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Neun Worte der Verläßlichkeit

Wolfgang Huber, EKD-Ratsvorsitzender
Neun Worte der Verläßlichkeit

Einführung

Wir sind unterwegs, wir sind im Aufbruch, ein jeder für sich, wir miteinander als Gemeinde und Kirche, das Leben unter Gottes Sonne kennt keinen Stillstand. Manchen langen Weg haben wir vor Augen: Vom Anschlag der Thesen Martin Luthers 1517 in Wittenberg kommen wir her, das Reformationsjubiläum 2017 wirft sein Licht auf den Weg, der vor uns liegt!  In der Bewegung, dem Unterwegssein, dem Aufbruch bestimmt uns der Geist und die Kraft Jesu Christi: „Der Herr ist der Geist, wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ An der Freiheit aus Glauben sind wir erkennbar. Darin liegt unsere Mitte. Auf diesen Ton sind wir gestimmt. Wir Christen stehen für eine klare Botschaft im wechselnden Strom des Zeitgeistes, wir haben eine Quelle, eine Hoffnung, einen Standpunkt. „Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, findet sich bald als Witwer vor“, sagte Sören Kierkegaard; doch wir sind mit Gottes Verheißung verbunden, nicht einfach mit dem Geist unserer Zeit. Daraus kann uns keiner lösen. Wir sind unserer Zeit zugewandt und bleiben doch frei und unabhängig vor ihr; wir sind vielfältig und verschieden, aber es gibt einen gemeinsamen Herzschlag, eine gemeinsame Mitte, eine gemeinsame Hoffnung.

Die Zukunftswerkstatt 2009 in Kassel klingt deshalb aus mit neun Sätzen der Verläßlichkeit, Sätzen, in denen dieser Herzschlag des Glaubens zum Klingen kommt. Keine politischen Forderungen, heute so kurz vor der Wahl, keine Wahlprüfsteine für die heute noch immer Unentschiedenen, keine Sätze einer einzelnen Person oder eines Gremiums. Diese Sätze sind, im gemeinsamen Nachdenken gewachsen. Sie machen deutlich, was uns zusammenhält. Sie regen an, mit eigenen Worten weiterzusagen, was uns verbindet: worauf wir uns verlassen und worauf andere sich bei uns verlassen können, wofür wir eintreten und was andere bei uns erwarten können: Neun Sätze der Verläßlichkeit.

Zwei junge Menschen, Ingo Dachwitz und Manuela Schäfer, tragen diese Sätze mit mir zusammen vor. Es sind Zukunftssätze; sie sollen uns auf unserem Weg begleiten – Jedenfalls bis 2017.

1. Gottesbegegnung

„Wer Asche hütet, den hat sein Herz getäuscht.“ (Jesaja 44, 20)

Christen vertrauen auf Gott, den Schöpfer allen Lebens. Bei ihm suchen sie die Wahrheit über ihr Leben, über Größe und Gebrechen, über Glanz und Grenzen. Christen widerstreiten dem Irrtum, das Leben ohne Gott sei friedlicher und freier, toleranter und lebenswerter.

2. Lebenserneuerung

„Unsere Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Netze des Vogelfängers, das Netz ist zerrissen und wir sind frei.“ (Psalm 124, 7)
Unsere Seele sehnt sich nach der Befreiung aus den Fallstricken der Selbstüberschätzung und der Unverbindlichkeit. Christen vertrauen darauf, daß ihre Freiheit in der Bindung an Christus eine klare Gestalt gewinnt. Sie widerstreiten der Unwahrheit, daß Besitz, Leistung und Konsum allein ein Leben frei und sinnvoll machen könnten.

3. Hoffnungsleben

„Und bleibe bei dem, was dir dein Herz rät.“ (Jesus Sirach 37, 17)

Hoffnung ist der Halt eines festen Herzens. Christen bezeugen Gott als Grund und Ziel aller Hoffnung, als „Schutz und Schirm vor allem Argen, als Stärke und Hilfe zu allem Guten“. Sie widerstreiten der Verzagtheit, die sichtbare, vermeßbare Welt sei die einzig wahre Welt.

4. Weitergeben

„Gott aber gebe mir, nach seinem Sinn zu reden und so zu denken, wie es solcher Gaben würdig ist.“ (Weisheit Salomos 7, 15)

Heilige Texte, gewachsene Lehren, gereifte Rituale sind Schätze in irdenen Gefäßen. Ohne Tradition gelingt keine Emanzipation, reine Gegenwärtigkeit ist banal. Christen widerstreiten der Vergeßlichkeit; die Schätze des Wissens, des Glaubens und des Tuns weiterzugeben an die nächste Generation, ist ihnen Reichtum, Ehre und Aufgabe.

5. Zusammensein

„Finde ich fünfzig Gerechte …, so will ich um ihretwillen dem ganzen Ort vergeben.“ (1 Mose 18, 26)

Eine Gesellschaft lebt aus Quellen, die sie dankbar annehmen und weiter entwickeln, aber nicht selbst hervorbringen kann. Christen halten die Quelle des Mitgefühls, des Engagements und der Verantwortlichkeit lebendig: es ist die Gemeinschaft mit Gott. Sie widerstreiten dem Kleinmut, daß der Einsatz für die Würde des Menschen, für die Solidarität mit den Schwachen und für die Bewahrung der Schöpfung vergeblich sei.

6. Innehalten

„Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen.“ (Jesaja 30, 15)

Der Lärm der Welt macht Menschen taub und stumm vor Gott. Leben aus der Verwunderung über Gottes Gegenwart, Einkehr bei Gott, Atmen mitten im Sturm, Freibleiben in aller Angst – das ist Gebet. Christen widerstreiten der Überheblichkeit, Sinn, Glück und Erfüllung selbst herstellen, ja, sich selbst erlösen zu können.

7. Nachhaltigkeit

„Wer voll brünstiger Gier ist, der ist wie ein brennendes Feuer und hört nicht auf, bis er sich selbst verzehrt hat.“ (Jesus Sirach 23, 22)

Der Appetit der Gegenwart darf nicht zum Hunger der Zukunft werden. Christen stehen ein für eine Welt, in der auch Kinder und Enkel noch leben können, – schuldenfrei, lastenleicht, unverbaut. Sie widerstreiten der Hoffnungslosigkeit, daß Bescheidenheit, Entschleunigung, Nachhaltigkeit in einer wachstumshörigen Welt unmögliche Tugenden seien.

8. Vertrauen

„Wenn ich ihnen zulachte, so faßten sie Vertrauen.“ (Hiob 29, 24)

Vertrauen ist das wahre Kapital jedes Zusammenlebens. Christen setzen sich dafür ein, daß dieses Kapital als `Stiftung für das Leben´ von niemandem leichtfertig verzehrt wird. Sie widerstreiten dem Irrtum, daß kleine Vertrauensbrüche keinen großen Schaden anrichten.

9. Unterwegs sein

„Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, den Helm des Heils, und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.“ (Epheser 6, 16)

Kirchen bieten Heimat auf dem Weg in die Zukunft. Von Gott Gutes zu sagen, ist das Herz ihres Dienstes. Musik ist der Klang ihres Trostes, Bildung die rechte Hand ihres Glaubens und Gerechtigkeit die Farbe ihres Engagements. Christen widerstreiten dem Kleinglauben, zurückgehende Ressourcen könnten Kraft und Klarheit des Wortes Gottes schwächen.

Abschluß:

Diese neun Sätze der Verläßlichkeit gebe ich euch heute mit. Sie können uns Orientierung geben auf unserem gemeinsamen Weg. Mein Wunsch ist, daß wir in aller Arbeit, in allem Aufbruch, in aller Anstrengung Zeit finden, diese Sätze zu bedenken, zu diskutieren und weiterzuentwickeln.  Uns begleitet die Hoffnung, von der  es im Brief an die Epheser heißt  daß wir „mit allen Heiligen begreifen können, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist“, damit wir „die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft“. Wir machen uns mit diesen Sätzen auf den Weg, damit wir erfüllt werden mit der ganzen Gottesfülle und die Schönheit unseres Glaubens zur Sprache kommt und andere erreicht.

Schlußwort bei der „Zukunftswerkstatt“ der EKD (Kassel 24.-26.9.09)