Das Thema ist voller Herausforderungen, aber auch voller Verheißungen. Die größte Aufgabe besteht darin, das Verhältnis zwischen Gott und dem Teufel biblisch zu klären. Viele leiden unter der ungeklärten Diskrepanz zwischen der geglaubten Allmacht Gottes und der erfahrenen List und Macht Satans. In zwei Teilen wollen wir versuchen, aus der Heiligen Schrift theologische Klarheit und seelsorgerliche Hilfe zu finden.
Im ersten Hauptteil wollen wir über Satans Wirken an der Menschheit nachdenken und im zweiten Hauptteil versuchen wir, das Wesen Gottes in den Blick zu bekommen, wie es sich in seinen Wirkweisen dokumentiert. Ich beginne mit der biografischen Vorbemerkung, dass ich in den ersten Jahren meines Christseins noch ein stark philosophisch geprägtes Bild von Gott hatte. So hat mir lange Zeit 1. Tim. 2,4 Probleme gemacht: „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“. Ich dachte mir, wenn Gott das will, dann ist das doch keine große Sache für ihn. Dann zieht er seinen Plan durch. Er ist doch allmächtig. Und das hat mich jahrelang behindert in der Fürbitte für Menschen. Und das, obwohl doch der Zusammenhang in 1. Tim. 2 in den ersten vier Versen ganz deutlich ist: Betet für die Menschen, denn Gott will ihnen helfen. Das hängt eng zusammen. Gott macht uns zu seinen Mitarbeitern. Er verzichtet an wesentlichen Punkten der Heilsgeschichte, und auch der Weltgeschichte, auf den Einsatz seiner Allmacht. Aber das muss man erst einmal lernen. Gottes Gedanken sind anders als unsere.
Ich beginne mit einem Luther-Zitat und beziehe mich auf einige Sätze aus seinem – wie er selbst sagte – wichtigsten theologischen Buch „Vom unfreien Willen“. Das ist seine Auseinandersetzung von Erasmus. Seine Einsichten sind gerade auch für unsere Zeit fundamental wichtig. Wir sind alle mehr oder weniger geprägt vom Menschenbild des Humanismus und der Aufklärung, das vom Neomarxismus weiterentwickelt wurde und letztlich in der Ideologie der Selbstbestimmung mündete. Viele, leider auch viele Christen, feiern die Selbstbestimmung als eine große Errungenschaft des 20. und 21. Jahrhunderts. Ich schließe mich dem nicht an. Und jeder möge sich prüfen, inwieweit dieses Stichwort „Selbstbestimmung“ noch einen faszinierenden Klang für ihn hat. Ist es nicht erstrebenswert, sich die Autonomie des Menschen auf die Fahnen zu schreiben?
Ich war lange Studienleiter im Geistlichen Rüstzentrum in Krelingen. Gleich von Anfang an habe ich damit begonnen, mit den Studenten die Frankfurter Schule und die neomarxistische Gesellschaftstheorie zu analysieren. Wir haben Horkheimer, Adorno, Marcuse und Habermas studiert. Weg mit aller Fremdbestimmung und weg mit aller Autorität! Erkenne dich selbst und nimm dein Leben in deine Hand! Du bist der Meister deines Lebens und niemand sonst. Niemand hat ein Recht, über dein Leben zu bestimmen. Das sind die Schalmeientöne, und die sind faszinierend. In Deutschland war das besonders faszinierend nach den bitteren Erfahrungen des Dritten Reichs. Und so stecken wir alle mehr oder minder in diesem autonomen Menschenbild und merken nicht, dass wir einer Illusion nachlaufen.
Als ob wir über unser Leben bestimmen könnten! Wir sind nicht autonom! Wir leben immer in zwei Herrschaftsbereichen, die sich überlagern und die sich gegenseitig durchdringen. Nun das Luther-Zitat: „So ist der menschliche Wille in der Mitte hingestellt wie ein Lasttier; wenn Gott darauf sitzt, will er und geht, wohin Gott will […]. Wenn der Satan darauf sitzt, will er und geht, wohin Satan will. Und es liegt nicht in seiner freien Wahl, zu einem von beiden Reitern zu laufen und ihn zu suchen, sondern die Reiter selbst kämpfen darum, ihn festzuhalten und in Besitz zu nehmen“. Im Licht der Bibel gesehen, sind wir Menschen ein Kampffeld. Das müssen wir neu verstehen und ernstnehmen. Wir sind ein Kampffeld zwischen Gott und Satan.
Ich komme nicht darum herum, obwohl wir hier ein biblisches Thema behandeln, noch ein paar Blicke in unsere unmittelbare kulturgeschichtliche und geistesgeschichtliche Vergangenheit zu werfen. Friedrich Schleiermacher, den manche den Kirchenvater des 19. Jahrhunderts nennen, hat es 1821/22 in seinem Hauptwerk „Der christliche Glaube“ auf den Punkt gebracht: „Die Vorstellung vom Teufel, wie sie sich unter uns ausgebildet hat, ist so haltlos, dass man eine Überzeugung von ihrer Wahrheit niemandem zumuten kann“. Schleiermacher hatte es sich ja auf die Fahnen geschrieben, Theologie zu treiben unter den Bedingungen des Königsberger Philosophen Immanuel Kant, der ja bekanntlich die uns Menschen zugängliche Wirklichkeit begrenzt und eingeengt hat auf die sinnlich wahrnehmbare Erfahrung. Unter diesen Voraussetzungen kann ich natürlich nicht mehr vom Teufel als einer realen Machtperson reden. Und ich werde Leute, die immer noch davon reden, nicht mehr ernst nehmen und ihre Gedanken in das Reich der Poesie verpflanzen. 200 Jahre liegt das zurück. 200 Jahre Denkgeschichte. 200 Jahre Theologiegeschichte. 200 Jahre Kirchengeschichte. Und die liegen auf unseren Schultern. Wir können uns nicht davon lossagen.
Deswegen ist unser Thema nicht einfach. Den Teufel als eine reale Machtperson ernst zu nehmen und seine Machenschaften zu verfolgen, das ist nach diesen 200 Jahren ein Risiko und gleichzeitig eine Mammutaufgabe. Wir leben in einer Zeit, die dafür keinen Horizont hat. Die Idee der Autonomie des Menschseins hat sich in Westeuropa, im sogenannten Abendland, so sehr verfestigt, dass man fast gegen Felswände anrennt, wenn man etwas dagegen sagt. Der autonome Mensch ist zum Maß aller Dinge geworden. Das bedeutet, dass Gott in seiner Realität und Satan in seiner Realität bestenfalls in den Bereich angenehmer oder unangenehmer religiöser Gedanken und Gefühle verpflanzt werden. In Wirklichkeit haben wir es bei Gott mit jemand zu tun, der wollen, denken, fühlen kann und der über eine Schöpferkraft und über eine geistige Potenz verfügt, die wir mit unseren knapp anderthalb Kilo grauer Masse, wie Manfred Siebald einmal gesungen hat, in keiner Weise erfassen können. Doch der autonome Mensch meint, ohne Gott auszukommen. Er meint: „Gott wird uns nicht retten, das werden wir tun“. Wir werden uns selbst retten. Das ist der autonome Mensch in Reinkultur. Und er ist darauf noch stolz. „Weil wir es wagen, die Schwere der Krisenbewältigung anzunehmen“ (so Luise Neubauer von Fridays for future in einer „Kanzelrede“ im Berliner Dom 2021). Liebe Frau Neubauer, alle Achtung, dass sie die Schwere der Krisenbewältigung annehmen. Ich möchte Ihnen dazu viel Kraft wünschen!
Das ist die Zeit, in der wir leben, und das ist auch die Politik, die heute gemacht wird. Wir können alles. Yes, we can. Und dafür bekommt man einen Friedensnobelpreis. Für Aussagen, die völlig haltlos sind, zumindest für christliche Ohren. Also, ganz und gar können wir uns nicht lossagen aus unserer Zeit. Das müssen wir auch nicht. Gott hat uns in diese Zeit und an diesen Ort gestellt, und wir haben uns hier zu bewähren. Er hat sich dabei seine Gedanken gemacht.
Ganz anders sind die Aussagen Jesu und die Aussagen der Apostel über die Realität dieser Machtperson Satan. Haben wir uns schon einmal darüber Gedanken gemacht, dass wir im Vaterunser, in dem Gebet, das Jesus seinen Nachfolgern hinterlassen hat, das Maßstab, Quelle und Ziel aller Gebete sein soll, dass in diesem Gebet Satan eine nicht unerhebliche Rolle spielt? Dass die ersten drei Vaterunserbitten die Wiederkunft Jesu erbitten? Oder glaubt unter uns jemand im Ernst, dass in dieser unserer Welt überall Gottes Wille geschieht? Dass sein Name überall geheiligt wird? Dass sich seine Herrschaft bei uns überall durchsetzt? Nie und nimmer! Im Gegenteil! Es wird auf der Erde immer dunkler. Aber wir erbitten das alles im Vaterunser. Wir erbitten es deswegen, weil Jesus wiederkommt und eine solche Welt aufrichten wird.
Im Vaterunser begegnet uns, wie gesagt, auch die Realität Satans. „Führe uns nicht in Versuchung“. Eine umstrittene Formulierung, bei der sich der Papst bemüht, eine andere Übersetzung anzubieten. Aber das ist gar nicht nötig, wenn man den Kern dieser Bitte versteht. Gott selbst versucht uns nicht, das wissen wir aus Jakobus 1. Wenn wir bitten: „Führe uns nicht in Versuchung“, dann beten wir, lass uns nicht in eine Versuchung durch Satan geraten, die wir nicht meistern können. Satan ist listiger als wir. Er ist schlauer, und er hat mehr Kraft als wir. Wir können die Versuchungen, wenn Satan kommt und uns übermannt, als Mensch nicht parieren. Wir haben nur eine einzige Möglichkeit zur Abwehr, und das ist das Wort Gottes. Vor dem Wort Gottes flieht Satan. Das wissen wir aus der Versuchungsgeschichte Jesu. Sonst haben wir keine Chance. Sehen wir uns den Apostel Paulus an. Auch er geht von der Realität dieser Machtperson Satan aus. Er schreibt Satan sogar die Macht zu, den menschlichen Sinn verblenden zu können. „Sodass sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums“ (2. Korinther 4,4). Das ist die erstaunliche Macht, die Gott dem Satan zubilligt.
Wenn wir über Satans Wirken nachdenken, müssen wir natürlich auch über sein Wesen und seine Personalität nachdenken. Halten wir aber das schon einmal fest: „Groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist“. Der Teufel kann Menschen den Sinn für das Evangelium verblenden. In 2. Korinther 10,5 ruft uns Paulus zum Kampf auf. Aber interessanterweise nicht zum Kampf gegen Satan. Es gibt ja christliche Strömungen, die ziehen durch die Straßen und Satan wegbeten und den direkten Kampf gegen Satan aufnehmen. Davor kann ich nur warnen.
Aber was ist das für ein Kampf, der uns aufgetragen ist? Wir sollen gegen geistige Festungen kämpfen. Seit ich in den 70er Jahren bei Professor Wilder-Smith einiges zum Thema Evolution und Schöpfung gehört und gelernt habe, fällt mir beim Thema „geistige Festungen“ vor allem der Evolutionismus ein. Der ist eine solche Festung, eine Festung, die sich weltweit aufgebaut hat und aus kleinsten Anfängen eine stolze Burg geworden ist. Dass sich Materie von selbst vervollkommnet, ohne Geist und ohne Information, das ist mittlerweile eine geistige Superfestung geworden, eine gesellschaftliche Grundüberzeugung, gegen die man nur schwer ankommt. Millionen und Abermillionen verschanzen sich hinter ihr. In meinen Augen ist das eine Verblendung größten Ausmaßes. Ich bin bestimmt kein Erdogan-Anhänger, aber man muss es diesem Mann positiv anrechnen, dass er den Evolutionismus aus den Lehrbüchern in der Türkei hinauswerfen will. Es gibt geistige Festungen, und gegen die müssen wir als Christen angehen. Aber wir brauchen dafür verlässliche Grundinformationen, tragfähige Argumente und vor allem Gebet und Heiligen Geist.
In Epheser 6,11-12 werden wir vor den „listigen Anschlägen des Teufels“ gewarnt. Uns wird dort gezeigt, dass es „Mächte und Gewalten“ unsichtbarer Art und „böse Geister unter dem Himmel“ gibt, von denen wir umgeben sind. Wir werden nicht in eine unschuldige oder neutrale Welt hineingeboren. Aber es wird in Epheser 6 sofort hinzugefügt, dass es eine Waffenrüstung gibt. Interessant ist die Formulierung, dass diese Mächte die „Herren der Welt“ sind. Jeder Mensch, der diese Welt betritt, kommt in eine schon längst von gefallenen Geistern und Dämonen besetzte und dominierte Welt.
1. Satans Wirken an der Menschheit
1.1 Wer ist Satan?
Jetzt müssen wir uns mit der Gestalt Satans auseinandersetzen. Vor allem müssen wir versuchen, die biblischen Konturen zu finden. Zunächst stellen wir fest, dass Satan im Hiobbuch als ein Engelfürst dargestellt wird, der zum Throngefolge Gottes gehört. Hier fangen schon die ersten Fragen an. Wieso lässt Gott es zu, dass dieser Engelfürst, der gegen ihn aufbegehrt, Zugang zu ihm hat? Dass er sogar ein Rederecht hat, genauer noch: ein Anklagerecht? Viele zweifeln und verzweifeln schon an dieser ersten Frage. Wir halten fest: Satan ist ein Engelfürst, der zum Throngefolge Gottes gehört, und zwar so lange, bis er aus dem Himmel verwiesen wird. Das ist bis jetzt noch nicht der Fall, aber das wird geschehen.
Kurzer Exkurs zum Hiobbuch
„Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den Herrn traten, kam auch der Satan unter ihnen“ (Hiob 1,6). Ich empfehle, zum Verständnis des Wirkens Satans das Hiobbuch zu lesen. Gerade die manchmal ermüdenden Debatten mit den Freunden sind sehr erhellend, wenn man den Verständnisschlüssel gefunden hat. In diesen Reden ist nämlich alles komprimiert zusammengefasst, was menschliches Denken, was die humanistischen Philosophien und die Religionen auf die Waagschale werfen, um das Leid in dieser Welt begreiflich zu machen. Aber es gelingt den Freunden nicht.
Was ist die Grundaussage dieses Buches? Da geht es nicht nur um Leid und Leidbewältigung. Da geht es vor allem darum, ob Gott mit der Erschaffung des Menschen den größten Fehler überhaupt begangen hat und einer selbstgeschaffenen Illusion anhängt, nämlich die Menschen zu seinem Ebenbild formen zu können. Was heißt eigentlich „Ebenbild?“ Das ist nichts Optisches, sondern etwas Wesensmäßiges. Ein Ebenbild Gottes ist ein Mensch, der Gottes Wesen widerspiegelt, also die Liebe Gottes verkörpert. Satans Überzeugung ist: „Gott, du hast dich mit deinem Plan gründlich geirrt. Niemals wirst Du den Menschen dahin bringen, dein Ebenbild zu sein. Gib das Projekt Menschheit doch auf“. Aber Gott widerspricht: „Ich gebe es nicht auf. Hast du dir Hiob angesehen? Der ist so, wie ich mir den Menschen vorstelle. Er ist fromm und gottesfürchtig und meidet das Böse“. Satan kann da nur müde lächeln. „Du denkst doch wohl nicht, dass er das ohne Berechnung macht. Er weiß doch, was er an dir hat. Du hast ihn doch reich gemacht in jeglicher Beziehung. Zieh deine Hand von ihm ab, dann wirst du erleben, was er in Wirklichkeit ist“. Gott antwortet: „Wir wollen sehen, wer recht hat. Ich gebe ihn in deine Hand. Mach mit ihm, was du willst, aber taste nicht sein Leben an. Wir wollen sehen, ob Hiob an mir festhält oder mir abschwört“ Was für ein Risiko geht Gott hier ein! Man kann es kaum fassen! „Ich gebe ihn in deine Hand. Du wirst sehen, er hält an mir fest“. Gott vertraut auf die Liebe, die er in Hiob investiert hat. Er vertraut darauf, dass diese Liebe so tiefe Wurzeln in diesem Leidensmann geschlagen hat, dass er sich niemals wieder von ihm, Gott, abwenden wird. Und Gott behält letztlich recht. Es gibt ein Menschsein, wie Gott es sich vorstellt.
Wir wissen aus der Bibel, dass Satans Zugang zum himmlischen Thron nicht für die Ewigkeit bestimmt ist. Es kommt der Zeitpunkt, wo er aus dem Himmel geworfen wird. „Der Drache kämpfte und seine Engel, und sie siegten nicht“ (Offb. 12,7b-8a). Das 12. Kapitel der Offenbarung ist genauso berühmt wie schwierig. Die Einzelheiten brauchen uns hier nicht interessieren. Wichtig für unser Thema ist die Tatsache, dass Satan ein Engelfürst und damit ein Geschöpf ist. Er ist weder ein Gott noch ein Gegengott. Er ist ein Geschöpf. Ein Geschöpf hat einen Schöpfer. Aber er ist ein Geschöpf, dass sich, weil es listig und voll finsterer Gedanken ist, in verschiedenen Gestalten manifestieren kann. Deswegen gibt es die verschiedenen Satansbezeichnungen in der Bibel. Schlange, Drache, Lichtfigur, Lichtengel. Es gibt ein Bild von Albrecht Dürer „Adam und Eva“ (1507), auf dem Satan als Schlange dargestellt ist, oder ein Bild aus der Reihe der sog. Bamberger Apokalypse „Die Frau und der Drache aus Offb. 12“ (um 1000), auf dem Satan als Drache abgebildet ist. Wenn man im Internet nach der Bamberger Apokalypse sucht, findet man eine ganze Reihe von Offenbarungsmotiven. In Angers in Frankreich gibt es den berühmten Riesenteppich, wo die gesamte Offenbarung aufgestickt ist und wo Satan ebenfalls als Drache dargestellt ist. Und schließlich kann sich Satan auch als Lichtengel manifestieren (2. Kor 11,14).
1.2 Wesenszüge Satans
Noch wichtiger sind Satans Wesenszüge. „Er ist der Fürst dieser Welt“ (Joh. 12,31). Das ist erstaunlich, wir haben darüber eben schon einmal nachgedacht. Gott erschafft die Welt, setzt den Menschen und eine wunderschöne Tierwelt hinein und erlaubt es diesem Engelfürsten, die Herrschaft über diese Welt zu übernehmen. Ich habe keine Erklärung dafür. Aber Gott ist Gott, und wir sind Menschen, die ihn oft nicht verstehen. Eingesetzt zum Fürsten der Welt, missbraucht Satan diese Stellung und versucht sich Menschen gefügig zu machen. Aus welchem Grund? Weil er selbst sein will wie Gott. Genau dies verspricht er auch dem ersten Menschenpaar: „…ihr werdet sein wie Gott“ (1.Mose 3,5). Eva kapituliert vor dieser Aussage. „Sein wie Gott.“ Das klingt gut. Da können wir selbst bestimmen, was gut und böse ist. Ein uralter Traum der Menschen bis heute! Der Teufel war damals und ist bis heute in der Lage, den Menschen zu einem Pseudoherrscher zu machen. Alle menschliche Herrschsucht hat ihren Grund in dieser kolossalen Anmaßung Satans, sein zu wollen wie Gott.
Ein anderer Wesenszug Satans besteht darin, dass er der „Mörder von Anfang an“ ist (Joh. 8,44). Er ist die Wurzel aller Mordgedanken, allen Hasses auf Menschen und Gott, aller Unversöhnlichkeit, Todesverharmlosung und -sehnsucht. Ich habe zwei Zeitungsausschnitte aus der letzten Zeit vor mir liegen. Am 28.02.2024 war zu lesen, dass in Deutschland der Wunsch nach einem assistierten Selbstmord deutlich zugenommen hat. Was in Holland schon längst im Gang ist, kommt jetzt mit Macht nach Deutschland. Menschen nehmen sich im Beisein anderer Menschen ihr Leben, das ihnen Gott anvertraut hat. 2023 waren es 90 Prozent mehr als im Jahr 2022, eine rasante Entwicklung. Ein paar Tage später konnte man lesen, dass Frankreich das Recht auf Abtreibung in die Verfassung aufgenommen hat und das euphorisch feierte. 780 Abgeordnete haben dafür gestimmt und nur 72 dagegen. Man feiert die Zerstörung der eigenen Zukunft. Gibt es eine größere Verblendung? Biblisch gesehen, kann man diese Selbstzerstörung nur als von Satan inspiriert ansehen, dem Mörder von Anfang an.
Drittens ist Satan der „Vater der Lüge“ (Joh. 8,44). Alle menschliche Heuchelei und List, aber auch alle Blindheit gegenüber der Wahrheit Gottes, alle Verdrehung der Wahrheit sind letztlich inspiriert vom Gegenspieler Gottes und der Menschen. „…das Evangelium ist denen verdeckt, …denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat“ (2. Kor. 4,3-4). Man könnte fragen: Herr, Gott, himmlischer Vater, du hast dieser Welt das Evangelium geschenkt und aus Gnade und Barmherzigkeit deinen Sohn in diesen schrecklichen Tod gegeben, und jetzt erlaubst du Satan, den Menschen den Blick zu verstellen für diese deine eigene Botschaft? Doch auch hier sind wir wieder an einem Punkt, wo wir sagen müssen, dass wir keine Erklärung für Gottes Gedanken haben. Sie sind anders und höher als unsere.
Nun die schlimmste Eigenschaft des Teufels. Er denunziert und verklagt die Menschen bei Gott. Erst verführt er sie zur Aufsässigkeit gegen Gott, und dann verklagt er sie bei ihm deswegen. Es gibt zwei Beispiele in der Bibel, an die ich erinnern will. Das erste Beispiel, Hiob, habe ich schon geschildert. Satan klagt Hiob an, und Gott hört es sich an. Ich kann mich nicht in die Seele Gottes hineinversetzen, aber es muss ihm sehr bitter gewesen sein und ihm auch immer wieder bitter schmecken, wenn der Mensch, den er doch zum Ebenbild berufen hat, von Satan andauernd beschimpft und durch den Dreck gezogen wird. Jahrtausende hört sich Gott Satans Verleumdungen, Unterstellungen und Anklagen an. Wir können es nicht begreifen, dass Gott immer noch zuhört, wenn sein ärgster Widersacher die Menschen anklagt.
Immer wieder aufs Neue erhebt sich Satan über Gott, indem er ihm hohnlachend vorwirft: „Du hast dich geirrt mit deiner ganzen Menschheits-Idee“. Aber Gott hält dagegen: „Nein, der Irrtum liegt bei dir. Ich habe den Menschen zu meinem Ebenbild erschaffen, und ich habe Wege, dass er zu diesem Ziel kommt“. Hiob hat in seinen Versuchungen durchgehalten. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Alles spricht dagegen, mein ganzes Leben, meine eigene Frau, alles. Aber ich halte trotzdem daran fest. Es gibt einen Erlöser, es gibt meinen Erlöser. Es gibt ihn“. Das hat ihm der Heilige Geist gesagt. Das kann ihm sonst niemand gesagt haben. Und damit ist die Wette für Gott gewonnen. Es gibt ein Menschsein, das Gott in jeder Lebenslage die Ehre gibt.
Und damit sind wir beim Neuen Testament. Genau dieses Menschsein will uns Jesus Christus ermöglichen. Hiob ist der vorweggenommene Christen-Mensch. So will uns Gott haben, fromm und gottesfürchtig, das Böse meidend. Für uns arme, elende, sündige Menschen ist das unmöglich, aber mit dem Heiligen Geist ist vieles möglich. Wir finden durch den Glauben an Christus zu unserer Urbestimmung zurück, die wir mit uns tragen seit den ersten Tagen der Schöpfung.
Das andere Beispiel ist wahrscheinlich nicht so bekannt. Es gibt beim Propheten Sacharja im dritten Kapitel ebenfalls eine Anklagesituation. Da erkühnt sich Satan, den ersten Hohenpriester der jüdischen Heimkehrer-Gemeinde aus der babylonischen Gefangenschaft vor Gott zu verklagen. Dieses Geschehen können wir nur heilsgeschichtlich verstehen und deuten.
Warum ist Satan so darauf aus, das jüdische Volk zu stören und zu zerstören? Die Antwort lautet: Gott will die Menschheit durch das auserwählte Volk Israel segnen. Das ist seit der Sinai-Verheißung sein großes Projekt. „Ihr sollt mir sein ein heiliges Volk von Priestern und Königen“ (2.Mose 19, 5-6). Gott will die Menschen zu seinen Mitarbeitern machen. Deswegen holt er sich ein Volk und sagt: „Ihr sollt mir bei der Verwirklichung meines großen Menschheitsplans helfen. Ihr sollt meine Diener sein“. Gott hätte auch alles allein machen können, aber er will es mit Hilfe Israels tun. Deswegen nutzt Satan jede Chance, Israel klein zu kriegen und zu vernichten.
Wir können die Geschichte Israels nicht im Einzelnen betrachten. Die ist uns – denke ich – zumindest in den Grundlinien bekannt. Wir sollten daraus erkennen, dass aller Judenhass letztlich auf Satan zurückgeht. Aber zurück zu Sacharja 3. Satan hat mit seiner Anklage recht. Er zeigt auf den Hohenpriester Josua und sagt zu Gott: „Der hat unreine Kleider an. Der hat einiges auf dem Kerbholz. Und den nimmst du als Hohenpriester?“ In dem Moment kommt der Engel des Herrn, also Christus selbst. Er widerspricht der Diagnose Satans nicht, aber er sagt: „Dieser Mann bekommt jetzt von mir neue Kleider. Diese neuen Kleider verschließen deinen Mund. Dann findest du nichts mehr an ihm.“ Das ist die vorweggenommene Erlösung durch Christus, die wir jetzt und heute im Glauben annehmen dürfen und hoffentlich angenommen haben. Die gilt dann auch für Israel. Das wissen wir aus Römer 11. Es kommt der Tag, da öffnet sich der Himmel und Christus kommt wieder. Und dann wird auch Israel seinen Erlöser erkennen und annehmen. Es ist eine tief heilsgeschichtlich motivierte Szene hier aus dem Propheten Sacharja.
1.3 Satans Fall
Jetzt müssen wir noch über Satans Fall nachdenken. Bis heute hat Satan freien Zugang zu Gottes Thronsaal, und das heißt: bis heute werden wir von ihm verklagt. Aber wir dürfen uns auf Christus und auf Golgatha beziehen. Wir kennen Römer 8,1: „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind“. Als Heinrich Kemner sich zum Sterben hingelegt hat, kam ein Mitarbeiter aus dem Geistlichen Rüstzentrum Krelingen zu ihm. Kemner fragte ihn: „Reicht es?“ Auf dem Sterbebett hatte er noch diese Anfechtung. Der Mitarbeiter sagte: „Es reicht nicht. Aber Christus hat alles für dich getan“. Da konnte Heinrich Kemner in Frieden sterben. Das ist die Wirklichkeit von Römer 8.
Wer die Bibel ein kennt, weiß, dass der Fall Satans in drei Etappen abläuft. Wenn der Antichrist als leibhaftige Person erscheint, ist der Zeitpunkt gekommen, wo Satan mit seinem ganzen Heer aus dem Himmel geworfen wird. Es sind viele Engel, die er betört und verführt hat. Sie alle werden auf die Erde gestürzt werden. Das ist der erste Akt (Offb. 12,7 ff.). Wenn Christus leibhaftig wiederkommt, wird Satan gefangen, ebenso der Antichrist und der falsche Prophet. Warum wird Satan eigentlich gefangen und nicht gleich erledigt? Das ist eine interessante Frage. Wenn Christus kommt, gibt es tausend Gerichtsjahre. Satan, der Dauerankläger der Menschheit, hat jedoch keinen Zugang zum weißen Gerichtsthron Christi. Dieses sogenannte Endgericht wird Christus allein vollziehen, zusammen mit all den Märtyrern, die auf den Thronen mit richten werden (Offb. 20). Die Bindung Satans im Abgrund während der tausend Gerichtsjahre ist der zweite Akt. Doch damit ist es immer noch nicht ganz aus mit ihm. Gott hat eine unendliche Geduld mit seinem stärksten Feind. Auch das können wir nicht begreifen. Nach den 1000 Jahren wird Satan noch einmal freigelassen. Doch was macht er? Er mobilisiert noch einmal alle seine Dämonen gegen Israel. Aber bevor er zum letzten Schlag gegen Gottes Eigentumsvolk ausholt, wird er gefasst und endgültig in den Feuersee geworfen. Das ist Satans Fall. Hier müssen wir ein Loblied singen. Herr, Gott, himmlischer Vater, wir verstehen deine Handlungen nicht im Einzelnen. Aber dass Satan einst ganz unschädlich gemacht wird, dass verstehen wir und geben Dir darüber jetzt schon die Ehre.
2. Gottes Wirken an der Menschheit
2.1 Gottes großes Ziel mit der Menschheit
Jetzt wollen wir Gottes Wirken bedenken. Ich will uns dazu an die Grundzüge des heilsgeschichtlichen Handelns Gottes erinnern. Ich sagte es schon: Gott hat das große Ziel, uns Menschen zu seinen Ebenbildern zu machen. Das bedeutet, zu Menschen, die seine Liebe verkörpern und in die Welt tragen. Der Begriff „Ebenbild“ ist eine problematische Übersetzung. Besser wäre die Übersetzung „Repräsentant“ oder „Botschafter“. Ein Botschafter tritt für den ein, der ihn geschickt hat. Wir sollen in dieser Welt für Gott und für Gottes Liebe eintreten und sie verkörpern. Das ist unsere Bestimmung. Die ganze Heilsgeschichte dient dieser Bestimmung. Dass nach der Sintflut wieder eine neue Menschheit entstehen konnte, hat mit dieser Zielsetzung Gottes zu tun. Er hätte auch sagen können: Alles Trachten der Menschen von Jugend auf ist böse, es hat keinen Zweck. Doch Gott nimmt sich acht Leute und baut aus ihnen eine neue Menschheit. Dann beruft er sich Abraham, um aus ihm das Volk Israel zu formen und dieses Volk zum Lichtträger für die Welt zu machen. An diesem Volk und durch dieses Volk soll die Menschheit erkennen, wer Gott ist und was er will. Mit Israel ist Gott noch nicht am Ende. Israel verweigert sich zwar zum großen Teil bis heute dieser Bestimmung, Gottes Lichtträger zu sein. Aber Gott wird auch mit diesem Volk zum Ziel kommen. Dann folgt die lange Geduldszeit mit Israel und der übrigen Welt, die Gott einlegt, bis Jesus geboren wurde. Und dann, nachdem Christus auf unserer Erde erschienen war, werden wir, die Christen, die Gemeinde, berufen aus Juden und Heiden zu Pfingsten und dürfen durch die geistliche Neugeburt, die wir hoffentlich alle schon erlebt haben, durch den Glauben an Christus dieses Ziel anpeilen und verwirklichen.
Doch Gottes Pläne sind mit der Berufung der Gemeinde immer noch nicht am Ziel angekommen. Immer wieder stelle ich fest, dass es eine Menge Christen gibt, für die das Heilshandeln Gottes mit der Entrückung der Gemeinde und mit der Wiederkunft Christi aufhört. Das wäre ein Kurzschluss. Gottes Handeln geht weiter. Wenn Christus wiederkommt, wird es tausend Jahre Gerichtsjahre geben, in denen Christus sein letztes Urteil über die Menschen spricht. Danach werden Himmel und Erde neugestaltet. Dann senkt sich das Neue Jerusalem auf die neue Erde herab. Dann wird es neue Völker geben, die werden nach Jerusalem pilgern und vom neuen Volk Israel priesterlich und königlich regiert werden. Das ist der irdische Segen, den Gott über Israel und die neue Menschheit ausbreiten wird. Wir als Gemeinde Jesu dürfen dann im Himmel den himmlischen Segen empfangen, den unser Bürgerrecht im Himmel uns bereithält (Phil 3,20 und 21).
2.2 Satans List und Gottes Langmut
Wir kehren zu unserer Ausgangsfrage zurück. Wie verhält sich Gottes Allmacht zur irdischen Macht Satans? Wie verhält sich Gott gegenüber den Angriffen Satans? Das ist seit zweitausend Jahren das große Betätigungsfeld der Theologie. Wie geht Gott mit Satans List und Lüge um? Dass Satan listig, lügenhaft und machtvoll ist, wissen wir aus dem Sündenfall. Und was daraus folgt, wissen wir auch. Satan verspricht Leben, aber er hat den Tod gebracht. Satan verspricht das Sehen („Eure Augen werden geöffnet werden“, 1. Mose 3,4-5), aber die Folge war, dass die Menschen blind wurden für Gott. Satan versprach ihnen, selbst Gut und Böse definieren zu können, aber die Folge war, dass sie andauernd zum Bösen verführt werden. Gier, Angst und Ausbeutung beherrschen seitdem die Menschheit. Es war eine komplette Lüge, mit der Satan das erste Menschenpaar zum Abfall von Gott brachte.
Wie reagiert Gott? Das muss man sorgfältig studieren. Wenn wir als Eltern missratene Söhne oder Töchter hätten, wie würden wir reagieren? Irgendwann wäre unsere menschliche Geduld am Ende. Gottes Langmut und Liebe jedoch haben kein Ende. Er lässt zwar die Menschen die Folgen des Ungehorsams spüren, von Adam und Eva angefangen bis heute. Ungeschoren kommt kein Sünder davon. Der Mensch muss erfahren, um mit Jeremia zu reden, was es für Jammer- und Herzeleid bringt, „den Herrn, deinen Gott zu verlassen“ (Jer 2,19). Aber wir wissen gleichzeitig aus Hesekiel 33, dass Gott keinen Gefallen am Tod des Gottlosen hat. Er hat vielmehr Gefallen daran, dass der Sünder umkehrt und zum Leben findet. In allem Geschick der Menschen behält Gott die letzte Regie. Auch das harte Amos-Wort: „Gibt es ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht tut“? gehört zur Oberregie Gottes (Amos 3,6). Viele tun sich schwer mit einer solchen Aussage, denn sie ist gleichbedeutend mit dem Satz „Gibt es einen Krieg, den Gott nicht tut?“
Luther hat gesagt: „Halte dich bei solchen Fragen nicht auf“. Du gerätst in einen Strudel, aus dem du mit eigenen Kräften nicht wieder rauskommst. Suche Gott dort, wo er sich finden lässt. Wenn dich die Fragen nach Gottes Allmacht und dem Bösen in dieser Welt quälen, ergreife das Kreuz. Dir bleibt nichts anderes übrig. Nur so kommst du wieder zum Frieden. Mir hilft in solchen Anfechtungen Psalm 68,20: „Gott lädt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch“. Lasten sind in dieser gefallenen Welt, die von bösen Mächten bestimmt wird, unvermeidlich. Aber der Nachsatz tut uns gut. Gott hilft uns, die Lasten, die er aus übergeordneten Gründen uns auferlegt, zu tragen.
Diese Handlungsweise Gottes kann man an vielen Stellen beobachten. Adams und Evas Leben werden erschwert, aber nicht zerstört. Kain wird die innere Ruhe genommen („unstet sollst du werden“). Der gefallene Mensch ist ein Kains-Mensch. Er hat keinen Frieden. Er sucht ihn überall in der Welt und findet ihn nicht. Aber Gott lässt Kain am Leben und schützt ihn sogar. Und auch der Ungehorsam Abrahams bleibt nicht ohne Folgen. Ismael entsteht und bekommt sogar noch einen Extrasegen Gottes. Aber es wird über Ismael gesagt, dass seine Nachkommen in der Nähe Isaaks sein werden und dessen Nachkommen bedrängen werden (1. Mose 16,12). Dies kann man evtl. als eine Prophetie auf den Islam ansehen. Gott gewährleistet also das Leben, aber er erschwert es. Er gibt der gefallenen Menschheit Saat und Ernte, aber das menschliche Leben wird mühsam. Gott sieht die Menschheit inmitten einer Welt, die von bösen Geistern beherrscht wird. Er kennt die Verführungsmacht Satans. Aber er gibt in seiner Liebe den Menschen seine Gebote und das Gewissen als Gegenmittel. Er lässt sie nicht im Stich. Was für ein abgrundtiefes „Fass voll Liebe“ offenbart sich da, um mit Martin Luther zu reden! Und Gott gibt der gefallenen Menschheit darüber hinaus noch sein Liebstes, seinen Sohn.
2.3 Gott erwählt sich ein Volk, um die Menschheit zu segnen
Abschließend noch ein paar Sätze über Israel. Oft wird Israels Auserwählung als eine Bevorzugung missverstanden. Auserwählung ist aber keine Bevorzugung, sondern eine Beauftragung. Dieses Volk soll ein Dienstvolk Gottes sein, zum Wohl und Segen für die Menschheit. Das soll Mose dem Pharao sagen: „Lass dieses Volk ziehen, dass es mir diene“ (2. Mose 4,22-23). Eine wichtige Aussage. „Knecht Gottes“ ist seitdem eine Ehrenbezeichnung für Israel. Israel soll Gottes Licht in die Dunkelheit der Völker tragen (das ist der eigentliche Sinn der Menorah, des siebenarmigen Leuchters, und damit der bleibende Auftrag an Israel). Obwohl Israel das heilige Priestervolk Gottes auf Erden werden soll (kraft der Sinaiverheißung, 2. Mose 19, 5-6), fällt es andauernd wieder zurück in den Ungehorsam. Als es aufgrund geistlicher Blindheit seinen eigenen Messias verwirft, gibt Gott den „Weinberg“, das Evangelium, den Völkern (Matth. 21,33ff.). Aber, und hier irren manche Theologen, alle Israel-Verheißungen bleiben in Kraft. Wenn Christus wiederkommt, empfängt der heilige Rest Israels nach Sach. 12,10 „den Geist der Gnade und des Gebets“ und wird gerettet (Röm 11,26). Dann wird Israel das Segensvolk für die Menschheit auf der neuen Erde sein, dass sie seit der Sinai-Verheißung sein sollen. Die Bibel ist von Juden geschrieben. Damit sind sie jetzt schon ein geistlicher Segen für die Menschen, die Gottes Wort hören und annehmen. Dann werden sie ein heiliges priesterliches und königliches Volk für die ganze Menschheit sein.
2.4 Jesus beruft sich seine Gemeinde aus Juden und Heiden
Wir als Gemeinde Jesu haben jetzt die Aufgabe, solange Israel mit Blindheit geschlagen ist, stellvertretend das zu erfüllen und zu praktizieren, was eigentlich Israel tun sollte, nämlich Licht in die Welt zu tragen. Wir sind jetzt die Lichtträger für die Welt. Wer ist ein Christ? Christen sind die in die Nachfolge Jesu berufenen Menschen („ekklesia“ = die Herausgerufenen). Sie sind berufen, als Kinder des Lichts zu leben (Eph 5,8). Du bist ein Herausgerufener aus der Sinnlosigkeit und Vergänglichkeit dieser Welt. Bitte schlage keine Wurzeln in dieser Welt. Deine Heimat ist woanders. Diese 70, 80 Jahre Lebenszeit sind nicht der Rede wert gegenüber der Ewigkeit. Ich könnte auch sagen: Die Christen sind die wahren „Alternativen“, die „anders Geborenen“. Wer bei Google Enrico Dapozzo eingeben, findet eine großartige Geschichte. Ein italienischer Evangelist, der in deutscher Kriegsgefangenschaft und im KZ die unglaublichsten Wunder erlebt hat und der dort die Verkörperung der Feindesliebe war. Das ist unsere eigentliche Aufgabe. Sagt nicht Jesus: „Ihr sollt vollkommen sein?“ Und zwar direkt im Anschluss an die Bergpredigt, an die Ausführungen der Feindesliebe.
2.5 Satans Kampf gegen die Gemeinde Jesu und ihr Widerstand
Nicht nur Israel wird bedrängt, auch wir als Christen. Wer mit Ernst Christ sein will, kommt an früher oder später in irgendwelche Bedrängnisse. Die Gemeinde Jesu wird durch die ganze Kirchengeschichte hindurch immer wieder attackiert. Satan zersplittert sie durch Hochmut, verwirrt sie durch falsche Lehre, verfolgt sie und verführt sie zum Glaubensabfall durch Festhalten an der Sünde. In jedem Jahrhundert in immer neuen Anläufen. Es ist ein Wunder, dass wir hier sitzen, dass es Gemeinde Jesu heute überhaupt noch gibt. Jedes Glaubenswerk in unserem Land ist ein Wunder. Warum ist es Satan noch nicht gelungen, die Gemeinde zu zerstören? Weil wir mit Gottes Wort widerstehen können. Satan flieht vor dem Wort Gottes. „Ein Wörtlein kann ihn fällen“ (M. Luther). Aber wir müssen all die Widerstandswaffen aus Eph. 6,10-17 immer wieder neu anlegen: Wahrheit, Gerechtigkeit, Bereitschaft das Evangelium zu bezeugen, Glaube, Heil, Gottes Wort. Dann können wir in allen Verführungen unserer Zeit und gegenüber jeder Ideologie bestehen. Heinrich Kemner hat ein wegweisendes Wort über den menschlichen Intellekt gesagt. „Mit dem Intellekt kann man alles beweisen, alles erklären, alles entschuldigen“. Das menschliche Denken kann sehr schnell dämonisiert werden. Aber der Glaube vermag auch dem dämonisierten Intellekt gegenüber standfest zu bleiben (1. Joh. 5,4).
2.6 Die Gemeinde Jesu ist unbezwingbar und unzerstörbar
Ich schließe mit dem von mir und von Stefan Felber hoch verehrten, 2022 heimgegangenen Professor Reinhard Slenczka. Ich war 1992 bei einem Vortrag dabei, wo er ein wegweisendes Wort über den Fortbestand der Gemeinde Jesu gesagt hat: „Die Kirche zerfällt, wo sie sich nicht mehr an das Wort ihres Herrn hält, und sie geht unter in dem Würfelspiel menschlicher Meinungen und gesellschaftlicher Strömungen“. Niemand könne das Wort Gottes im Wortlaut der Heiligen Schrift ändern. Man könne es und man wird es „in seiner Wirkung auf die Gewissen nicht aufheben“. Das ist tröstlich. Das Wort Gottes ist stärker als alle Ideologie und stärker als alle satanischen Anschläge. Es setzt sich immer wieder im Gewissen des Menschen durch. Kirchen können zerfallen, die Gemeinde Jesu existiert ewig als geistliche Körperschaft mit ihrem geistlichen Haupt Jesus Christus ist. Sie ist nicht zerstörbar. Das meint der Gemeindehilfsbund-Slogan: „Gemeinde Jesu hat Zukunft“. Sie lebt aus der Kraft des Wortes Gottes. Es gibt keine stärkere Macht in dieser Welt, in Zeit und Ewigkeit, in Himmel und Hölle, als das Wort Gottes.
Diesem Beitrag liegt ein Vortrag zugrunde, den der Verfasser im März 2024 auf einem Kongress des Gemindehilfsbundes im Geistlichen Rüstzentrum Krelingen gehalten hat.