Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Die Kreuzzüge in historischer und biblischer Perspektive

Freitag 30. April 2010 von Johann Hesse


Johann Hesse

Die Kreuzzüge in historischer und biblischer Perspektive

Warum sich mit den „Kreuzzügen“ beschäftigen?
Es gibt mehrere Gründe, warum es hilfreich ist, sich mit dem Phänomen der Kreuzzüge des Mittelalters auseinanderzusetzen. Zum einen werden die Kreuzzüge immer wieder als Grund dafür genannt, dass Menschen sich gegenüber dem christlichen Glauben verschlossen haben. Zum anderen wird immer wieder der Vorwurf erhoben, die monotheistischen Religionen förderten die Gewalt, insbesondere dann, wenn Sie sich auf den Wortlaut ihrer Schriften beriefen. Die Kreuzzüge des Mittelalters unter Führung der römischen Päpste liefern dann den experimentellen Beleg für diese These. Drittens sind die Kreuzzüge nur auf dem Hintergrund der Entstehung und der raschen Expansion des Islam zu verstehen. Wir leben heute in einer Zeit, in der Kirchen geschlossen und Moscheen gebaut werden. Wir sind erneut herausgefordert, uns mit einem machtvollen und siegesbewussten Islam auseinanderzusetzen. Wir wollen die Reaktion unser Vorfahren auf die islamische Herausforderung anhand der Bibel überprüfen und Schlussfolgerungen für unsere Zeit ziehen.

Was war ein Kreuzzug?
„Ein Kreuzzug war ein heiliger Krieg, der zur Wiedererlangung christlicher Besitzrechte oder zum Schutze der Kirche oder der Christen gegen diejenigen ausgetragen wurde, die als äußere oder innere Feinde der Christenheit angesehen wurden.“[1] Im Kreuzzugsgedanken wurde die Praxis der christlichen Wallfahrt nach Jerusalem, die im 3. Jahrhundert begann, nach der konstantinischen Wende immer wichtiger wurde und im fünften Jahrhundert ihren Höhepunkt fand[2], mit dem bewaffneten Kampf zur Verteidigung der Christenheit verbunden.[3]

1          Die islamische Herausforderung
Im Jahr 622 bestand die Gefolgschaft Mohammeds (570-632) aus seiner Familie und einer überschaubaren Gruppe von Anhängern. Nur zehn Jahre später, im Jahr 632 „war er der Herr Arabiens und seine Heere überschritten die Grenzen“.[4] Im Jahr 638 folgte die Einnahme Jerusalems durch Kalif Omar nach einjähriger Belagerung. Das ganze Land vom Isthmus von Suez bis zu den Bergen Anatoliens befand sich nun in den Händen des Islam. Ägypten fiel im Jahr 640 in die Hände der islamischen Eroberer. Im Jahr 700 hatten die Araber ihre Herrschaft über das ganze, ehemals christlich beherrschte Nordafrika ausgedehnt. Im Jahr 711 wurden große Teiles Spaniens besetzt (Al Andalus). Die Eroberer drangen über die Pyrenäen nach Südfrankreich ein und wurden erst in der berühmten Schlacht zwischen Tours und Poitiers 732 von Karl Martell besiegt und zurückgedrängt.

Der Historiker Steven Runciman weist nach, dass die Idee der Kreuzzüge unter dem massiven Druck des Islams auf der iberischen Halbinsel entstand. Im Jahr 1063 kam es zur Ermordung des christlichen Königs von Aragon durch einen Moslem. Viele Menschen versetzte dieser Mord in große Bestürzung.[5] Papst Alexander II. versprach daraufhin allen, die für Spanien in den Kampf zögen, die Vergebung ihrer Sünden und begann mit der Aufstellung eines Heeres.[6] In den folgenden 30 Jahren zogen immer wieder französische Ritter nach Spanien, um die islamische Expansion aufzuhalten und ehemals christliche Gebiete wiederzugewinnen. Da die militärischen Expeditionen der normannischen Ritter unter päpstlichem Segen nicht ohne Erfolg waren, lag es nahe, dieselben Methoden auch anderswo einzusetzen.

Denn die Bedrohung des christlichen Abendlandes durch die islamischen Eroberer kam nicht allein über die iberische Halbinsel. Für zweihundert Jahre standen Sizilien und Süditalien unter der Herrschaft islamischer Eroberer und die muslimische Piratendynastie der Aghlabiden hatte den Djihad mit brutalen Massakern bis nach Syrakus, Palermo und Messina getragen. Im Jahr 846 kam es zur Plünderung der Kathedralen Petrus und Paulus in Rom durch die Araber. Der Papst war zeitweise tributpflichtig.[7]

Viel bedrohlicher waren jedoch die Angriffe auf das byzantinische Kaiserreich und seine Hauptstadt Konstantinopel. Die Angreifer wussten nicht nur um den unübertroffenen Reichtum dieser Stadt, sondern auch um ihre geostrategische Bedeutung. Die größte und schönste Metropole der christlichen Welt war zugleich die Wächterin Europas am Bosporus. Folgerichtig kam es am Ende des 7. und Anfang des 8. Jahrhundert zu mehreren Eroberungsversuchen, die aber durch die byzantinischen Kaiser Konstanz II. und Leo III. jeweils verhindert werden konnten. Als der byzantinische Kaiser im Jahr 1071 versuchte, das verlorengegangene Armenien zurückzuerobern, scheiterte er in der berühmten Schlacht von Mantzikert. Die Schlacht von Mantzikert wird auch als „das entscheidende Unglück der byzantinischen Geschichte“ bezeichnet.[8] Mantzikert offenbarte die Schwäche des byzantinischen Kaiserreiches und rechtfertigte aus Sicht des römisch-katholischen Westeuropas das Eingreifen in die Geschicke des griechisch-orthodoxen Ostens.

Keineswegs begegneten die christlichen Einwohner des Nahen Ostens, Kleinasiens, Nordafrikas und Spaniens einem toleranten und friedfertigen Islam. Die arabischen und später türkischen Eroberer überfielen in rasanten und aggressiven Eroberungsfeldzügen Städte und Landstriche und unterwarfen die Bevölkerung ungefragt der islamischen Vorherrschaft. Der Orientalist Dr. Hans-Peter Raddatz schreibt: „Unter Stabilisierung ist in aller Regel eine nachhaltige Ausdünnung der Bevölkerung durch Massaker und Versklavung zu verstehen, deren Schockwirkung sicherstellte, dass die anschließenden Plünderungen nur noch auf stark verminderten Widerstand stießen“.[9] Auf dieser Basis wurden dann durchaus friedliche „Tributverhandlungen“ durchgeführt, die dann im westlichen Islamdialog als Zeichen islamischer Toleranz gedeutet werden. „Mit beeindruckender Konsequenz entfaltete sich die Dynamik des Djihad als ein Phänomen, das tötete, raubte, zerstörte und in den Opfern die Träger des Unglaubens beseitigte, die weder Anrecht auf Eigentum noch Leben hatten.“[10] Raddatz kann für diese „Begleiterscheinungen“ der islamischen Expansion nicht nur die Quellen christlicher, sondern auch islamischer Chronisten anführen.[11] Das christliche Abendland erlebte den expandierenden Islam weder als tolerant noch als friedfertig. Europa war herausgefordert: Entweder es unterwarf sich oder es wehrte sich.

2          Die Reaktion des christlichen Europas
Abgesandte des byzantinischen Kaisers Alexios baten Papst Urban II. um Hilfe, indem sie über die Bedrohung des byzantinischen Reiches auf dem Konzil von Piacenza von 1095 berichteten. Papst Urban nutzte das Konzil von Clermont in Frankreich desselben Jahres, um die schwierige Lage der Christen im Osten, die Misshandlungen durch die islamischen Eroberer, die Entweihung der heiligen Stätten und die mangelnde Erreichbarkeit Jerusalems für die Wallfahrer zu beschreiben. Der Papst forderte, von internen Kämpfen um Besitz und Macht abzulassen und rief zum Kampf für eine „gerechte Sache“ auf. Papst Urban versprach „allen gläubigen Christen, die gegen die Heiden die Waffen nehmen und sich der Last dieses Pilgerzuges unterziehen, alle die Strafen, welche die Kirche für ihre Sünden über sie verhängt hat“ zu erlassen. „Und wenn einer dort in wahrer Buße fällt, so darf er fest glauben, dass ihm die Vergebung seiner Sünden und die Frucht des ewigen Lebens zuteil werden wird.“[12] Der irdische Besitz der Teilnehmer sollte während ihrer Abwesenheit unter Schutz gestellt sein. Die Kreuzzügler sollten das Zeichen des Kreuzes auf sich nehmen und schwören, dass sie nach Jerusalem ziehen würden. Wer vorzeitig umkehren würde, sollte dem Kirchenbann verfallen. Man verabredete sich zum 15. August (Mariä Himmelfahrt) des Folgejahres 1096 bei Konstantinopel. Führer dieses ersten Kreuzzuges wurde Bischof le Puy.

Der erste Kreuzzug verfolgte mindestens drei Ziele: 1.) Die Christen im Osten sollten von der Fremdherrschaft der Moslems erlöst werden. 2.) Das Heilige Grab, also Jerusalem, sollte befreit werden.[13] 3.) Das byzantinische Kaiserreich sollte in seinem Abwehrkampf gegen die  seldschukischen Angreifer unterstützt werden, um ein Vordringen des Islam über den Bosporus zu verhindern.

Der erste Kreuzzug (1096-1099)
Nach Urbans Aufruf erfolgte die unerwartete Entstehung einer internationalen Bewegung, die England, Frankreich Deutschland, Spanien und Italien erfasste. Nicht nur der Ritterstand, sondern auch das einfache Volk wurde für die Kreuzzugsidee begeistert, was u. a. in den Armen- und Kinderkreuzzügen von 1212, 1251 und 1320 zum Ausdruck kommt.[14] Ingesamt machten sich im ersten Kreuzzug etwa 90.000 Menschen in zwei großen Wellen auf nach Jerusalem. In der Sammlungsphase der Kreuzzüge kam es von Anfang an und in allen nachfolgenden Orientkreuzzügen zu Massakern an den jüdischen Einwohnern europäischer Städte, interessanterweise mehrfach gegen die ausdrückliche Inschutznahme der jüdischen Bürger z. B. der Städte Worms oder Speyer durch katholische Geistliche.[15]

Die erste Welle von Kreuzzüglern, die vor allem aus den niederen Ständen kam, erreichte Konstantinopel bereits vor dem vereinbarten Termin und wurde von den Türken nach dem Erreichen Kleinasiens vernichtet. Die zweite von Adeligen geführte Welle führte zur Einnahme von Antiochia in Syrien (1098) und zur Eroberung Jerusalems im August 1099, die mit einem blutigen Massaker unter den muslimischen Einwohnern der Stadt endete. Aufgrund des schlechten Zustandes der Kreuzzügler, war mit einem Sieg in Jerusalem kaum zu rechnen, so dass die Eroberung von den Kreuzzüglern selbst und ihren Zeitgenossen um so mehr als ein Wunder Gottes und damit auch als Bestätigung des Kreuzzugsgedankens überhaupt gesehen wurde.[16]

Der zweite Kreuzzug (1145-1149)
Während des ersten Kreuzzuges hatte Balduin von Boulogne, der Bruder des Anführers Gottfried von Boulogne, die Grafschaft Edessa mit der gleichnamigen Hauptstadt übernommen. Der Kreuzfahrerstaat Edessa befand sich nordöstlich von Antiochia und erstreckte sich entlang des Euphrat nach Nordosten. Die Einwohner waren insbesondere Syrer, Jakobiten und armenische Christen. Im Jahr 1144 ging Edessa als flächenmäßig größter Kreuzfahrerstaat verloren. Der Verlust löste in Europa Aufsehen und Trauer aber keine Kreuzzugsbewegung aus.[17] Die Kreuzzugsbulle des Papstes Eugen III. aus dem Jahr 1145 traf auf wenig Begeisterung. Erst durch die Kreuzzugspredigten des Zisterzienserabtes Bernhard von Clairvaux entstand eine Kreuzzug unter Führung des französischen Königs Ludwig VII. Der Kreuzzug erreichte sein Ziel, die Befreiung Edessas, nicht.

Der dritte Kreuzzug (1187-1192)
In der verheerenden Schlacht von Hattin im Jahr 1187 wurde das Heer der Kreuzfahrerstaaten von den Sarazenen unter Saladin vernichtend geschlagen. Große Teile der Kreuzfahrerstaaten fielen in die Hände der Sieger und auch Jerusalem wurde am 2. Oktober 1187 von Saladin eingenommen. Besonders betroffen machte die Menschen der endgültige Verlust der Reliquie vom Kreuz Christi. Nach einer großen Kreuzzugsmüdigkeit führte der Verlust Jerusalems zu einem Wiedererwachen der Kreuzzugsbegeisterung. Richard Löwenherz war einer der ersten, die das „Kreuz auf sich nahmen“. Im Jahr 1189 brach eines der größten Kreuzzugsheere überhaupt unter Führung von Kaiser Barbarossa von Regensburg aus auf. Auf diesem Kreuzzug ertrank der Kaiser am 11. Juni 1190 im Fluss Salef, den er in seiner Ungeduld durchschwamm.[18] Der Kreuzzug, dessen deutsche Sektion sich nach dem Tod des Kaisers auflöste, konnte Jerusalem nicht zurückerobern.

Der vierte Kreuzzug (1198-1204)
Der vierte Kreuzzug wird von dem machtvollen Papst Innocenz III., der die Macht des Papsttums auch über die weltlichen Mächte betonte, ins Leben gerufen. Der Kreuzzug wurde jedoch insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen nach Konstantinopel umgelenkt, wo es zur Eroberung und Plünderung der Hauptstadt des byzantinischen Kaiserreiches kam. Seit dem Schisma von 1054 waren die Gegensätze zwischen den Lateinern und den Orthodoxen mehr und mehr vertieft worden. Der Streit zwischen West- und Ostkirche fand mit der Eroberung der Stadt durch die Kreuzzügler, den Massakern unter seinen Einwohnern, der Plünderung der berühmten Reliquienschätze und der nachfolgenden Errichtung eines lateinischen Kaiserreiches einen bitteren Höhepunkt, dessen spaltende Kraft bis in unsere Tage hineinreicht.

Weitere Kreuzzüge (ab 1209)
Von 1209 bis 1220 fanden die Albigenserkreuzzüge in Frankreich statt, die gegen christliche Splittergruppen geführt wurden. Von 1217 bis 1219 wurde die ägyptische Stadt Damiette von Kreuzzüglern belagert und erobert, um über die Schwächung Ägyptens, Jerusalem erobern zu können. Im Jahr 1227 führte Friedrich II. einen nur von ihm geführten Kreuzzug in den Orient (fünfter Kreuzzug). Es gelang dem Kaiser im Jahr 1229, Jerusalem durch Vertragsverhandlungen zu übernehmen, jedoch ohne die Kontrolle über den Tempelberg. Dieses kurze Zwischenspiel, das eine große Demütigung der Papstkirche bedeutete, da  alle vorherigen kriegerischen Expeditionen unter ihrer Führung erfolglos waren, endete mit dem neuerlichen Verlust Jerusalems an die Muslime im Jahr 1244.[19] Von 1248-1254 fand ein weiterer Angriff der Kreuzfahrer auf Ägypten zur Entlastung der Kreuzfahrerstaaten statt. Der Kreuzzug war ein weiterer Fehlschlag (sechster Kreuzzug). 1270-1275 vernichtete Sultan Baibar den Großteil der Kreuzfahrerstaaten. Es folgte ein Aufruf zu einem weiteren Kreuzzug, der ebenfalls scheiterte (siebter Kreuzzug). Im Jahr 1291 wurden die letzten Kreuzfahrer aus dem Nahen Osten vertrieben.

3          Eine biblisch-theologische Beurteilung der Kreuzzüge

Das Wesen des Reiches Gottes
Nach der konstantinischen Wende im Jahr 313 und mit dem Aufstieg des Christentum zur Staatsreligion unter Kaiser Theodosius (380), findet eine immer stärkere Verquickung von Kirche und Staat statt. Auf der Grundlage von Lukas 22,38[20] wurde im fünften Jahrhundert unter Papst Gelasius noch die Ansicht vertreten, dem Papst stehe das geistliche Schwert und damit die Richtergewalt über die geistlichen Dinge zu, während dem weltlichen Herrscher das zweite Schwert zustünde. Die Papstkirche arbeitete jedoch daran, sich auch das zweite Schwert anzueignen. Unter Papst Innocenz III. wurde die bisherige Zwei-Schwerter-Theorie abgewandelt. Jesus habe beide Schwerter dem Papst anvertraut, damit dieser das eine führe und das andere an den weltlichen Herrscher weiterreiche[21]. Die Kirche regierte demnach nicht nur über die geistlichen Dinge, sondern war auch Herrscherin über die weltlichen Dinge. Dies war bereits vor Papst Innocenz III. u. a. in der Ausrufung und offiziellen Durchführung der Kreuzzüge durch die römischen Päpste zum Ausdruck gekommen.

Die Kirche missachtete in den Jahrhunderten nach der konstantinischen Wende zunehmend einen zentralen Wesenszug des Reiches Gottes, den Jesus gegenüber Pontius Pilatus zum Ausdruck brachte: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; nun aber ist mein Reich nicht von dieser Welt“ (Joh 18,38). Weder Jesus noch seine Jünger hatten für die Befreiung des irdischen Jerusalems von den heidnischen Römern gekämpft. Stattdessen erlitt Jesus den Tod am Kreuz, um seinen Jüngern die Tore des himmlischen Jerusalems zu öffnen. Die Kirche hätte wissen müssen, dass sie keine Berechtigung hatte, das irdische Jerusalem gewaltsam von muslimischer Herrschaft befreien. Das vorgegebene Ziel der Kirche ist das himmlische Jerusalem, denn „wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Hebr 13,14; vgl. Offb 21,2).

Während Gott die staatliche Obrigkeit eingesetzt hatte, um das Schwert zu führen und in weltlich-politischer Hinsicht zu herrschen (Rö 13,1ff), oblag der Kirche allein die Herrschaft im geistlichen Bereich. Die Kirche und ihre Bischöfe durften aus biblischer Sicht nur ein Schwert führen: „Das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes“ (Eph 6,17). Auftrag der Kirche war und ist es, mit dem Schwert des Geistes zu kämpfen, also das Evangelium von Jesus Christus auch den Muslimen zu verkündigen und das unsichtbare Reich Christi, die Gemeinde, auf dieser Erde aufzurichten.

Erst in der Reformation und mit der Rückbindung an die Heilige Schrift wurde die biblische Lehre  von den zwei Reichen oder Regimenten durch Martin Luther neu entdeckt und belebt. In seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit“ machte Luther 1523 deutlich, dass Gott seine Herrschaft über die Menschen in zweierlei Weise ausführe: Einmal durch das Wort und die Sakramente (Kirche) und zum anderen durch die Obrigkeit und die weltliche Ordnung.[22] Beide Regimenter sind zwar von Gott eingesetzt, aber das geistliche Regiment besitzt keine äußere Macht,  sondern allein Wort und Sakrament. Hätte die Kirche die Lehre vom Wesen des Reiches Gottes und den biblischen Grundsatz der zwei Regimenter beachtet, hätte sie niemals zum Schwert greifen können.

Christentum und Gewalt
Die Kreuzzugsidee fußte u. a. auf späteren Interpretationen augustinischer Theologie. Augustin (354-430) hielt einen Krieg für gerechtfertigt, wenn er aufgrund eines gerechten Anlasses geführt würde (gerechter Krieg). Während der Christ, wenn er auf die rechte Wange geschlagen wird, auch die andere hinzuhalten habe (Mt 5,39), gelte dies nicht für die Obrigkeit. Diese, sei sie Staat oder Kirche, müsse Gewalt anwenden, um Tyrannei, Invasion und Aggression zu bestrafen und abzuwehren. Die Verfechter des Kreuzzugsgedankens nahmen diese theologischen Vorarbeiten auf, um den päpstlich initiierten und geleiteten militärischen Gegenangriff auf die Aggression des Islam zu rechtfertigen.

Aus biblischer Sicht hat jedoch allein die staatliche Obrigkeit das Recht, das Schwert zu führen. Sie „trägt das Schwert nicht umsonst; sie ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem, der Böses tut (Rö 13,4). Ein „gerechter Krieg“ gegen Aggression, Tyrannei oder feindliche Invasion  kann demnach aus biblischer Sicht ausschließlich von der weltlichen Obrigkeit geführt werden.

Als Jesus sich mit seinen Jüngern durch samaritanisches Gebiet in Richtung Jerusalem auf den Weg machte, lehnten einige Städte ab, Jesus und die Jünger zu beherbergen. Die Jünger boten daraufhin an, die Städte im Auftrag des Herrn durch Feuer vom Himmel zu vernichten. Jesus wies dieses Ansinnen der Jünger sofort zurück (Lk 9,51-55). Als Petrus im Garten Gethsemane zum Schwert griff und dem Soldaten Malchus das Ohr abschlug, heilte Jesus das abgeschlagene Ohr und wies Petrus zurecht: „Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen“ (Mt 26,52).

Jesus hatte seinen Jüngern und damit auch der Kirche klare Anweisungen für den Umgang mit den Feinden gegeben: „Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dann biete die andere auch dar“ (Mt 5,39). Jesus führt den Menschen auf den Gipfel der Liebe Gottes und damit in die Tiefe des Kreuzestodes, wenn er den Christen zur Feindesliebe beruft: „Liebt eure Freunde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel“ (Mt 6,44). Die Nachfolger Christi dürfen das Böse nicht mit Bösem beantworten, sondern sie sollen es mit dem Guten überwinden (Rö 12,21). Mehrfach betont die Heilige Schrift, dass allein Gott das Recht zusteht, die Feinde und Bedränger der Christen im Gericht Gottes mit Zorn und ewigem Verderben zu bestrafen (Rö 12,19.20; 2Thess 1,6-9; Offb 19,11-21).

Die systematische Umdeutung biblischer Wahrheiten
Die Kreuzzüge unter Leitung der römischen Päpste konnten nur gegen die Heilige Schrift geführt werden. Aus diesem Grunde kam es zur Herauslösung biblischer Wahrheiten aus ihrem Gesamtzusammenhang und zu ihrer systematischen Umdeutung. Bekannte Auslegungsprinzipien mussten außer Kraft gesetzt werden, um den Kreuzzügen den Schein göttlicher Legitimation zu verleihen. Dies soll exemplarisch anhand der folgenden Beispiele gezeigt werden:

Das Konzept des „heiligen Krieges“ oder der „Kriege des Herrn“ (4Mose 21,14; 5 Mose 31,1-8) hat offenbarungsgeschichtlich allein im Zusammenhang der alttestamentlichen Landnahme und des Staates Israel seinen Platz. Außerhalb dieses biblisch und historisch eng eingegrenzten Rahmens kennt die Bibel keine „heiligen Kriege“ oder sonstige Gewalttaten im Namen Gottes.

Jesus hatte seinen Jüngern gelehrt: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach“ (Lk 9,23). Die Kreuzesnachfolge beinhaltete die Kreuzigung des eigenen sündigen Fleisches und die Bereitschaft, Verfolgung und Tod um Jesu willen auf sich zu nehmen. Die Kirche hielt nun die Ritter an, „ihr Kreuz auf sich zu nehmen“ und in den bewaffneten Kampf zu ziehen.

Aus biblischer Sicht werden die Sünden vergeben, wenn wir dem Evangelium glauben und unsere Sünden bekennen, „denn wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit (1Joh 1,9). Die Päpste und insbesondere die vielen Kreuzzugsprediger versprachen den Teilnehmern der Kreuzzüge nicht nur den Erlass der kirchlichen Bußstrafen sondern auch die Vergebung ihrer Sünden (remissio peccatorum). Zusagen die in der Heiligen Schrift allein durch den Glauben an Jesus Christus ihre Erfüllung finden (Joh 5,24; 6,47).

Während der christliche Märtyrer sowohl in der Bibel (Offb 2,13) als auch in den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte als Zeuge (griech.: martus) des Evangeliums und um seines standhaften Bekenntnisses zu Jesus Christus verfolgt und umgebracht wurde (vgl. Mt 5,11.12), erhielt nun auch der Kreuzzügler, der im Kampf zum Schutze der Christenheit starb, den Status des Märtyrers.

4          Schlussfolgerungen für unsere Zeit

Historische Zusammenhänge beachten
Die einseitige Fixierung auf das Unrecht der Kreuzzüge verstellt den Blick auf den historischen Gesamtzusammenhang. Es muss beachtet werden, dass die Kreuzzüge eine Reaktion auf die aggressiven Eroberungsfeldzüge islamischer Völker waren, die nicht nur riesige christlich geprägte Gebiete erobert und unterworfen hatten, sondern insbesondere vom Südwesten und vom Südosten her das christliche Europa bedrohten.

Die Verurteilung der Kreuzzüge
Die von den römischen Päpsten initiierten und durchgeführten Kreuzzüge müssen auf Grundlage der Heiligen Schrift verurteilt werden. Das Verbot „Du sollst nicht töten“ (2Mose 20,13), das Wesen des Reiches Gottes (Joh 18,38) und die biblische Ethik der Liebe, die ausdrücklich die Feindesliebe beinhaltet (Mt 5,44), verbieten die Gewaltausübung im Namen des dreieinigen Gottes. Gewalt gegenüber Andersdenkenden und Andersglaubenden ist für Christen keine Option. Weder die Kreuzzüge damals noch der Mord an Abtreibungsärzten heute können mit der Heiligen Schrift begründet werden. Es war gerade nicht die enge Bindung an den Wortlaut der Heiligen Schrift, die zur Anwendung physischer Gewalt im Namen des christlichen Glaubens führte, sondern im Gegenteil die Loslösung vom Wortlaut, die Herauslösung von biblischen Aussagen aus ihrem Zusammenhang und ihre systematische Umdeutung. Christen, die sich auf den Wortlaut der Bibel berufen und dafür von Anderen als „gefährlich“ und „fundamentalistisch“ eingestuft werden, sind eben gerade keine Bedrohung für die Gesellschaft, weil sie sich u. a. dem Wortlaut des Dekalogs (2Mose 20,13), dem Gebot der Nächstenliebe (Mt 22,39) und dem Gebot der Feindesliebe (Mt 5,44) verpflichtet wissen.

Eine nüchterne Beurteilung des Islam
Die Menschen des Mittelalters erlebten den Islam weder als friedfertig noch als tolerant. Der Islam wurde von Anfang an nicht vor allem durch die Verkündigung seiner Lehre ausgebreitet, sondern in militärischen Eroberungsfeldzügen über die Grenzen Arabiens hinausgetragen. Steven Runciman schreibt: „Anders als das Christentum, das einen Frieden predigte, welchen es nie zu stiften vermochte, trat der Islam ohne Scham mit dem Schwert bewaffnet auf.“[23] Die Kreuzzüge waren eine militärische Reaktion auf diese Herausforderung, die jedoch nur in Opposition zur Heiligen Schrift und gegen Lehre und Leben Christi geführt werden konnte. Der kriegerische und gewaltbereite Djihad dagegen steht sowohl im Einklang mit dem Koran als auch mit dem Leben des Propheten Mohammeds. Mehrere Suren fordern ausdrücklich zu Mord und Totschlag auf: „Sie wünschen, dass ihr ungläubig werdet, wie sie ungläubig sind, und dass ihr ihnen gleich seid. Nehmet aber keinen von ihnen zum Freund, ehe sie nicht auswanderten in Allahs Weg. Und so sie den Rücken kehren, so ergreifet sie und schlagt sie tot, wo immer ihr sie findet.“[24] (Sure 4,89). In der neunten Sure heißt es: „Siehe, Allah hat von den Gläubigen ihr Leben und ihr Gut für das Paradies erkauft. Sie sollen kämpfen in Allahs Weg und töten und getötet werden“ (Sure 9,111; vgl. auch Sure 8,40; Sure 9, 5.29.30)[25]. Mohammed selbst kämpfte zwischen 624 und 628 gegen die Mekkaner, es wurden Karawanen überfallen, Menschen getötet und Güter geraubt. Die Juden Medinas wurden unter der Führung Mohammeds angegriffen, vertrieben oder umgebracht. Der Blick in die Quellen des Islam, seine Ausbreitung in militärischen Eroberungsfeldzügen und die heutigen Formen islamistischer Gewalt weisen eine Kontinuität auf, die uns über das Wesen des Islams, seine Ziele und seine Mittel nicht im Unklaren lassen.

Der Auftrag für uns Christen
Wie reagieren wir Christen heute auf das Erstarken und die Ausbreitung des Islams in Europa heute? 1.) Die Regierungen auf nationaler und europäischer Ebene müssen auf die Expansion des Islam angemessen und weise reagieren. Unser Auftrag ist es, Regierungen, Parlamente und Politiker dabei in der Fürbitte zu unterstützen (1Tim 2,1ff). 2.) Die Heilige Schrift ruft uns in Erinnerung, den Ausländer zu lieben (2Mose 22,20; 5Mose 10,18.19). Christen sollen dem muslimischen Ausländer mit tätiger Nächstenliebe (Mt 22,39) und mit herzlicher Gastfreundschaft (Rö 12,13) begegnen. 3.) Jesus beauftragt uns: „Predigt das Evangelium aller Kreatur“ (Mk 16,15). Nach den Worten der Apostelgeschichte ist in „keinem andern das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden“ (Apg 4,12). Auch der Moslem braucht Jesus Christus, um den Weg zu Gott zu finden (Joh 14,6). So sind wir von Jesus beauftragt, weder zur Unterwerfung unter den Islam, noch zu seiner aggressiven Zurückdrängung oder zu einem  konturlosen interreligiösen Dialog, sondern zur tätigen Nächstenliebe und zum klaren Zeugnis des Evangeliums, damit auch Muslime den Zugang in das himmlische Jerusalem finden.


[1] Theologische Realenzyklopädie (TRE), Die Kreuzzüge, Bd. 20, Walter de Gruyter, Berlin, 1990, S. 1.
[2] Steven Runciman, Geschichte der Kreuzzüge, Verlag C. H. Beck, München, 1975,  S. 39.
[3] TRE, S. 1.
[4] Runciman, S. 14.
[5] Runcimam, S. 88.
[6] Runciman, S. 88.
[7] Raddatz, S. 104.
[8] Runciman, S. 64.
[9] Raddatz, S. 51.
[10] Raddatz, S. 51.
[11] Raddatz, S. 51.
[12] Aufruf von Papst Urban II., 27.11.1095 nach KthGQ Nr. 25a, S. 69f
[13] TRE, S. 2.
[14] TRE; S. 2.
[15] Runciman, S. 134.
[16] TRE, S. 2.
[17] Hans Eberhard Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, 1987, S. 87.
[18] Mayer, S. 128.
[19] Mayer, S. 209.
[20] „Siehe, Herr, hier sind zwei Schwerter. Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug.“ (Lukas 22,38)
[21] Kurt Aland, Geschichte der Christenheit, Bd. I, Gerd Mohn, Gütersloh, 1991, S. 314.
[22] Bengt Hägglund, Geschichte der Theologie, Kaiser, Gütersloh, 1997, S. 180.
[23] Runciman, S. 15.
[24] Der Koran, Ãœbersetzung aus dem Arabischen von Max Henning, Philipp Reclam jun., Stuttgart, 1992.
[25] Ebenda

Johann Hesse, 27.03.2010

Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 30. April 2010 um 11:47 und abgelegt unter Kirche, Theologie.