Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

„Gender mainstreaming“

Montag 15. Februar 2010 von Kirchenrat Hans Lachenmann (1927-2016)


Kirchenrat Hans Lachenmann (1927-2016)

Gender mainstreaming

Hier taucht es auf, das rätselhafte Wort. Diesmal als Überschrift für ein Unternehmen, das schon selbstverständlich in unserer Kirche seinen Platz eingenommen hat: das „Netzwerk“ und das „Büro für Chancengleichheit“ im Oberkirchenrat mit dem Ziel der „Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Kirche und Gesellschaft.“ Wer nachfragt, erfährt, dass es sich bei Gender um „die soziokulturellen Unterschiede zwischen Männern und Frauen“ handelt, die verschieden und veränderbar sind im Unterschied zu dem angeborenen biologischen Unterschied der Geschlechter. Das Ziel der kirchlichen Bemühung ist es, „die unterschiedlichen Bedürfnisse und Lebenslagen von Frauen und Männern sichtbar zu machen und bei der Planung von Maßnahmen von vornherein in den Blick zu nehmen“. Ist das nicht vernünftig? Liegt das nicht in der Konsequenz des biblischen Menschenbildes?

Doch dann komme ich ins Nachdenken, wenn ich im Genderhandbuch der Nordelbischen Kirche auf Seite 11 kleingedruckt die Anmerkung finde:

„Geschlechtergerechtigkeit bedeutet in letzter Konsequenz die Überwindung des bipolaren Geschlechterkonstrukts hin zu einem Bild, das alle Möglichkeiten, die sich zwischen den Idealen von Männlichkeit und Weiblichkeit auftun, umfasst. Auch wenn uns dieses Konstrukt heute noch als analytische Kategorie hilft, Unterschiede wahrzunehmen und einzuordnen, muss es, auch im Interesse all der Menschen, die aus diesem Schema herausfallen (Intersexuelle, Transsexuelle, Queer-Menschen), zur Dekonstruktion, zur Erweiterung und damit zur Auflösung des bipolaren Geschlechtermodells kommen.“

Hier wird das Ziel genannt, dem alle BemĂĽhungen des Gender Mainstreaming gelten:

„Die Auflösung des bipolaren Geschlechtermodells“. Denn es ist ein „Konstrukt“, und zwar ein ungerechtes, das deshalb dekonstruiert werden soll. Das Gender Kompetenz Zentrum in Berlin belehrt uns: „Gender-Studies haben nachgewiesen, dass es kein vorgefertigtes Geschlecht gibt – es ist ein Konstrukt, abhängig von historischen und kulturellen Kontexten.“ Heute mag die alte Kategorie des „bipolaren Geschlechterkonstrukts“ zwar noch helfen, aber es muss zurückgebaut werden. Und zwar so, dass Männern und Frauen Wege gezeigt werden, wie sie durch die Veränderung ihres typischen männlichen oder weiblichen Rollenverhaltens („Stereotypen“) sich besser verstehen und einander angleichen können. Das ist aber nur der Anfang. Wer mit offenen Karten spielt, darf das Ziel nicht verstecken. Das Ziel ist die „Auflösung des bipolaren Geschlechtermodells“ zugunsten eines pluralen Spektrums. Im „Genderbereich“, jenseits der bisherigen heterosexuellen Norm, also unabhängig von der Anatomie, öffnen sich Wege zur Wahl zwischen homosexuellen, bisexuellen, transsexuellen und heterosexuellen Lebensweisen, die im Lauf eines Lebens sogar gewechselt werden können.

Wie das politisch umgesetzt werden soll, zeigt die im Dezember 2007 von der „GrĂĽnen Jugend“ verabschiedete Resolution: „Der Begriff ‚Familie’ wird bei uns in erneuerter Definition verwendet: Wir verstehen darunter sowohl das klassische Vater-Mutter-Kind-Bild, als auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit oder ohne Kind, polygame Lebensgemeinschaften, Patchworkfamilien, Alleinerziehende, aber auch Wohngemenschaften … Dies wollen wir rechtlich mit einem Familienvertrag absichern und damit die Ehe ersetzen.“ Auch Geschwister, die sich lieben, sollen Familienverträge abschlieĂźen und Kinder bekommen können.

Nun hat die Fraktion der SPD im Januar dieses Jahres im Bundestag ein Gesetz zur Änderung von Art 3 des Grundgesetzes eingebracht, unterstützt von den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen. Der Schutz des Grundgesetzes für  Ehe und Familie soll mit Hilfe des neuen Begriffs der „sexuellen Identität“ erweitert werden, so dass Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle  etc. unter denselben Schutz des Grundgesetzes gestellt werden – mit allen rechtlichen, sozialen und finanziellen Folgen.

Auch wenn dieser Antrag an der Zweidrittel-Prozent Hürde des Grundgesetzes scheitert – wer weiß, wie lange die Dämme halten? Denn die Wasser des Gender Mainstream fließen unaufhaltsam – immer von oben nach unten. Von der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel zu den Staatsregierungen, zu den Länden, den Kommunen, damit die Gender-Regeln möglichst geräuschlos „implementiert“ werden können. Das geschieht durch Empfehlungen, finanzielle Förderungen, Verwaltungsvorschriften und durch Propaganda. Dafür sorgt das gut dotierte Gender Kompetenz Zentrum in Berlin. Alle öffentlichen Institutionen werden auf diese Weise bewässert. Neben den Bildungseinrichtungen scheint die Kirche besonders wichtig zu sein. Und da sind nun wir selbst dran.

Deshalb die Fragen:

–                     MĂĽssen, sollen, dĂĽrfen wir die von „oben“ kommenden Wasser der Gender-Philosophie einfach in die kirchlichen Kanäle einleiten? Muss da nicht ein Filter eingebaut werden, um der Kirche wesensfremde Einträge abzuhalten?

–                     Bedarf es bei dem Gewicht der Sache nicht eines öffentlichen Dialogs und eines geordneten Meinungsbildungsprozesses, an dem alle beteiligt werden, weil es auch jedes Gemeindeglied betrifft? Und zwar ohne Denk-und Redeverbote, und dies möglichst angstfrei – in einem leider nicht mehr so offenen öffentlichen Klima.

–                     Ist die Gender-Mainstreaming-Philosophie wahr? Kann sie bestehen vor dem Forum der Vernunft, unseres Erfahrungswissens und solider wissenschaftlicher Forschung? Oder ist es eine Pseudowissenschaft, wie sie im vergangenen Jahrhundert der Marxismus und andere Ideologien entwickelt und damit die Menschen verfĂĽhrt und betrogen haben?

–                     Kann sie bestehen vor den Kriterien unserer Kirche, der Schrift und den Bekenntnissen der Reformation und auch der Barmer Theologischen Erklärung von 1934? Das gilt vor allem im Hinblick auf das Menschenbild. Ist das „bipolare Menschenbild“ der Bibel Abbild des Schöpfers, Zeichen unserer ErgänzungsbedĂĽrftigkeit und unseres Angewiesenseins auf Gott den Schöpfer, den Erlöser und Vollender? Oder ist es Zeichen einer Fehlkonstruktion, die der Mensch in eigener Vernunft und Autorität dekonstruieren muss, um den neuen Gender-Menschen zu schaffen, der dann frei und autonom seine “Identität“ und „Orientierung“ wählen und leben kann?

–                     Ist die angestrebte Geschlechtergerechtigkeit des gleichgestellten und autonomen Menschen kompatibel mit der biblischen Gerechtigkeit, die sich im Bild des einen Leibes mit den verschiedenen, aufeinander angewiesenen Gliedern zeigt?

Vor dem Forum dieser und weiterer Fragen muss eine verantwortliche evangelische Kirche prĂĽfen, ob sie den Wassern des Gender Mainstream den Lauf in ihr Haus freigeben kann oder nicht.

Wir sind heute – wieder – in den Fundamenten des Glaubens und der Kirche durch das europäische politische Gender Mainstreaming Programm herausgefordert. Wir können die Situation nur bestehen, wenn wir wie die „Manhattan Declaration – a Call of Christian Conscience“ vom 20.10.2009 – unterschrieben von 125 hochrangigen Vertretern christlicher Kirchen und Glaubensgemeinschaften in den USA angesichts der Zumutungen der gegenwärtigen US-Administration – auch unsere Situation auf den Punkt bringen, an dem sich alles entscheidet:

„Wir sind bereit, dem Kaiser zu geben, was des Kaiser ist, aber unter keinen Umständen sind wir bereit, dem Kaiser zu geben, was Gottes ist“.

Kirchenrat Hans Lachenmann
Aus: FĂĽr Arbeit und Besinnung 2/2010, 15. Januar 2010
Zum Thema „Was ist der Mensch“ ist vom Verfasser das Buch „Sieh hin und du weiĂźt“ erschienen (Calwer Verlag , 9,95 Euro).

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 15. Februar 2010 um 8:34 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Sexualethik.