen Manifest von 1848 wird gefordert, daß man die Frauen dadurch befreit, daß man ihnen die Bindung an Familie und privaten Haushalt durch kollektive Organisation abnimmt. Dieses Gedankengut hat sich auch in der reformistischen SPD gehalten und hat auch auf die CDU übergegriffen. Derzeit steht für viele leitende SPD- und CDU-Politiker die Durchorganisation des Familienlebens an oberer Stelle: Kinder werden von professionellen staatlichen Instanzen betreut, die Frau soll „befreit“ werden. Das ist das gegenwärtige Leitbild der Familienpolitik. Die Mutterfunktion wird radikal abgewertet, indem ständig von einem „Heimchen am Herd“ gesprochen wird. Die elterliche Arbeit und Verantwortung wird als Kleinigkeit und Nebensache dargestellt. Frauen sollen sich an dem Leitbild des Mannes in seiner versachlichten Welt orientieren – und dieses Leitbild wird auch von manchen Politikern vergöttert.

pro: Nun versucht der Staat, den Familien durch Kindergeld, Elterngeld und demnächst wohl auch durch ein Betreuungsgeld finanziell unter die Arme zu greifen. „Kinder sollen sich wieder lohnen“, ruft Bundesfamilienministerin von der Leyen. Ein lohnenswertes Ziel – oder nicht?

Habermann: Es geht der Bundesfamilienministerin schlicht darum, die Kosten für Familie zu verstaatlichen. Familien sollen keinen Nachteil haben, etwa gegenüber Ledigen oder kinderlosen Paaren, die zwei Mal im Jahr Urlaub machen können. Familien werden ermutigt, Kinder in die Welt zu setzen, aber sie sollen dafür keine finanziellen Nachteile in Kauf nehmen müssen. Das Kind wird schlicht als Opfer für die Gesellschaft dargestellt, auf das man als Geschädigter Anspruch haben darf. Das nenne ich reinen Kollektivismus. Alle Vorteile der Familie, die immaterielle Bilanz eines Familienlebens, der echte Generationenvertrag zwischen Eltern und ihren Kindern, die Solidarität und das Füreinander Einstehen –  all diese Grundlagen einer Familie werden durch eine politische, primitiv materialistische Betrachtung überlagert. Dadurch wird der Geist der Familie zerstört. Das ist genauso schlimm.

pro: Einige Organisationen wie „Familie ist Zukunft“ oder auch die frühere Fernsehmoderatorin Eva Herman setzten sich massiv für die Aufwertung der Familie ein und kritisieren aus diesem Grund die gegenwärtige Familienpolitik mit scharfen Worten. In der Frage des Betreuungsgeldes fordern sie: Eltern, die ihre Kinder nicht in Krippen betreuen lassen, sollen ein Betreuungsgeld erhalten.

Gerd HabermannHabermann: Dieser Forderung widerspreche ich allerdings. Denn die Erziehungsleistung der Eltern soll durch diese Maßnahmen direkt vom Staat finanziert werden. So werden Mütter und Väter zu staatlich finanzierten Reproduktionsagenten für die Gesellschaft. Das ist reiner Sozialismus. In der Öffentlichkeit werden Krippenplätze und Betreuungsgeld als Neuerungen gefeiert. In Wirklichkeit steht man mitten in den uralten antifamiliären und antisubsidiären Traditionen des Sozialismus und der Sozialdemokratie, die sie weiterführt.

pro: In Ihrer Kritik an einer Verstaatlichung der Familie sehen Sie den egalitären Feminismus als eine der treibenden Kräfte dieser Entwicklung. Aus welchem Grund?

Habermann: Der egalitäre Feminismus will eine absolute Gleichheit zwischen Mann und Frau herbeiführen. Gender Mainstreaming ist das Ziel nicht nur deutscher Familienpolitik. Jeder soll die gleichen Chancen auf eine Karriere und finanziellen Reichtum haben. Das Augenmerk wird einzig auf diese Ziele gelegt. Kümmert sich eine Frau um Familie und Kinder, wird sie als minderwertig eingestuft. Denn sie unterwirft sich nicht den ausgegebenen Parolen des Gender Mainstreaming. Dabei, meine ich, ist die Familie doch wichtiger als der Beruf, Familie ist die Keimzelle allen Lebens und jeder Gesellschaft. Frauen wird allgegenwärtig vermittelt, daß sie sich nur dann selbst verwirklichen können, wenn sie in der harten Berufs- und Karrierewelt erfolgreich sind. Frauen wird gesagt: Wenn du nicht wirst wie der Mann, kommst du nicht ins „Himmelreich der Emanzipation“. Diese Parole wird als Selbstverwirklichung der Frau ausgegeben – das ist katastrophal für jede Gesellschaft.

pro: Ziel von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen ist nun auch der Ausbau von Krippen, der massiv vorangetrieben wird. In den Einrichtungen sollen Kinder bis zum Alter von drei Jahren betreut werden. Sind Krippen nicht eine ideale Lösung für Frauen, die entweder arbeiten wollen oder aufgrund der eigenen finanziellen Situation arbeiten müssen?

Habermann: Krippen sollen der Frau das Kinderkriegen wieder „ermöglichen“, ohne daß Frauen aus der Laufbahn der öffentlich dargestellten Selbstverwirklichung herausfallen müssen. Kinder können in staatlich finanzierten Krippen kurz nach der Geburt „wegorganisiert“ werden, wie Eva Herman das sarkastisch beschreibt. Die Frage ist berechtigt: Aus welchem Grund wollen solche Frauen überhaupt Kinder? Um ehrlich zu sein: Mir tun die Frauen Leid, die ihre Kinder in eine Krippe geben – genauso wie die Kinder, die den größten Teil des Tages ohne Mutter und Vater aufwachsen müssen. Natürlich steht es jedem frei, seine Kinder in Familienersatzeinrichtungen zu geben – aber bitte nicht auf öffentliche Kosten!

pro: Eines der Schlagworte, die von Politikern derzeit gerne in die öffentliche Runde geworfen werden, ist das „Kindeswohl“. Dieses müsse im Vordergrund stehen, daran müßten sich alle Maßnahmen orientieren. Nur ein Problem wird kaum angesprochen: Was ist eigentlich unter Kindeswohl zu verstehen? Fakt ist jedenfalls, daß Politiker und Wissenschaftler in dieser Frage eine unterschiedliche Auffassung haben…

Habermann: Tatsächlich kann in den Begriff des „Kindeswohls“ Beliebiges hineininterpretiert werden, je nach eigenem Standpunkt. Denn man kann die Kinder nur schwer befragen, zumindest nicht die Kleinsten. Jedoch: Alles, was wir über geglückte Sozialisation, über glückliche Kindheit und Kinder wissen, alle empirischen Untersuchungen und historischen Experimente haben ergeben, daß ein Kind im zartesten Alter an eine Person gebunden ist: Nämlich an die, die es auch hervorgebracht hat, an den Herzschlag der Mutter. Allen Studien zufolge benötigen Kinder gerade in ihren ersten Lebensjahren diese absolute Sicherheit und Geborgenheit, um körperlich und seelisch gesund aufzuwachsen. Diese Bindung und Prägung durch eine Bezugsperson ist die Basis für die spätere partielle Ablösung des Kindes aus dem engen Verhältnis zu den Eltern. Ich bezweifle, daß wechselnde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krippeneinrichtungen diese Sicherheit und Geborgenheit vermitteln können. Denn bei mehreren Kindern, die auf eine Krippenangestellte kommen, ist das für jedes Kind erforderliche Verständnis und die nötige Hingabe kaum aufzubringen. Die Konsequenz daraus ist, daß die Emotionen bei Krippenkindern verstümmeln, das soziale Empfinden wird enorm geschwächt. Ich bezweifle, daß auf dieser Basis rein kulturell-technische Fähigkeiten wie Sprechen, Lesen und Schreiben schneller wachsen können. Das sachlich-berufliche Moment wird überschätzt, das Emotionale und Natürliche wird unterschätzt, wenn nicht gar verdrängt.

pro: Die von Ihnen erwähnten Untersuchungen und wissenschaftlichen Erhebungen finden scheinbar keinen Weg in die politischen Entscheidungen der Politiker. Ist das Ignoranz?

Habermann: Im Kern sind die maßgeblichen Politikerinnen wie Ursula von der Leyen Ideologinnen der Gleichheit. Aus diesem Grund ignorieren sie alle Fakten, die ihnen nicht passen. Radikalfeministinnen wollen es einfach nicht wahrhaben, daß es Unterschiede gibt, die man akzeptieren muß. Sie meinen, man könne alles „machen“. Dabei überschätzen sie die instrumentelle Vernunft und unterschätzen die emotionale Basis, die ebenfalls zum Menschen gehört. Sie wollen eine faktische Gleichheit aller Menschen. Doch um diese zu erreichen, muß man natürlich über die Menschen herrschen, sie in gleiche Strukturen pressen. Die Lebensumstände müssen beherrscht, das heißt, sie müssen künstlich „organisiert“ werden. Das schafft zwar neue Ungleichheiten, die aber gerne für das uralte Programm der Gleichheit in Kauf genommen werden.

pro: In diesem Zusammenhang werden immer wieder die skandinavischen Länder wie Schweden oder auch Frankreich als mustergültig benannt. Können Eltern doch beinahe grenzenlose Freiheit für Beruf und Karriere durch ein breites Angebot an Kinderbetreuungsplätzen nutzen. Sind Schweden oder Frankreich diese vielbeschworenen Musterländer moderner Familienpolitik?

Habermann: Überhaupt nicht. Der Erfolg von Familienpolitik kann nicht nur daran gemessen werden, wie viele Kinder geboren werden. Durch finanzielle Anreize und staatliche Organisation kann natürlich die Geburtenrate gefördert werden, aber das darf doch nicht Ziel einer Förderung von Familie sein. Faktisch werden in skandinavischen Ländern oder zum Teil auch Frankreich nicht Familien gefördert, da Kinder in Krippen betreut werden. Im „Musterland“ Schweden etwa wird alles getan, um die Familie zu schwächen und aufzulösen. Übrigens sind die „Nettoreproduktionsraten“ in diesen Ländern ebenfalls defizitär.

pro: Lange vor dem Greifen des Staates nach der Hoheit über die Betreuung von Kleinkindern besteht natürlich in Deutschland das Bildungsmonopol beim Staat. Auffällig ist tatsächlich, daß insbesondere in Deutschland eine staatlich organisierte schulische Bildung der Kinder massiver verteidigt wird als bei europäischen Nachbarn. Warum hat der Staat Angst, die Bildungshoheit als „öffentliches Gut“ zu verlieren?

Habermann: Seit Preußen hat der Staat das Bildungsmonopol inne, hier dominierte die staatliche Bildungsplanung und der Wunsch, in staatlichen Bildungsanstalten die Menschen zu loyalen Untertanen zu erziehen. Es ist selbstverständlich, daß Kinder in Schulen eine elementare Bildung erhalten müssen. Jedoch stellte sich die Frage, aus welchem Grund das in staatlichen Schulen geschehen muß. Hier sollte eine größere Freiheit ermöglicht werden. Doch statt Privatschulen zu fördern, plant die Politik derzeit die Abschaffung der steuerlichen Absetzbarkeit von Ausgaben für den Besuch von Privatschulen. Eltern zahlen dann gleich zweimal für die Bildung: Zum einen finanzieren sie über die allgemeinen Steuern die staatlichen Schulen, zum anderen tragen sie die vollen Kosten des Besuchs ihrer Kinder auf Privatschulen. Diese Vorhaben der Politik sind eine Reaktion auf den Zulauf, den private Bildungseinrichtungen erfahren.

pro: Welche alternativen Unterrichtsformen würden Sie im deutschen Schulsystem begrüßen?

Habermann: Zum Beispiel Home-schooling, also Hausunterricht. Wenn Eltern das Bedürfnis haben, einen Lehrer nur für ihr Kind anzustellen, warum sollte sich der Staat dagegen wehren? Stattdessen verfolgt der Staat weiterhin das Prinzip der Gleichheit: Alle sollen gleichgestellt werden, keiner aus der Reihe treten, von Kindesbeinen an. Unser Reichtum liegt jedoch in der Vielfalt.

pro: Bei all diesen Diagnosen kommt man um die Schlußfolgerung nicht herum: Die Familienpolitik des Staates – nicht nur in Deutschland – kann sich viele und hohe Ziele setzen, und erreicht diese doch nicht. Oder hat die Verstaatlichung von Familien etwa doch positive Auswirkungen wenigstens auf die Anzahl der Kinder, die geboren werden?

Habermann: Im Gegenteil: Je mehr sich der Staat in die Familien einmischt, umso weniger Kinder werden geboren. Je mehr Geld der Staat für Familien ausgegeben hat, desto drastischer ging in Deutschland die Geburtenrate zurück. Statt einer Staatsfinanzierung von Familien brauchen wir dringender denn je eine Aufwertung von Kindern und Familien in der sozialen und kulturellen Wertschätzung. Vielen Bürgern ist schlicht der gesellschaftliche Gemeinsinn abhanden gekommen. Ihnen fehlt das Bewusstsein dafür, daß wir eine Verantwortung dafür haben, das Leben weiterzugeben. Geht die demografische Entwicklung so weiter, wie sie sich derzeit darstellt, wird in Europa in 100 Jahren kein großes Kulturvolk mehr existieren. Und: Man sollte den Eltern mehr „Netto“ lassen – statt eines 1/3 Netto-Taschengeldes. Dann wird jede Subvention überflüssig. Dies war übrigens die Konzeption Ludwig Erhards.

pro: Herr Professor Habermann, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Mit Gerd Habermann hat pro-Redakteur Andreas Dippel gesprochen. Erstveröffentlichung in „pro Christliches Medienmagazin“ 3/08.

Gerd Habermann ist Wirtschaftsphilosoph, Hochschullehrer und Publizist. Er ist seit 2003 Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam und ist Leiter des Unternehmerinstituts „Die Familienunternehmer/ASU“. Er publiziert unter anderem in der „Welt“, der „Frankfurter Allgemeinen Teitung“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 14. Juli 2008 um 12:30 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik.