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Orientierungsschwächen

Freitag 11. Januar 2008 von Prof. Dr. Manfred Spieker


Prof. Dr. Manfred Spieker

Orientierungsschwächen
Zur Debatte um das Stammzellengesetz.
Eine Antwort an Bischof W. Huber

Bischof Wolfgang Huber wirft den Katholiken vor, die Stichtagsregelung im Stammzellgesetz für unverhandelbar zu halten und sich damit einem päpstlichen Lehramt zu unterwerfen, das eigenmächtig die Grenze zwischen Verhandelbarem und Unverhandelbarem in der Politik festlege. Demgegenüber sei die Stichtagsregelung für die Evangelische Kirche in Deutschland sehr wohl verhandelbar. Sie sei ein vertretbarer Kompromiss zwischen Lebensschutz und Forschungsfreiheit. Im Übrigen sei es für die ethische Urteilsbildung nicht nur legitim, sondern geradezu notwendig, kontroverse Standpunkte zu diskutieren, um zu einer verantwortbaren Entscheidung zu gelangen. Seinem Plädoyer für eine diskursive Ethik läßt Huber allerdings sogleich eine Einschränkung folgen: „Manche Positionen werden dabei schlechterdings ausscheiden.“ Sein Beispiel für das schlechterdings Undiskutierbare ist die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken. Die Stichtagsregelung des Stammzellgesetzes aber sei im Für und Wider „respektvoll abzuwägen“.

Gern hätte der Katholik – und nicht nur er – mehr gehört über das schlechterdings Undiskutierbare, über die Gründe, die Huber genau das tun lassen, was er der römischen Glaubenskongregation vorwirft, nämlich eigenmächtig die Grenze zu ziehen zwischen dem, was verhandelbar ist und was nicht. Im Gegensatz zu Huber nennt die Lehrmäßige Note der Glaubenskongregation zum Verhalten der Katholiken in der Politik vom 24. November 2002 den Grund für die Grenzziehung zwischen Verhandelbarem und Unverhandelbarem im politischen Diskurs einer Demokratie. Unverhandelbar sind die Menschenwürde und die sich aus ihr ergebenden Grundrechte der Person. Das ist keine eigenmächtige Entscheidung des päpstlichen Lehramtes, wie Huber suggeriert. Auch die Menschenrechtserklärungen der Vereinten Nationen und des Europarates sowie das Grundgesetz kennen solche Feststellungen, die mehr Deklarationen als Entscheidungen gleichen. Wenn das Grundgesetz in seinem ersten Artikel feststellt, daß die Würde des Menschen unantastbar ist und es Verpflichtung aller staatlichen Gewalt sei, sie zu achten und zu schützen und das Deutsche Volk sich deshalb zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten bekennt, dann war das nicht eine eigenmächtige Entscheidung des Parlamentarischen Rates, sondern die Deklaration des unverhandelbaren Legitimitätsgrundes einer rechtsstaatlichen Verfassungsordnung.

Für 14 katholische und evangelische Sozialethiker, die 2005 und 2006 über das Verhandelbare und das Unverhandelbare in der Demokratie diskutierten, sind solche Deklarationen keine „Erfindungen“, sondern „Entdeckungen“, die sie zu der Schlussfolgerung nötigten: „Die erste konkrete Folgerung aus der Menschenwürde ist die Achtung und der Schutz menschlichen Lebens, denn das Lebensrecht ist die Voraussetzung für die Wahrnehmung aller anderen Rechte.“ Dieses Lebensrecht beginne mit der Befruchtung, „denn es gibt zwischen der Befruchtung als dem Lebensbeginn und dem Tod als dem Lebensende keine Zäsur, an der erst aus dem Zellgebilde ein Mensch, aus einem Etwas ein Jemand, aus einem Ding eine Person würde.“ (Bernhard Vogel, Hrsg., Im Zentrum: Menschenwürde. Politisches Handeln aus christlicher Verantwortung, Berlin 2006, S.26f.)

Daß Huber den Streit um die Stichtagsregelung zu einem Konfessionsstreit erklärt, in dem die Protestanten die Verschiebung des Stichtages für verhandelbar, die Katholiken aber für unverhandelbar halten, geht nicht nur an der ökumenischen Realität dieser Erklärung vorbei, sondern ignoriert auch zahlreiche Stimmen im deutschen Protestantismus, die die Verschiebung des Stichtages in jüngster Zeit abgelehnt haben. Der Streit um die Stichtagsregelung im Stammzellgesetz ist kein Konfessionsstreit. Er ist vielmehr ein klassischer Konflikt zwischen Rechtspflichten und Tugendpflichten. Unschuldige nicht zu töten ist eine Rechtspflicht. Kranken durch die Entwicklung neuer Therapien zu helfen ist eine Tugendpflicht. Für beide Pflichten treten Christen aller Konfessionen ohne jeden Vorbehalt ein. Wenn es aber zu einem Konflikt zwischen beiden Pflichten kommt, wenn neue Therapien nur zu entwickeln sind um den Preis, Embryonen zu töten, kommt der Rechtspflicht immer der Vorrang vor der Tugendpflicht zu. Es kann nicht oft genug gesagt werden: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Die Verheißungen der Forschung rechtfertigen nicht die Degradierung eines Embryos zur Rohstoffquelle – auch dann nicht, wenn er keine Chance mehr hat, in eine Gebärmutter transferiert zu werden.

Auch Huber hat dies von der Verabschiedung des Stammzellgesetzes am 25.April 2002 an bis zum November 2006 so gesehen. So lehnte er in seinem Bericht vor der EKD – Synode am 2. November 2003 in Trier alle Methoden der Forschung oder Therapie ab, „durch die Menschen, von ihrer embryonalen Gestalt an, bloß als Mittel zur Verbesserung der Heilungschancen anderer Menschen gebraucht werden.“ Er verteidigte diese Position gegen eine Stellungnahme von neun evangelischen Theologen, die den Amtsträgern ihrer eigenen Kirche eine zu katholische Position vorwarfen und den Pluralismus als „Markenzeichen“ der evangelischen Ethik auch in der Embryonenforschung einforderten. Was Huber diesen Theologen in Trier entgegenhielt, muss er sich heute selbst entgegenhalten lassen: „Die Orientierungsschwäche der Moderne, an der auch die evangelische Kirche teilhat, ist… noch kein Markenzeichen der Freiheit“. Sein Eintreten für eine Verschiebung des Stichtages ist deshalb nicht nur ein Kurswechsel, sondern auch das Ende der ökumenischen Gemeinsamkeit in den Fragen der modernen Biomedizin, an der die Amtsträger der beiden Kirchen von den ersten Tagen der bioethischen Debatte 2001 an festgehalten hatten.

Hubers Kurswechsel von der Ablehnung der verbrauchenden Embryonenforschung hin zur Befürwortung „für einen begrenzten Zeitraum“ und zur Verschiebung des Stichtages macht ihn zum kirchlichen Anwalt der Forschungslobby in der DFG. Er nötigt ihn zu Argumenten, die nicht zu überzeugen vermögen, ja gelegentlich mit der Logik schwer in Einklang zu bringen sind. Huber übernimmt unkritisch die jüngste Begründung der DFG für die Forschung mit embryonalen Stammzellen. Sie sei gegenwärtig „noch“ notwendig, um die Forschung mit adulten Stammzellen voranzubringen. Dieses Argument erfreut sich großer Beliebtheit, seit die Erfolge der adulten Stammzellforschung in aller Munde sind. Es klingt so selbstlos, als verstünde sich die embryonale Stammzellforschung inzwischen nur noch als Dienstleister der adulten Stammzellforschung. Huber ignoriert nicht nur die bisherigen Behauptungen zum Beispiel von Oliver Brüstle, daß die embryonale Stammzellforschung der adulten weit überlegen sei, und den Widerspruch von Forschern, die mit adulten Stammzellen arbeiten, daß sie der ethisch so umstrittenen embryonalen Stammzellforschung nicht bedürfen, sondern auch die Erfolge bei der Reprogrammierung von Hautzellen zu pluripotenten Stammzellen, die sich auf jene Stammzelllinien stützten, die vor dem Stichtag hergestellt worden waren und deren Kontaminierung sie angeblich für die Forschung nur begrenzt geeignet erscheinen lässt. Huber gibt zu, daß seine „grundlegenden ethischen Bedenken gegen den Verbrauch menschlicher Embryonen bei der Gewinnung von embryonalen Stammzellen nicht ausgeräumt“ seien, hält aber dennoch die Verschiebung des Stichtages für einen ernsthaften Versuch, „ethische Konflikte zu befrieden“. Eine Entscheidung, die aus Unverhandelbarem Verhandelbares macht, wird nie zu einer Befriedung führen, wie die seit 35 Jahren andauernden Kontroversen um das Abtreibungsstrafrecht zeigen.

Zum Widerspruch fordert schließlich auch Hubers Theorie der ethischen Urteilsbildung heraus. Für eine solche Urteilsbildung sei es „nicht nur legitim, sondern geradezu notwendig“, kontroverse Standpunkte zu vergleichen. Dem Ergebnis eines solchen Vergleichs sei mit Respekt zu begegnen, selbst wenn dabei Unverhandelbares zur Disposition gestellt werde. Ethische Urteile, die den Schutz der Menschenwürde und das Tötungsverbot Unschuldiger betreffen, beanspruchen aber eine Evidenz, die jedes Abwägen verbietet. Um zu fordern, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und niemand wegen seiner Rasse benachteiligt oder bevorzugt werden darf, ist keine Abwägung mit den gegenteiligen Positionen notwendig, die eine bestimmte Rasse zur Herrenrasse und eine andere zu Parasiten erklären, denen das Lebensrecht nicht zustehe. So kann es auch zwischen Embryonenschutz und Forschungsfreiheit kein Abwägen geben. Das Lebensrecht bleibt immer die Grenze der Forschungsfreiheit.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 11. Januar 2008 um 13:17 und abgelegt unter Medizinische Ethik.