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Die Ehe – ein Auslaufmodell?

Die Ehe – ein Auslaufmodell?

Einige soziologische Beobachtungen und theologische Perspektiven

„Eine Ehe ist soviel wert, wie ihre Scheidung kostet“ hat der Schriftsteller Rolf Hochhuth spöttisch vermerkt. Die Institution Ehe scheint zum bloßen Marktwert zu verkommen. Was bringt es mir zu heiraten? Was habe ich davon, wenn ich treu bin? Ist das Unternehmen Ehe nicht zu riskant? Jedenfalls nimmt in unserer Gesellschaft die Zahl der Eheschließungen ab und die der Ehescheidungen zu. In manchen städtischen Regionen liegt die Scheidungsrate bei 50 Prozent. Was steckt hinter der Krise der Ehe in der modernen Gesellschaft?

Es sind ohne Frage eine Reihe von tiefgreifenden soziologischen Veränderungen, die die Krise der Ehe verstärkt und beschleunigt haben. Von diesen Problemen sind auch Christen – bis hin zu Pfarrersehen – betroffen. Dennoch muß man klar unterscheiden zwischen den sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen, die die konkrete Gestaltung der Ehe ausmachen, und dem Schöpfungsauftrag, der das Wesen der Ehe bestimmt. Die äußeren Formen wandeln sich im Laufe der Zeit und von Gesellschaft zu Gesellschaft. Aber die Bestimmung des Menschen, als ein Mann mit einer Frau in Liebe und gegenseitiger Treue zu leben, bleibt. Was dies angeischts der gegenwärtigen Umbrüche bedeutet, wollen wir im Folgenden kurz bedenken.

Die Ehe: keine Arbeitsgemeinschaft,  sondern Freizeitbeschäftigung

Vor der industriellen Revolution waren Ehe und Familie das grundlegende Fundament der wirtschaftlichen Existenz. Durch gemeinsame Arbeit auf dem Bauernhof oder im Handwerkerbetrieb sicherte man seinen Lebensunterhalt. Jeder und jede hatte eine klar definierte Rolle mit einem festen Arbeitsauftrag. In der modernen Gesellschaft trennen sich die Ehepartner, um in Fabriken, Büros und Geschäften ihrer je eigenen beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Die Frauen verfügen häufig über eine hoch qualifizierte Ausbildung und stehen ebenfalls im Beruf. Das einst große Hauswesen ist zur Wohnung einer Kleinfamilie zusammengeschmolzen. Der klassische Arbeitsbereich der Frau ist Dank vieler technischer Geräte auf ein Minimum geschrumpft. Ehe und Familie, einst die Säule des Wirtschaftssystems, werden auf die Freizeitwelt reduziert. Die Ehe findet individualisiert im Privatbereich statt. Sie ist der beruflichen Selbstverwirklichung der Partner untergeordnet.

Damit stellt sich die Frage nach Prioritäten. Stimmen die Ehepartner ihr berufliches Engagement so aufeinander ab, daß genug Freiräume für die Gestaltung ihrer Beziehung und die Erziehung der Kinder bleiben. Mehr gemeinsame Freizeit durch kürzere Arbeitszeiten, Wochenenden und Urlaub zu haben, ist auch ein Zugewinn, der Ehe und Familie ganz neue Chancen zur Entfaltung gibt.

Emanzipation der Frau und neue Rollenverteilung

Waren früher die Rollen zwischen Mann und Frau eindeutig zugeordnet, so werden diese nun kräftig durcheinander gewirbelt. Wer ist für das finanzielle Auskommen der Familie zuständig? Wer kümmert sich um die Kinder? Wer versorgt den Haushalt? Darüber mußte früher nicht diskutiert werden, das stand zwischen den Ehepartnern fest. Heute müssen mit einiger Unsicherheit erst einmal Kompromisse gesucht und Vereinbarungen getroffen werden. Das bringt unter Umständen kräftige Konflikte mit sich. Die Frau ist wirtschaftlich weithin unabhängig. Das Scheidungsrecht verzichtet auf die Klärung der Schuldfrage und reguliert lediglich Versorgungsansprüche.

Die Rollenunsicherheit ist eine Herausforderung für die Liebe und den Respekt, den sich die Ehepartner entgegenbringen. Leben sie angesichts der gesetzlichen Gleichberechtigung so, daß die Begabungen, beruflichen Qualifikationen etc. beider Partner zum Zuge kommen? Finden sie Wege, häusliche Aufgaben ohne Überbelastung der Frau gerecht zu verteilen. Sind Mütter und Väter bereit, ihre Karriereansprüche zum Wohl von Kindern einzuschränken und auch Verzicht zu üben? Wenn dazu Offenheit besteht, sind die modernen Rahmenbedingungen ein Zugewinn an Freiheit und Lebensmöglichkeiten.

Mobilität mischt die Partnersuche auf

In früheren Jahrhunderten fand man seinen Ehepartner in der angestammten Umwelt des Heimatdorfes, seines Standes bzw. seiner Zunft. Heute leben wir in einer globalen Welt, in der Menschen unterschiedlicher Rassen, Nationalitäten, Bildungsschichten, Religionen und Konfessionen sich begegnen. Das bedeutet eine enorme Herausforderung an die Ehepartner aus unterschiedlichen Milieus, sich aufeinander einzustellen und eine gemeinsame Identität zu entwickeln.

Der Glaube an Jesus bedeutet eine neue christliche Identität. Die Nachfolge umfasst alle Lebensbereiche. Die Ehe ist ebenfalls ein totales Engagement. Damit es hier nicht zu Zerreißproben kommt, ist der gemeinsame Glaube das wichtigste Fundament für die Ehe. Auf dieser Grundlage können kulturelle und gesellschaftliche Unterschiede und Spannungen fruchtbar gemacht werden, weil man eine tragfähige Mitte des Lebens hat.

Der Tod scheidet nicht mehr so schnell; deshalb dauern Ehen länger

Die Menschen leben dank gewaltiger medizinischer Fortschritte etwa dreimal so lange wie noch vor hundert Jahren. Früher galt die Statistik, daß die Ehe die Kinder im Haushalt nicht überlebt. Heute überlebt ein Ehepaar in Zweisamkeit die Kinder, die längst das Nest der Familie verlassen haben. Dadurch erstreckt sich die Ehe über Zeiträume, die in vergangenen Jahrhunderten so in der Regel nicht gemeinsam erlebt wurden. In den einzelnen Lebensphasen eines Ehepaares wird es nötig, sich immer neu aufeinander einzustellen; vor allem wenn sich mit der Zeit auch die Persönlichkeit und die Lebensgewohnheiten der Partner verändern.

Liebe ist der Wunsch miteinander alt zu werden. Wenn man als Ehepaar nicht nur „ein Fleisch wird“, sondern – um mit Hölderlin zu reden – auch „ein Gespräch wird“, kann die Liebesbeziehung in den verschiedenen Lebensphasen mit wachsen. Veränderungen am anderen und sich selbst zu erleben ist spannend, wenn man sich gegenseitig immer neu bejaht und annimmt. Eine lange Biographie als Liebesgeschichte erweist sich dann als Geschenk. Man lernt sich immer besser kennen und verstehen.

Große Glückserwartungen und kleine Kinderzahlen

Weil die Ehen im Normalfall von der gemeinsamen Arbeit für den Lebensunterhalt abgekoppelt und dem Freizeitbereich zugeordnet sind, nehmen die individuellen Glückserwartungen zu. In einer kalten und oft harten Arbeitswelt sollen Ehe und Familie Wärme, Intimität und Geborgenheit schenken. Die Anerkennung und Zuwendung, die in der rauen Wirklichkeit da draußen nicht erlebt wird, soll zuhause vom Ehepartner vermittelt werden. Er bzw. sie ist der Garant meines privaten Glücks, das auch so eingefordert wird. Mit derart übersteigerten Glückserwartungen fühlen sich viele Ehepartner schlicht überfordert, was dann zu Enttäuschungen und nicht selten zur Scheidung führt.

Das wird nicht zuletzt am gewandelten Verständnis der Sexualität deutlich. Der primäre Sinn von Geschlechtlichkeit lag bei früheren Generationen in einer möglichst hohen Zahl von Nachkommen, die nicht nur den Fortbestand der Familie, sondern auch die wirtschaftliche Versorgung sicherstellten. Auf Grund möglicher Empfängnisverhütung und sozialer Altersversorgung hat die Sexualität eine andere Bestimmung erlangt. Sie soll eine Chance wechselseitiger Glückserfahrung sein, auch ohne die spezifische Absicht Kinder zu zeugen. Die Umkehrung der Alterspyramide zeigt diese Verschiebung drastisch. Nun bedeuten Kinder für ein Ehepaar jedoch eine hohe persönliche Verantwortung. Lebt das Paar willentlich kinderlos oder nur mit einem Einzelkind, hat dies auch Einfluss auf die Bereitschaft sich unter Umständen – scheinbar problemlos – zu trennen.

„Nicht glücklich werden, sondern den anderen glücklich machen, ist das Geheimnis der gelingenden Ehe.“ Dieser Rat findet sich in alten Handbüchern zur Ehevorbereitung. Auch wenn die Forderung steil klingt, trifft sie die Sache am entscheidenden Punkt. Nicht möglichst viel vom anderen profitieren, sondern ihn fördern. Nicht in erster Linie Liebe erwarten, sondern sie verschenken. Diese Grundhaltung der Hingabe und des Dienstes lernen und erleben wir bei Jesus Christus, der seine göttlichen Rechte nicht festhielt, sondern für uns dahingab (vgl. Philipper 2,5-11). Weil wir von Jesus Liebe empfangen, sind wir in der Lage Liebe zu schenken.