Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Eine historische Chance

Donnerstag 16. April 2009 von Prof. Dr. Rolf Schieder


Prof. Dr. Rolf Schieder

Eine historische Chance

Wer am Morgen des 26. April 2009 in Berlin aufwachen wird, kann mit Genugtuung feststellen: „Heute bin ich das Volk!“ Zwanzig Jahre nach der friedlichen Revolution, als der Ruf „Wir sind das Volk!“ den Politikern zeigte, dass das Volk nicht alles mit sich machen lässt, sind die Berlinerinnen und Berliner dazu aufgerufen, durch ihr „Ja“ die religiöse Bildung in Berlin auf ein neues, nachhaltiges, gerechtes und freiheitliches Fundament zu stellen.

Wer am 26. April mit „Ja“ stimmt, der sagt

Ja zum gleichen Recht für alle Deutschen.

Neun Millionen Schülerinnen und Schüler in ganz Deutschland können frei zwischen Religionsunterricht oder Ethikunterricht wählen – ausgerechnet die Kinder in der Hauptstadt Deutschlands dürfen das aber nach dem Willen des Berliner Senats nicht. Wer am 26. April mit „Ja“ stimmt, der setzt sich dafür ein, dass Kinder in Berlin die gleichen Rechte haben wie Kinder in Düsseldorf, Frankfurt oder München.

Wer am 26. April mit „Ja“ stimmt, der sagt

Ja zu mehr Qualität an der Schule.

Die Gegner des neuen Gesetzesentwurfes möchten alles beim alten lassen: Der Religionsunterricht wird als „Sache der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“ angesehen, dessen Qualität dem Staat egal ist. Weder interessiert er sich für gut ausgebildete Lehrkräfte, noch bemüht er sich darum, den Religionsunterricht mit anderen Fächern zu koordinieren. Die Befürworter des neuen Gesetzesentwurfes hingegen wollen, dass der Staat auch für die Qualität der religiösen Bildung Verantwortung übernimmt.

Wer am 26. April mit „Ja“ stimmt, der sagt

Ja zu mehr Integration.

Der neue Gesetzesentwurf sieht vor, dass der Religionsunterricht als ein ordentliches Schulfach unter staatlicher Aufsicht integrativer Bestandteil schulischer Bildung wird. Die Kooperation zwischen den Religionsgemeinschaften ist ebenso vorgesehen wie die Kooperation mit anderen Unterrichtsfächern. Die Gegner des neuen Gesetzesentwurfes hingegen schließen den Religionsunterricht aus dem normalen Schulbetrieb aus. Sie sagen „Integration“, betreiben aber Exklusion.

Wer am 26. April mit „Ja“ stimmt, der sagt

Ja zu mehr Auswahl.

Wer bei Aldi oder Plus einkaufen geht, erwartet ganz selbstverständlich eine gute Auswahl und ein gute Qualität. Auch Eltern dürfen von den Schulen ein angemessenes Angebot erwarten. Religion wird in den kommenden Jahrzehnten auch in Berlin zu einem Mega-Thema werden. Schulen sollen Kinder auf kommende Herausforderungen vorbereiten. Die Gegner des Gesetzesentwurfs glauben immer noch, dass Religion die Privatsache einer verschwindend kleinen Minderheit sei. Damit verkennen sie aber in dramatischer Weise die globalen Realitäten.

Wer am 26. April mit „Ja“ stimmt, der sagt

Ja zum interreligiösen Dialog im Lehrerzimmer.

Der neue Gesetzesentwurf verschafft den Religionslehrkräften einen legitimen und sicheren Platz in den Lehrerzimmern der Berliner Schulen. Wie sollen die Ethiklehrkräfte Dialogfähigkeit lehren können, wenn sie an den Schulen gar keine Gelegenheit haben, selbst den interreligiösen Dialog einzuüben. Wer Pluralismus will, der muss auch unterschiedliche Positionen in der Schule haben wollen – wie es im wirklichen Leben ja auch der Fall ist.

Wer am 26. April mit „Ja“ stimmt, der sagt

Ja zur Zivilisierung der Religionen durch Bildung.

Religiöse Bildung ist Fundamentalismusprophylaxe. Jeder Bildungsprozess regt selbstkritisches Nachdenken an und es wächst die Einsicht, dass meine Religionsfreiheit auch die Religionsfreiheit anderer ist. Insofern leistet ein guter Religionsunterricht einen wesentlichen Beitrag zum Religionsfrieden.

Wer am 26. April mit „Ja“ stimmt, der sagt

Ja zur religiösen Bildung auch muslimischer Kinder.

Der neue Gesetzesentwurf befürwortet auch einen islamischen Religionsunterricht – aber einen islamischen Religionsunterricht unter staatlicher Aufsicht. Die Gegner des Gesetzesentwurfes hingegen akzeptieren bereits jetzt mehrere verschiedene islamische Religionsunterrichte – und es können noch mehr dazukommen. Wer gegen den neuen Gesetzesentwurf ist, der nimmt die Zersplitterung und Unkontrollierbarkeit religiöser Bildung an Berliner Schulen billigend in Kauf. Guter islamischer Religionsunterricht hingegen wird von Lehrkräften erteilt, die an staatlichen Universitäten ausgebildet wurden, er kooperiert mit dem christlichen und dem jüdischen Religionsunterricht ebenso wie mit dem Ethikunterricht und wird von der Mehrheit der muslimischen Bevölkerung unterstützt.

Wer am 26. April mit „Ja“ stimmt, der sagt

Nein zu einem staatlich verordneten Zivilreligionsunterricht.

Auch ein politisches Gemeinwesen ist eine Glaubensgemeinschaft. Der Glaube der Bürgerinnen und Bürger an seine Vertrauenswürdigkeit hält es zusammen. Wenn dieser Glaube schwindet, hat ein Staat keine Chance mehr zu überleben. Das hat die Geschichte der DDR bewiesen. Deshalb ist es wichtig, dass Heranwachsende einen Sinn darin sehen, gute Staatsbürger zu werden. Das ist ein legitimes Ziel schulischen Unterrichts. Ein freiheitlicher Staat weiß aber, dass er das Vertrauen in das Gemeinwesen nicht gegen, sondern nur in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften bilden und entwickeln kann. Das ist der staatsbürgerliche Sinn des bundesdeutschen Modells religiöser Bildung, das in Berlin leider noch nicht gilt.

Wer am 26. April mit „Ja“ stimmt, der sagt

Nein zur Diskriminierung religiöser Schülerinnen und Schüler.

Angesichts einer immer kürzeren Verweildauer an den Schulen stehen die Schülerinnen und Schüler heute unter einem enormen Zeit- und Leistungsdruck. In keinem anderen Bundesland muten es deren Regierungen den Kindern zu, nur dann religiöse Bildung zu erhalten, wenn sie sich freiwillig und zusätzlich zwei weitere Schulstunden auferlegen. Die Ironie besteht darin, dass bereits jetzt Berliner Abiturienten erhebliche Wissenslücken im Bereich religionskultureller Allgemeinbildung aufweisen. Anstatt allen die Möglichkeit zu geben, sich religiöse zu bilden, werden die Bildungswilligen mit zusätzlichem Aufwand bestraft.

Wer am 26. April mit „Ja“ stimmt, der sagt

Nein zur Ãœberforderung des Ethikunterrichts.

Ethiklehrkräfte können den Unterschied zwischen einem kategorischen und einem hypothetischen Imperativ erklären. Sie haben hoffentlich auch gute Argumente gegen einen egoistischen Alltagsutilitarismus. Aber sie sind unfähig, religiöse Bildung anzuregen, zu begleiten und zu entwickeln. Ein interreligiöser Dialog im Ethikunterricht kann also nur gelingen, wenn die Schülerinnen und Schüler schon anderswo religiös gebildet worden sind. Ein Ethikunterricht, der den religiösen Dialog moderieren will, braucht also notwendig einen Religionsunterricht. Die Kooperation zwischen dem Ethik- und dem Religionsunterricht ist im neuen Gesetzentwurf ausdrücklich vorgesehen. Diese Kooperation muss aber auf Augenhöhe geschehen. Das Kooperationsangebot der Gegner des neuen Gesetzesentwurfs ist unsittlich, weil stets ein Gefälle zwischen dem nur geduldeten, letztlich aber vom Gesamtcurriculum ausgeschlossenen Religionsunterricht „als Sache der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“ und dem etablierten Ethikunterricht bestehen bleibt.

Nutzen Sie also die historische Chance, durch ihre Stimme am 26. April 2009 – zwanzig Jahre nach der politischen Wende – eine religionspädagogische Wende herbeizuführen, die Berlin auch religionspolitisch mit dem Bundesgebiet wiedervereinigt, die aber vor allem die Berliner Kinder nachhaltig auf die neue religiöse Lage im 21. Jahrhundert vorbereitet!

Prof. Dr. Rolf Schieder
Humboldt-Universität, Theologische Fakultät
März 2009

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 16. April 2009 um 13:42 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik.