Nacheinander – Füreinander – Miteinander: Vom Umgang der Generationen in Familie, Gemeinde und Gesellschaft
Samstag 31. August 2024 von Hartmut Steeb
Da war doch was? Erinnern Sie sich noch an die Corona-Pandemie? Was haben wir da gehört, geschrieben, gelesen von der Solidarität der Generationen. Kinder sollten sich regelkonform verhalten, damit sie die Großeltern nicht anstecken und sie sterben würden? Darum hat man auch Kindergärten und Schulen geschlossen, Spielplätze abgesperrt und sportliche Aktivitäten verboten, zum Teil sogar Spaziergänge in größerer Ansammlung. Alte und Kranke hat man isoliert – man sollte sie ja nicht besuchen – um deren Gesundheit Willen! Aus Angst und Sorge, die sogenannten vulnerablen Menschen anzustecken sollte man sich impfen lassen. Was war das für ein scheinbares Sorgen um die Alten und Kranken?
Ich kann mich in meinem jetzt auch doch schon 71 jährigen Leben – die vorgeburtliche Phase zähle ich gerne mit – eigentlich nur an ein so außerordentliches einschneidendes alles gesellschaftliche Leben verändernde Ereignis erinnern, den Fall der Berliner Mauer, mit der sich anschließenden Vereinigung beider deutscher Staaten. Als ich am 1. April 1988 mein Amt als Generalsekretär – damals hieß es noch demütiger „Geschäftsführer“ – der Deutschen Evangelischen Allianz angetreten habe, hatte keiner die 18 Monate später einsetzende politische Wende im Blick. So auch jetzt, auch wenn vielleicht mit fast gegenteiliger Erfahrung. Keiner hatte doch solch eine zur Pandemie erklärte neue gesundheitliche Gefährdung und damit verbundene gesellschaftliche Lage im Kopf, z.B. mit Ausgangs- und Besuchs- und Veranstaltungsbeschränkungen, die man sich doch höchstenfalls zu Kriegszeiten vorstellen konnte – die Einkaufs- und Arbeitsbeschränkungen kamen noch hinzu. Und dass nun die Solidarität der Kinder und Jungen für die Alten so eingefordert würde, das Eintreten der Generationen füreinander, erschien doch undenkbar.
Noch haben die Älteren unter uns vielleicht das Stichwort des Generationenvertrags aus der staatlichen Rentenversicherung in guter Erinnerung. Er hat freilich durch die inzwischen fast schon auf dem Kopf stehende Alterspyramide auch schon sehr deutliche Verminderungen erfahren. Aber dabei geht und ging es ja nur um unser materielles Auskommen. Aber jetzt sollten die Jungen Freiheitseinschränkungen für die Älteren über sich ergehen lassen; der Impfschutz, der natürlich immer für den Einzelnen gedacht war, um selbst gut vor Krankheiten beschützt zu werden wurde sogar von Kirchenleitern als Pflicht der Nächstenliebe ausgerufen. Man muss füreinander einstehen.
Dazu hatte das Bundesinnenministerium in einem internen Strategiepapier schon Anfang März 2020 auch deutlich gemacht, dass man, wolle man die Pandemie in Griff behalten (heute müsste man wohl eher sagen „in Griff bekommen“) an die Verantwortung der Kinder appellieren müsse. Ich zitiere: „Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden“ und das wird dann im Blick auf die Kinder ausgeführt „Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z.B. bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann“.
Wenn ich mich recht an meine Kindheitszeit erinnere: Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, für meine Eltern Verantwortung zu tragen. Ich behaupte auch, dass das im Regelfall nicht kindgemäß sei. Wie immer bei Regeln gibt es Ausnahmen. Bei meiner Frau sah das anders aus. Ihre Mutter wurde bald nach der Geburt meiner Frau vollständig gelähmt. Da hatte sehr wohl das Kind schon viel Verantwortung für die Mutter und auch für den Haushalt und die Familie zu übernehmen. Später, als ich älter wurde und meine Eltern noch älter, war das klar, dass ich jetzt auch Verantwortung für sie habe, für die, die sie so lange Verantwortung für mich getragen hatten. Das war ein normaler Ablöseprozess mit dem nicht unwichtigen Zwischenstadium, mich aus dem Anspruch der Eltern, für mich verantwortlich zu sein, zu lösen, bewusst meine Selbstverantwortung zu reklamieren, mich dann aber der Mitverantwortung für die Eltern auch nicht zu versagen.
Diese normale Generationenfolge, das normale Ablösen und Wiederfinden, aneinander Festhalten und Füreinander Verantwortung tragen war nach meiner Beobachtung schon immer mit hohen Erwartungen und Spannungen verbunden und soll, so verstehe ich das heutige Thema, noch mal neu durchdacht werden, vielleicht jetzt auch nach dieser besonderen Zeit auch besonders aktuell. Denn so langsam ist wohl auch den Letzten bewusst geworden, dass die Verantwortung für die ältere Generation ja nicht in erster Linie darin bestehen kann, Distanz zu halten, Nähe und Begegnung zu vermeiden, am Ende sie lieber einsam sterben zu lassen als ihnen noch mit einem, vielleicht zusätzlichen, Virus zuzusetzen oder uns selbst anzustecken. So wie die 82jährige auf die Frage der Kinder und Enkel, ob sie sie trotz Corona besuchen sollten sagte: „Dass ich sterben muss, weiß ich. Aber ich will wenigstens davor noch leben“ oder die andere: „Soll ich statt an Corona lieber an Einsamkeit sterben?“ Ist die Einsamkeit ein großes neues Thema der Gesellschaft?
In der letzten Woche hat die Bundesregierung einen „Einsamkeits-barometer“ vorgestellt, mit erstaunlichen Ergebnissen. Ich zitiere ein paar zentrale Sätze:
- Die Daten zeigen konkret, dass Personen über 75 Jahre im Längsschnitt am stärksten von Einsamkeit betroffen sind
- Arbeitslose Personen sind eher von Einsamkeit betroffen als erwerbstätige Menschen.
- Alleinerziehende sind deutlich stärker von erhöhten Einsamkeitsbelastungen betroffen als nicht alleinerziehende Personen.
- Bildung schützt vor Einsamkeit und sozialer Isolation
- Personen mit erhöhter Einsamkeitsbelastung und/ oder Isolationsbelastung haben in allen Jahren eine schlechtere physische und psychische Gesundheit.
Ich frage mal: Hätten Sie es gewusst? Bitte sehen Sie mir die Ironie etwas nach. Da werden zig Fachleute über lange Zeit bezahlt, um Studien zu fertigen, deren Ergebnisse Sie alle wahrscheinlich nach 15 Minuten Nachdenken aufgrund Ihrer Lebenserfahrungen auch zusammengebracht hätten, wenn auch nicht in solch hochgestochenem Soziologendeutsch. Um was sich dieser Staat alles kümmern soll und will?
Das Thema der Einsamkeit als Folge des Verlustes des Miteinanders der Generationen ist hochaktuell. Dabei gibt uns ja das Thema einen zweifachen Dreiklang vor:
In der 1. Zeile: Nacheinander – Füreinander – Miteinander;
in der 2. Zeile: Familie – Gemeinde – Gesellschaft.
1. Nacheinander
Der Mensch ist nach meiner tiefen Überzeugung nicht das Zwischenergebnis einer evolutionären Entwicklung von Lebewesen sondern von Gott selbst ausgedacht, geplant, entwickelt, geschaffen, in diese Welt hineingestellt. Der Mensch ist Gottes großartige Idee. So höre und lese ich jenes Wort der Urgeschichte der Schöpfung und der Menschheit in ihren aller ersten Anfängen: „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht“ (1. Mose 1,26-28).
Er schuf sie als Mann und Frau, die beiden ersten Menschen. Sie sind die „Prototypen“. Als einzige Menschen sind sie nicht als Kinder geboren sondern als erwachsene Menschen von Gott selbst geschaffen worden. Seither aber beginnt menschliches Leben immer durch die Zeugung von Mann und Frau. Der lebendige Gott, der Schöpfer Himmels und der Erde, hat seine von ihm geschaffenen Menschen so begabt, dass Mann und Frau in ihrer geschlechtlichen Gemeinschaft, einander zugetan, zugleich in der Hochform menschlicher Freude, Gottes Gebot erfüllen. Es ist der erste Satz den nach biblischem Bericht Gott zu den Menschen sagte: „Seid fruchtbar und mehret euch, füllet die Erde und machet sie euch untertan, und herrschet….“ (1. Mose 1,28). Gott hat die Welt geschaffen. Er hat die Menschen als Krone seiner Schöpfung in die Welt gesetzt. Ihnen, nur Ihnen, den Menschen, hat er den Auftrag gegeben, diese Welt zu beherrschen, zum Guten hin weiter zu entwickeln, sie „zu bebauen und zu bewahren“ (1. Mose 2,15). Und das sollten die beiden auf Dauer nicht alleine tun, sondern dazu soll die Kraft ihrer Liebe und Zuneigung genützt werden, um damit zugleich auch die Vermehrung und den Fortbestand der Menschheit zu gewährleisten. Kinder werden gebraucht, nicht um „unserer“ Zukunft willen, sondern weil es Gott für die Zukunft dieser Welt und seiner Schöpfung so geordnet hat.
Es stimmt schon: Ohne Kinder gibt es keine Zukunft! Wer Kinder zeugt beteiligt sich an Gottes Schöpfungshandeln. Er ist gehorsam seinem Auftrag. In unserer Zeit haben die Werte Natürlichkeit und Nachhaltigkeit eine besondere Hochachtung. Darum sage ich gerne und mit Überzeugung: Das ist ökologische menschliche Weltverantwortung in Höchstform. Denn Natürlicheres und Nachhaltigeres menschliches Handeln gibt es nicht, als durch die Zeugung eines neuen Menschen, durch die anschließende Verschmelzung von Ei- und Samenzelle im Mutterleib, seiner Einnistung in die Gebärmutter, seiner ausschließlichen Versorgung durch die Mutter während der durchschnittlich ersten 40 Wochen seines Lebens, verbunden mit viel Mühe und Arbeit der Mutter, und durch die in aller Regel auch sehr anstrengende und schmerzhafte Geburt, ein neues Menschenleben in diese Welt einzubringen. So wird ein fester Grundstein für ein gesundes Fortbestehen der Menschheit gelegt. So folgt einer dem andern. So will es der lebendige Gott, der Ideengeber, der Kreator, der Schöpfer Himmels und der Erden.
1.1. Nacheinander in der Familie
„Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. Und schuf sie als Mann und Frau.“ (1. Mose 1,27). Von Anfang an hat Gott die beiden Geschlechter geschaffen. Und auch wenn die Vorreiter des Genderismus inzwischen meinen, es gäbe Hunderte von verschiedenen Geschlechtern: Die Bibel, die Naturwissenschaft, die Erfahrung und das gesunde natürliche Menschenempfinden teilt die Menschen nach zwei Geschlechtern ein, Mann und Frau. Und darum ist es nicht wissenschaftlich sondern von ganz anderen Interessen geleitet, wenn heute gesagt wird, dass Menschen nicht von Natur aus, nicht von ihren genetischen Anlagen her, als Mann oder Frau geschaffen würden sondern dass das Geschlecht angelernt wäre. Und wenn man jetzt sogar die gesetzlichen Bestimmungen dafür geschaffen hat, dass man sein Geschlecht selbst aussuchen kann, auch jährlich wechselnd, und damit eben auch, dass man sich in diese Geschlechterrollen nicht einordnen lassen will, dann führt das nicht in eine gute Zukunft sondern schlichtweg in die Irre.
Ich durfte es ja zehn Mal erleben, dass wir als Ehe und später dann als Familie einen neuen Erdenbürger begrüßen durften. Als ein Kind zur Welt kamen, haben mich die Menschen immer gefragt: „Und, was ist es?“. Mit meiner Antwort – ich habe schon immer gerne die Menschen auch ein wenig provoziert, das heißt ja „herausgefordert – „ein Kind“ haben sie sich nie zufrieden gegeben. Sie wollten immer wissen, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist. Zwei Geschlechter: So hat es Gott geordnet, so macht es seinen Sinn. Und so hat es Gott gemeint, als er dem Mann eine „Gehilfin“ geschaffen hat (1. Mose 2,18), weil er wusste, „es nicht gut, dass der Mensch allein sei“. „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch“ (1. Mose 2,24). Darum sage ich: Ehe ist die genialste Erfindung seit es Menschen gibt. Und Gott hat es in seiner Genialität vorgesehen, dass im Regelfall aus einer solchen Ehegemeinschaft durch die Zeugung und die Geburt von Kindern dann eine Familie entsteht, aus der später heraus wieder Ehen geschlossen werden und Familien entstehen.
Die Menschen in Deutschland haben sich in ihrer großen Mehrheit und ihrem Durchschnitt weit von der ur-menschlichen Aufgabe entfernt, sich zu vermehren. Das ist zwar in der christlichen Gemeinde noch nicht ganz so weit fortgeschritten – man sagt ja, dass Christen immer ihrer Zeit hinterher wären – aber doch auch schon sehr weit verbreitet. Darf ich auch provozieren heute? Warum sind wir so wenig bereit zu tun, was Gott uns sagt? Die Idee der Sexualität ist Gottes Idee. Und ich finde, sie ist eine wunderbare Gabe, die man wirklich kaum hoch genug einschätzen kann. Aber mit ihr verbunden ist auch die Gabe der Fortpflanzung und mir ihr verbunden ist auch die Aufgabe, neuen Menschen das Leben zu schenken. Darf ich es drastisch sagen? Wer die Gabe der Sexualität liebt und gebraucht, aber generell die Nachhaltigkeit sexueller Entfaltung, nämlich Kinder, ablehnt, der gleicht einem Menschen, der einen Apfelbaum wegen der herrlichen Apfelblüte pflanzt, aber die Äpfel, die Früchte, vergammeln lässt. Der Philosoph und Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich hat schon vor 58 Jahren den Weg zu einer vaterlosen Gesellschaft beschrieben. Und ich füge hinzu: Ihr wird dann die mutterlose Gesellschaft folgen, dann die kinderlose, dann die zukunftslose. Die Schlagwort „No future“ und „Die letzte Generation“ sprechen schon ihre deutliche Sprache.
Gott aber will Leben!!!
Nun weiß ich natürlich, dass nicht wenige Menschen bei solchen Sätzen zwar innerlich zustimmen, aber eben doch sagen müssen „Ja, das hätte ich auch gerne gehabt! Aber mir war die Ehe nicht vergönnt. Ich habe nicht den Lebenspartner gefunden, mit dem ich das Leben hätte so gestalten können.“ Oder: „Sie ist leider zu Bruch gegangen, meine Ehe.“ Oder „Uns wurden keine Kinder geschenkt“. Wo ist das Wort für solche Menschen und ihr Leben? Ich kann und will nur sagen: Ich habe das sehr wohl im Blick. Ich kenne auch viele Menschen in solchen Situationen und solchen Wegführungen. Und ich weiß, dass sie  auch noch ein anderes Wort brauchen und auch noch einmal eine andere Sicht auf Ihr Leben! Ich bitte Sie nur um Verständnis, dass ich bei diesem Thema des Miteinanders der Generationen auf diese grundlegenden Aussagen nicht verzichten kann und darf, sozusagen auch als Lehraussagen für Menschen, die vielleicht relativ am Beginn ihres Lebens stehen.
1.2 Nacheinander in der Gemeinde
Ich bin in einer altpietistisch geprägten Familie groß geworden. Sie kennen das? Also eine landeskirchliche Gemeinschaft, in Württemberg meines Wissens noch die größte, heute etwas unverdächtiger „die Apis“ genannt, damit man nicht gleich als erstes das schwierige Wort erklären muss. Der Besuch der Gemeinschaftsstunde am Sonntagmittag um 15 Uhr war obligatorisch, damit auch das Nachmittagsprogramm für den Sonntag schon in wesentlichen Teilen festgelegt. Ich habe keine soziologischen Daten aus meiner Kindheitszeit, in der ich dort teilgenommen habe, also so in etwa in den Jahren 1953 bis 1967. Aber gefühlt war das Durchschnittsalter sehr hoch. Es gab außer uns nur noch Kinder aus drei anderen Familien; sonst gefühlt nur „alte Leute“. Mein ältester Bruder sagte zu meinem Vater, dass man den Laden bald dichtmachen könnte, weil doch nur ein paar alte Leute kämen. Darauf mein Vater: „Warum denn? Seid nicht so aufgeregt: Die anderen werden doch auch alt!“ Als ich später dort öfter einmal selbst in der Stunde sprechen durfte dachte ich, ja, mein Vater hatte Recht. Auch in der christlichen Gemeinde folgt eine Generation der anderen.
Weithin sind wir heute ja ökumenisch orientiert. Es kommt also für Viele nicht so sehr darauf an, welche Konfession oder Denomination da gerade sich als Gemeinde vor Ort trifft, sondern ob man sich dort heimisch fühlt, den Eindruck hat, dass man das bekommt, was man braucht. Die Wechsel von einer Konfession zur anderen, vor allem dann etwa innerhalb der protestantischen Großfamilie von Landeskirchen zu Gemeinschaften und zu Freikirchen und auch andersherum ist nicht so sehr problematisch. Sie wissen ja, dass ich lange hauptberuflich in der Evangelischen Allianz gearbeitet habe. Ich war immer der Meinung, die Zugehörigkeit zum Leib Christi ist wesentlich wichtiger und entscheidender als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession oder Gemeinde.
Aber heute betone ich: Wir leben nicht nur in einer Ökumene der Kirchen und Gemeinden sondern vielmehr auch in einer Ökumene der Generationen. Mit uns beginnt nicht die Gemeinde Gottes. Väter und Mütter des Glaubens gingen uns voraus. Und Kinder und Enkel – aus unserer heutigen Generationensicht – werden uns folgen. Und darum ist es wichtig, dass wir nach vorne schauen, nach jenen, die uns vorausgingen und nach hinten, jenen, die uns folgen werden. Die Gemeinde Jesu muss deshalb auch immer den Blick auf die nächsten Generationen haben und darauf achten, dass sie einen angemessenen Platz finden. Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hat nicht das Ziel der Nachwuchsförderung, wie man manches Mal denkt, sagt und handelt; sozusagen sie aufbewahren, heranziehen für spätere Zeiten. Nein, sie ist dafür da, dass Kinder und Jugendliche selbst zum lebendigen Glauben an Jesus Christus kommen, dass sie diesen Glauben altersgemäß und in der Gemeinschaft ihrer Generationen leben und missionarisch die Gleichaltrigen zu einem Leben im Glauben, zu einem Leben mit Jesus, einladen können. Dass sie sich dann hoffentlich auch in diesem Glauben bewähren und darin wachsen und so eines Tages auch im älteren Teil unserer Gemeinden – an unserem Ort oder andernorts – ankommen werden, ist dann der erfreuliche Nebenaspekt. Denn es ist schon eine reale Gefahr, dass junge Menschen ihren Glauben während den besonderen Einschnitten im Leben an der Garderobe abhängen – mitunter sind das ja z.B. die Konfirmationszeit, also die Zeit des Übergangs von den Kindern zu den Jugendlichen, oder auch nach dem Schulabschluss und während der ganz anderen Berufsausbildung und dem Studium, vielleicht an anderen Orten.
1.3 Nacheinander in der Gesellschaft
Die wichtigste Schrift für unser Leben ist die Bibel, Gottes Wort an uns. Dort ist die Grundlage für unseren Glauben und unser Leben gelegt. Nach ihr richten wir uns aus. Im Hinblick auf unsere Gesellschaft bin ich aber daneben auch ein Fan unseres Grundgesetzes, das jetzt ja vor zwei Wochen gerade 75 Jahre alt geworden ist, vor allem der Artikel 1 – 19, der sogenannten Grundrechte. Sie sind, wie es Martin Luther von den sogenannten Apokryphen sagte, zwar der Heiligen Schrift nicht gleich zu achten, aber doch wert zu lesen. Können Sie Teile davon auswendig? Sie beginnen ja mit den wirklich zitierfähigen und zitierwürdigen Worten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ usw. Ich denke, dieses Wertegerüst unserer staatlichen Gemeinschaft ist unübertroffen und wird viel zu wenig wert geachtet. Hier haben nach meiner Auffassung auch die Erfahrungen der gebeutelten Kriegsgenerationen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ihren Niederschlag gefunden. Wir sollten sie als kostbaren Schatz, hüten, bewahren und gebrauchen. Und dort steht auch dieser wunderbare Artikel 6 „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht…“ und auch weiter, viel zu wenig zitiert „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“ Und natürlich gelten die Grundrechte auch für die Kinder. Die müssen nicht noch einmal extra in die Verfassung geschrieben werden, wie es von manchen gefordert wird. Das ist nur eine der vielen ideologischen Nebelkerzen, in dem man dann dem Staat die Interpretationshoheit geben will, was das Kindeswohl sei. Achtung! Aber die Familie braucht den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Alle staatlichen Leistungen sollten in der Tat darauf angesehen werden, ob sie Kinder und Mütter und Familien schützen. Der gesellschaftliche Undank, den vor allem hauptamtliche Mütter erleben, ist inakzeptabel. Wer um der eigenen Erziehung und Fürsorge der Kinder willen auf eine außerfamiliäre andere bezahlte Berufstätigkeit verzichtet, sollte ideell und materiell nicht schlechter gestellt werden – in der aktuellen Familiensituation und später im Rentenalter – und weniger von den staatlichen Subventionen einsammeln als jene, die um der Berufstätigkeit willen auf Kinder verzichten, ganz oder auf mehrere Kinder und reichliche staatliche Subventionen für die außerhäusliche Familienbetreuung, direkt und indirekt, einfahren.
Fruchtbarkeit war früher klar ein „Segen Gottes“. Der war wichtig. Auf den wollte man nicht verzichten. Aber man hat eben auch die Aufgabe geachtet, die damit verbunden war. Und das natürliche Zusammenleben in Großfamilien und Sippen hat die Notwendigkeit der Generationenfolge und des dann später so genannten Generationenvertrags natürlicher vor Augen gestellt. Aber nun sage ich: Die Situation mangelnder Kinder, präziser gewollter Zeugungs-, Gebär- und darum Kinderlosigkeit heute ist auch ein Zeichen der Gottlosigkeit und der Treuelosigkeit der Menschen zu Gott. Es ist auch ein Armutszeugnis für hohe Bildung, wenn man nicht auf zwei zählen kann und will. Denn menschlich gesprochen lebt jeder davon, dass zwei Menschen zu einem neuen Menschen, also mir, zu uns – unter welchen Umständen auch immer – ja gesagt haben. Jetzt wäre es doch das selbstverständliche Mindestmaß der Dankbarkeit für das eigene Leben auch wieder zwei anderen Menschen ins Leben zu helfen. Und in Klammer sage ich: Weil es nicht alle können, es nicht allen vergönnt ist, sollten die, die es könnten, für mindestens drei Menschen in der nächsten Generation sorgen. Das wäre verantwortlich und solidarisch.
2. Füreinander
Selbst ist ein Hauptwort in unseren Tagen. Wir wollen selbstbestimmt leben; ja immer stärker dringt es durch: dann auch selbstbestimmt Sterben. Selbstbestimmung, Selbstbehauptung, Selbstdarstellung, Selbstentfaltung, Selbstverwirklichung, bis hin zur Selbstbeweihräucherung, das gilt als die große Tugend. Und das klingt ja auch irgendwie gut. Das nimmt den Einzelnen wichtig.
Dabei ist klar: Wesentliches unseres Lebens können und haben wir nicht selbstbestimmt. Dass wir geboren sind. Wo, Wann, unter welchen Umständen, in welchem Land, in welche soziale Stellung hinein – wir hatten keinen Einfluss darauf. Obwohl der österreichische Kommunikationswissenschaftler und Psychotherapeut Paul Watzlawick ja gesagt hat, man könne nicht sorgfältig genug bei der Auswahl seiner Eltern sein: Wir haben sie uns nicht selbst ausgesucht. Auch nicht die Geschwister. Auch nicht die eigenen Kinder, obwohl wir dazu unterwegs sind, dass wir nur noch solche Kinder wollen, die uns passen: Geschlecht, genetische Zusammensetzung, gesundheitliche Bedingungen sollen stimmen. Was uns nicht passt, wird ausgelesen.
Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir sind darauf angelegt, mit anderen Menschen zusammen zu sein. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“ (1. Mose 2,18) haben wir schon betrachtet. Auch wenn sich das zunächst ja auf die Gemeinschaft von Mann und Frau bezieht ist doch klar: Das gilt natürlich für alle Menschen aller Zeiten. Wir brauchen einander. Das fängt ja schon zu Beginn des Lebens an. Da sind wir ganz am Anfang Teil im Körper der Mutter. Wir reifen heran. Werden durch sie ernährt. Und nach der Geburt gilt weiter „Allein geht man ein“. Allein, aus eigener Kraft, kann man nur kurze Zeit, vielleicht wenige Tage, überleben. Der Mensch kann sich am Anfang seines Lebens noch nicht selbst versorgen. Wir brauchen Hilfe. Zwingend. Anders geht es nicht.
Manche denken ja, es sei unwürdig, wenn man sich nicht selbst versorgen könnte. Vor allem dann auch gegen Ende des Lebens. Aber das ist nicht wahr. Selbstbestimmung ist ein hohes Gut! Aber es gehört auch zur Würde des Menschen, sich von anderen bedienen zu lassen, helfen zu lassen, Hilfe zu empfangen. Wenn man selbst Kinder haben darf, ist es schön, mit zu erleben, wie sie sich Stück um Stück in die Selbstbestimmung hinein leben. Übrigens: Noch schöner ist es, wenn man das dann bei Enkeln beobachten kann, weil man da die Schattenseiten dieses mitunter dann ja auch trotzigen Selbstbehauptens nicht so sehr miterleben muss sondern nur die Sonnenseiten sieht. Darum sagen wir Großeltern ja gerne: Hätten wir gewusst, wie schön Enkel sind, hätten wir gleich mit den Enkeln begonnen! Wir haben vor zwei Wochen gerade unser 21. Enkelkind bekommen!
Wer sich nur oder in erster Linie darum bemüht, seine eigenen Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen, hat die Menschlichkeit nicht verstanden. Gemeinsinn statt Eigensinn ist die Überlebenschance der Menschheit insgesamt. Darum kann das Erfolgsrezept nicht Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung sein, sondern Übernahme von Verantwortung für Andere: Ehepartner, Kinder, Nachbarn, Arbeitskollegen, Mitarbeiter. Und eben erst recht für die Zukunft. Nicht auf Kosten der nachfolgenden Generationen zu leben, sondern ihnen das Leben weiterzugeben und nachhaltig zu ermöglichen, ist menschlich. Und darum darf das Streben nach eigenem Erfolg und Karriere nicht das höchste Ziel unseres Daseins sein.
2.1. Füreinander in der Familie
Keiner zweifelt an der Notwendigkeit für ein gezeugtes Kind, neun Monate in der behüteten Atmosphäre des Mutterleibes heranzuwachsen. So wächst ein Mensch auch nach der Geburt am besten in der behüteten Atmosphäre einer Familie mit Mutter und Vater und – wenn irgend möglich – mit Geschwistern heran. Menschen, die so aufwachsen können und deren Mütter und Väter ihre Aufgaben als Eltern und Erzieher recht wahrnehmen, sind auch die gesündesten Menschen. In der Atmosphäre der Familie geschieht Entspannung und neue Kraftzuteilung für die Aufgaben des Alltags. Zur Lebensqualität gehört die kleine auf Dauer angelegte Treuegemeinschaft, in der man Lachen und Weinen, Erziehen und Altwerden, Entspannen und Kräfte sammeln, sich freuen und klagen, getragen werden und tragen kann. Die Familie bietet auch den idealen Rahmen für eine ausgleichende Freizeit-gestaltung im Tagesablauf.
Dabei weise ich noch auf einen Aspekt hin. Der Begriff „Familie“ kommt von „famulus“, d.h. eine „Gemeinschaft der Dienerschaft“. Familie ist also das Gegenteil von „sich bedienen lassen“. Die Familie ist also kein Selbstzweck. Da dient einer dem anderen, die Frau dem Mann, der Mann der Frau, die Eltern den Kindern und später auch die Kinder den Eltern. Familie hat einen Auftrag: sie vermittelt Nestwärme für Mann und Frau und für die Kinder; Rückhalt, Stärkung der Lebenskraft und der Dienstkraft. Sie ist der Ort, an dem ein Mensch zuerst Annahme erfährt. Er ist der Ort, wo man geliebt wird – schon das kleine Kind, aber auch alle anderen! Der Ort, wo man sich nicht erst beweisen muss, um etwas zu gelten, sondern etwas gilt, weil man dazu gehört. Sie ist ein Ort der Solidarität. Hier lernt man den Umgang, auch mit Schwachen und Kranken. Deshalb ist der Trend der Familien-feindlichkeit, der Trend zum Allein-Sein, zum Allein-Leben, so gefährlich. Es ist ein Trend zum Ego-Zentrismus – alles dreht sich um mich, aber es muss sich auch um mich drehen – zum Egoismus und damit letztlich auch zur Ellbogen-gesellschaft, zur Rivalität und am Ende vielleicht auch Brutalität. Positive Entspannung ist langfristig nicht durch allein-sein möglich. Es braucht Familie. Aber auch, damit wir dienen können – als Einzelne und als Dienstgemeinschaft.
Füreinander da zu sein heißt, als Eltern Kindern das zu geben, was sie brauchen: Zeit, Liebe, Zuwendung, Begleitung, ein ganzes langes Lebensstück, bis sie selbst auf eigenen Beinen stehen und selbständig geworden sind. Und das gleiche brauchen dann ab einem gewissen Zeitpunkt auch die Großeltern und die Eltern von den nachfolgenden Generationen: Zeit, Liebe, Zuwendung, Begleitung, bis hin zum letzten Stück des Lebens. Darum – ich kann den Seitenblick auf die Corona-Politik nicht ganz lassen – gehört es aus meiner Sicht zum größten Versagen dieser Politik, und auch der Kirche und der Diakonie, alte, kranke und sterbende Menschen isoliert zu haben. Das nimmt ihnen die Würde, die doch unantastbar sein soll und muss. Aus Angst vor Ansteckung dürfen wir nicht das Wichtigstes versäumen: Füreinander da sein, gerade innerhalb dieser intimen Familiengemeinschaft, der besonderen Lebensgemeinschaft, der „Blutsverwandtschaft“.
2.2 Füreinander in der Gemeinde
Ist diese Beschreibung vom Füreinander in der Familie gerade zu blauäugig gewesen, zu idealistisch? Bleiben wir da nicht alle weit dahinter zurück? Ja, das kann gut sein. Und darum brauchen wir das Füreinander ja nicht nur in der Familie. Sondern gerade: Je mehr die Familie ausfällt – für immer mehr Menschen, weil sie solche Erfahrungen in ihrer Familie nicht so umfassend oder gar nicht machen können oder eben, weil sie keine Familie haben und für sie die Erfahrung von Familie mehr eine Mangelerfahrung ist (in Stuttgart leben nur noch in 18 % der Haushalte Kinder unter 18 Jahren; in 82% gibt es keine Kinder und Jugendlichen!). Also: Je mehr die Familie ausfüllt desto mehr muss die christliche Gemeinde dem biblischen Vorbild folgen, familiäre Gemeinschaft zu sein. Nicht als Lückenbüßer und Ausputzer sondern auch von ihrer ganzen Bestimmung her. Wenn wir noch mal kurz zurückschauen in die biblischen Zeiten: Familie war nie die Alternative zur Gemeinde und Gemeinde keine Alternative für die Familie. Sondern beides hatte ihren Platz und ihre Ergänzung. Israel hat die großen Feste als Volksgemeinschaft gefeiert, aber eben auch als Familienfeste. Das will ich jetzt nur einfach einmal so hinstellen und ermutigen, dazu einmal die Einsetzung des Passahlamms zu lesen in 2. Mose 12 und die Feiertagseinsetzungen in 3. Mose 23. Und Jesus hat ja die Gemeinde mit einer Familie verglichen: „Wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter“ (Matthäus 12,50). Und selbst am Kreuz hat er dafür Sorge getragen, dass seine Mutter anstelle ihres ältesten Sohnes jetzt die Fürsorge von Johannes, dem Jünger erfährt und Johannes angewiesen, für Maria zu sorgen, wie für seine Mutter (Johannes 19, 26 und 27).
Weil die Gemeinde familiäre Dienstgemeinschaft ist, braucht sie einen weiten Liebeshorizont, der allen gilt, den Kindern und Jugendlichen, den Schwangeren, den Jungverliebten und den Ehepartnern, den noch nicht geborenen Kindern, den Alleinstehenden, den Menschen am Rande, den Alten und Kranken, bis zum Ende ihres Lebens.
Aus der ersten Christengemeinde wissen wir, dass die Gemeinde auch eine Versorgungsgemeinschaft war. „Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte“ (Apostelgeschichte 4,34). Es blieb keiner in Not. Es heißt von ihnen, „es war ihnen alles gemeinsam“ (Apostelgeschichte 4,32). Darum sorgte sie dann auch für die Witwen (Apostelgeschichte 6). Generationen standen füreinander ein. So soll es sein.
2.3 Füreinander in der Gesellschaft
Im Hinblick auf unser Thema „vom Umgang der Generationen“ nehme ich aus diesem weiten Feld nur den schon vorher einmal erwähnten Generationenvertrag heraus. Wir erinnern uns: Frühere Generationen hatten nicht den Luxus eines hervorragend aufgebauten Sozialstaats mit seiner allgemeinen gesellschaftlichen Solidarität – was wir heute beklagen mögen ist – wie wir alle wissen – ein Klagen auf sehr hohem Niveau. Nur wenige Staaten dieser Welt können mit unseren Absicherungen mithalten. Früher – und eben auch heute noch in vielen der weltweiten Völkergemeinschaften – braucht es die selbst geschaffene Solidarität in der Familie, in der Sippe. So war der Aspekt des Generationsvertrags in der kleinen Zelle der Familie für jeden deutlich täglich erkenn- und spürbar. In der Zeitspanne der mittleren Generation sorgte man sowohl für die Kinder als auch für die Eltern, die einstens für sie in ihrer Kleinkinderzeit gesorgt hatten. Die sozialen gesellschaftlichen Solidaritätsgemeinschaften, die wir spätestens ab dem 19. Jahrhundert auf- und immer weiter ausgebaut haben, sollten die daraus entstehenden Nachteile derer beseitigen, die in einen solchen Generationenvertrag nicht eingebunden waren und deshalb ohne eigene Schuld in die Vereinsamung und deshalb auch in die Verarmung hineinfielen. Als 1957 die deutsche Rentenversicherung grundlegend reformiert wurde, haben die Sachverständigen darauf aufmerksam gemacht, dass die Basis des sozialen Ausgleichs zu schwach und die Ergebnisse ungerecht sind. Schon damals wurde für eine „Kinderkasse“ plädiert, damit nicht nur ein Ausgleich zwischen den Erwerbstätigen und Rentnern geschieht sondern auch der Aufwand für die Erziehung der Kinder in den so genannten Generationenvertrag einbezogen würde. Denn sie sind es ja, die als spätere Erwerbstätige wieder die Renten finanzieren, aber nicht die ihrer Eltern sondern jener, die früher schon erwerbstätig waren und – vielleicht gerade deshalb – keine oder nur wenig Kinder hatten. Aber es gehört zu den verhängnisvollen historischen Irrtümern des ansonsten meines Erachtens hoch verdienten Konrad Adenauers, dass er meinte, diese Lücke offen lassen zu können, mit dem Motto: „Kinder kriegen die Leute immer!“ Sprich: Für den Nachwuchs an Kindern und damit auch an Beitragszahlern braucht die Solidargemeinschaft des Sozialstaates keine Verantwortung zu übernehmen. Seit mindestens 45 Jahren wissen wir aber: Kinder sind kein zwangsweise eintretendes Naturereignis. Man kann sie verhindern. Die Geburtenverhinderungsplanung wurde „erfolgreich“ eingeführt.
Insbesondere die Sorge um das eigene Lebensglück, die eigene Lebensverwirklichung, hindern Menschen Kinder zu wollen, vor allem auch noch mehr als zwei. Damit ist der ungeschriebene Generationenvertrag gekündigt. Was ich also vorhin ausführte zur Verabschiedung der Deutschen aus der „Vermehrungsaufgabe“ führt auch gesellschaftlich in schwierige Gewässer. Da gibt es aber eine ganze Reihe gedanklicher Stolperfallen! Gegen die Aufgabe der Vermehrung wird gerne eingewandt, es gäbe ohnehin schon viel zu viel Menschen auf dieser Welt gäbe. Unsere Verantwortung als eine der stärksten Wirtschaftsnationen der Welt besteht aber auch darin, durch Mission und Entwicklungshilfe die Lebensbedingungen für Zeit und Ewigkeit für die Menschen in den Armutsgebieten zu verbessern. Wenn wir aber unsererseits den Generationenvertrag aufkündigen, werden im Laufe der Zeit alle unsere Gaben gebraucht werden, um unseren eigenen Wohlstand mit Klauen und Zähnen und eines Tages vielleicht sogar mit Waffengewalt zu verteidigen. Die Möglichkeit zur wirksamen Hilfe hängt entscheidend auch davon ab, dass wir nicht aus selbstverschuldetem Absterben und Aussterben unsere Hilfsmöglichkeiten selbst beschränken. Auch wenn leider viele Ausgaben im Bereich der früher sogenannten Entwicklungshilfe in unsinnige Projekt gesteckt werden: Ich empfinde es schon eine Tragik, dass wir die Verteidigungsausgaben erhöhen, aber die Hilfsleistungen für die Welt vermindern. Jetzt schon. Wer in den Industrienationen wegen der Welt-Überbevölkerung für weniger Geburten plädiert, entzieht sich also auch der wirtschaftlichen Weltverantwortung. Dabei hoffe ich natürlich auch, dass Sie dem weit verbreiteten Märchen der Überbevölkerung keinen Glauben schenken. Ich stimme selten dem Arzt und Komiker Eckart von Hirschhausen zu. Aber er hat darauf hingewiesen, dass die gesamte Weltbevölkerung von ca. 8 Milliarden Menschen auf der Insel Mallorca Platz hätten. Ich sage: Man könnte dort also die Weltschluss-veranstaltung planen.
Gott hat in unsere Hände mit der Einsetzung der ehelichen Gemeinschaft und der Gabe der Sexualität viel mehr Verantwortung gelegt, als viele von uns ahnen!
Und darum ist es für mich ein Skandal, wenn wir jetzt die spürbare Kinderarmut, die sich natürlich im Fachkräftemangel zeigt (das war doch seit 40 Jahren klar, dass das kommt), damit überwinden wollen, dass wir die Fachkräfte aus den ärmeren Ländern hierher locken. Das ist die umgekehrte neue Form des Kolonialismus, wenn wir jetzt die wenigen, aber besten Erfolge der Entwicklungshilfe früherer Jahrzehnte abpflücken und damit den Ländern der Zwei-Drittel-Welt so wichtige Ressourcen entziehen. Ich bin über so viel erbarmungslosen strukturellen Egoismus und Egozentrismus entsetzt und gebe unumwunden zu, dass ich hier gerne viel mehr Protest der Kirchen hören würde, die sich zu sonst so vielen mehr oder wichtigen Themen der Politik äußern.
Und ein weiterer Punkt kommt hinzu: Wir haben uns durch politische Entscheidungen nach einigen besseren Jahren in eine Überschuldung hineingeführt, die so tut, als ob es kein Morgen gäbe. Ich weiß, dass das Thema sehr komplex ist und sich auch ganz einfachen Interpretationen entzieht. An Baustellen steht noch immer oft der Satz „Eltern haften für ihre Kinder“. Im Blick auf die Schulden muss man sagen „Kinder haften für ihre Eltern!“ Denn des Schuldenmachens ist kein Ende. Von 540 Milliarden im Jahr 1990 Schuldenstand bewegt sich die sogenannte öffentliche Hand auf nunmehr fast 2,5 Billionen Schulden zu. Alleine von 2022 auf 2023 gab es eine Zunahme von 3,3 %. Man kann sich diese Zahlen ja gar nicht mehr vorstellen. Aber man muss doch sagen dürfen: Das ist ein Raub an den uns folgenden Generationen, denen wir, die wir aus einem Höchststand von Reichtum kommen, diesen Schuldenberg hinterlassen! Pro Kopf sind das ca. 29.750 Euro! Die Aufgabe unserer Generation müsste sein, den Kindern und Enkel keine Schulden zu hinterlassen. Einer meiner Enkel sagte schon als 6-Jähriger mal ganz trocken: „Wie kann man Geld ausgeben, wenn man keines hat?“ Warum können wir unsere Ausgaben nicht darauf beschränken, was wir haben? Jetzt wäre es natürlich schön, wir könnten eine ausführliche Diskussion darüber haben und auch Vorschläge erarbeiten.
Ich meine, wir sollten eine aktive Bevölkerungs- und Familienpolitik machen. Ziel müsste sein, dass die vorhin schon beschriebene Situation nicht mehr gilt: Dass wer sich selbst um eigene Kinder kümmert schlechter da steht als jene, die das nicht tun. Dann gäbe es, davon bin ich überzeugt, auch mehr Freude an eigenen Kindern und mehr Mut dazu.
3. Miteinander
Unser Ältester, damals vielleicht gerade 13 Jahre, hat es uns gesagt: „Gebt euch doch nicht so viel Mühe mit der Erziehung. Wir werden ohnehin nur so wie Ihr!“
Ich habe darum keine großen Konzepte oder gar Ratschläge, wie das Miteinander der Generationen in unserem Land noch besser laufen könnte. Es hilft ja vermutlich auch nicht sehr viel, anderen zum Fenster hinaus zu predigen, was anders werden müsste. Ich bin der vielleicht altmodischen Überzeugung, dass das beste Konzept das eigene vorbildhafte Leben ist. Neudeutsch nennt man das authentisch. Dabei geht es gar nicht in erster Linie, dass wir alles richtig machen. Ich denke mehr, wie Paulus das in Philipper 2,5 zum Ausdruck bringt: „Seid so gesinnt, wie Jesus Christus auch war“. Es kommt auf unsere Gesinnung an, die ich einmal so beschreiben will, die Denkrichtung des Herzens. Einfacher ausgedrückt: Es kommt darauf an, dass Eltern und Großeltern, die ältere Generation, heute vorleben, von welchem Gedankengut her sie ihr Leben verstehen und leiten.
Wodurch ist unser Lebensstil bestimmt?
1. Von der Erkenntnis Gottes?
Dann werden wir alles daran setzen, die schöpfungsgemäßen Leitlinien unseres Lebens einzuhalten und in unserer Familie, der Gemeinde und der Gesellschaft die Ehrfurcht vor Gott dem Schöpfer groß halten. Konkret:
– Den Menschen als Geschöpf Gottes betrachten.
– Kinder als Leihgabe unseres Gottes zu sehen, für die wir Verantwortung tragen, eine Zeit lang.
– Die natürlichen Gaben in Bezug auf Gott zu leben und zu gebrauchen. Deshalb ermöglichen wir auch unseren Kindern die volle Entfaltung ihrer Gaben.
Diese Werte werden unsere Ehe, unsere Familie, unsere Kinder, unsere Gemeinden prägen und, wenn wir hinaus in die Gesellschaft treten, auch diese beeinflussen können.
2. Von dem Wissen um unsere Schuld vor Gott und von der Erlösung, die Jesus Christus uns geschenkmäßig zueignet?
Dann wird das unseren Lebensstil bestimmen. Konkret:
– Wir tun nicht so, als ob wir fehlerlos wären: wir sind vielmehr bereit, uns unser Fehlverhalten sagen zu lassen: In der Familie vom Ehepartner und von den Kindern, in der Gemeinde von unseren Schwestern und Brüdern, die mit uns auf dem Weg sind und in der Gesellschaft, im Beruf von unseren Kollegen oder als Chef von unseren Mitarbeitern – und bedanken uns dafür. Denn andere nicht in Schuld, Fehlverhalten und Sünde zu belassen, ist ein Zeichen der Liebe.
– Wir leben in der Freundesliebe, Nächstenliebe und – wenn’s Streit gibt – auch Feindesliebe, in der Familie, in der Gemeinde, in der Gesellschaft. Wir sind immer bereit zur Vergebung und lassen uns davon bestimmen, dass es besser ist, Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun.
– Jesus hat sich uns ganz hingegeben. Deshalb leben wir nicht mit der Frage: Was bringt’s mir, sondern: was könnten die anderen von mir brauchen? Wie könnte ich ihnen meine Liebe zeigen? Wie kann ich ihnen Gutes tun?
3. Von der Gabe des Heiligen Geistes?
Wenn Jesus Christus durch den Heiligen Geist den ihm zustehenden Platz als Kapitän unseres Lebensschiffes übernommen hat, dann wird auch unsere Beziehung in der Familie, in der Gemeinde und in der Gesellschaft davon bestimmt sein. Konkret:
– Dann nehmen wir uns Zeit zum gemeinsamen Gebet, zum gemeinsamen Lesen und Hören seines Wortes und zur Gemeinschaft in seiner Gemeinde.
– Dann öffnen wir uns auch als Familie für Menschen, die uns brauchen.
– Dann stehen wir auch einmal zurück, wenn uns der Dienst für Jesus in Beschlag nimmt.
– Dann wissen wir uns als Teil der großen Gottesfamilie.
– Dann leisten wir auch in der Gesellschaft unseren Beitrag „Sucht der Stadt Bestes und betet für sie“ (Jeremia 29,5). In unserer demokratischen Gesellschaft heißt das auch: Wir beteiligen uns aktiv an der Willensbildung im Volk, bringen unsere biblischen Erkenntnisse und christlichen Wertvorstellungen auch in eine säkulare Gesellschaft ein im Wissen darum, dass „Gerechtigkeit ein Volk erhöht, aber die Sünde ist der Leute Verderben“ (Sprüche 14,34). Wer es gut meint mit unserer Gesellschaft wird deutlich machen, dass es nicht Besseres gibt, als auf Gottes Weisungen zu achten.
Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass wir als Väter und Mütter, als Eltern, als Großeltern, als ältere Generation, diese Prägung haben oder wieder gewinnen und sie hineingeben in unsere Familien, in die christliche Gemeinde, in diese Gesellschaft.
Hartmut Steeb, Stuttgart, Langensteinbacher Höhe, 06.06.2024
hartmut@steeb-family.de
Dieser Beitrag wurde erstellt am Samstag 31. August 2024 um 21:27 und abgelegt unter Ehe u. Familie.