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Jesaja 43,19 – Gedanken zur Jahreslosung 2007

Jesaja 43,19 – Gedanken zur Jahreslosung 2007

Gott spricht: Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?

Unsere Zeit – und in der Tat nicht erst unsere – ist geprägt von einer wahren Lust am Neuen. „Das Alte ist out, das Neue ist in“! – so läßt sich ein Grundmotto unserer Zeit zusammenfassen. „Alt“ wird mit veraltet, langweilig und dergleichen negativen Attributen gleichgesetzt; dagegen ist alles Neue, weil es neu ist, interessant, gut, erstrebenswert, allemal interessanter, besser und erstrebenswerter jedenfalls als das Alte. Und siehe da: allem Anschein nach unterstützt die Losung für das Jahr 2007 diese Haltung, ganz im Sinne des Kirchenliedes „Vertraut den neuen Wegen!“ und ist somit durchaus modern.

Aber halt! Besinnen wir uns, bevor wir zu unbekümmert in diese Melodie einstimmen. Zeigt nicht ein Blick in die Geschichte, wie nur allzu häufig die Folgen der schnellen Umarmung des Neuen und der Verstoßung des Alten katastrophal waren? Denken Sie nur an das letzte Jahrhundert: Der Gegensatz von „alt“ = “negativ“ und „neu“ = “positiv“ war eine wichtige Triebfeder sowohl des Kommunismus wie des Nationalsozialismus, und die Folgen mit den unerhörten Zerstörungen und den Abermillionen sinnlos im Namen einer das Neue proklamierenden Ideologie Hingemordeten sind bekannt. Und auch der neue Terror islamischer Fanatiker ist genährt von der Überzeugung, daß alles Alte, d.h. in diesem Falle Vor-Islamische, falsch ist und überwunden werden muß im Namen der absolut neuen Offenbarung, die nach islamischem Verständnis Mohammed zugekommen ist.

So einfach ist das also nicht mit der rechten Offenheit gegenüber dem „Neuen“. Die Geschichte lehrt, daß ein nüchternes Prüfen des Neuen verbunden mit einem sorgfältigen Umgang mit dem Alten, Bewährten, der einzig vernünftige und fruchtbare Weg wäre. Auf diesen Weg weist uns auch die Bibel: Nach den Zeugnissen des Neuen Testaments spricht Gott in Jesus in der Tat ein neues Wort und tut in ihm ein neues Werk; – aber wie umfassend gründen doch dieses neue Wort und dieses neue Werk im vorangegangenen Alten Bund! Bei allem, was da wirklich neu ist, erweist sich Jesu Weg doch als geprägt von einer unüberbietbaren und unübersehbaren Hochachtung gegenüber dem alten Werk Gottes in seinem alten Bundesvolk Israel. Wohin es aber führt, wenn diese bleibende Verwurzelung nicht wahr- und nicht ernstgenommen wird, haben wir ja leider nur zu deutlich in der Geschichte insbesondere des vergangenen Jahrhunderts, im Dritten Reich, gesehen. In ein analoges Verhältnis von alt und neu führt uns auch das Wort der Jahreslosung hinein. Der Herr ist daran, etwas Neues zu machen – aber was ist dieses Neue? Nichts anderes als die Rückführung seines Volkes aus der Gefangenschaft in Babel in das ihm von Gott gegebene Land, auf ähnlich wunderbare Weise wie beim ersten Exodus. Das Neue ist also eine Art Wiederherstellung des Alten, nicht seine Ausradierung, sondern seine Überbietung, die aber alles Gute, was dem Alten innewohnte, bewahrt, aufnimmt und zur Vollendung führt. Und man darf sagen: Das ist das Grundkennzeichen des neuen Handelns Gottes in der ganzen biblischen Geschichte.

Während unsere bisherigen Ausführungen uns anhielten, der gängigen unkritischen Umarmung alles Neuen mit Vorsicht zu begegnen, muß nun aber zugleich auch die andere Stoßrichtung unseres Textes zum Tragen kommen: Gott bleibt nicht beim Alten stehen, sondern er bricht auf und schafft tatsächlich Neues. Wir können uns gut vorstellen, wie das für die Hörer dieses Wortes war, als es sie im babylonischen Exil traf. Von denen werden manche gesagt haben: „Jetzt haben wir uns hier doch einigermaßen eingerichtet und mit der Umwelt arrangiert; gehen wir also unseren Geschäften nach und machen aus der neuen Umgebung so gut es geht und auf Dauer unser Zuhause“. In diese Situation hinein kommt ein Wort wie das unserer Jahreslosung gar nicht mehr sehr gelegen. Die Trägheit, das überall vorhandene Bemühen von uns Menschen, uns gemütlich einzurichten, wird plötzlich durchkreuzt durch Gottes Plan, aufzubrechen, weiterzuziehen und das Alte zu verlassen. Der Herr selber ist in Bewegung, und wenn wir nicht beweglich bleiben, können wir im Letzten nicht zu ihm gehören! So stellt das Wort aus Jes 43 auch uns, jeden an seinem persönlichen Ort, aber auch jede Gemeinde, vor die Frage: In welche Richtung möchte unser göttlicher Herr mit uns weiterziehen in diesem neuen Jahr?

Nun zwingen uns direkte Parallelen der Formulierung dazu, Jes 43,19 nicht für sich allein zu lesen, sondern zusammen mit Jes 42,9. Dort heißt es: „Das Frühere, siehe, es ist eingetroffen, und Neues tue ich kund; noch ehe es sprosst, lasse ich es euch hören“. Aus diesem Text lernen wir, daß das Neue, das Gott, der Herr, zu schaffen anhebt, nicht nur in der Rückführung des Volkes Israel in das Land Israel besteht, sondern daß zum neuen Werk Gottes auch die Sendung eines neuen Mittlers gehört, des sog. Gottesknechts, von dem als erstes die Rede gewesen ist. Von ihm bezeugen die Verfasser des Neuen Testaments, daß er in Jesus von Nazareth erschienen ist. Darum liegt das Neue nicht einfach nur in der Zukunft vor uns; sondern es ist durch das Wirken Gottes in seinem Messias Jesus bereits angebrochen. So leben wir nicht nur auf das Neue zu, sondern bereits vom Neuen her. Daß wir weder die eine noch die andere Dimension aufgeben, weder das „schon jetzt“ noch das „noch nicht“, das macht die bleibende Spannung, aber auch den großen Reichtum des Lebens als Christen, die ihr Leben an den Messias Gottes binden, aus.

Ein letztes Wort zur Jahreslosung ist vonnöten – im doppelten Sinn des Wortes: Der erste Teil der Jahreslosung, „Gott spricht“, findet sich in Jes 43,19 gar nicht, sondern wurde von den Herausgebern hinzugefügt. Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn zur Verdeutlichung ergänzt wird, wer der Sprechende ist. Problematisch ist aber, daß dabei nicht die Formulierung gewählt wurde, die aufgrund des Textzusammenhanges die einzig gerechtfertigte ist: „So spricht der Herr (d.h. JHWH)“. Der Gottesname JHWH (Jahwe), seit der ältesten Übersetzung ins Griechische mit „Herr“ – in manchen Bibelausgaben dementsprechend oft in Großbuchstaben mit HERR – wiedergegeben, wird durch die abstrakte, unpersönliche und ungeschichtliche Gattungsbezeichnung „Gott“ ersetzt. Das aber stellt einen bedauernswerten Schritt in der Abkoppelung von der konkreten Bindung Gottes an seinen Namen und verbunden damit an die Sprache und Geschichte Israels dar. So wird mit der von den Herausgebern gewählten Formulierung ein Weg beschritten, der nur zur Verfälschung und letztlich zur Preisgabe des authentischen Zeugnisses von Gottes Wirken führen kann.

Dieser Beitrag wird veröffentlicht mit Zustimmung der Zeitschrift „Diakrisis“. Dort wird er demnächst gedruckt erscheinen.

Dr. habil. Markus Zehnder ist Professor für Bibelwissenschaften an der Ansgar Teologiske Hǿgskole in Kristiansand / Norwegen und Privatdozent für Altes Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Basel / Schweiz.