- Gemeindenetzwerk - https://www.gemeindenetzwerk.de -

Schafe unter Wölfen – wenn es Christen in Europa an den Kragen geht

Schafe unter Wölfen – wenn es Christen in Europa
an den Kragen geht

Zu diesem plakativ formulierten Thema bin ich als Vorsitzender des Arbeitkreises für Religionsfreiheit der Deutschen Evangelischen Allianz von der Katholischen Hochschulgemeinde und der Österreichischen Evangelischen Allianz eingeladen worden. Auch wenn der Titel überzogen klingen mag, spüren doch alle etwas von der Brisanz der dadurch zum Ausdruck gebrachten Problematik: Ihr reges Interesse an diesem Thema zeigt, daß wir es mit einem Phänomen zu tun haben, das uns interessiert, ja, vielleicht sogar beunruhigt. Bevor ich in die genannte Problematik einsteige, möchte ich in aller Deutlichkeit dankend vorweg nehmen, daß wir in Europa noch Religionsfreiheit haben. Noch gibt es immer wieder Fälle, in denen der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht (ECHR) gegen Unrecht in einzelnen Länder bei Verstößen gegen die Religionsfreiheit seine Urteile fällt. So auch in den letzten Tagen wieder zum Schutz einer Gemeinde von Gehörlosen Zeugen Jehovas in Tscheljabinsk.

Religionsfreiheit ist ja ein zutiefst europäisches Gut. Wir sind hier in der Wiege der Religionsfreiheit. Die Ausweitung der christlichen Botschaft auf die europäischen Völker und die Etablierung der christlichen Kirchen haben dazu beigetragen, daß die im christlichen Glauben verankerten Werte der unantastbaren Würde eines jeden Menschen und seines Gedankengutes, auch seines Rechtes zu freien Meinungsäußerung, all das ist nicht zu denken ohne die christlichen Werte, die sie hervorgebracht haben. Religionsfreiheit ist ein abendländisches Exportgut geworden, das allerdings nicht überall auf der Welt geschätzt wird. So ist gegenwärtig 25 Jahre nach der Verabschiedung der Islamischen Menschenrechtsdeklaration immer noch keine Garantie der Religionsfreiheit, d.h. auch das Recht, seine Religion zu ändern, in der islamischen Welt.

Bei meiner Arbeit für die Religionsfreiheit als Vorsitzender des AKREF und als Herausgeber von deren Nachrichten und Gebetsanliegen beschäftigen mich in der Regel Meldungen aus nicht europäischen Ländern. Im Vergleich zu vielen Ländern der Welt haben wir nahezu traumhafte Bedingungen, in Europa unseren Glauben in unserem Alltag zu leben, im gelebten Leben umzusetzen. Diese Rechte sind in den allgemeinen Menschenrechten und somit im Grundgesetz der europäischen Länder und der noch im Werden befindlichen europäischen Verfassung garantiert. Und dennoch läßt sich nicht bestreiten, daß das “Klima” in Europa, was die Religion im Allgemeinen und die Religionsfreiheit im Einzelnen betrifft, sich verändert, rauer geworden ist. Es sind vielfach atmosphärische Dinge, die uns im Blick auf diesen Sachverhalt beunruhigen, ja Sorgen machen. Hat man im Zuge der neuen Philosophie sich daran gewöhnen müssen – etwa in den Auswirkungen der Frankfurter Schule auf die Denkstrukturen vieler Zeitgenossen – , daß aufgrund der Presse- und Meinungsfreiheit christliche Werte und Glaubensgefühle verhöhnt, bespottet, mit Füßen getreten werden, so merken wir jetzt, im kulturell und religiös aufgemischten Europa es Anhänger einer anderen Religion gibt, die in keiner Weise bereit sind, solche Häme im Blick auf ihre religiöse Identität in christlicher Manier zu dulden. Im Gegenteil, ein bestimmter Flügel der in Europa lebenden Muslime testen die Grundsätze der Religionsfreiheit auf ihre Belastbarkeit und fordern lautstark ihre Rechte, wie sie sie sehen gegen bestehendes Recht, ein. Nehmen wir beispielsweise das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 2002 zum Thema Schächten ohne Betäubung, so wurden die entsprechenden Gesetze zu Tierschutz als nachrangig zum Grundrecht der Religionsfreiheit gedeutet, obwohl es in der islamischen Jurisprudenz höchst umstritten ist, ob ein Betäubungsverbot aus den Rechtstexten abgeleitet werden kann. Das kann einem auf der einen Seite Mut machen, daß die Prinzipien der Religionsfreiheit hoch gehalten werden. Auf der anderen Seite wird erkennbar – wie etwa beim Kopftuchstreit, der nicht nur in verschiedenen europäischen Ländern, sondern sogar in den Bundesländern Deutschlands unterschiedlich gelöst wird, das heißt zu lösen versucht wird -, daß unsere Europäische Rechtsprechung an ihre Grenzen gebracht wird und die Versuchung groß ist, was die Religionsfreiheit betrifft, quid pro quo Abstriche allgemein zu machen und sich am Ende beim geringsten gemeinsamen Nenner zutreffen. Und schon sind die zwei Wurzeln des gegenwärtigen Dilemmas im Blick auf die Religionsfreiheit genannt:

Erstens: Die aufklärerische Auffassung von Toleranz, und zweitens: eine Gesellschaft, die nicht mehr auf einer gemeinsamen religiös-kulturellen Grundlage zur Vermittlung in Differenzen zurückgreifen kann. Wenden wir uns dem ersten Themenkreis zu. Ich möchte ihn überschreiben:

Wenn Toleranz zur Ideologie wird

Es mag wie eine Binsenweisheit klingen, aber eine Gesellschaft lebt davon, daß Menschen bzw. Menschengruppen zu ihr gehören. Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß es auch Menschen oder Menschengruppen gibt, die nicht zu einer Gesellschaft gehören, ja, schlechterdings auch in einer Gesellschaft nicht gewollt werden. Nach den Religionskriegen des 17. Jahrhunderts in Europa ist durch die Diversifizierung Europas eine immer größer werdende Notwendigkeit, mit Andersdenkenden und Anderslebenden friedlich auszukommen, offenbar geworden. Im Zuge von Reformation, Renaissance und Aufklärung und dem Blick auf die praktischen Notwendigkeiten hat der Toleranzgedanke seine Geburtsstunde erlebt. Das Laissez-faire, das “leben und leben lassen”, hängt direkt mit der Betonung des Individuums und seiner unantastbaren Würde zusammen.

Die Entwicklung bis zur Aufklärung

Die Dominanz der Kirche in der europäischen Geschichte ist als ambivalent zu bewerten. Die Kirche hat einen Segen bewirkt, der nicht hoch genug geschätzt werden kann. Es gab aber auch Schattenseiten dieser Geschichte. Bis zur Reformation gab es ein andauerndes Tauziehen zwischen Kaiserkrone und Papstmitra. Die Päpste beanspruchten nicht nur eine geistliche Vollmacht, sondern auch die politische Oberhoheit über alle weltlichen Herrscher (Bulle „unam sanctam“, 1302). So wurde die Kirche von manchen auch als Machtbasis mißbraucht – bis hin zum Kirchenbann als Mittel der Politik. Erst durch die Spaltung der Kirche und des römischen Reichs deutscher Nationen in der Reformation und die daraus resultierende Schwächung der Kirche und der Staatsgebilde bekam die Staatsmacht in religiösen Angelegenheiten die Oberhand: Der 30jährige Krieg (1618-48) mit seinen verheerenden Auswirkungen ließ erkennen, daß einerseits die jeweiligen religiösen Absolutheitsansprüche um des Friedens willen politisch begrenzt werden mußten. Anderseits gewährleistete das säkulare Recht erst die friedliche Entfaltung der jeweiligen „Religionspartei“. In den einzelnen Territorien des Reiches bestimmte der Landesherr über die Konfession der Bevölkerung (Landesherrliches Kirchenregiment): Die „Toleranz“ gegenüber dem einzelnen beschränkte sich darauf, daß ihm das Recht auszuwandern eingeräumt wurde. War im Westfälischen Frieden (1648) das Existenzrecht andersgläubiger Teilstaaten lediglich als „Notrecht“ anerkannt worden, wobei die eigene Konfession selbstverständlich als die alleinseligmachende verstanden wurde, so brachte die Aufklärung einen völligen Umbruch im religiösen Denken. Das neue Zeitalter widersprach im Namen der Vernunft dem jeweils exklusiven Offenbarungsanspruch der Religionen und setzte den Praxisausweis zum Maßstab ihres Wahrheitsgehaltes (vgl. z.B. Lessings Ringparabel in „Nathan der Weise“).

Die Französische Revolution (1789)

Frankreich, als Ausgangspunkt aller europäischen Revolutionen und Vorreiter in Sachen Sozialismus (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit), hatte schon vor der Revolution Andersglaubende verfolgt (Waldenser und Hugenotten) und war tief im politisch-kirchlichen Machtgerangel verstrickt (z.B. Nebenpäpste in Avignon, 1309-1377). Das Bündnis von Thron und Altar im absolutistischen Staat (Kardinal Richelieu, †1642), das schließlich zum Antiklerikalismus in revolutionären Kreisen Frankreichs führte, hatte auch eine Anti-Glaubens-Haltung zur Folge. Unterschiedslos wurde mit der kirchlichen Institution auch der christliche Glaube abgelehnt. Die Entchristianisierung Frankreichs im Zuge der Revolution hat bis heute Folgen für das gesellschaftliche Leben in ganz Europa, und zwar proportional zur räumlichen und politischen Nähe zur belle republique. Eines der Hauptdogmen der Staatsraison in Frankreich ist der Laizismus geworden. Die Prinzipien des Laizismus nach französischem Muster haben sich auch im Denken der politischen Elite in den Kernländern Europas weitgehend durchgesetzt, ganz zum Leidwesen etwa eines Papst Pius X schon im Jahre 1905, wie er in seiner Enzyklika ACERBO NIMIS zum Ausdruck bringt. Was aber genau im Europa des beginnenden 21. Jahrhunderts unter Toleranz verstanden wird, soll zunächst durch die schlaglichtartige Beleuchtung einzelner politischer Vorgänge exemplarisch verdeutlicht werden – somit wären wir auch schon beim zweiten Teil:

2: Wir haben eine Gesellschaft, die nicht mehr auf einer gemeinsamen religiös-kulturellen Grundlage zur Vermittlung in Differenzen zurückgreifen kann.

Kein Gottesbezug in der Verfassung der EU

Jahrelang kämpft man in Europa um die EU-Verfassung. Die damals noch 25 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union hatten sich nach langer Diskussion am 29. Oktober 2004 auf eine gemeinsame Verfassung geeinigt – ohne Gottesbezug in der Präambel und ohne Erwähnung des jüdisch-christlichen Erbes. Den Entwurf – der inzwischen vom Europäischen Rat ratifiziert, aber in den Volksentscheiden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt – gab es ohne Gottesbezug im „Geiste des Humanismus und der Aufklärung“, so etwa Alt-Bundeskanzler Schröder. Dies sind die Dogmen der Postmoderne, in der wir leben. Wo kein Bekenntnis zum religiösen Erbe möglich war, ist aber doch eine breite Übereinstimmung vorhanden, was den Humanismus und die Religionskritik der Aufklärung betrifft. Wir sind nicht nur eine „nach-christliche“ Gesellschaft, wie der niederländische Missiologe Johannes C. Hoekendijk in den 60er Jahren postulierte, sondern wir sind weithin eine Gesellschaft geworden, die keine wirkliche Erinnerung daran hat, daß sie vom christlichen Glauben geprägt und gestaltet worden ist.

Der Fall Buttiglione

Der Fall um Rocco Buttiglione hat gezeigt, wie erbittert im Europäischen Parlament gegen christliche Ansichten und Standpunkte gekämpft wird. Die Vertreter des Europaparlaments hatten argumentiert, Buttigliones persönliche, von seiner christlichen Überzeugung abgeleitete Einstellung zu Abtreibung und Homosexualität mache ihn für den Dienst für die Gerechtigkeit, Freiheit und Sicherheit der Europäischen Union ungeeignet – und daß, obwohl er klar und wiederholt zum Ausdruck gebracht hatte, daß er als Justizkommissar nicht seine eigene Meinung, sondern das Gesetz der EU vertreten werde. Während einer öffentlichen Rede sagte Buttiglione: „Wenn du an deinem religiösen Glauben festhältst, paßt du nicht in die Rolle eines Europäischen Kommissars.“ Nun will er den „schleichenden Totalitarismus“ bekämpfen, den er erst kürzlich am eigenen Leib gespürt hat. Unter dem Strich bleibt: wer traditionelle christliche Werte auch in der Öffentlichkeit vertritt, ist als politische Führungskraft in der EU unvermittelbar. In Anlehnung an V. I. Lenin ließe sich im Blick auf die gegenwärtige Auffassung von Toleranz in Europagremien sagen: „Toleranz ist gut, Kontrolle ist besser”. Es gibt nämlich in Wahrheit nicht die grundsätzliche Toleranz für jedwede Position, sondern nur eine Toleranz für bestimmte Ansichten, die notfalls anderen auch aufgezwungen werden.

Der Mord an Theo van Gogh und die Bedrohung der Pressefreiheit

Der Mord an Theo van Gogh am 2. November 2004 in Amsterdam hat ganz Europa schockiert. Während Grüne und Rote das Ende von „Multikulti“ beweinen, prangern andere dessen Verlogenheit an. Um die viel gepriesene Toleranz ist es schlecht bestellt. Eine Gruppe von in Dänemark lebenden Moslems hat nach diesem tragischen Fall Strafanzeige gegen zwei staatliche Fernsehsender gestellt, weil diese wiederholt Auszüge eines islamkritischen Films des ermordeten niederländischen Regisseurs gezeigt hatten. Der zwölfminütige Film setzt sich vor allem mit der Diskriminierung von Frauen im Islam kritisch auseinander. Der Anwalt der dänischen Moslem-Gruppe, die anonym bleiben wollte, kritisierte in einem Schreiben an die Polizei die massive Berichterstattung über den Mordfall van Gogh und die wiederholte Ausstrahlung von Auszügen seines Films. Diese scheine dazu angetan, Vorurteile gegen die Moslems in Dänemark zu schüren. Die beiden betroffenen Fernsehsender wiesen die Vorwürfe unter Hinweis auf die Pressefreiheit zurück. Auf der einen Seite erschrecken Europäer über das Unverständnis, das manche europäische Muslime für die Kritik am gewaltbereiten Islam zeigen, aber auch über die wachsende Intoleranz und Gewaltbereitschaft von Europäern gegen einen solchen Islam. Auf der anderen Seite erschrickt man über den drohenden Verlust des Rechts der freien Meinungsäußerung wegen dieser Intoleranz. Inzwischen hat sich die Situation um die Mohammed-Karikaturen ausgeweitet und eskaliert. Ein über ein Jahr lang schwelender Streit zwischen radikalen Muslimen und den Medien war der bei uns allgemein nicht bekannte Hintergrund der Karikaturen. Nach der Regensburger Rede Papst Benedikts XVI ist eine Kontroverse entbrannt – nicht nur um die Pressefreiheit, sondern um die Redefreiheit allgemein. Auch die Aufführung der Idomeneo-Inszinierung in Berlin gehört hierher. Man kann ja geteilter Meinung darüber sein, was klug oder vernünftig ist – de gustibus non est disputandum – aber das Recht auf freie Meinungsäußerung sollte nicht umstritten sein. In Großbritannien lag bis vor kurzem ein Gesetzesentwurf vor, der negative Aussagen über andere Religionen unter Strafe stellen soll. Der Gesetzesentwurf wurde nach dem 11.9.2001 in die Wege geleitet, um britische Muslime vor Haß-Tiraden und Diskriminierung zu schützen. Man hatte befürchtet, daß die teils angespannte Situation zwischen Muslimen und anderen sich hochschaukeln könnte. Menschenrechtsforen wiesen darauf hin, daß es jetzt schon ausreichende Gesetze gibt, um die Individuen und Religionsgemeinschaften vor Agitation zu schützen – daß es aber um die Meinungs- und Pressefreiheit geschehen wäre, wenn man nicht mehr einen Religionsstandpunkt ablehnen oder kritisieren dürfe. Nach massiven Protesten seitens Menschenrechtler wurde der Entwurf vorerst zurückgezogen, jedoch auch angekündigt, daß ein solches Gesetz kommen wird. Inzwischen wird der Entwurf zum vierten Mal zur erneuten Vorlage überarbeitet. Befremdend wirkt, daß mit diesem Vorhaben offensichtlich um die Gunst der in Großbritannien lebenden Muslime gebuhlt wird. Das Sonderbare an dem Ganzen ist, daß sich Christen in Europa schon Jahrhunderte lang – seit der Aufklärung – Kritik an ihrem Glauben gefallen lassen: Es muß ja niemand so denken oder leben wie ein Christ in Europa.

Wie steht es um Europa heute hinsichtlich der Glaubens- und Religionsfreiheit?

Die Anti-Sekten-Gesetzgebung Frankreichs der letzten Jahre macht es religiösen Minderheiten zunehmend schwerer frei zu fungieren. Pastoren und Pfarrer, die ohne Abstriche biblische Kernaussagen wie die Verlorenheit des Sünders in ihrer Verkündigung und Seelsorge betonen, können unter dem wegen Gehirnwäsche und psychologischer Druckausübung vor Gericht verklagt werden. Dies ist auch schon geschehen. Die so genannte Trennung von Kirche und Staat ist in Frankreich in Wirklichkeit weithin eine Kontrolle von Religion durch den Staat. Da der Islam inzwischen die zweitgrößte religiöse Gruppierung in Frankreich darstellt, schickt sich der Staat an, durch „Privilegien“ den Islam – wie auch den Protestantismus im Elsaß – an sich zu binden und so auch zu kontrollieren. Das „Kopftuchverbot“ an den Schulen Frankreichs – auch für Schülerinnen – zielt dort nicht auf die Abwehr verfassungsfeindlicher religiös-politischer Einflußnahme, sondern ist in Wahrheit ein Verbot aller äußeren religiösen Merkmale, worunter auch – quid pro quo – Kreuz und Kippah fallen. Frankreich (wie auch Belgien) haben eine zwiespältige Beziehung gegenüber der verfaßten Religion. Die Entchristianisierung der Gesellschaft während der französischen Revolution wandte sich vor allem gegen die katholische Kirche. Heute sehen sich eher kleinere religiöse Gemeinschaften bedrängt, indem sie als „Sekten“ diffamiert und unterdrückt werden. In Belgien wird der CVJM sogar vom Verfassungsschutz überwacht. Eine Gruppe von jungen Nordamerikanern, die in Belgien Straßenevangelisation betrieben, wurde kurzerhand ohne Verfahren deportiert. Spanien ist durch den Wahlsieg Aznars und seiner sozialistischen Partei infolge der Terroranschläge von Madrid einen großen Schritt in Richtung Laizismus gerückt. Demgegenüber ist eine landesweite Bewegung („Hatze oir“) zum Schutz der Rechte katholischer Christen gegründet worden. Manche Freikirchen begrüßen den Verlust von unberechtigten Privilegien, die die römisch-katholische Kirche in Spanien seither genossen hatte, doch greift diese Deutung zu kurz: es handelt sich seitens der Regierung nicht um eine freiheitliche Öffnung für Religion und Glaube, sondern um eine Einengung religiöser Freiheiten. Der zweite ökumenische Kongreß im “Centro ecumenico”, der neulich zu Ende ging, hatte zum Resultat, daß sowohl die römisch-katholischen, die orthodoxen als auch die protestantischen Teilnehmer sich darin einig waren, eine vereinigte Front gegen “den aggressiven Laizismus”, die neue Staatsreligion, wie sie von der spanischen sozialistischen Regierung propagiert wird, zu benötigen. Das ist in Spanien vielleicht extremer als in Österreich etwa, aber auch der ehrwürdige Kardinal Wiens hat kürzlich darauf hingewiesen, daß wir als Christen in der modernen Gesellschaft, auch hier in Österreich, zu einer Minderheit geworden sind, die Bereitschaft zum Martyrium nötig hat. Den zweiten Wiener Laientag hat er Ende November zum Anlaß genommen, um die Gläubigen seiner Erzdiözese zu ermutigen, in der Gesellschaft als “kreative Minderheit” zu wirken. Die dazu erforderliche “Spiritualität in einer postmodernen Welt” sollte Barmherzigkeit, Stellvertretung und Martyrium beinhalten. Ihm ist in dieser, seiner Analyse, nur bei zu pflichten! Zwar machte er in seinen Ausführungen deutlich, daß das Martyrium in erster Linie das christliche Zeugnis abzulegen bedeute, und daß es sich immer deutlicher herauskristallisiere, daß auch die Laien einen Auftrag dazu haben, aber der Kontext ist klar: Als gläubige Christen sind wir eine Minderheit, eine Minderheit, die auch zum Leidenszeugnis für Jesus Christus bereit sein muß.

Es wird für traditionell geprägte und konservativ ausgerichtete Christen ungemütlicher

Nachdem der private Sender RTL im Herbst einen Themenabend den angeblichen “Evangelikalen” gewidmet hat, zog kürzlich 3sat nach mit einem ganzen Thementag zum Thema “Religiöser Extremismus”. Fazit beider Sendungsreihen sollte sein, daß der Glaube, wenn der Mensch ihn ernst nimmt, gefährlich sei. Abgesehen davon, daß in großer Unkenntnis der Sachverhalte Dinge in einen Topf geworfen wurden, die nicht zusammen gehören (zum Beispiel Teufelsaustreibung durch Taubenopfer in Indepenent African Churches und evolutionskritische Aussagen evangelikal geprägter Wissenschaftler. Auch der Wiener Kardinal, der den offiziellen katholischen Standpunkt zur Vereinbarkeit der Evolutionstheorie mit dem Schöpfungsglauben darlegte, wurde insofern m.E. instrumentalisiert, als durch den Kontext suggeriert werden sollte, daß auch von wissenschaftlicher Seite die Evolutionstheorie die Prämisse eines Schöpfergottes nicht ausschließe.) Besorgniserregend für mich ist in erster Linie die Tatsache, daß konservativ-christliche Positionen als gemeingefährlich an den Pranger gestellt werden. Solche Positionen, die nicht dem allgemeinen Trend des postmodernen Denkens entsprechen, seien nicht nur dumm, sondern eben auch gemeingefährlich. Diese Behauptung beziehungsweise “Warnung” kommt indes nicht allein von Gegnern des christlichen Glaubens, sondern mittlerweile auch von hochrangigen Vertretern christlicher Kirchen. So zum Beispiel kürzlich auf dem Jahrestag der offenen Kirche der Württembergischen Landeskirche durch die Bischofskandidatin, oder durch den ehemaligen Generalsekretär des ökumenischen Rates der Kirche beim Evangelischen Pfarrertag in Kiel. In einer Pressemeldung vom17.01.2007 G ö t t i n g e n (idea) steht: „Der umstrittene Theologieprofessor Gerd Lüdemann, der sich 1998 vom christlichen Glauben losgesagt hat, erhält Unterstützung von einem früheren hochrangigen Kirchenmann. Lüdemann bezweifelt zentrale Glaubensaussagen. Aufgrund seiner Forschungen sei er zu dem Ergebnis gekommen, daß Jesus nicht der Sohn Gottes sei. Seine Auferstehung von den Toten sei nur ein frommer Wunsch“. Zu ähnlichen Erkenntnissen ist der frühere Wolfsburger Superintendent der Hannoverschen Landeskirche Herbert Koch (Garbsen bei Hannover) gekommen, der jedoch der Kirche die Treue hält. Der pensionierte Theologe und Buchautor plädiert dafür, daß sich die Kirchen von seiner Ansicht nach überholten unwissenschaftlichen Vorstellungen verabschieden. Immer mehr Christen zweifelten an den landläufigen Glaubensvorstellungen, etwa daß Jesus Christus Gott sei. Koch ist überzeugt, daß Jesus nicht auf dem Wasser gegangen ist, daß er nicht für die Sünden der Menschen am Kreuz gestorben ist und es auch keine Jungfrauengeburt gegeben habe. Dennoch gebe es ein Evangelium, nämlich das von der grenzenlosen Liebe Gottes zu den Menschen. … Allerdings könne er den Weg Lüdemanns, sich vom Christentum loszusagen, nicht nachvollziehen: „Mein Platz als liberaler Theologe ist in der Kirche.“ Dort kämpfe er für seine Überzeugungen.

Konservative Christen, ob katholisch, orthodox oder evangelisch-evangelikal haben nur das Anliegen, das althergebrachte Gut zu “konservieren”, zu bewahren. Sie werden aber neuerdings beschimpft als Neo-Konservative, Neo-Evangelikale und Neo-Charismatiker, als ob das Neo- eine Affinität zum Faschistischen nachweise. Konservative, ob Katholik, orthodox oder evangelisch-evangelikal, fühlen sich zunehmend in dieser Welt mißverstanden. Sie werden allgemein für borniert, haßerfüllt, machtlüstern und kriegerisch in den Medien dargestellt. Und das nicht nur in eher skurril anmutenden Fällen wie neulich in Moskau, wo der Heilsarmee die Betriebserlaubnis entzogen wurde, weil sie eine “militaristische Organisation” sei. Speziell die Evangelikalen werden als politische Macht dargestellt, die “mit ihren Dollars die Kriegsmaschinerie fördert und militärisch verstandene Kreuzzüge veranstalte”. Konservative Christen, die den Modernismus und speziell den Postmodernismus für eine Verfehlung halten, werden generell als suspekt betrachtet. Als die Shelter Now-Mitarbeiter im August 2001 von der Taliban entführt und gefangen gehalten wurden, wurde ich als Islamkenner und ehemaliger Geisel von Paschtunen immer wieder von den Medien angerufen, um eine Stellungnahme bzw. Hintergrundinformation zu geben. Immer wieder wurde in für mich völlig unverständlicher Weise die Frage gestellt, ob die Shelter Now-Mitarbeiter denn nicht selbst schuld an ihrer Entführung seien, schließlich seien sie ja bekennende Christen in einem islamischen Land. Als ob es etwas Verwerfliches sei, als bekennender Christ aus Motivation der Nächstenliebe in einem islamischen Land Entwicklungs- und Wiederaufbauhilfe zu leisten. In solchen Augenblicken fragt man sich, wo es mit dem Toleranzgedanken denn hin ist. In unserem Nachbarort Bissingen sind Kinder, die Hausunterricht von ihren Eltern bekamen, von der Polizei gewaltsam ihren Eltern entrissen und in die Schule gebracht worden. Eine Mutter von 12 Kindern ist zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden – ohne Rücksicht auf die Kinder zu Hause. Inzwischen ist das Thema Hausunterricht in christlichen Familien in Deutschland auch international bekannt geworden. Die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat sich zu dem Thema in dem Sinne geäußert, daß sie es nicht für notwendig hält, mehr Religionsfreiheit einzuräumen, sondern eher die Gesellschaft vor extremen religiösen Formen zu schützen.

Ausblick

Toleranz wird in Europa zunehmend nicht mehr als Gewissensfreiheit in religiösen Überzeugungen verstanden, sondern als fortschreitende Loslösung von religiösen Normen auf der einen Seite und als ein Verbot von „zwanghaften“ religiösen Elementen, um vor dem (islamistischen) Extremismus zu schützen. Im Namen der „Toleranz“ wird religiöse Aktivität eingeschränkt und das Recht auf freie Meinungsäußerung ausgehöhlt. Die Regierungen Westeuropas scheinen den Weg eingeschlagen zu haben, daß im Namen der „Gleichbehandlung“ die Rechte von Christen beschnitten werden müssen im gleichen Maße wie Freiheiten von Muslime aus Staatssicherheitsgründen eingeschränkt werden. Wo der extremistische Islam kritisiert wird, ist man im Geiste der „politisch korrekten Sprache“ bemüht, konservative Formen des christlichen Glaubens mit zu verurteilen. So zuletzt beim Vortrag von Prof. Konrad Raiser, ehemaliger Generalsekretär des ÖRK, auf dem letzten deutschen Pfarrertag, der die „Gefahr“ von christlichen Fundamentalisten mindestens so hoch einschätzt, wie die von islamischen Fundamentalisten. Will man sich beim geringsten gemeinsamen Nenner, was Religion angeht, treffen? „Toleranz“ ist schon längst zu einer Ideologie in Europa geworden – nur weiß keiner, was daraus werden soll.