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Offener Brief an den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg

Dr. Schawarsch Owassapian, Erzbischof Karekin Bekdjian,
Vorsitzender des Zentralrats der Primas der Armenischen Kirche

An: Der Tagesspiegel; Zeit; Süddeutsche Zeitung; Spiegel; Naumburger Tageblatt; Rheinische Post; Märkische Oderzeitung; Gemeindenetzwerk; Frankfurter Allgemeine; die Welt; der Prignitzer; Berliner Morgenpost; nachricht@matthiasplatzeck.de

Betreff: offener Brief an Ministerpräsidenten Platzeck

Z A D, Mainzerstr. 30 D-55296 Lörzweiler

Offener Brief an den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg 26.1.04

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Platzeck,

wie wir aus der Presse erfahren haben, hat die Regierung des Landes Brandenburg den Hinweis auf dem Völkermord an den Armeniern in der osmanischen Türkei in den Jahren 1915/16 aus den Rahmenlehrplänen für den Geschichtsunterricht streichen lassen.

Als das Land Brandenburg im Jahr 2002 die Beschäftigung mit dem Genozid an den Armeniern in die Lehrpläne aufnahm, hatten wir die Hoffnung, dass diese mit der deutschen Geschichte eng verwobene und von der Türkei vehement geleugnete Erfahrung endlich zu einem Gegenstand des Wissens würde. Dies nicht auch nicht zuletzt aufgrund der Verantwortung gegenüber den Opfern und deren Nachfahren.

Diese Hoffnung ist durch die Entscheidung der Landesregierung zutiefst enttäuscht worden. Da die türkische Leugnung auch von den türkischen Medien in der Bundesrepublik propagiert wird, bedeutet die Rücknahme dieses hoffnungsvollen Schritts aber auch, dass man Schülern mit Migrationshintergrund aus der Türkei einen kritischen und damit letztlich auch integrationsfördernden Umgang mit der Geschichte der Türkei verwährt. Denn die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist eine wichtige Voraussetzung für Integrations- und Toleranzfähigkeit.

Den Schritt der Brandenburgischen Landesregierung bedauern wir sehr, gerade in diesen Tagen, in denen sich der Genozid an den Armeniern zum 90. Mal jähren wird. In den Gedenkveranstaltungen zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz sind eindrucksvoll die Verantwortung gegenüber der Geschichte und gegenüber den Überlebendengemeinschaften sowie die Entschlossenheit zur Erinnerung beschworen worden. Hinsichtlich der Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern scheinen sich dagegen erneut die Politikmächtigkeit der Leugnung, die Solidarität mit dem Bündnispartner Türkei und das Gewicht des politischen Kalküls unter Beweis zu stellen.

Keinesfalls sollte das politische Kalkül hier jedoch den Eindruck erwecken lassen, dass Land Brandenburg sei eine Provinz des Osmanischen Reiches.

Eine schulische Beschäftigung mit der Vernichtung der Armenier wäre in der Bundesrepublik auch angezeigt angesichts der Verwicklung Deutschlands als Bündnispartner des Osmanischen Reiches während des Ersten Weltkriegs mit der Geschichte dieses Völkermords: vollzogen vor den Augen deutscher Militärs und Diplomaten, wurden diese zu »Protokollanten der Vernichtung«. Nicht zuletzt fanden die Hauptverantwortlichen für den Völkermord nach Ende des Weltkriegs mit deutscher Hilfe Zuflucht in der damaligen Reichshauptstadt und heutigen Bundeshauptstadt Berlin. Die Beschäftigung mit der Vernichtung der Armenier ist somit immer auch eine Beschäftigung mit der europäischen und insbesondere der deutschen Geschichte.

Daher möchten die in Deutschland lebenden Armenier Sie dazu auffordern diese besorgniserregende Entscheidung rückgängig zu machen. Denn sie steht im Widerspruch zu dem nach dem Holocaust gefundenen Konsens, dass auch die Leugnung eines Völkermords zu verurteilen ist.

Mail: zad@d-armenier.de [1], Homepage:http://www.d-armenier.de
Armenier in Deutschland