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Laßt klare Töne hören

Mittwoch 14. November 2007 von Prof. Dr. Werner Thiede


Prof. Dr. Werner Thiede

Laßt klare Töne hören

Luther lehrte, daß Gott den Menschen annimmt, ohne auf seine Taten und Untaten zu sehen. Heute wird genau diese zentrale Erkenntnis bestritten.

Rechtfertigung lautet der Begriff, mit dem die evangelische Kirche steht oder fällt. Die dahinterstehende Glaubensüberzeugung, gewonnen aus dem Neuen Testament, markiert den Kern des protestantischen Christentums. Heute haben viele evangelische Christen Mühe, sie zu erklären. Das liegt auch daran, daß man nicht mehr gewohnt ist, Überzeugungen aus der Bibel zu gewinnen. Für die meisten derzeit florierenden Weltanschauungen überzeugt eher eine Sicht, die das Göttliche nicht von Gott, sondern von der Welt her deutet. Vor allem die Überzeugung, daß Jesus die entscheidende göttliche Offenbarung in Person bedeute und die Menschen, die an ihn glauben, vor Gott gerecht macht, ohne daß sie etwas dafür tun müßten oder auch nur könnten, leuchtet nicht mehr ein.

Die volkskirchliche Verbreitung des christlichen Glaubens hat lange über diesen Konflikt zwischen kirchlicher Lehre und „natürlicher“ Spiritualität hinweggetäuscht. Mittlerweile liegt er zutage. Zu tief ist „natürliche“ Religiosität, etwa als postmoderner und esoterikgeschwängerter Zeitgeist, in Theologie und Kirche eingedrungen. Im Zeichen dieser Entwicklung formieren sich innerkirchliche Angriffe auf die Rechtfertigungslehre.

Zum Beispiel: Klaus-Peter Jörns. Für den emeritierten Berliner Theologieprofessor ist eine „Theologie der Religionen“ überfällig. Schließlich sei Gott ja zu allen Zeiten wahrgenommen worden. Diese Perspektive zeigt wenig Sensibilität für das, was die Rechtfertigungsbotschaft im Neuen Testament an spirituell Neuem gebracht hat. Jörns argumentiert deshalb in seinem Buch „Notwendige Abschiede“, das schon drei Auflagen erlebte: Während Luthers Rechtfertigungsbotschaft sich noch auf Paulus gestützt habe, gelte es bei der Begründung der Botschaft von Gottes unbedingter Liebe heute, sozusagen an Paulus vorbei zu Jesus zurückzugehen. Paulus sei es nur um den Tod, nicht aber um das Leben Jesu gegangen. Jesus habe dagegen Gottes Liebe nicht als Gnade, sondern als um ihrer selbst willen gültig verstanden. Die „jüdisch-christliche Variante von Erlösungsreligion“ habe folglich der Liebe Gottes „Unbedingtheit niemals zugetraut“. Jesus sei zwar für seine Verkündigung hingerichtet worden. Doch Gott habe diesen Tod weder gewollt noch gebraucht. Er sei folglich kein Heilsgeschehen. Der Sühnopfergedanke sei erst später formuliert und auch auf das Abendmahl übertragen worden. Daher sei das Abendmahl nicht als Erinnerung an den Tod Jesu zu feiern, wie Paulus meine, sondern im Sinne von „Gottes Lebensgaben“, wie das Jörns‘ neuestes Buch (2007) propagiert. Für den Glauben an die Rechtfertigung durch Gott, der auf Paulus zurückgeht und die Grundlage von Luthers Theologie abgab, hat Jörns keinen Platz.

Zum Beispiel: Willigis Jäger. Der Benediktiner-Pater und buddhistische Zen-Meister, der 2001 die „Würzburger Schule der Kontemplation“ gründete, vertritt eine „transkonfessionelle“ Perspektive. Ihm ist es egal, ob Gott „nun Paruscha, Brahma, Jahwe oder Allah heißt“. Daher meint er: „Alle Religionen sind Wege zur Erfahrung des Göttlichen, aber keine von ihnen kann behaupten, den einzigen Zugang zu ihm zu besitzen.“ Was soll ihm da noch die Rechtfertigungslehre des Apostels Paulus bedeuten, von deren Wiederentdeckung und Zuspitzung durch Luther ganz zu schweigen? Willigis Jäger kritisiert konsequent den Leitgedanken des Protestantismus, das „Ich“ müsse vor Gott gerechtfertigt sein: „Das muß es gar nicht.“ Es braucht somit auch keinen Erlöser, der als Gottes Sohn zwischen Gott und Mensch die Brücke schlägt. Vielmehr deutet Jäger den Begriff des „Sohnes Gottes“ als eine „Bezeichnung für alle Menschen und alle Wesen“. Die Aussagen der Bibel über Jesus als den Erlöser, den Christus, über seinen Kreuzestod, über seine Auferstehung als Anfang universaler Erlösung und als Grund des Geschenks der Rechtfertigung im Glauben an ihn werden umgedeutet wie auch das damit zusammenhängende Menschen-, Welt- und Gottesbild. Jägers Anhänger stört das nicht. Der Vatikan hat ihn mit Redeverbot belegt. Der evangelische Kirchentag lud ihn nach Köln ein.

Zum Beispiel: Die „Bibel in gerechter Sprache“. Das Projekt wurde am Reformationstag 2001 begonnen und am Reformationstag 2006 öffentlich präsentiert. Gleichwohl hat es mit reformatorischer Theologie wenig zu tun. Nicht von ungefähr haben sich 2007 sowohl die Bischöfe der VELKD als auch der Rat der EKD von der „Bibel in gerechter Sprache“, die bereits ein Vierteljahr nach Erscheinen in dritter Auflage erschien, ein ganzes Stück weit distanziert. Denn auch die Rechtfertigungsbotschaft wird in dieser umstrittenen Ãœbersetzung ihrer Spitze beraubt. Zentrale Aussagen von Paulus, die für die reformatorische Position von besonderem Gewicht sind, wurden holprig und unverdaulich formuliert. Ein Schlüsseltext aus Römer 3 lautet bei Luther: Die Menschen „werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut…“ In der neuen Ãœbertragung klingt Paulus so: „Gerechtigkeit wird ihnen als Geschenk zugesprochen kraft der Zuwendung Gottes als Freikauf, der im Messias Jesus vollzogen wird. Ihn hat Gott als ein durch Vertrauen wirksam und wirklich werdendes Mittel der Gegenwart Gottes, als Ort, an dem Unrecht gesühnt wird, in seinem Blut öffentlich hingestellt.“ Sprachlich ist dieser Satz ein Monstrum. Gravierender ist der Umstand, daß der Rechtfertigungsgedanke, das zentrale Zeugnis von der Gerechtigkeit Gottes als reinem Gnadengeschenk, in der „Bibel in gerechter Sprache“ theologisch vernebelt wird. Als Begründung dafür, daß ein Kernstück reformatorischer Spiritualität angegriffen wird, hält die Berücksichtigung des jüdisch-christlichen Dialogs her.

Eine weitere Kernstelle, Römer 3,28, lautet in der „Bibel in gerechter Sprache“: „Nach reiflicher Ãœberlegung kommen wir zu dem Schluß, daß Menschen aufgrund von Vertrauen gerecht gesprochen werden – ohne daß schon alles geschafft wurde, was die Tora fordert.“ Die Theologin Karin Bornkamm bemerkte dazu treffend, daß Gottes Gnade nach dieser Ãœbersetzung nicht genügt: ,,Die erfolgreiche Bemühung um die Erfüllung der Tora gehört dann eben doch auch dazu, um von Gott Gerechtigkeit zuerkannt zu bekommen.“ Sie findet in der Bibelausgabe weitere Belege, daß ihre Autoren offenbar die Rechtfertigung von der Anstrengung der Menschen abhängig machen. Hier muß man, sagt sie, „von einer groben, theologisch irreführenden Abänderung des Textes sprechen, die weder als Ãœbertragung noch gar als Ãœbersetzung tolerabel ist. Hier wird die paulinische Rechtfertigungslehre im Kern verfälscht.“ Mit Blick auf den jüdisch-christlichen Dialog, der solche Verfälschung legitimieren soll, erläutert die „Bibel in gerechter Sprache“ im Anhang: „Jetzt durch Christi Tod und Auferstehung ist der Weg der Gerechtigkeit nach der Tora neu geöffnet“. Folgerichtig distanzierte sich eine Sympathisantin der Ausgabe, Elisabeth Raiser, auf dem Kirchentag in Köln 2007 deutlich von der Rechtfertigungslehre als einem Kernstück evangelischen Glaubens. Sie ist Vorstandsmitglied des Kirchentages und war Präsidentin des Ökumenischen Kirchentages 2003. Der Boden reformatorischer Theologie, eigentlich sogar der Boden jeder ernsthaften aufs Neue Testament gestützten Theologie ist damit verlassen.

Die Beispiele für zunehmende innerkirchliche Attacken auf die Rechtfertigungslehre ließen sich vermehren. Hat diese Entwicklung womöglich die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von 1999 befördert? Theologisch ist es ihr gelungen, Kompromißformulierungen zu finden, aber dazu hat sie gewisse „Grundwahrheiten“ beiseite gelassen. Der Text räumt ein, er enthalte „nicht alles, was in jeder der Kirchen über Rechtfertigung gelehrt wird“. Dieses „Nicht alles“ betrifft aber Grundlagen, die die reformatorische Lehre charakterisieren. Man kann ihr eine gewisse Schwächung des reformatorischen Profils von „Rechtfertigung“ ankreiden. Denn dem evangelischen Verständnis geht es darum, daß das Rechtfertigungsurteil (Johannes 5,24) ewig gilt, und damit um die Unbedingtheit der am Kreuz Jesu ablesbaren Liebe Gottes (Römer 8,32-39). Was in der Gemeinsamen Erklärung „Rechtfertigung“ heißt, entspricht etwa einem natürlich-theologischen, in vielen Religionen mehr oder weniger verbreiteten Gnadenbewußtsein.

Martin Luthers Entdeckung der Radikalität der Rechtfertigungslehre aber darf nicht verflacht und spirituell gedämpft werden. Auch wer die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre mit Herz und Verstand bejaht, sollte für diese theologische Auseinandersetzung um eine zentrale Frage reformatorischen Erkennens und Bekennens alles Verständnis aufbringen. Das Rechtfertigungsverständnis kann und muß frei diskutiert und an der Heiligen Schrift geprüft werden. Aber dort, wo es innerkirchlich angegriffen, relativiert und verwässert wird, gerät die Kirche selbst ins Rutschen: Sie weicht dann zusehends einem allgemeinen Religionsinstitut oder natürlicher, vagierender Religiosität. Dagegen hilft nur solide theologische Besinnung.

Werner Thiede ist apl. Professor in Erlangen.

Aus: Rheinischer Merkur 25.10.2007

Weitere Veröffentlichungen: „Der gekreuzigte Sinn. Eine trinitarische Theodizee“ (2007); „Theologie und Esoterik. Eine gegenseitige Herausforderung“ (2007). Siehe auch www.werner-thiede.de

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 14. November 2007 um 10:32 und abgelegt unter Theologie.