Stern, auf den ich schaue (Kol. 3,1-11)
Samstag 18. Oktober 2025 von Prädikant Thomas Karker

Unser Text ist eine Nachlese von Himmelfahrtsblumen. „Auf Christi Himmelfahrt allein Ich meine Nachfahrt gründe,“ sagt ein altes Himmelfahrtslied (Karl Gerok). Was ist das für eine Nachfahrt, die wir auf die Himmelfahrt Jesu begründen? Es ist die Heimfahrt unserer Seele aus unserer Leibeshütte; die Heimfahrt aus dem Todestal in den Himmel, die Heimfahrt aus der Fremde ins ewige Vaterhaus. Paulus sehnte sich danach: „Ich habe Lust, abzuscheiden und bei Christus zu sein;“ Stephanus freute sich unter dem Steinhagel und rief: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!“ Das ist die letzte Nachfahrt, der Heimgang zum Herrn, der vorangegangen ist um uns die Stätte zu bereiten.
Aber dieser leiblichen Nachfahrt muss eine andere vorangehen. Es ist die Erneuerung unserer Sinne. Hiervon spricht Paulus (Eph. 2,6): Gott hat uns samt Christus ins himmlische Wesen versetzt. Darum nur „himmelan soll der Wandel geh‘n,“ schon hier auf Erden. Deswegen lasst uns auf unserer Wanderung nicht zurück sehen, nicht hinunter sehen, nicht vorwärts sehen, sondern hinauf sehen auf den Fixstern Jesus. Er ist zur Rechten des Vaters als der Mandatsträger unumschränkt Machtbefugnisse. Es gibt keine Macht, die ihm gefährlich werden könnte. Die Scheinmächte dieser Welt haben seit Kreuz und Auferstehung ausgespielt. Die Machtfrage ist seit der Himmelfahrt Jesu entschieden.
Himmelfahrt bedeutet Regierungsantritt von Christus, der mit höchster Erlaubnis die Schalthebel der Macht in die Hand bekommen hat. Christus i.R. heißt doch nicht: „Christus im Ruhestand,“ sondern „Christus in Reichweite.“ Seine Macht reicht in alle Bereiche unseres Lebens hinein. Er ist der Machthaber schlechthin.
Er hat die größere Macht, auch wenn manche sagen, gegen Krankheiten sei kein Kraut gewachsen. Er hat die stärkere Macht. Auch wenn manche glauben, der Tod sei die Großmacht schlechthin. Paulus sagt an die Kolosser: „Wir leben jetzt in der Sonne von Himmelfahrt.“ Stern, auf den ich schaue, Diesen Punkt hat Paulus in den Versen 1-11 in 4 Punkten ausgeführt: Richtpunkt, Schwerpunkt, Haltepunkt und Umkehrpunkt.
1. Der Richtpunkt
Der erhöhte Herr ist der Richtpunkt, der gleich 4 Mal in 4 Versen mit seinem Würdenamen Christus, der Gesalbte, bezeichnet wird. Also, das Kind in der Krippe, der Sohn in der Zimmermannsfamilie, der Lehrer in der Schule, der Lehrer in der Synagoge, der Prediger auf dem Berge, der Heiland in den Elendsvierteln, der Verurteilte in Jerusalem, der Gekreuzigte auf Golgatha, der Aufgeweckte vom Grabe, das ist der Messias, der Gesalbte. Eben der, der zur Rechten Gottes sitzt und alle Macht in Händen hält. Auf ihn seht nicht nur, sondern sucht ihn, richtet euch nach ihm aus. Wörtlich: Seid gespannt auf ihn, wie die Sehne, auf der der Pfeil liegt. Jesus ist Christus. Martin Luther sagte: „Wenn ich das wirklich zu fassen wüsste, so würde ich sterben vor Freude, dass Christus nun alle Macht hatte wie Gott.“ Wenn auch wir das wirklich zu fassen kriegten. Eine Mitte, eine Achse, eine Machtzentrale für alles, auch in meinem Leben, das ist unfasslich.
Im Einheitsdenken des Mittelalters war es noch möglich gewesen, an eine Achse zu glauben, um die sich das Rad der Geschichte dreht. Da war die Kirche Dreh- und Angelpunkt. So hat es Luther im Augustinerkloster in Erfurt erlebt. Die Gesetze erließ das Kloster, alles regelte die klösterliche, die kirchliche Machtzentrale.
Aber heute ist das anders, die Welt ist in viele Teilgebiete explodiert. Als Kaufmann ist man eingespannt in die freie Marktwirtschaft, die mich zu planen und zu organisieren zwingt. Als Handwerker drückt mir der Konkurrenzkampf das Gesetz des Handelns auf, als Politiker handle ich nach den Gesichtspunkten der kalten Staatsraison. Auch die Krankheit und das Altwerden können zum Machtbereich um uns werden, der mein Denken und Handeln bestimmt. Richtpunkt Jesu, ja, aber nicht allein. Christus und das Geschäft. Christus und der Betrieb. Christus und die Politik. Christus und die Krankheit. Unsere Not ist, dass unser Leben um viele Achsen schwingt. Aber diese Not ist nicht erst im Zeitalter der Moderne, der Diskontinuität wie Max Picard sagt, geboren worden. Auch um das Jahr 60 n. Chr. brach dieses Problem in Kolossä auf.
Erinnern wir uns noch einmal. Dort war nach der Predigt des Epaphras eine Gemeinde entstanden, die den Herrn Jesus als die alleinige Mitte ihres Lebens hatte. Dann traten eben jene anderen Menschen auf. Immer treten andere Menschen auf, wenn wir ganz auf die Seite Jesu treten. Das ist das Grundgesetz im Reiche Gottes. Und sie machten mit gewaltigem Wortschwall glaubhaft, dass es neben Christus noch andere Mächte gebe, die auch Wirklichkeit besäßen und den Menschen Maß und Ziel geben würden. Christus ja, aber doch nicht allein. Christus und die Philosophie, Christus und die Astrologie, Christus und das Schicksal, Christus und und und. Allen wollte man dienen und diente keinem mehr. Allen sollte man es recht machen und machte nichts mehr recht, allen wollte man gehören und man gehörte niemandem mehr. Gehetzt, gejagt, getrieben und geängstet. So wurde das Leben der Christen zu einer schweren Anfechtung in der Stadt. Auf diesem dunklen Hintergrund müssen wir den Apostel verstehen, wenn er mit viermaligem Christus die Richtung weist. Solus Christus, Christus allein. In ihm wohnt alle Fülle, er ist vor allem, er ist hinter allem. Noch einmal: Hinter Christus gibt es nur ein Ausrufezeichen! Kreuz und Auferstehung sind Beweise seiner unumschränkten Machtfülle. Fürstentümer und Gewalten haben in ihm den Meister gefunden. Jesus ist der Christus und er hat’s in der Hand und wird es in der Hand behalten. Es kann mir nichts geschehen, als was er hat, ersehen und was mir nützlich ist.
Bei Nacht bin ich in meinem Haus abhängig von vielen Lampen. Schreibtischlampe, Stehlampe, Deckenlampe, Küchenlampen, Garagenlampe. Sobald aber am frühen Morgen die Sonne durch die Fenster blitzt. Da gibt es keine Diskussion mehr, ob wir diese Leuchten auch noch benötigen. Die Sonne hat alle Lichter zu entbehrlichen Funzeln degradiert, so ist mit Jesus die Sonne in unser Leben eingebrochen. Sie hat über alle Lampen und Laternen gesiegt, die die Menschen angezündet haben. Diese Mächte sind zwar noch da, aber sie bestimmen mich nicht mehr. Suchet, was droben ist! heißt doch jetzt: Richtet euch auf diese Sonne aus. Dann fallen die dunklen Schatten der Not, des Zweifels. Richtet euch auf diese Strahlen aus. Dann verwischen sich die Konturen der Scheinmächte. Die Sonne, die mir lachet ist mein Herr Jesu Christ. Das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist.
2. Der Schwerpunkt
Der Schwerpunkt ist sein himmlisches Reich. Hier mit dem geheimnisvollen „droben“ umschrieben ist. „Droben“, es gibt diesen Himmel, auch wenn Bert Brecht in seinem Galileo Galilei bemerkt: „Heute ist der 6. Januar 1610. Der Mensch trägt in sein Journal ein: Es gibt keine Himmel mehr.“ Wohl ist es kein räumliches Oben so zwischen Jupiter, Saturn und Spiralnebel, sondern ein Unsichtbares um uns herum, das von Gottes Gegenwart gefüllt ist.
Ich möchte es aus einer Notiz im Reisetagebuch des Volkes Israel illustrieren. Schon jahrelang zog die Riesenkarawane durch die Wüste. Jeden Morgen wurden die Zeltpflöcke gelöst und jeden Abend wurden sie wieder eingeschlagen. Die Wanderung schien endlos. Dann standen sie endlich an den Ufern des Jordans. Mit aufgerissenen Augen schauten sie hinüber. Drüben fließen Milch und Honig, drüben wächst Mais und Korn, drüben ist das gelobte Land. Aber der Fluss führt Hochwasser. Die Furten sind unbegehbar. Brücken gibt es nicht. Was nun? Holz schlagen, sagen die einen, Feuer machen, raten die andern; Biwak aufstellen, befehlen die dritten; sich endlich häuslich niederlassen, meint der Rest. Das ist naheliegend, nüchtern, verständlich, aber falsch. Darum erlässt Josua, der einzige Adjutant Moses und jetzige Anführer, einen Tagesbefehl: „Heiligt euch d. h. doch, „trachtet nach diesem Land.“ Der, der uns durchs Schilfmeer gebracht hat, der wird uns auch durch den Jordan bringen. „Heiligt euch“ d. h. richtet eure Sinne nach diesem Land. Dieser Rastpunkt kann doch nicht Endpunkt sein. Das Schönste kommt erst noch: „Heiligt euch“ d. h. habt Verlangen nach diesem Land. Die letzte unverlierbare Wohnung wird jenseits gebaut. Der Schwerpunkt eures Lebens liegt dort. Trachtet nach dem, was droben ist. Das ist Heiligung. Unser ganzes Leben soll von dieser Sehnsucht durchdrungen sein. Bis in die letzten Gehirnwindungen hinauf und bis in die äußersten Fußspitzen hinab, muss dieser Zug spürbar werden. Unsere Heimat ist im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilandes Jesus Christus (Phil. 3). So gilt diese Mahnung auch uns: heiligt euch, trachtet nach diesem Land. Der, der uns durch das Meer der Zeit gebracht hat, der wird uns auch zur Ewigkeit bringen. Heiligt euch! Richtet eure Sinne nach diesem Land aus.
Die Welt und das Ziel sind zwei Paar Dinge. Das Schönste kommt noch, hier wohnen wir nur auf Zeit. Dort wird uns eine unkündbare Wohnung bereitet. Ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Der Schwerpunkt eures Lebens liegt dort.
Aber, riecht das nicht nach Schwärmerei? Schmeckt das nicht nach Jenseitsvertröstung? Hat Friedrich Nietzsche nicht doch die richtige Nase gehabt: „Glaubt denen nicht, die von überirdischen Hoffnungen reden, Giftmischer sind es, Verächter des Leibes. An der Erde zu kleben, ist der größte Frevel. Brüder, bleibt der Erde treu.“ Hat Bert Brecht nicht den Nagel auf den Kopf getroffen: „Lasst euch nicht verführen, der Tag steht in den Türen, ihr könnt schon Nachtwind spüren. Es kommt kein Morgen mehr. Es kommt kein Morgen mehr.“ Liegen nicht alle die richtig, die meinen, das sei eben die Verlagerung des Schwerpunktes ins Niemandsland, bis zum St. Nimmerleinstag.
Der Apostel zeigt einfach auf Christus, der steht dafür, der verbirgt sich dafür, der ist dafür gestorben und auferstanden, dass nicht alles beim Alten bleibt, sondern alles neu wird. Mit Jesus Christus hat die Neuwerdung begonnen. Seit dem Jahre Null ist die Totalerneuerung im Gange. Blumhardt sagt: „Wer Jesus sagt, sagt neu!“ Und deshalb leben wir in der Spannung, zwischen dem „schon“ und dem „noch nicht.“ Und diese Spannung liefert die Energie, die wir für unsere Aufgaben nötig haben.
Erst die Hoffnung auf das neue Reich macht alles Engagement nicht hoffnungslos, sondern hoffnungsvoll. Erst die Bitte um sein Reich setzt gewaltige praktische Initiativen frei. Die Welt wird nicht zum Wartesaal degradiert, sondern zum Schauplatz der Neuschöpfung apostrophiert. Die erhoffte Zukunft wird in die Gegenwart hereingezogen und führt zur Überwindung des Elends.
Studieren wir es bei Männern, die ihren Schwerpunkt im Himmel hatten. Etwa bei Vater Bodelschwingh: sein Trachten nach dem, was droben ist, führte ihn zum Protest gegen das Elend. In Bielefeld kamen die Elenden an seine Tür, und so entstanden Heimstätten für Schwache. So entstand Bethel, so entstand Lobetal und Hoffnungstal! Sie wagten etwas gegen das Elend in dieser Welt. Oder ich denke an August Hermann Francke mit seinem riesigen Schulwerk in Halle (1689). Ich denke an Friedrich Fröbel der in Bad Blankenburg 1840 den ersten Kindergarten einrichtete. Ich denke an Johannes Falk, Johann Wichern und die vielen andern. Was machten sie? Diese Hoffnung entzündete ihren Protest gegen die Armut. Häuser wurden gebaut, Schulen gegründet, Kinder aufgenommen und Waisen eine Heimat gegeben, Kranke und Sieche betreut. Ja, diese Ideen stammten nicht von irgendwelchen atheistischen Reformern oder der Antifa, sondern von Christen, die nach dem betrachteten, was droben ist.
Die Hoffnung auf Gottes neue Welt und der Dienst an unserer alten Welt sind nicht zwei Paar Stiefel, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Wer nach dem Himmel trachtet, der wird auf der Erde antreten. Wer nach dem Himmel seinen Sinn richtet, wird seine Hände auf der Erde regen. Wer nach dem Himmel Verlangen hat, wird auf der Erde zulangen. Der Schwerpunkt ist sein himmlisches Reich.
Aber klingt das nicht alles sehr gesetzlich? Zu all den täglichen Anforderungen: Steh auf! Fahr ab! Fang an! Lass sehen! Geh mit! Hör zu! Das wird uns den lieben langen Tag um die Ohren geschlagen! Jetzt kommen noch weitere Befehle hinzu! Sucht! Tragt! Tut! Klingt das nicht sehr verdächtig nach Goethes Faust: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen!“ Nein, sondern das führt uns zum
3. Der Haltepunkt
Martin Luther sagt: „Das ist das güldene Seil, das auch an dieser Stelle entdeckt werden kann.“ Man beachte nur, wie sehr der Imperativ (Befehl: Trachtet) zwischen einem dreifachen Indikativ (Wirklichkeitsform: auferstanden, gestorben, verborgen), einem Indikativ des Aorist und des Perfekt und einem Indikativ des Futurs offenbarwerden, gestellt ist. Ohne diese Tatsache wäre alles eine idealistische Überforderung. Wer diese Wahrheit kennt, der weiß: Was von Gott geboten ist, ist immer schon von Gott angeboten. Was er verlangt, ist immer schon geschenkt. So sind wir nicht ein Fährmann, der sein Boot in eigener Kraft über den reißenden Strom führt, sondern der Fahrgast, dessen Boot über das Wasser geleitet wird.
Das Allertal ist ja hier nicht weit und bei der Radfreizeit in Krelingen haben wir bei Bierden an der Aller mit einer Fähre über die Aller übergesetzt. An beiden Ufern ist ein langes Drahtseil an jeweils einem starken Pflock festgezurrt. Und an diesem Seil hängt eine uralte Personenfähre. Ohne Motor oder Ruderschläge gleitet sie sicher über die Aller. Auch wenn manchmal Wellen über Bord schlagen, kommen Sie sicher ans Ziel. Einfach deshalb, weil die Fähre sicher vom Seil gehalten wird. (Gierseilfähre Bierden an der Aller)
Das ist ein Bild für diese Aussage. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, der kennt nicht nur die Höhen und Tiefen, sondern reißende Ströme, die mitten durch unser Leben gehen. Alles fließt, und wir fließen mit, einem dunklen Meer von Leid und Tränen entgegen. An einer Stelle außerhalb Jerusalems ist das güldene Seil über das Wasser gespannt. Dieses Seil der Liebe, wie es Hosea bezeichnet, ist auf der einen Seite am Schandpfahl von Golgatha festgezurrt. Dort hat Gott den Balken ganz tief in die Erde getrieben, damit es nicht nachgeben kann. Kreuzesholz aber wird weder morsch noch zerfressen. Und dieses Spannseil göttlichen Erbarmens ist auf der anderen Seite an der Hütte Gottes festgeknüpft. Dort, so sagt Johannes, wird er abwischen alle Tränen von unseren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein, denn das ist vergangen.
Und das zweite ist so, dass es nur noch mit dem Begriff „Herrlichkeit“ umschrieben werden kann. Wenn wir nur diesen Haltepunkt erkennen. Wenn wir dieses Halteseil ergreifen: Betende Hände sind immer haltende Hände. Wenn wir dieses Haltetau erfassen, dann sind wir einerseits mit Christus gestorben und tragen das Leiden und Sterben. Andererseits aber sind wir mit Christus auferstanden und freuen uns auf Auferweckung und Leben, Friede und Ewigkeitsfreude und Herrlichkeit. Das wird allein Herrlichkeit sein, wenn frei von Weh, ich dein Angesicht seh.
Kraft dieser Verankerung gleiten wir sicher über den Strom der Zeit, auch wenn manchmal Wellen über Bord schlagen oder Winde kommen. Wir kommen sicher ans Ziel. Einfach deshalb, weil wir uns an Jesus halten bzw. von ihm gehalten werden. So können wir uns auf die Füße machen, so können wir jetzt unsere Schritte tun, so können wir uns unserem Tagewerk zuwenden. So können wir jeden Sturm bestehen, weil er uns leitet, weil Jesus wiederkommen wird und aus seiner Hand kann uns nichts herausreißen.
4. Der Umkehrpunkt
Soll ich für den Himmel leben, so muss ich der Erde sterben, irgendwann leiblich und jetzt schon geistlich. „Ihr seid gestorben,“ ruft uns darum Paulus zu, d. h.: Ihr seid als Christen der Welt abgestorben! Ihr seid gestorben! Ja, wenn das nur auch in Wahrheit von uns gälte, wenn nur nicht so vieles um uns und in uns Nein dazu sagen würde. Aber die Welt um uns her sagt nein zu diesem Sterben, unser Herz sagt nein zu diesem Sterben, unser ganzes Leben sagt nein zu diesem Sterben und gibt Zeugnis, dass wir noch leben in der Sünde. Jeder Blutstropfen unseres natürlichen Menschen sagt nein zu diesem Sterben und will sich nicht in den Tod hingeben.
Und doch heißt es: „Ihr seid gestorben,“ von Gottes- und Rechts wegen für die Sünde tot. Ihr seid gestorben! So tönt es von Golgatha her: Wer diesem Heiland gehört, der darf der Sünde nicht mehr leben, der ist mit Jesus der Sünde gestorben. Ihr seid gestorben! Ihr seid ins himmlische Wesen versetzt. Ihr seid gestorben! So tönt‘s uns vom Altar ins Ohr: Als ihr euren Taufbund in der Konfirmation erneuert habt, so hört ihr es im Abendmahl: Ihr seid der Sünde gestorben und habt der Welt abgesagt. Ihr seid gestorben!
In meinem Biologiestudium haben wir im tierphysiologischen Praktikum immer wieder Frösche dekapitiert, d. h. den Kopf abgetrennt zum Sezieren. Wenn man da nicht aufpasste, dann konnte es schon mal passieren, dass der Frosch ohne Kopf noch über den Tisch gesprungen ist. Ja, der alte Holzmichel, der lebt manchmal noch!
Weil aber mit solchem Absterben viele unter uns noch im Rückstand sind, obwohl sie nach Christi Namen sich nennen, fragt uns Paulus: Lebt denn bei dir der alte Holzmichel noch, der alte Adam? Lebt der bei dir noch? Wenn ja, dann ruft er dir laut und vernehmbar zu: „So tötet nun eure Glieder, die auf Erden sind: Hurerei, Unreinigkeit, schändliche Leidenschaft, böse Begierde und die Habsucht, welcher ist Abgötterei, um welcher willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens, in welcher auch ihr einst gewandelt habt, da ihr darinnen lebtet. Nun aber legt alles ab von euch: den Zorn, Grimm, Bosheit, Lästerung, schandbare Worte aus eurem Munde. Lügt nicht untereinander. Zieht den alten Menschen mit seinen Werken aus.“
Paulus nennt 2 × 5 Dinge, die es zu töten und abzulegen gilt. 5, die sich auf die eigene Person beziehen, und 5, die den Nächsten betreffen. 5 als die Zahl unserer Bedürftigkeit vor Gott. Im ersten Block gilt es, die Sünden zu töten. Töten deswegen, weil sie uns sonst töten. Paulus nennt zwei Grundformen von Versündigungen, welche sich durch uns auswirken wollen und die mit unserem Christsein unvereinbar sind. Das sind die Wollust und die Habsucht.
Die Wollust ist die sündliche Verkehrung der durch die Schöpfung in uns gelegten geschlechtlichen Triebe. Die Wollust will sich äußerlich an unserem Leibe auswirken durch „Unzucht“ und sonstige geschlechtliche „Unreinigkeiten“. Dazu gehört alle sexuelle Betätigung außerhalb des ehelichen Rahmens. In die Ehe hat Gott die Geschlechtlichkeit hineingeordnet. Dort ist sie gut und hat ihren Bewahrungsraum.
Die Wollust will sich inwendig in uns ausbreiten, indem unser Denken mit „schändlicher Leidenschaft“ und „böser Begierde“ erfüllt wird, so dass wir in unreinen Gedanken erglühen.
Die Habsucht ist der Trieb der sündlichen Selbstliebe. Sie macht das Herz hart gegen den Bruder und den Nächsten. Dieser Krebs frisst weiter um sich und macht das Herz hart gegen alles, was göttlich ist. Die Habsucht trachtet nur nach dem, was auf Erden ist, sie streitet gegen das erste Gebot und wird von Paulus deswegen als Götzendienst entlarvt. Es ist also das Vertrauen auf die Dinge dieser Welt, von denen unser alter Mensch sagt: Je mehr er hat, je mehr er will, nie schweigen seine Wünsche still. So ist Habsucht Götzendienst und wird von Paulus mit Abfall vom Glauben gleichgestellt. Das Vertrauen auf Gott wird verdrängt durch das Vertrauen auf die eigene Kraft und die Dinge dieser Welt.
Dieser Unglaube, der dem Götzendienst gleichkommt steht unter dem Zorn Gottes. Gottes Zorn gehört zu seiner Abneigung gegen die Sünde. S. Felber sagt: „Darum darf die Kirche nicht einfach die biblische Ethik, besonders die Sexualethik, dem Zeitgeist anpassen, sonst lädt sie den Zorn Gottes auf sich und verliert den Segen.“
Dann kommen die Versündigungen, die sich auf den Nächsten beziehen. Er nennt eine von innen nach außen gehende Stufenfolge, die miteinander zusammenhängen und Sünden gegen den Nächsten sind.
Der Zorn ist eine heftige, feindliche Erregung gegen den Nächsten, ihn zu verletzen oder zu schädigen. Der Grimm ist eine Steigerung des Zornes zur Glut der Leidenschaft. Diese steigert sich in die Bosheit. Jetzt will man das Böse tun und schaden, wo man kann.
Aber in der „Lästerung“, Verlästerung, kommt die absichtliche Herabsetzung und Verleumdung des Nächsten in „schandbaren Worten“ aus dem Munde, es tritt die Bosheit des Herzens jetzt offen zu Tage. Dieses ganze Zorngewächs ist der christlichen Nächstenliebe diametral entgegengesetzt und mit dem Geist Jesu nicht vereinbar.
Paulus möchte zusammenfassend uns nochmals zurufen: Stern, auf den ich schaue: Der Richtpunkt ist Christus, der Schwerpunkt ist unser Leben im Himmel, der Haltepunkt ist das Kreuz und die ewige Herrlichkeit und der Umkehrpunkt ist das neue Leben durch Christus. Dann schließen wir mit Hiller: Ich auch auf der tiefsten Stufen, ich will glauben, reden, rufen, ob ich schon noch Pilgrim bin: Jesus Christus herrscht als König, alles sei ihm untertänig; ehret, liebet, lobet ihn!
Amen
Prädikant Thomas Karker
Predigt im Abendmahlsgottesdienst des Gemeindehilfsbundes in Düshorn, 7.9.2025
Dieser Beitrag wurde erstellt am Samstag 18. Oktober 2025 um 20:39 und abgelegt unter Predigten / Andachten.











