Und Mose hieb zwei steinerne Tafeln zu, wie die ersten waren, und stand am Morgen früh auf und stieg auf den Berg Sinai, wie ihm der Herr geboten hatte, und nahm die zwei steinernen Tafeln in seine Hand. Da kam der Herr hernieder in einer Wolke, und Mose trat daselbst zu ihm und rief den Namen des Herrn an. Und der Herr ging vor seinem Angesicht vorüber, und er rief aus: Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied! Und Mose neigte sich eilends zur Erde und betete an und sprach: Hab ich, Herr, Gnade vor deinen Augen gefunden, so gehe der Herr in unserer Mitte, denn es ist ein halsstarriges Volk; und vergib uns unsere Missetat und Sünde und lass uns dein Erbbesitz sein. Und der Herr sprach: Siehe, ich will einen Bund schließen: Vor deinem ganzen Volk will ich Wunder tun, wie sie nicht geschehen sind in allen Landen und unter allen Völkern, und das ganze Volk, in dessen Mitte du bist, soll des Herrn Werk sehen; denn wunderbar wird sein, was ich an dir tun werde.
[1]
L [1]iebe Schwestern und Brüder!
Wir hören heute aus dem zweiten Buch Mose. Es heißt Exodus: die Herausführung. Und es wird uns die Geschichte berichtet, die sich vor vielen Jahren ereignet hat. Gott führt sein Volk aus dem Sklavenhaus Ägypten heraus. Das erste Buch Mose – genannt Genesis – endet damit, dass die Familie Jakobs in Ägypten lebt – herausgeführt aus dem Vaterlande nach Ägypten. Das geschah um das Jahr 1920 vor Christus.[2] [2]
Das zweite Buch Mose setzt rund 430 Jahre später ein – nach unserer Zeitrechnung 1490 vor Christus – und berichtet ebenfalls von einer Herausführung: von diesen 430 Jahren wissen wir nur summarisch, dass das Volk sich mehrte und wuchs und dann wohl im letzten Viertel dieser Zeit in ein Sklavenverhältnis geriet und dann von Gott aus diesem Sklavenhaus befreit und herausgeführt wurde.
Durch die Plagen, die über die ägyptischen Unterdrücker kamen, durch das Rote Meer, wo Gott die Seinen gerettet hat, nun durch die Wüste dem gelobten Land entgegen. Dieses Land, dem sie entgegengingen, war ihrem Erzvater Abraham vor langer Zeit – ca. 2100 vor Christus) verheißen worden. “Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.” (Gen 12,1–3).
Immer wieder gibt es solche Marschbefehle Gottes: GEH![3] [3] Und so auch hier. Gott hatte sein auserwähltes Volk in Marsch gesetzt. Und dann hat er einen großartigen Bund mit ihnen am Sinai – ca. 1489 vor Christus – geschlossen. Als Mose die zehn Gebote oben auf dem Berge erhielt. Und dann kam es sofort zum großen Abfall mit dem goldenen Kalb und Mose zerstörte die Gesetzestafeln und der Bund war hinfällig. Erst durch die Buße des Gottesvolkes kommt es dann zu dem Ereignis, von dem unser Predigttext berichtet: es kommt zum zweiten Bundesschluss in der Wüste.
Gott erbarmt sich seines halsstarrigen Volkes und offenbart sich ihnen noch einmal und lässt sie etwas ganz Großartiges wissen. Er teilt ihnen nämlich mit, wie und wer er ist. Und das ist ganz wichtig, dass wir das wissen. Die Konturen dieses Gottes werden immer schärfer. Die Seinen dürfen mehr von ihm wissen. Nicht irgendeine dunkle und unbekannte Macht. Nein! Wir haben es nicht mit dem unbekannten Gott zu tun, sondern mit dem lebendigen Gott, der sich uns offenbart hat. Wir dürfen und sollen wissen, mit wem wir es tu tun haben. Diese Offenbarung fiel nicht auf einmal vom Himmel, sondern ist gewachsen und hat sich entwickelt. So wie ein Mensch heranwächst und größer und stärker wird, so auch die fortlaufende Offenbarung Gottes. Und wir hören hier eine der wichtigsten Aussagen des Alten Testaments. Gott sagt wer er ist. Hören wir genau hin:
„Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied!“ (Ex 34,6)
Hier sehen wir das Wesen Gottes: seine Gnade und Treue überwiegt den Zorn. Es wird deutlich, was für ein Gott hier waltet. Er sagt es. Und er sagt es immer wieder: zum ersten Mal das hat er sich Abraham mit Namen offenbart: im ersten Buch Mose hören wir das: Ich bin der Herr, dein Gott. Es wird persönlich. Im zweiten Buch Mose hören wir das in drei Phasen:
- Zuerst als Mose am Dornbusch war, da offenbarte sich ihm Gott: „Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt“ (Ex 3,14).
- dann zum zweiten Mal am Berge Sinai: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe“ (Ex 20,2).
- und zum dritten Mal in unserem eingangs gehörten Text.
Dieser Gott wird immer erkennbarer. Er macht gewaltige Zusagen und die dürfen wir dann in der ganzen folgenden Geschichte Gottes mit seinem Volk bewahrheitet finden. Es erfüllt sich das, was er hier sagt: er ist ein Gott der Treue und er ist barmherzig, geduldig und gnädig. Die ganzen langen Jahrhunderte hindurch, die das Gottesvolk in seinem Lande lebte, hat er das beglaubigt. Im Psalter, der Schatzkammer Davids, wird das wohl am deutlichsten.[7] [4] Er hat sich trotz aller Sünde, trotz aller Abgötterei und trotz aller Gottlosigkeit seines Volkes nie ganz von ihm abgewandt. Selbst in der schwersten Zeit, als das Gottesvolk im Exil war, hat er sie nie ganz vergessen, sondern ihnen auch in dieser hoffnungslosen Situation immer wieder den Weg gewiesen und Hilfe geschaffen. Hinter all seinem wohl begründeten Zorn über die Sünde von Menschen steht immer die Gnade, die Liebe, die Treue und die Barmherzigkeit. Dies hat das Gottesvolk in allen Höhen und Tiefen getragen und erhalten und ihnen in dunkelster Nacht Hoffnung gegeben, weil sie um Gottes Führung – um Gottes HERAUSführung wussten. Sie wussten, dass er sie nie ganz verlassen hat, auch wenn er oft fremd und unnahbar erscheint.
Und hier müssen auch wir heute das Entscheidende wissen: wir haben in Gott die entscheidende Führung. So wie er Abraham herausführte aus seinem Vaterhause, so wie er sein unterjochtes Volk aus dem Sklavenhaus führte, so wie er sein Volk durch die todbringende Wüste führte, so führt er auch uns. Denn auch wir stehen mit ihm in einem Bunde. Das ist wichtig, dass wir das wissen. Wir gehören von Natur aus nicht zum Gottesvolk, das er sich auserwählte. Aber wir gehören zum neuen Bund, den Jesus Christus geschlossen hat. Und der will uns auch herausführen: nicht aus der ägyptischen Sklaverei und auch nicht aus der Wüste, sondern aus dem Machtbereich des Todes und des Vergehens in den Machtbereich des Lebens und des himmlischen Seins. Denn die Bundesgeschichte, die ging weiter. Die war nicht mit Mose oder dem Gottesvolk beendet. Sicherlich hätte Gott oft allen Grund dazu gehabt, zu handeln wie in den Tagen Noahs, aber das ist nicht sein letzter Wille und das ist nicht sein Wesen. Wir haben es ja gehört wie er ist. Und deshalb sagt uns die Bibel ja auch, wie das weiterging. Die Grenze sind auch hier wieder rund vierhundert Jahre: diese liegen zwischen dem Auftreten des letzten Propheten, von dem das Alte Testament zeugt: es war Maleachi und nach 400 Jahren wiederum trat ein anderer Mann auf, den Gott sandte: Johannes der Täufer. Er bereitet den Weg für das größte Ereignis der Weltgeschichte vor und weist auf das Gotteslamm Jesus Christus hin: Paulus sagt das messerscharf: (Gal 4,4) ‚Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan‘. Da ging die Offenbarung weiter und ein neuer Bund kam zustande nach dem Willen Gottes.
VON GOTT GEHT JA IMMER DIE INITIATIVE AUS. Und er hat durch seine Propheten uns von diesem Bunde wissen lassen. Wir haben da ja nicht selbst erfunden oder erdacht. Nein, Gottes Postboten – nichts Anderes sind die Propheten, die haben auf Christus hin gezeugt und geweissagt. Die haben genau gesagt, was kommen wird. Und das alles ist in Jesus Christus Wahrheit geworden, denn Gott verspricht nicht nur. Er erfüllt seine Verheißung und was er sagt, das geschieht auch. Allem menschlichen und höllischen Störfeuer zum Trotz.
Gott gibt und gewährt diesen neuen Bund. Lukas berichtet uns davon; Lukas 22,20 ‚Desgleichen auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird‘![8] [5]
Dieser Bund führt auch uns heraus: die Herausführung ist wichtig, denn er führt die Seinen aus dem Totenreich heraus und führt sie in das bessere Vaterland, das ewige Leben, das himmlische Jerusalem. Dahin geht die Herausführung, von der wir am Auferstehungsfeste gesungen haben:
„Er hat zerstört der Höllen Pfort,
die Seinen all herausgeführt
und uns erlöst vom ewgen Tod.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja,
gelobt sei Christus, Marien Sohn“[9] [6].
„Wir danken dir, Herr Jesu Christ,
dass du vom Tod erstanden bist
und hast dem Tod zerstört sein Macht
und uns zum Leben wiederbracht.
Und so werden wir es am Christfest wieder singen:
„Jakobs Stern ist aufgegangen,
stillt das sehnliche Verlangen,
bricht den Kopf der alten Schlangen
und zerstört der Höllen Reich.“[12] [9]
So wunderbar hat es Luther im Te Deum gedichtet:[13] [10]
„I Du König der Ehren, Jesu Christ
II Gott Vaters ewger Sohn du bist;
I der Jungfrau Leib nicht hast verschmäht,
II zu erlösen das menschlich Geschlecht.
I Du hast dem Tod zerstört sein Macht
II und all Christen zum Himmel bracht.
I Du sitzt zur Rechten Gottes gleich
II mit aller Ehr ins Vaters Reich.
I Ein Richter du zukünftig bist
II alles, das tot und lebend ist.“
Hier kommt es zum radikalen Machtwechsel, wie Paulus das so wunderbar ausdrückt: wir verlassen das Reich des Todes und wechseln auf die Seite des Lebens: wir waren tot, jetzt macht er uns lebendig durch seinen auf Golgatha errungenen Sieg. Er ist auf diesem Wege vorangegangen: Der Sieg des Lebens über den Tod: ihr wart tot, jetzt seid ihr lebendig. Das ist der Plan Gottes für die Seinen. Der Führer durch Sterben und Tod hindurch ist uns vorangegangen auf. Auf diesem Wege werden wir folgen. Der Auferstandene Jesus Christus sagt es klar: “Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.”. Wir Christen sollen dort sein, wo Er jetzt ist: das ist das Versprechen Christi im Taufbunde: ‚Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin‘ (Joh 14,3). Darum hat er im Hohepriesterlichen Gebet seinen Vater gebeten: ‚Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war‘ (Joh 17,24).
Das ist unser Weg als Christen.[17] [11] Der Weg, den Gott uns weist: Jesus Christus. Er ist die Wahrheit und das Leben. Durch ihn allein kommen wir zum Vater. Amen.
FUSSNOTEN
[1] Rembrandt: Mose auf dem Berge Sinai.
[2] [12] Einen guten Überblick über die biblische Chronologie bietet die Thompson-Studienbibel, Witten 2015 S. 2271-2273 (o.P.). Dies deckt sich mit älteren Übersichten, wie z.B. bei Paul Langbein: Bibelbüchlein. Ein Hilfsbuch zum Verständnis der heiligen Schrift für die Hand des Bibellesers. Stuttgart6 1928. S. 128-141. Langbeins Ausführungen bildeten maßgeblich die Grundlage für die Erklärungen in der1912 erschienenen Stuttgarter Jubiläumsbibel, die über viele Jahre weite Verbreitung fand.
[3] [13] -Genesis 7,1 Und der Herr sprach zu Noah: Geh in die Arche, du und dein ganzes Haus; denn dich habe ich gerecht erfunden vor mir zu dieser Zeit.
-Genesis 8,16 Geh aus der Arche, du und deine Frau, deine Söhne und die Frauen deiner Söhne mit dir.
-Exodus 4,19 Auch sprach der Herr zu Mose in Midian: Geh hin und zieh wieder nach Ägypten, denn die Leute sind tot, die dir nach dem Leben trachteten.
-2. Samuel 7,5 Geh hin und sage zu meinem Knecht David: So spricht der Herr: Solltest du mir ein Haus bauen, dass ich darin wohne?
-1. Könige 18,1 Nach einer langen Zeit kam das Wort des Herrn zu Elia, im dritten Jahr: Geh hin und zeige dich Ahab, denn ich will regnen lassen auf die Erde.
-Jesaja 6,9 Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet’s nicht; sehet und merket’s nicht!
-Jeremia 2,2 Geh hin und predige öffentlich der Stadt Jerusalem und sprich: So spricht der Herr: Ich gedenke der Treue deiner Jugend und der Liebe deiner Brautzeit, wie du mir folgtest in der Wüste, im Lande, da man nicht sät.
-Ezechiel 3,24 Und der Geist kam in mich und stellte mich auf meine Füße. Und er redete mit mir und sprach zu mir: Geh hin und schließ dich ein in deinem Hause!
-Hosea 1,2 Als der Herr anfing zu reden durch Hosea, sprach er zu ihm: Geh hin und nimm ein Hurenweib und Hurenkinder; denn das Land läuft vom Herrn weg der Hurerei nach.
-Amos 7,15 Aber der Herr nahm mich von der Herde und sprach zu mir: Geh hin und weissage meinem Volk Israel!
[7] [14] Vgl. exemplarisch: Ps 86,15; 100,3-5; 103,4.8.11.17; 116,4f; 145,7-9.13.17.
[8] [15] 1. Korinther 11,25 Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. 26 Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.
[9] [16] EG 100,3: Wir wollen alle fröhlich sein.
[10] [17] EG 107,1.
[11] [18] Vgl. auch EG 109,2: ‚Dem Teufel hat er sein Gewalt zerstört, verheert ihm all Gestalt, Halleluja, Halleluja, wie pflegt zu tun ein großer Held, der seinen Feind gewaltig fällt. Halleluja, Halleluja. (Hut triumphieret Gottes Sohn).
[12] [19] EG 39,5: Kommt und lasst uns Christus ehren.
[13] [20] EG 191.
[17] [21] “Auch ihr wart tot durch eure Übertretungen und Sünden, in denen ihr früher gelebt habt nach der Art dieser Welt, unter dem Mächtigen, der in der Luft herrscht, nämlich dem Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist in den Kindern des Ungehorsams. Unter ihnen haben auch wir alle einst unser Leben geführt in den Begierden unsres Fleisches und taten den Willen des Fleisches und der Sinne und waren Kinder des Zorns von Natur wie auch die andern. Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr selig geworden –; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.” (Epheser 2,1–10)