Predigt zum Karfreitag: „Es ist vollbracht!“
Freitag 18. April 2025 von Pfr. Dr. Hans-Gerd Krabbe

›Aus!‹ / ›Schluss und vorbei!‹ / ›Ende der Diskussion!‹ / ›Ende der Fahnenstange‹ / ›Der Worte sind genug gewechselt!‹ / ›Es langt, es reicht!‹ – Pilatus hat ›die Nase gestrichen voll‹, sein Geduldsfaden ist gerissen, er ist es leid, mit den Hochpriestern auch noch irgendwie weiter zu verhandeln und zu diskutieren: »Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben!« / ›Punkt, fertig, basta! Nehmt das endlich zur Kenntnis!‹ Und da steht es nun, für alle lesbar, die des Lesens mächtig sind: in Hebräisch (der Landessprache), in Latein (der Verwaltungs- und Besatzersprache) und in Griechisch (der Handelssprache): vier Buchstaben nur – »INRI!« … Jeder mag es erkennen, dass dort auf Golgotha etwas Ungeheuerliches passiert ist. Da steht es nun, für alle Welt für immer und ewig geschrieben – und daran wird sich nichts mehr ändern: »INRI!« / ›Jesus Nazarenus, rex ioudaiorum‹ / ›Jesus von Nazareth, König der Juden!‹. Ausgerechnet ein Heide namens Pontius Pilatus, ausgerechnet er formuliert unwissend ein derart steiles Glaubensbekenntnis!
Hören wir den Predigttext – aus Johannes 19, die Verse 16-30:
»Da überantwortete er ihnen Jesus, dass Er gekreuzigt würde. Sie nahmen Ihn aber, und Er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf hebräisch Golgotha. Dort kreuzigten sie Ihn und mit Ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz – und es war geschrieben: ›Jesus von Nazareth, der König der Juden.‹ Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, lag nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. Da sprachen die Hochpriester der Juden zu Pilatus: ›Schreib nicht: Der König der Juden, sondern, dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden.‹ Pilatus antwortete: ›Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.‹ –
Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das aber war ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. Da sprachen sie untereinander: ›Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll.‹ So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten. – Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den Er lieb hatte, spricht Er zu seiner Mutter: ›Frau, siehe, das ist dein Sohn!‹
Danach spricht Er zu dem Jünger: ›Siehe, das ist deine Mutter!‹ Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. – Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht Er, damit die Schrift erfüllt würde: ›Mich dürstet.‹ Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysop Röhr und hielten es Ihm an den Mund. Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach Er: ›Es ist vollbracht!‹ – und neigte das Haupt und verschied.«
Von GOTT geliebte Mitchristen!
Täglich, ja stündlich sterben weltweit unzählige Menschen. Viele verhungern und erleiden den Erstickungstod. Die meisten unter uns hier sind dem Tode wohl auf diese oder jene Weise bereits begegnet – einige waren dabei, als ein Mitmensch starb.
Mehrere empfinden den Tod als Befreiung, sprechen gar von ›Erlösung‹, etwa nach langer Krankheit. – Manche Menschen sterben getrost und voller Zuversicht, weil sie wissen, wo´s hingeht: hinein in die offenen Vaterarme Gottes. – Viele andere tun sich schwer und sterben mühevoll: sterben in Angst, mit Zweifeln, mit Schuld beladen und mit ungelösten Problemen – wieder andere sterben unschuldig und qualvoll. Wir erfahren von furchtbaren Unglücken, wenn ein Mensch in seinem Auto verbrennt / oder wenn ein Bus die Böschung hinabstürzt oder ein Flugzeug im Meer versinkt. Wir erfahren von Naturkatastrophen und von furchtbaren Unglücken, wir erfahren von Bombardements in der Ukraine, wir erfahren von Grausamkeiten gegenüber leidenden Mitmenschen, von Gräueltaten, die noch erschreckender sind als dieser schändliche Tod damals am Kreuz. Wer denn denkt nicht an verstümmelte Kinderleichen, an zerfetzte Leiber, an das, was Selbstmord-attentäter anrichten, an die Geiseln in den Händen der Hamas, an Exzesse in Gaskammern und Verbrennungsöfen sog. Konzentrationslager?
Das, was an jenem Karfreitag an diesem einen Misshandelten geschah, das ereignet sich in anderer, auch in abgemilderter Weise bis in unsere heutige Zeit hinein: wenn da Menschen ihr ›Kreuz‹ verpasst bekommen, gedemütigt, verhöhnt, gemobbt und gefoltert werden (Christen in Nordkorea, Christen in muslimisch geprägten Ländern, wenn deren Pfarrer aufgehängt werden). Wenn Menschen ihr ›Kreuz‹ zu tragen haben: verleumdet, weggemobbt und ›gefeuert‹ werden … Wie ist denn das, wenn Menschen in Arbeitslosigkeit freigestellt werden, wenn all das, was sie sich jahrelang aufgebaut haben, wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt? Wie ist das, wenn Menschen seelisch zusammenbrechen, mit ihrem Leben nicht mehr zurechtkommen, einen Schlag nach dem anderen erhalten und nicht mehr in die Höhe kommen? Ist es nicht so, dass ihre Zahl steigt? Dass mehr und mehr Menschen nicht mehr können und wollen und innerlich kaputt gehen? Einem Scherbenhaufen gleichen?
Warum nur richten wir dann unseren Blick so auf diesen Einen! Warum machen wir von seinem Tode so viel Aufhebens? Sind wir so beeindruckt von der Größe seines einsamen, verlassenen und doch so entschiedenen Sterbens?
»Es ist vollbracht!« – so lauten seine letzten Worte vom Kreuz herab … Aber was denn bitte-schön ist ›vollbracht‹? Dass ich nicht lache! Was denn hat sich erfüllt, was sich zum Guten hin verändert? – Jesus von Nazareth stirbt den Verbrechertod am Fluchholz: schlimm und schrecklich, brutal und grausam. Er erstickt schließlich nach nur sechs Stunden, also nicht nach Tagen, sondern nach relativ kurzer Zeit, ansonsten geschieht nichts weiter, außer dass ein paar Geier bereits in der Luft herumkreisen und auf ihr Opfer warten. – Die Hochpriester, die römischen Soldaten, Pontius Pilatus (wir kennen das): sie alle kommen ungeschoren davon und waschen (wie dieser eine) ihre Hände in Unschuld. Wer denn ist verantwortlich für diesen Justiz-Skandal, wer für Jesu Tod, wer denn ist schuldig? Einer schiebt dem anderen ›den schwarzen Peter‹ zu, keiner will´s letztlich gewesen sein … Kennen wir solch ein grausames ›Spiel‹, wo´s dann heißt: die anderen sind schuld?
Nichts geschieht, auf den ersten Blick geschieht rein gar nichts. Ruhe scheint eingekehrt zu sein auf dieser ekelerregenden Schädelstätte, auf der schon so viele hingerichtet wurden und auf der allein ihre Knochenreste verbleiben. Der, ausgerechnet der, der Gottes Liebe zu den Menschen in lauter Güte vorlebt, ausgerechnet der, der hilft und heilt, der tröstet und aufrichtet, ausgerechnet der, der den Friedensnobelpreis verdient gehabt hätte (!): ausgerechnet der wird hinausgestoßen, bespuckt, getreten, ausgepeitscht, mit Steinen bombardiert und schlussendlich gekreuzigt! – ER, der einzig wahre König: Er wird verlacht, verhöhnt, verspottet. Mit einer Dornenkrone gekrönt, wird Er zur Witz- und Spottfigur gemacht, wird bloßgestellt und seiner letzten Kleider beraubt. Mit Ihm kann man´s ja machen, mit einem, der sich nicht mehr wehren kann und der anderen hilflos ausgeliefert ist. Kennen die Menschen kein Erbarmen, kein Mitgefühl? – So gut wie nackt hängt er da … Wenn das nicht zum Heulen ist – und wenn GOTT da nicht mitgeheult hat! Wie Menschen miteinander umgehen können, was Menschen einander antun können: an Entsetzlichem, an Gräueltaten! Furchtbar! Wahnsinn! Man könnte, man müsste irre werden …
›GOTT? ER hat es sicher gut gemeint mit den Menschen, aber: Seine Macht reicht eben doch nicht aus, um gegen die bösen, um gegen die teuflischen Mächte in dieser Welt anzukommen‹: so dachten Menschen damals, und so denken Menschen bis heute. GOTT ist viel zu schwach! Doch, merkwürdig – gerade hier am Kreuz, dort, wo es wirklich ›ins Eingemachte‹ geht, gerade in diesem Leiden: da zeigt sich, wer GOTT ist und wie weit ER geht! »Wie tief sich der Höchste hier beuget!«
Wir Christen glauben doch nicht an einen GOTT, der fern von uns ist, dem wir gleichgültig sind und völlig egal oder den unsere Ängste und Sorgen und Leiden völlig kalt lassen! Nein, am Kreuz von Golgotha können wir den GOTT erkennen, dem wir über alle Maßen am Herzen liegen! Wie viel tut, wie viel investiert dieser unser GOTT, um uns immer wieder verkehrte und verquere Menschen zu retten und zu gewinnen! Unvorstellbar, wie weit GOTT geht! Unfassbar, dass GOTT außer sich gerät! Kaum zu glauben, wie ohnmächtig der allmächtige GOTT wird: um uns Menschen willen! Das begreife einer!
Alles sieht danach aus, als sei alles zuende. Alles sieht danach aus, als sei Gottes Sache vollkommen gescheitert. Als sei GOTT mit seiner Macht am Ende, als hätten Unrecht und Hetze und Hass gesiegt und der Teufel mächtig triumphiert!
»Es ist vollbracht!« – mit diesen Worten haucht der sterbende Jesus sein Leben aus. Ein schallendes Gelächter hätte ausbrechen müssen (!) – doch nein, merkwürdig: es wird still unter dem Kreuz, ganz furchtbar still!
›Alles ist vollbracht‹ in der Stunde, in der in den Augen von uns Menschen alles gescheitert ist. Alles ist vollbracht, wo auch die Jünger längst das Weite gesucht haben … Gerade am Kreuz, gerade an diesem Schandpfahl hat GOTT in diesem Jesus von Nazareth endgültig und ein-für-allemal gesiegt! Jesus hat Sein Werk vollbracht: Himmel und Erde sind in diesem Kreuz miteinander verbunden, die Brücke zwischen GOTT und Mensch ist geschlagen! Diese Welt mit all ihren Schrecken und Grausamkeiten, mit allem Hass und Unrecht, mit allem Elend und mit aller Not, mit allem Unglück – wir mit unserer Verkehrtheit, mit unserem Eigensinn, mit unserem Starrkopf, wir mit unserer Überheblichkeit, mit unserer elenden Rechthaberei auch: Nichts und niemand ist seit Golgotha mehr ohne GOTT!
Auch wenn Menschen GOTT preisgeben wollen – aber GOTT gibt sie nicht preis! Auch wenn Menschen GOTT loswerden wollen – aber GOTT lässt sie nicht los! Auch wenn Menschen von GOTT nichts wissen wollen, von GOTT weglaufen wollen, mitten hinein in die Sünde und mitten hinein ins Verderben: aber GOTT läuft ihnen nach!
Dass GOTT so ist, dies wird nicht jeder Mensch erkennen, geschweige denn auf Anhieb. Dafür braucht es wohl besondere Augen: Augen des Glaubens. GOTT will nun aber ausgerechnet in diesem Gekreuzigten entdeckt sein: im Kreuz lädt ER uns ein, Seine so tiefgehende Liebe zu uns Menschen zu entdecken und: anzunehmen!
Jesu Kreuz kann mir sagen: Das Kreuz, auch mein Kreuz hier auf Erden, ist nicht das Letzte, es ist das Vor-Letzte. Unrecht, Leid, Schmerz, Tod finden ihr Ende. Nichts, aber auch rein gar nichts kann Gottes Sieg letztlich durch-kreuzen! Nichts kann mich letztendlich von GOTT und Seiner Liebe trennen. Selbst der Tod wird durchkreuzt!
Auch wenn mein Leben angefüllt ist mit Enttäuschungen und Niederlagen, voll mit Kummer und Not, voll mit Leid und Schmerz. Aber – sie finden ihr Ende! Auch unser Scheitern und Versagen ist nicht das Ende – GOTT setzt das Ende!
Also – in all den Enttäuschungen meines Lebens / in allem Leid, in allem Irrtum, gerade auch in allem Sterben gilt seit Jesu Kreuz: GOTT kommt uns entgegen! ER umarmt uns in den Armen des Kreuzes! ER hilft uns auf!
GOTT hat uns Menschen hier auf Erden kein Schlaraffenland versprochen – und auch uns Christen bleiben Leiden nicht erspart: aber! Aber GOTT beugt sich ganz, ganz weit und ganz tief zu uns herab! Vom Kreuz aus streckt ER uns Seine ausgebreitete Hand entgegen: die rettende Hand! Ich sollte sie ergreifen und nicht ausschlagen, ich sollte den Rettungsring fassen! Denn GOTT will nicht, dass Menschen ohne IHN leben müssen und schließlich verloren gehen!
Für uns: für dich und mich hat GOTT Seinen Sohn ans Kreuz gegeben. All mein Unrecht, all meine Schuld, all meine Sünde hat ER hier ans Kreuz geheftet: aus unermesslicher Liebe zu mir, damit ich Hoffnung habe und Zukunft! Und du eben auch. Amen.
Predigt am Karfreitag, den 18. April 2025
Pfarrer em. Dr. Hans-Gerd Krabbe
Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 18. April 2025 um 8:27 und abgelegt unter Kirche, Predigten / Andachten, Theologie.