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Interview: Das Ziel ist der „neue Mensch“

Dienstag 2. MĂ€rz 2010 von Junge Freiheit


Junge Freiheit

Das Ziel ist der ‘neue Mensch’

Interview der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ mit Barbara Rosenkranz, Landesministerin des Bundeslandes Niederösterreich. Die Fragen stellte Moritz Schwarz.

Frau Rosenkranz, These eins: Gender Mainstreaming (GM) ist kompliziert und interessiert mich nicht.

Rosenkranz: Falsch, lassen Sie es mich zugespitzt formulieren: Man macht es kompliziert, damit es Sie nicht interessiert. Der BĂŒrger soll es nicht verstehen, damit er sich der Sache nicht in den Weg stellt.

These zwei: Gender Mainstreaming ist „linker Firlefanz“ und geht mich nichts an.

Barbara RosenkranzRosenkranz: Falsch, Gender Mainstreaming wurde 1999 von Ihrer Bundesregierung zum „Leitprinzip und (zur) Querschnittsaufgabe“ fĂŒr die deutsche Politik erklĂ€rt. Die Regierung Merkel hat 2005 diese Politik ĂŒbernommen und sogar in die Verantwortung einer CDU-Politikerin, Familienministerin von der Leyen, gestellt. Nicht besser in Österreich: Dort ist GM im Jahr 2000 Regierungsmaxime geworden.

Wien und Berlin handelten entsprechend EU-Vorgaben: Bereits 1995 erhob der Ministerrat GM zum EU-Aktionsprogramm, 1999 macht es der Amsterdamer EU-Vertrag gar rechtlich verbindlich, und 2007 hat das EuropĂ€ische Institut fĂŒr Gleichstellungsfragen die Arbeit aufgenommen, unter anderem mit dem Ziel, GM in ganz Europa durchzusetzen.

Dritte These: Gender Mainstreaming ist harmlos, weil lediglich ein moderner Ausdruck fĂŒr die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Rosenkranz: Wieder falsch. Das ist vielleicht das, was Sie denken sollen. Aber es ist nur das gefÀllige Gewand, in das sich Gender Mainstreaming kleidet. Und weil heute niemand mehr gegen Gleichberechtigung ist, ist dies das ideale Mittel, um die Sache harmlos aussehen zu lassen. TatsÀchlich aber hat GM mit Gleichberechtigung von Mann und Frau gar nichts zu tun.

Sondern?

Rosenkranz: Gleichberechtigung von Mann und Frau setzt voraus, daß es Mann und Frau gibt. Bei GM dagegen geht es darum: Mann und Frau sollen abgeschafft werden!

Klingt verrĂŒckt – so was kann man doch gar nicht ernst nehmen?

Rosenkranz: Ein Budget von gut 52 Millionen Euro Steuergeldern bis 2013 allein fĂŒr das genannte EU-Institut fĂŒr Gleichstellungsfragen muß man ernst nehmen, denn damit wird politische RealitĂ€t geschaffen. Dazu kommen zahllose Gender-Initiativen in allen EU-Mitgliedsstaaten, und zwar auf nationaler, Landes-, regionaler und kommunaler Ebene und in zahllosen öffentlichen und gesellschaftlichen Institutionen, wie Verwaltung, Armee, Polizei, VerbĂ€nden, Parteien, Gewerkschaften, aber auch Unternehmen und vor allem in UniversitĂ€ten, Schulen und KindergĂ€rten, wo man inzwischen versucht, vor allem die Intelligenz und die Kinder möglichst von Anfang an zu „gendern“. Ganz Europa ist mittlerweile von einem dichten Gender-Mainstreaming-Netzwerk ĂŒberzogen!

Wie soll man sich aber die Abschaffung von Mann und Frau konkret vorstellen?

Rosenkranz: Die Ideologen der Gender-Theorie behaupten, daß man Frau oder Mann nicht von Natur aus ist, sondern man dazu erst gemacht wird. „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“, so lautet das radikale Credo von Simone de Beauvoir. GeschlechtsidentitĂ€t ist somit keine biologische Tatsache, sondern Ergebnis von „gesellschaftlichem Zwang“, sprich Erziehung: MĂ€nner und Frauen verhielten sich nur deshalb unterschiedlich, weil sie von der Gesellschaft so erzogen wĂŒrden. Ziel mĂŒsse daher sein, Rollenbilder erst aufzuweichen, dann abzuschaffen.

Das Magazin „Cicero“ nennt GM nichts weniger als „die Neuerfindung der Menschheit“ und „eine Art totalitĂ€ren Kommunismus in Sachen Geschlechterbeziehung“.

Rosenkranz: Die FAZ spricht von „politischer Geschlechtsumwandlung“ und sieht hinter der „wissenschaftlichen Disziplin“ in Wahrheit eine „politische Bewegung“. Und sogar der Spiegel attestiert, GM wolle nicht etwa nur die Lage der Menschen Ă€ndern, „sondern den Menschen selbst“. Es geht den Gender-Ideologen tatsĂ€chlich um nichts weniger als um die Schaffung des „neuen Menschen“ – das zentrale Wesensmerkmal des Totalitarismus. Und dieser neue Mensch soll, wie der Untertitel meines Buches lautet, ein „geschlechtsloser Mensch“ sein

 „MenschInnen“ so der verwirrende, eigentliche Titel Ihres Buchs. Was ist eine „MenschIn“?

Rosenkranz: Das könnte der Begriff fĂŒr jenes Wesen sein, in das uns die Vordenker des GM in naher oder ferner Zukunft einmal verwandeln wollen: ein Wesen ohne feststehende GeschlechtsidentitĂ€t.

Wie soll man sich das vorstellen?

Rosenkranz: Gute Frage. Die Gender-Ideologen beschreiben es als „beliebig, welche GeschlechtsidentitĂ€t sich auf welchen Körper bezieht, weibliche könnte einem mĂ€nnlichen Körper zugewiesen werden und umgekehrt“. Und so mĂŒsse es „nicht bei zwei Geschlechts­identitĂ€ten bleiben“, es könnte also in Zukunft „drei, fĂŒnf oder auch fĂŒnfzig geben“. Das soll heißen, daß die Norm der Zweigeschlechtlichkeit eine „Zwangsmatrix“ sei, die aufgelöst werden muß, um einer Vielfalt von gleichberechtigten GeschlechtsidentitĂ€ten zu weichen.

Nicht die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist also gemeint, sondern die Gleichstellung aller sexuellen Lebensformen. Um dies zu erreichen, mĂŒsse zur „Geschlechterverwirrung angestiftet werden“, die mit den Mitteln der Parodie und der Travestie zu erreichen sei. Judith Butler, die amerikanische Vordenkerin der Gender-Theorie, lĂ€ĂŸt an der umfassenden RadikalitĂ€t des Projekts keinen Zweifel. Unter dem Stichwort „Queer“ versucht man ja heute schon, Homo-, Bi-, Inter-, Trans-, oder PansexualitĂ€t gegen Mann und Frau in Stellung zu bringen.

Inzwischen hat jeder schon die „provokativen“ Piktogramme gesehen, in denen das MĂ€nnchen, das etwa zum Notausgang rennt, durch ein weibliches MĂ€nnchen ersetzt ist.

Rosenkranz: Diese Abbildungen identifizieren wir heute mit GM, dabei stellen sie dessen eigentlichen, abstrakten, ideologischen Kern gar nicht dar – ja, sie stehen in gewisser Weise sogar im Widerspruch zur „reinen Lehre“: Gender-Puristen wĂŒrden kritisieren, daß damit Rollenbilder, die ja verwirrt werden sollen, konstruiert und gefestigt werden. Andererseits aber zeitigt auch diese scheinbar harmlose Vorstufe der eigentlichen Gender-Theorie eine erwĂŒnschte Wirkung: Indem man etwa eine Frau als Bauarbeiterin an der Schaufel zeigt, sollen traditionelle Rollenmuster von Mann und Frau aufgelöst werden. Das ist, was die schon erwĂ€hnte US-Philosophin Judith Butler meint, wenn sie verlangt, daß zunĂ€chst gezielt „zur Geschlechter-Verwirrung angestiftet werden muß“.

Handelt es sich also um eine Verschwörung?

Rosenkranz: Nein. Meine eingangs gemachten zugespitzten Formulierungen dĂŒrfen auch nicht in diesem Sinne verstanden werden. Denn der Vorwurf, einer Verschwörungstheorie anzuhĂ€ngen, wird nicht selten als Waffe gegen die Kritiker der Gender-Theorie eingesetzt. Gender Mainstreaming wird zwar in der Tat – wo irgend möglich – unter Umgehung öffentlicher Debatten und demokratischer Diskurse „lautlos“ durchgedrĂŒckt, aber das erleben wir auch auf anderen Politikfeldern.

Was aber auffĂ€llt, ist, wie unbedingt und leidenschaftlich die meisten Gender-Ideologen an ihre Thesen glauben. Eine ÜberprĂŒfung der eigenen Argumente riskiert man erst gar nicht, bislang ist sowohl eine rationale, wissenschaftliche wie eine demokratische Diskussion ausgeblieben. Kritiker und Gegner werden vielmehr diffamiert und möglichst mundtot gemacht. Selbstgerechtigkeit und Unduldsamkeit sind aber NĂ€hrboden fĂŒr totalitĂ€re AnsĂ€tze.

Was bedeutet es, wenn Sie sagen, die Gender-Ideologie zeige totalitĂ€re ZĂŒge?

Rosenkranz: Der Mainzer Soziologe Michael Bock ist dieser Frage 2004 in einem pointierten Essay nachgegangen und zu dem Schluß gekommen, daß es sich bei Gender Mainstreaming um eine „totalitĂ€re Steigerung von Frauenpolitik“ handelt, da ihm eine „umfassende politische Zielvorstellung“ eigen sei. Diesen „unbedingten Willen“, die Gesellschaft „durch ein einheitliches Gestaltungsprinzip ‘auf Kurs’ zu bringen“ und „diesem die gesamte soziale Wirklichkeit unterzuordnen bzw. diese zu durchdringen“, vergleicht er mit der Vorgehensweise totalitĂ€rer Regime und wertet es als im völligen Gegensatz zur liberalen Staatsauffassung stehend. LĂ€ngst sei GM aus dem „demokratischen Pluralismus herausgenommen“ und statt dessen „die Gesellschaft unter die Diktatur des Gender-Aspekts gezwungen worden“.

Und konkret?

Rosenkranz: Konkret hat Bock fĂŒr seine Analyse den totalitĂ€ren Charakter von GM am eigenen Leib erfahren mĂŒssen. Denn sein Artikel wurde nicht veröffentlicht, laut Bock hatte man ihm mit disziplinarischen und sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht. Der Uni-PrĂ€sident habe ihn gar gedrĂ€ngt, den Text von seiner Netzseite zu nehmen.

Schließlich erhielt er, dank einer kollegialen Denunziation, eine förmliche RĂŒge seines Dienstherren, des Wissenschaftsministers von Rheinland-Pfalz. Bock berichtet weiter von SchmĂ€hanrufen, Distanzierungen und dem Bestreben, ihn der LĂ€cherlichkeit preiszugeben. Schließlich zog sich der Mann entmutigt und in seinen VorwĂŒrfen gegen GM bestĂ€tigt ganz vom Thema zurĂŒck.

Noch einmal das Magazin „Cicero“: „Gender Mainstreaming gleicht einem lautlos heranrollenden Tsunami.“

Rosenkranz: Ja, denn eine von der Gender-Theorie unabhĂ€ngige Geschlechterforschung existiert inzwischen fast nicht mehr. Alles lĂ€uft ĂŒber die Gender-Geldtöpfe, wer sich nicht einklinkt, bleibt draußen. Die FAZ schreibt: „Wer glaubt, als Mann oder Frau geboren zu sein, gilt in manchen universitĂ€ren Kreisen als unterbelichtet.“ Der Spiegel warnte 2006 davor, GM zu unterschĂ€tzen: „An jeder der zahlreichen deutschen Hochschulen, die Gender-Studien anbieten, gehört (GM-Vordenkerin) Judith Butler zum Kanon“, und es sei inzwischen tatsĂ€chlich „gelungen, aus dieser akademischen Nischendisziplin ein bĂŒrokratisches Großprojekt zu machen“. FĂŒr die Bundesregierung gilt GM wie gesagt als „Querschnittsaufgabe“, das bedeutet, GM ist nicht Sache eines Ressorts – sondern alle Ressorts sind angehalten, GM in ihrem Bereich umzusetzen! >>

Guido Westerwelle geißelt den Sozialismus und Angela Merkel spricht gern vom christlichen Menschenbild.

Rosenkranz: Und dennoch protegieren beide eine Politik, die strategisch auf eine quasi-totalitĂ€re UmstĂŒrzung unserer gesellschaftlichen VerhĂ€ltnisse und auf die Vernichtung von Mann und Frau abzielt – sprich von Adam und Eva, denn fĂŒr das christliche Menschenbild ist die Existenz von Mann und Frau fundamental. Abgesehen davon genĂŒgt GM auch den AnsprĂŒchen einer rational-wissenschaftlichen Weltbetrachtung nicht.

Also belĂŒgen uns Westerwelle und Merkel?

Rosenkranz: Ich weiß es nicht. Daß eine Ideologie, die von ganz links kommt, ins Zentrum der bĂŒrgerlichen Politik vordringen konnte, ist eine Folge von „1968“. Damals haben die BĂŒrgerlichen kapituliert, und es ist bis heute nicht gelungen, den Alternativentwurf, den gerade auch Ihre Zeitung reprĂ€sentiert, prĂ€gend in die Politik einzubringen. Daran muß mit aller Kraft gearbeitet werden! Ich vermute, daß man in CDU, FDP, ÖVP – und bis vor kurzem auch in der FPÖ – gar nicht richtig versteht, was Gender Mainstreaming eigentlich ist. Man darf nicht vergessen, daß Gender Mainstreaming Politikern wie BĂŒrgern meist als vielleicht spinnerte, aber harmlose gesellschaftliche „Errungenschaft“ gegenĂŒbertritt.

Zum Beispiel in Gestalt des große Binnen-I oder des Ersetzens geschlechtsspezifischer durch geschlechtsneutrale Substantive.

Rosenkranz: Etwa „Vater und Mutter“ durch „Elternteile“, „Studenten und Studentinnen“ durch „Studierende“ oder auch „Rednerpult“ durch „Redepult“ etc. oder wenn in KindergĂ€rten die Buben mit MĂ€dchenspielzeug spielen sollen und umgekehrt, so wirkt das meist eher skurril als bedrohlich, und man kann den Marketing-Beratern, BetriebsrĂ€ten, Lehrern oder KindergĂ€rtnerinnen, die das durchsetzen, nicht unterstellen, sie planten heimlich die Auslöschung von Mann und Frau.

Die meisten von ihnen wissen selbst nicht, was hinter der eigentlichen GM-Idee steckt, und handeln eher aus einer naiven Vorstellung von gesellschaftlicher Gerechtigkeit heraus. Schließlich wird ihnen das Ganze als „Gleichstellung“, „Chancengleichheit“ und „Antidiskriminierung“ verkauft. Sogar das Bundesfamilienministerium hat den Begriff GM fallengelassen und spricht inzwischen von „Gleichstellungsstrategie“, wenn es GM meint.

Der Zeitschrift „Zuerst!“ sagten Sie jĂŒngst, dennoch werde GM scheitern.

Rosenkranz: Davon bin ich ĂŒberzeugt, denn mit dieser Ideologie kann man nicht leben, sondern nur zugrunde gehen. Die entscheidende Frage ist aber: Können wir uns rechtzeitig aus diesem Irrtum befreien? Denn die schlimmste Wirkung entfaltet GM gerade in dem SchlĂŒsselbereich schlechthin, in der PĂ€dagogik. Was die ErschĂŒtterung bzw. Vernichtung des SelbstverstĂ€ndnisses von Mann und Frau fĂŒr Buben und MĂ€dchen bedeutet, die sich an Vorbildern, an Rollenbildern entwickeln mĂŒssen, kann gar nicht ernst genug genommen werden: Es geht um unsere Zukunft! Ja, GM wird scheitern, aber wenn wir einfach darauf warten, wird es uns mit in den Abgrund reißen. Denn in der Konkurrenz der Kulturen wird eine Kultur, die gegen die Gesetze des Lebens handelt, nicht bestehen, sondern vitaleren Kulturen zum Opfer fallen.  

Junge Freiheit, 28.02.2010 (JF 9/10)

 Barbara Rosenkranz ist freiheitliche Landesministerin im Bundesland Niederösterreich und war zuvor Abgeordnete des Nationalrats, des österreichischen Parlaments, zustĂ€ndig fĂŒr die Themen Familie und Gesundheit. Sie studierte Geschichte und Philosophie und veröffentlichte 2008 ihre detaillierte Studie „MenschInnen. Gender Mainstreaming – auf dem Weg zum geschlechtslosen Menschen“ (Ares-Verlag). Geboren 1958 in Salzburg, ist die Mutter von zehn Kindern seit 2005 Vize-Bundesvorsitzende der FPÖ.

 

Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 2. MĂ€rz 2010 um 17:44 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Sexualethik.