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Durchbruch oder Dammbruch?

Durchbruch oder Dammbruch?
Streitgespräch Ministerin Annette Schavan, Stammzellforscher Oliver Brüstle, Moraltheologe Eberhard Schockenhoff und RM-Redakteur Matthias Gierth über Menschenwürde, tiefgekühlte Embryonen und die Lobbyarbeit der Wissenschaftler

Forum Pariser Platz

Regelmäßig ist der Rheinische Merkur Medienpartner bei der Veranstaltungsreihe „Forum Pariser Platz“. Sie wird von Deutschlandradio Kultur und Phoenix gestaltet und mit der Dresdner Bank in Berlin organisiert. Das nachfolgende Streitgespräch dokumentiert komprimiert die einstündige Debatte am 11. März. Es diskutierten Bundesforschungsministerin Annette Schavan, Professor Oliver Brüstle, Direktor des Bonner Instituts für Rekonstruktive Neurobiologie, Professor Eberhard Schockenhoff, Moraltheologe an der Uni Freiburg und Mitglied des Deutschen Ethikrats, sowie der stellvertretende Chefredakteur des Rheinischen Merkur, Matthias Gierth. Das Gespräch moderierte Deutschlandradio-Chefredakteur Peter Lange.

Frage: Warum sollte das Stammzellgesetz geändert werden?

Oliver Brüstle: Die Zelllinien, die heute zur Verfügung stehen, wurden vor 2002 gewonnen. Sie sind mittlerweile nicht mehr auf dem neuesten technischen Stand. Mittlerweile stehen bessere Zelllinien zur Verfügung, die international eingesetzt werden. Wir möchten mit unseren Kooperationspartnern in anderen Ländern auf Grundlage dieser neuen Zellen zusammenarbeiten.

Annette Schavan: Wir haben in Deutschland einen besonderen Weg eingeschlagen. Wir wollen einen Schwerpunkt setzen bei Alternativen, der Forschung also, die sich bemüht, zu Stammzelllinien zu kommen, ohne Embryonen zu verbrauchen. Das galt vor einigen Jahren noch als undenkbar. Heute wissen wir von der Reprogrammierung der somatischen Körperzelle hin zur pluripotenten Stammzelle. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, alle Forscher sagen: Dafür brauchen wir Erkenntnisse über die Entwicklung der embryonalen Stammzelle. Und das muss mit Stammzellen möglich sein, die von besserer Qualität sind als die von 2002. Ich möchte, dass das Gesetz in seiner Substanz erhalten bleibt, keinen Anreiz zu bieten für den Verbrauch menschlicher Embryonen. Andererseits möchte ich, dass der schmale Korridor, der 2002 für die Forschung geschaffen wurde, auch in Zukunft erhalten bleibt.

Frage: Herr Schockenhoff, warum sind Sie gegen eine Gesetzesänderung?

Eberhard Schockenhoff: Es gibt grundlegende moralische Bedenken: Einmal der Umstand, dass ein menschlicher Embryo nicht einfach Forschungsmaterial ist. Er ist vielmehr der Anfang einer Lebensgeschichte eines anderen Menschen. Deshalb müssen wir ihm als einem ebenbürtigen Menschen begegnen, besonders was seine Würde und das Recht auf Leben anbelangt. 2002 hat man gesagt: Das Unrecht der Vernichtung der Embryonen, aus denen embryonale Stammzellen gewonnen wurden, können wir nicht mehr ungeschehen machen. Ein einseitiger deutscher Forschungsverzicht wird sie nicht wieder ins Leben zurückholen. Aber das kann man nun nicht immer wieder wiederholen. Wir müssen entscheiden, was uns das Bekenntnis zu Würde und Lebensschutz wert ist. Das zeigt sich dann eben auch dort, wo es einmal einen Verzicht kostet.

Frage: Herr Gierth, wie sehen Sie das Verhältnis von Forschungsfreiheit und ethischen Bedenken?

Matthias Gierth: Forschungsfreiheit ist durch das Grundgesetz garantiert. Es heißt dort aber auch: „Das entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Hier deutet sich schon an, dass es Einschränkungen geben kann. Der Forschungsfreiheit steht der Menschenwürdeschutz des Embryos entgegen. Menschenwürde ist nicht abwägbar. Forschungsfreiheit endet dort, wo die Menschenwürde des Embryos beginnt. Zwar haben wir es mit Stammzellen zu tun und nicht mit Embryonen. Trotzdem darf man nicht ausblenden, woher die Stammzellen kommen.

Frage: Herr Brüstle, verstoßen Sie ständig gegen die Menschenwürde?

Brüstle: Für mein Verständnis nicht. Die Stammzellen, mit denen ich arbeite, sind aus überzähligen befruchteten Eizellen entwickelt worden, die in Israel zur Verfügung standen. Die befruchteten Eizellen lagerten tiefgekühlt in Gefrierbehältern. Ich halte es für gerechtfertigt, in einem solchen Fall die Frage zu stellen: Ist es es nicht wert, einige wenige der hunderttausendfach verworfenen überzähligen Eizellen zu nutzen, um potenziell therapeutisch relevante Zelllinien herzustellen? Wir müssen uns Gedanken machen über die Schutzwürdigkeit und fragen: Gilt sie für die befruchtete Eizelle im gleichen Maße wie für einen Embryo nach Eintritt der Schwangerschaft?

Frage: Herr Schockenhoff, was ist mit überzähligen Embryonen zu tun?

Schockenhoff: Überzählige Embryonen sind durch eine moralische Grenzüberschreitung entstanden. Im Ausland ist man hier viel unbekümmerter als bei uns. In Deutschland dürfen nach dem Gesetzeswillen keine überzähligen Embryonen entstehen. Hinsichtlich der grundlegenden Rechte des Menschseins ist der Embryo einem geborenen Menschen gleichzustellen.

Frage: Was ist mit der Menschenwürde der Kranken? Zählt sie nicht?

Schavan: Sie zählt. Deshalb ringen wir ja so. Weil ja niemand das, was in der Medizin einmal möglich sein kann, einfach ignoriert. Bei der Debatte 2002 standen die Therapien im Vordergrund. Heute ist es die Forschung, die Zellen noch besser zu verstehen. Forscher, die an der Reprogrammierung sind, sagen: Hätten wir nicht in den letzten Jahren Erkenntnisse aus der embryonalen Stammzellforschung gehabt, wüßten wir nicht einmal, wie dieser Prozeß der Rückentwicklung überhaupt geht. Vertiefte Erkenntnis steht heute im Vordergrund.

19.3.2008