Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Gedanken zur Aufarbeitung der Erfahrungen aus der Corona-Zeit »Nie wieder ein ‚Neues Normal‘!«

Dienstag 21. Januar 2025 von Pastor Dr. Wichard von Heyden


Pastor Dr. Wichard von Heyden

In der Augustausgabe 2024 des Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatts hat Dorothea Wendebourg die kirchliche Aufarbeitung der Corona-Zeit gefordert. In der Tat zwingen die nun veröffentlichten Protokolle des Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts zur Aufklärung. Dabei geht es Wichard von Heyden weniger um die naturwissenschaftlich-medizinische Perspektive als vielmehr um eine verantwortungsethisch motivierte Frage nach den Gründen, Normen und Zielen politischen, aber auch kirchlichen Handelns. Die Fragen, die sich im Blick auf das politische Handeln stellen, wirft von Heyden in diesem Beitrag auf; ein zweiter Artikel wird zu einem späteren Zeitpunkt die kirchlichen Entscheidungen ins Visier nehmen.

Zunächst ist es wichtig, den alle überraschenden neuen Stand nach Veröffentlichung der RKI ­(Robert-Koch-Institut)-Files wahrzunehmen und einzuordnen. Wer sich in die im Jahr 2024 in mehreren Schüben veröffentlichten Protokolle des Corona-Krisenstabs des RKI (RKI-Files) einliest,1 gerät von einer Verwunderung zur anderen, von einem Erstaunen zum nächsten. Die Protokolle sind ein Paukenschlag. Die Geschichte der Corona-Zeit in Deutschland benötigt kein kleines Update. Es geht um ein Upgrade: Das Ganze ist restlos neu zu bewerten. Das war unvorhergesehen: für Kritiker ebenso wie für Verfechter harter Maßnahmen. Darin liegt die Chance, gemeinsam neu wahrzunehmen, aufeinander zuzugehen und aufzuarbeiten. Die folgenden Recherchen bieten dafür einen Standpunkt, einen möglichen Anfang.

Dieser Tage (im Dezember 2024) kommt der über 700 Seiten starke Bericht des Untersuchungsausschusses aus dem US-Repräsentantenhaus hinzu. Über Parteigrenzen hinweg wurden die Experten der mit dem deutschen RKI eng verbundenen amerikanischen Gesundheitsbehörden unter Eid befragt. Die wesentlichen Thesen, die sich im ersten Teil dieses Artikels aus offiziellen deutschen Unterlagen ergeben, werden darin nach den mir vorliegenden Berichten auch für die USA bestätigt.

1. Der Stand des Wissens über das, was war und ist

Mir geht es im Folgenden nicht um die Frage nach naturwissenschaftlicher Wahrheit. Soweit die Wissenschaft frei forscht, werden die Erkenntnisse dichter und strapazierfähiger werden. Der Fokus liegt vielmehr auf der gesellschaftlich-politischen Komponente: Was ist auf der Ebene menschlicher Entscheidungen passiert? Wie ist es dazu gekommen? Gibt es Schlussfolgerungen für die Zukunft? Wie ist man mit dem Wissen umgegangen? Laut Forsa-Umfrage (Oktober 2024) haben nur 28% der Menschen in Deutschland von den RKI-Protokollen gehört.2 Die Inhalte sind öffentlich aber nahezu unbekannt.

Vorweg zwei Anekdoten, die für die Bewertung von „Staat und Wissenschaft“ in der Corona-Zeit erhellend sind. Unter der Überschrift „Fake News“ dementierte am Samstag, 14.3.2020, das Bundesgesundheitsministerium mit Blick auf die Berichte aus Italien:

„Es wird behauptet und rasch verbreitet, das Bundesministerium für Gesundheit/die Bundesregierung würde bald massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens ankündigen. Das stimmt NICHT! Bitte helfen Sie mit, ihre Verbreitung zu stoppen.“3

Das Dementi hielt kaum zwei Tage: Am Montag, 16.3.2020, wurde der Lockdown für den 22.3. verkündet. Erst am 4.5. begannen „Lockerungen“.

Im Februar 2020 schon war der Begriff „Verschwörungstheorie“ in die Debatte eingeführt worden. In einem Leserbrief lehnten 26 Virologen im medizinischen Leitblatt „The Lancet“ „Verschwörungstheorien, die auf einen nicht-natürlichen Ursprung von Covid-19 hinweisen“ ab.4 Mitunterzeichner war Christian Drosten. Wenige Tage zuvor hatten er und die anderen Unterzeichner an einer Telefonkonferenz teilgenommen. Dabei war auch die gegenteilige Ansicht vertreten worden: Die Chance auf einen Labor-Ursprung des Virus liege bei 60% oder mehr. Anstatt das zu diskutieren, entschieden sich die Unterzeichner des Leserbriefes für grundsätzliches Diskreditieren.

Inzwischen ist die Beweislast für den Ursprung im Wuhaner Labor, in dem Virenverschärfung zu medizinischen und militärischen Zwecken durchgeführt wurde, erdrückend. Die vermeintliche Verschwörungstheorie ist längst rehabilitiert. Das lange erfolgreiche Unterdrücken einer mindestens respektablen Gegenmeinung erscheint selbst fast wie eine „Verschwörung“.

„Fake News“ und „Verschwörungstheorie“: Diskreditierungen, die nicht der Wahrheitsfindung, sondern der Verschleierung dienten. Die Debatte wurde genau an den Stellen, wo es sachliche Unsicherheit gab, abgelenkt oder ganz beendet. Das Ergebnis verhinderter ­Fragen ist, wie im Folgenden in jedem Punkt erkennbar, fatal.

2. Die „Bilder von Bergamo“ vs. Erkenntnisse des RKI

Der im März ausgerufene Lockdown stand unter dem Eindruck der „Bilder von Bergamo“. Es ergab sich die Aufgabe, eine gefährliche, tödliche, sich blitzartig ausbreitende Krankheit zu bremsen. „Die Bilder von Bergamo“ sind noch heute ein wesentliches Argument für die damaligen Entscheidungen. Dennoch entzauberte der Bayrische Rundfunk im September 2021 die prägenden Bilder als „Foto-Legende“.5 Nicht alles, aber vieles, was wir aus Bergamo zu wissen meinten, wird damit in andere Relationen gesetzt.

Tatsächlich passten die Bergamo-Bilder nicht zu den Erkenntnissen des RKI. Das zeigen inzwischen dessen Krisenstabs-Protokolle. Nicht nur Christian Drosten hatte „Corona als milde Erkrankung“ bezeichnet.6 Auch das RKI hielt die Bedrohungslage für „mäßig“.7 Die offizielle Hochstufung der Gefährdungslage auf „hoch“8 geschah am 17.3.2020, nachdem RKI-Vize Lars Schaade am 15.3., einem Sonntag, mit Präsident Lothar Wieler ein Vieraugengespräch geführt hatte. Das RKI hat durch seine Anwälte erklären lassen, dass es aber keine neuen wissenschaftliche Erkenntnisse gegeben habe.9 Anders gesagt: Die Hochstufung war nicht durch eine wissenschaftliche Datenlage begründet. Im Rückblick des ersten Jahres wird später am 19.3.2021 sogar festgehalten: „COVID-19 sollte nicht mit Influenza verglichen werden, bei normaler Influenzawelle versterben mehr Leute.“10

Wenn das nicht aus dem RKI käme, würde man es als Nonsens empfinden und im Wording dieser Krise als „Schwurbelei“ abtun. Man braucht Zeit zu verstehen. Wenn das stimmt, bedürfen etwa drei Jahre Ausnahmezustand und „Neues Normal“ einer Erklärung, die einigermaßen gut sein muss. Zugleich harren die heftigen Begleit- und Folgeerscheinungen der Krankheit einer Erklärung.

3. Politische Weisung und ein öffentlicher Zirkelschluss

Zunächst ist als These festzuhalten: „Nicht die wissenschaftliche Expertise des RKI hielt die Lage für bedrohlich. Sondern: Eine politische Intervention aus dem Ministerium hat dem RKI Weisung erteilt, die Gefahrenlage hochzustufen. Anschließend hat sich die Politik auf die vom vermeintlich unabhängigen RKI ausgerufene hohe Gefahrenlage berufen.“ Ein Zirkel. Die Zusammenhänge im Einzelnen sind von einem künftigen Untersuchungsausschuss aufzuklären.

Eindrucksvoll bestätigt hat die These jedoch jetzt kein Geringerer als der neue RKI-Präsident Lars Schaade. In einem Prozess um eine Diakonie-Mitarbeiterin sagte Schaade am 3.9.2024 als Zeuge vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück aus. Schaade sprach von „Management“-Gründen, wenn die Politik die RKI-Spitze nötigte, entscheidende Einsichten nicht mitzuteilen, verkürzt darzustellen und falsche Darstellungen anderer nicht zu korrigieren. Das bezieht sich auch auf die entscheidende Hochstufung im März 2020.11 Zwei Passagen aus der Pressemitteilung des Gerichts und aus dem ­Beschluss selbst:

„Aufgrund der nunmehr vorliegenden Protokolle des ­COVID-19-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie der in diesem Zusammenhang heute durchgeführten Zeugenvernehmung von Prof. Dr. Schaade, Präsident des RKI, [ist das Gericht zu der Auffassung gelangt, es] sei die Unabhängigkeit der behördlichen Entscheidungsfindung in Frage zu stellen.“ Im Urteil heißt es dann, dass den Äußerungen des RKI kein „einem Sachverständigengutachten vergleichbarer Erkenntniswert zukam.“12

Juristisch und politisch galt bis dato: Egal wer mit welcher Qualifikation und welchen methodischen Standards ein Gutachten vor Gericht vorlegte – sobald eine gegenläufige Äußerung des RKI existierte, setzte sich diese durch, weil man von einer überlegenen fachlichen Sicht ausging. Diese Grundannahme ist nun zertrümmert. Was das für die juristische Einschätzung nahezu aller bisher gefällten Urteile zu Corona-Maßnahmen bedeutet, ist noch nicht abzuschätzen.13

4. Die Fachexpertise des RKI vs. politisches Management

Von den „Weisungen“ oder „Managemententscheidungen“ ist nicht nur das Hochstufen der Gefahrenlage im März 2020 betroffen. Das massenhafte anlasslose Testen verursachte enorme und immer weiterwachsende Fallzahlen, die dann von Modellierern in die Zukunft fortgeschrieben wurden und pressewirksam eine ­dramatische, Angst hervorrufende Entwicklung suggerierten:

„Die Testung sollte in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Wie kann dem politischen Wunsch nach verstärkter Testung entgegengekommen werden?“ (Protokoll vom 29.6.2020) Knapp drei Monate vorher hatte man schon festgestellt: „Es stellt sich generell die Frage, ob aktuell die Fallzahl aufgrund vermehrter Testung steigt. (…) ­Testungen haben tatsächlich zugenommen, während der Positivenanteil von 13 auf 8,5% zurückgegangen ist“ ­(Protokoll vom 6.4.2020).

Viele Menschen hatten mit Masken Probleme, andere konnten das nicht nachvollziehen. Egal, wie man die persönliche Befindlichkeit einschätzt – es war aus RKI-Sicht evidenzlos:

„Die Anwendung von FFP-Masken in der allgemeinen Bevölkerung wird nicht empfohlen.“ (Protokoll vom 29.7.2020). – „Es gibt keine Evidenz für die Nutzung von FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes, dies könnte auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“ (Protokoll vom 30.10.2020) – Es gibt relativ viele Fundstellen zur Maskenwirkung, fast durchgehend negativ, aber dem Wunsch der Politik müsse man nachkommen.

Auch die Einschätzung der Impfungen ist betroffen. Aus der Vielzahl von Notizen, die den Impfungen nicht grundsätzlich negativ gegenüberstehen, hier nur ein Satz, der m.E. eine Schlüsselaussage ist: Wenn das die Erkenntnis des RKI über die Wirkung der Impfungen hinsichtlich der Weitergabe des Virus war, dann gab es keine Grundlage für Druck oder Zwang in Richtung Impfung. Das Schlagwort der „Pandemie der Ungeimpften“ wäre dann pure Polemik ohne positiven Hintergrund: „Es gibt keine Anzeichen, dass Impfungen an Ausscheidungen etwas ändern“ (Protokoll vom 12.10.2022).

Gemeint ist: Egal, ob die Impfung als Eigenschutz wirkt, eine schwere Erkrankung verhindert und dabei sicher ist oder nicht, sie verändert nichts an der Übertragung. RKI-Präsident Schaade bestätigte vor Gericht, dass schon die Zulassungsanträge der Hersteller der Impfstoffe nie behauptet hatten, einen Fremdschutz zu bewirken. Es gab später dann auch keine positiven Erkenntnisse dazu im RKI. Soweit sie sich auf die Ausbreitung des Virus bezogen, waren alle Diskriminierungen, aller Druck, alle Schikane gegen Menschen, die sich nicht impfen lassen wollten, völlig anlasslos: Weder waren die Nichtgeimpften unsolidarisch noch schuldig an der Ausbreitung der Krankheit. Weder waren sie asozial, noch gab es einen Grund, sie auszuschließen, ihnen Reisen, Sport, Einkaufen oder Gottesdienste zu verbieten (2G) oder nur unter zusätzlichen Umständen (3G) zu erlauben. Dass dieser Tage Karl Lauterbach ernsthaft behauptete, er selbst habe nie von einer „Pandemie der Ungeimpften“ gesprochen, ist nicht nur per Google sofort mehrfach widerlegbar, sondern spricht vor allem Bände in anderer Hinsicht: Hier will jemand nicht mehr mit diesen offenkundig falschen und irreführenden Behauptungen in Verbindung gebracht ­werden.

Schließlich dokumentiert eine Reihe von Protokollauszügen ein starkes politisches Interesse an Schulschließungen. Einzelne Wissenschaftler haben daraufhin Argumente dafür gesammelt. Dennoch wird schon am 24.4.2020 – nach den ersten Schulschließungen – mit Blick auf einen Bericht im „Lancet“ festgestellt: „Schulschließungen haben vermutlich keinen großen Einfluss auf die Kontrolle der Epidemie gehabt.“14 Im Grunde brauchte man nur die Stellungnahmen der kinderärztlichen Verbände lesen. Schulen und Kindergarten hätten immer geöffnet bleiben können.

5. Der Umgang mit Kritikern und Panikpolitik

Wissenschaftler, die kompetent und qualifiziert argumentierten, dass die öffentlich kommunizierten Darstellungen nicht stimmen konnten, weil sie die Daten genau so interpretierten, wie das RKI es intern tat, wurden ­delegitimiert, persönlich angegriffen, „Schwurbler“ genannt, für „unseriös“ erklärt, als „umstritten“ diffamiert, als „rechts“ oder „verschwörungstheoretisch“ denunziert. Kritiker, die zur Elite der betroffenen Wissenschaften gehörten, mussten um ihre Reputation, um Forschungsgelder und im Zweifel um ihre persönliche Zukunft bangen, wenn sie sich laut äußerten. Der Umgang mit Kritikern, Skeptikern und Warnern im Zuge der Corona-Krise war erniedrigend und respektlos. Das gab es so noch nie in der Bundesrepublik.

Es war nicht nur eine Verselbständigung sozialer Dynamiken, die hier griff. Es gab auch sehr zielgerichtetes Handeln. Das gilt v.a. für das sogenannte „Panikpapier“ des Bundesinnenministeriums. Es wurde in den letzten Märztagen 2020 verfasst. Beteiligt an diesem Strategie- und Kommunikationsleitfaden waren weder Mediziner noch Biologen oder andere Naturwissenschaftler. Dagegen Wirtschaftswissenschaftler und Sinologen. In China war das Virus erstmalig aufgetreten. Das totalitäre chinesische Regime hatte mit drakonischen Maßnahmen reagiert, die in westlichen Augen empörend waren. Beteiligt war auch der renommierte Soziologe Heinz Bude. Bude erläuterte später Auftrag und Vorgehen der Arbeitsgruppe unter Leitung von Staatssekretär Markus Kerber: Man wollte in der Bevölkerung „Folgebereitschaft“ herstellen. Dazu habe man ein Modell gesucht, „das so ein bisschen wissenschaftsähnlich ist“ wie z.B. „Flatten the Curve“.15 Als treibende Affekte setzte man auf Angst, Schock und Panik. Konkret heißt es in dem Papier (S. 13):

„Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen (…) verdeutlicht werden:
1) Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen, ebenfalls. Die Bilder aus Italien sind verstörend.

2) ,Kinder werden kaum unter der Epidemie leiden‘: Falsch. Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z.B. bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.“16

Dass weder Kinder als Überträger noch Schmierinfektionen als Infektionsweg in der Pandemie eine nennenswerte Rolle spielten, war zwei Wochen danach durch die Heinsberg-Studie bekannt. Die Kommunikationsstrategie der Bundesregierung aber wurde nicht korrigiert. Die schon hier behauptete Überlastung der Krankenhäuser ist aufs Ganze gesehen laut DIVI-Register selbst im Winter 2020/21 nicht eingetreten. Die Überlastung ist somit von März 2020 an ein gängiges Argument gewesen, für das im Nachgang immer wieder einzelne Belege zu finden waren – aber nicht eine bundesweite ­Bedrohung.17

Es ging dem „Panikpapier“ um „Schockwirkung“, „Folgebereitschaft“ und „wissenschaftsähnliche“ Kommunikation. Damit ist das spätere „Neue Normal“ Ergebnis und Folge von Manipulation. Selbst wenn Corona schlimmer als die Pest gewesen wäre, hätte in einem freiheitlichen System niemals eine solche regierungsamtliche Kommunikation stattfinden dürfen. Wenn die Kirche ein Wächteramt für sich in Anspruch nimmt und öffentliche oder politische Theologie betreibt, dann wäre hier spätestens eine Rote Linie zu markieren gewesen.

6. Aufklärung nach Stimmungswende

Der Freistaat Bayern will inzwischen laut Presseverlautbarung sämtliche noch anhängige Verfahren zu nicht eingehaltenen Abständen, Verstößen gegen Maskenverordnungen usw. einstellen.18 Hardliner Söder hatte, von Umfragewerten beflügelt, die Kanzlerin und Armin ­Laschet, seinen Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur, vor sich hergetrieben. Jetzt die Kehrtwende vor ­allen anderen.

Die gesellschaftliche, juristische und politische Aufarbeitung steht am Anfang. Auch medizinisch-wissenschaftlich gibt es einiges zu tun. Bis heute fehlen Kohortenstudien, bis heute ist das Paul-Ehrlich-Institut seiner gesetzlichen Verpflichtung nicht nachgekommen, Krankenkassendaten auszuwerten. Damit könnte man die Gefährlichkeit und die Wirkungen der Coronakrankheit einerseits und andererseits die Folgen der Maßnahmen genauer bestimmen: Wie hat der Lockdown gewirkt? Kann man doch mehr über den Sinn oder Unsinn der Masken sagen? Wie ist es mit der Impfung: Sind diejenigen, die geimpft wurden, später signifikant weniger von Corona betroffen gewesen? Dann wäre die Impfung wirksam gewesen. War das nicht so? Dann wäre sie weitgehend unwirksam und unnötig gewesen. Wodurch wird Long-Covid begünstigt, welche Faktoren könnte man ändern?

Die RKI-Protokolle sind nur Protokolle. Wie es wirklich war, im RKI, im Ministerium und insgesamt in der Bundesregierung, in der Bundespolitik und international, das wird wohl von Untersuchungsausschüssen und Gerichten mit eidesstattlichen Aussagen untersucht werden. Papier ist geduldig, Eindrücke täuschen. Untersuchung ohne Scheuklappen und Tabus ist unumgänglich.

7. Wirkungen und Nebenwirkungen sind dringend zu untersuchen

Kann die Impfung selbst die Krankheit auslösen? Einst sprach Karl Lauterbach von nahezu hundertprozentiger Wirksamkeit und fast vollständiger Nebenwirkungsfreiheit. Heute bewertet er Long- oder besser: Post-Covid und Post-Vac als weitgehend identisch. Er folgert, dass Post-Covid-Symptome eine Folge der Impfung sein können. Aber die wurde doch injiziert, um genau davor zu schützen?19 Vielleicht könnte den unter schweren Post-Covid-Symptomen leidenden Menschen geholfen werden, wenn diese Dinge verbunden mit der Frage nach der Genese des Virus und der Impfung vorurteilsfrei wissenschaftlich untersucht würden.

Wie sind die Nebenwirkungen überhaupt zu bewerten? Dr. B. Keller-Stanislawski, ehemalige Leiterin der Abteilung „Sicherheit von biomedizinischen Arzneimitteln“ des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) hatte 2023 im Untersuchungsausschuss des Brandenburger Landtags ausgesagt, das PEI sei ab dem Start der Impfkampagne von der Vielzahl der Impfnebenwirkungen überrascht und überfordert gewesen. Es habe im PEI Leute gegeben, „die haben sich nur um Todesfälle gekümmert, und Leute, die haben sich nur um Myokarditis gekümmert, wir hatten ja viel mehr Arbeit als zuvor, nur durch diesen Impfstoff. Wir haben aus anderen Abteilungen Hilfe bekommen, weil wir zu wenig Leute für die Bearbeitung der Impfnebenwirkungen hatten.“20

Nebenwirkungsfrei sind die Impfstoffe nach dieser eidesstattlichen Aussage aus dem PEI nicht. Ob stimmt, was die BSW-Abgeordnete Jessica Tatti einem Schreiben der Bundesregierung entnimmt, dass die neuartigen Impfungen verglichen mit allen anderen bekannten Impfungen den 21-fachen Wert an gemeldeten Verdachtsfällen an Nebenwirkungen haben?21 Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ ergab im Oktober 2024, dass 19% der Geimpften über Nebenwirkungen berichteten (4% ärztlich bestätigt, was viel wäre). Der über beides berichtende „Cicero“ deutet zudem an, der massiv steigende Krankenstand seit 2021 könne hiermit verbunden sein.22

Das alles muss dringend anhand der Kassendaten untersucht (und hoffentlich widerlegt) werden. Es ist prinzipiell wie bei den Missbrauchsfällen: „Unter der Decke halten“ und „bloß nicht darüber sprechen“ verhindert eine mögliche Entlastung – schafft aber vor allem die Voraussetzung dafür, dass etwaiges Elend weitergeht und immer größer wird.

Was wäre, wenn sich Menschen aufgrund kirchlicher Impfwerbung für die Impfung entschieden hätten und dann krank oder schwerkrank geworden oder gar verstorben wären? Und das immerhin, ohne dass laut interner Gefahreneinschätzung des RKI eine besondere Gefahr vorgelegen hätte („nicht mit Influenza vergleichen“ – „bei Influenza versterben mehr“). Ohne mit dem ­Finger irgendwohin zu zeigen, muss hier aufgeklärt werden, und zwar in alle Richtungen.

8. Ein vorläufiges Fazit

Der Rückblick in die Corona-Zeit zeigt grundsätzliches Versagen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, gepaart mit Desinformation, die zumindest einigen Hauptakteuren bewusst war. Bei allem dürfte eine Dynamik wirksam gewesen sein, die sich vermutlich schon auf Regierungsebene verselbständigt hat.

Kirchlich ist zu fragen, welchen Wert „öffentliche Theologie“, „politische Theologie“ und christliche Verantwortungsethik haben, wenn sie sich weitgehend distanzlos einbinden lassen. Was läuft hier theologisch schief, was wäre geistlich wahrzunehmen gewesen? Wo hätte die Kirche Jesu ihre Systemrelevanz in messianischer Freiheit „ganz anders“ beweisen können und müssen?

Pastor Wichard von Heyden, Gehrden bei Hannover

Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

Pastor Wichard von Heyden, verheiratet, Vater von vier Schulkindern, promovierter Neutestamentler; in der Coronakrise hat er in intensiven Gesprächen und offenen Briefen ab 2020 ­vergeblich versucht, Einfluss auf politisch Verantwort­liche zu nehmen; 2022 gehörte er auf dem ­Höhepunkt des Impfdrucks zu?den Verfassern ­eines von mehreren tausend Menschen ­unterzeichneten kirchlichen Aufrufs gegen die Spaltung der ­Gesellschaft.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt – Heft 1/2025

https://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt

Anmerkungen

1 https://coronaquest.de/rki-files-sammlung/
– Recherchetool.

2 https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/forsa-umfrage-zu-impfungen-so-denken-deutsche-heute-ueber-corona-47863507.

3 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/111060/Bundesgesundheitsministerium-warnt-vor-Falschnachrichten.

4 https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/corona-ursprung-us-kongress-will-virologe-christian-drostens-chatverlaeufe-zur-labortheorie-li.365998; vgl. https://www.cicero.de/kultur/corona-aufarbeitung-labortheorie-wiesendanger.

5 https://www.br.de/nachrichten/kultur/der-militaerkonvoi-aus-bergamo-wie-eine-foto-legende-entsteht,TJZE6AQ.

6 https://www.zdf.de/nachrichten/heute-sendungen/videos/coronavirus-milde-erkrankung-100.html.

7 https://multipolar-magazin.de/artikel/rki-protokolle-1 – Multipolar ist das Internetmagazin, das mit Hartnäckigkeit und hoher journalistischer Kompetenz die ersten RKI-Protokolle freigeklagt hat und konsequent weiter recherchiert hat.

8 https://www.berliner-zeitung.de/open-source/verschaerfung-der-coronapolitik-rki-chef-schaade-nennt-irrefuehrende-gruende-dafuer-li.2229168.

9 https://multipolar-magazin.de/artikel/rki-protokolle-1.

10 Im Nachsatz heißt es: COVID19 sei „aus anderen Gründen bedenklich“. Was ist gemeint? – Viele Pfarrerinnen und Pfarrer haben Corona als kritisch und gefährlich erlebt, dasselbe gilt für manche Mitarbeiter in Krankenhäusern, Intensivstationen und Pflegeeinrichtungen. Wie ist dieses Erleben in Einklang zu bringen mit der Einschätzung, insgesamt sei Corona weniger gefährlich als eine Grippe? Diese Fragen müssen intensiv diskutiert werden –ohne Mundtotmachen der Gegenmeinung. Vielmehr ist im Diskurs nach gemeinsamen Ansatzpunkten in der Wirklichkeit zu suchen, um eine konsistente Interpretation zu ermöglichen. Die Frage nach Post- oder Long-Covid ist genau zu untersuchen: Ab wann trat diese Krankheit in größerer Zahl in Erscheinung? Wie ist der Zusammenhang mit dem Post-Vac-Syndrom genauer zu bestimmen?

11 https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/rki-files-so-lief-in-osnabrueck-die-vernehmung-von-lars-schaade-47689896. https://blog.bastian-barucker.de/osnabrueck-anwaeltin-beschreibt-gerichtsverhandlung-mit-lars-schaade/.

12 https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/88f7ed45-ebf8-43d5-936a-e151430f7103.

13 https://www.cicero.de/innenpolitik/kniefall-vor-der-corona-politik – Anmerkung vom Dezember 2024: Inzwischen hat auch Karl Lauterbach öffentlich geäußert, aktiv Fachauskünfte des RKI beeinflusst bzw. verhindert zu haben.

14 Im Protokoll vom 24.4. heißt es weiter: „Cluster of Covid-19 in Französischen Alpen: ein infiziertes Kind hatte Kontakt zu 150 weiteren Personen (…) keines (…) angesteckt. (…) In Holland Clusterrandomized trial: Kinder haben keine anderen Personen infiziert, Weitergabe der Infektion erst in höheren Alters­gruppen.“

15 https://www.welt.de/kultur/plus250658831/Corona-Aufarbeitung-Einblicke-in-die-zynische-Welt-der-Angstkommunikation.html.

16 https://fragdenstaat.de/dokumente/4123-wie-wir-covid-19-unter-kontrolle-bekommen/.

17 https://www.intensivregister.de: Dort wird dargestellt, wie viele Intensivbetten jeweils belegt sind. Es gab in kleinem Umfang Schwankungen, der das System nicht gefährdet.

18 https://www.welt.de/politik/deutschland/article253845724/Bayern-stellt-Corona-Verfahren-ein-in-anderen-Bundeslaendern-ist-das-umstritten.html.

19 https://www.zdf.de/nachrichten/ratgeber/gesundheit/mecfs-krankheit-medikamente-bezahlung-100.html.

20 https://www.nordkurier.de/politik/untersuchungssausschuss-zu-corona-britta-ernst-frau-von-olaf-scholz-muss-aussagen-1970339.

21 https://www.nachdenkseiten.de/?p=123301.

22 https://jessica-tatti.de/wp-content/uploads/2024/10/2024-10-22_Cicero-Online_Neue-Zahlen-zur-Covid-Impfung-Vor-aller-Augen.pdf.

 

Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 21. Januar 2025 um 10:14 und abgelegt unter Corona, Gesellschaft / Politik, Kirche.