Wozu Bekenntnisschriften? Eine kleine Einführung
Montag 29. Juli 2024 von Pfr. Dr. Tobias Eißler

1. Ein Glaubensbekenntnis – was ist das?
Vielleicht kennen Sie diese Erzählung des Evangelisten Wilhelm Busch? Sein Freund Hennes ist einfacher Arbeiter im Ruhrpott. Man schreibt das Jahr 1934. Hennes steht mit andern im Werkhof. Einer spottet über Hennes, weil er immer noch zur Kirche ginge, damit sei’s jetzt vorbei. Hennes entgegnet: „Jetzt sollte zuerst einmal jeder von uns beiden klar sagen, was er denn eigentlich glaubt, damit unsere Standpunkte klar werden. Ich will den Anfang machen. Und dann sagst du, was du glaubst.“ Hennes legt los: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Es wird sehr still. Jeder hat das Glaubensbekenntnis schon in der Kirche gehört, aber hier im Werkhof klingt es nochmal ganz anders. Hennes lässt nichts aus: „Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. – So, das ist mein Glaubensbekenntnis. Und nun bist du dran! Sag uns dein Bekenntnis.“
Der andre fängt an zu stottern: „Hör mal, pass mal auf, das mit dem Christentum, das geht doch einfach nicht mehr!“ Hennes bleibt unerbittlich: „Du sollst uns jetzt sagen, was du glaubst.“ Atemlose Stille. Der Spötter bekommt einen roten Kopf: „Was ich glaube? Ja, das ist noch nicht ganz raus. Da arbeiten sie noch dran in Berlin.“ Großes Gelächter. Der Ärmste schreit: „Aber wenn es raus ist, glaub ich dran, darauf könnt ihr euch verlassen.“ Eine amüsante Anekdote mit einem bitterernsten Hintergrund. Wilhelm Busch meint: Hennes müsste Professor für praktische Theologie werden.
An dieser Geschichte lässt sich studieren, was ein Glaubensbekenntnis (= Credo) ist: Ein Credo bringt die eigene Überzeugung zum Ausdruck. „Ich glaube“, sagt Hennes. Was jetzt folgt, ist das, was er als Wahrheit erkannt hat und festhält. Eine Wahrheit, gegenüber der alle anderen Einsichten, die er jemals gewinnen kann, zweitrangig sind. Ein Text wie das Credo macht sprachfähig. Weil Hennes das Bekenntnis auswendig gelernt hat, kann er in der kritischen Situation mit einigen wenigen Sätzen treffend beschreiben, was er glaubt. Seinem Gesprächspartner stehen solche Sätze nicht zur Verfügung.
- Das Credo fasst das Wichtigste knapp zusammen: die Schöpfung am Anfang, die Erlösung in der Mitte der Zeit, die Vollendung in der Ewigkeit.
- Das Credo sorgt in der Auseinandersetzung für eine klare Abgrenzung. Gerade in unserer Zeit müssen wir wissen, was auf dem Boden des christlichen Glaubens steht und wo unchristliche Überzeugungen, Religionen und Weltanschauungen beginnen. Wer Ja sagt zum Evangelium, muss logischerweise Nein sagen zu dem, was ihm widerspricht. Das vergisst man in der Zeit eines überdehnten Toleranzbegriffs gerne.
- Das Glaubensbekenntnis verbindet mit der Kirche Jesu aller Zeiten. Hennes im Werkhof steht mit seinem Bekenntnis nicht allein, sondern er steht plötzlich in einer Reihe mit allen Glaubenden in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Gerade das gibt seiner Aussage ungeheures Gewicht. Ins Bekenntnis einstimmen heißt sich zusammenschließen mit dem gesamten Gottesvolk von Abraham über den Apostel Paulus bis zu Dietrich Bonhoeffer u.v.a.
- Das Glaubensbekenntnis ehrt Gott. Wo es gesprochen wird, was er ist und tut, wird er bekanntgemacht und groß gemacht. Das ist die Grundbestimmung von uns Geschöpfen, dass wir Gottes Herrlichkeit widerspiegeln, die wir oft verdunkeln. Anders beim Bekennen: Da kommt Gott zu seiner Ehre.
2. Die Bedeutung des Bekenntnisses in der Bibel
Es gibt zwei zentral wichtige Aussagen zum Thema Bekenntnis im Neuen Testament: Römer 10,9 und Mt 10,32f (Lk 12,8f). Römer 10,9 sagt uns, dass es keinen echten Glauben gibt, der nicht zum ausdrücklichen Bekenntnis führt: „Wenn du mit dem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.“ Unsere Rettung hängt davon ab, dass wir nicht nur still im Herzen glauben, sondern auch ins Bekenntnis der Christen einstimmen. Das Bekennen ist Kennzeichen des echten Glaubens. Ein stummer Christ ist undenkbar. „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.“ (Lk 6,45) Der Erlöste lobt seinen Gott und bekennt ihn innerhalb und außerhalb der Gemeinde.
Auf dieses Bekennen legt Jesus großen Wert. Er sagt: „Wer mich nun bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“ (Mt 10,32f) Nur wer sich öffentlich, für andere erkennbar zu Jesus stellt, zu dem stellt sich Jesus am Jüngsten Tag, wenn es um die Entscheidung zwischen ewigem Leben und ewigem Tod geht. Wer sich davor scheut, klar Stellung zu beziehen, wer sich in der Gemeinde und vor anderen Leuten schämt, den Namen Jesus zu nennen, der wird am Jüngsten Tag erleben müssen, wie Jesus verstummt und sich abwendet. Wer bekennt, ist bei Gott bekannt und anerkannt. Wer verleugnet, trennt sich von Gott. Das Bekenntnis zu Christus, damit aber zum dreieinigen Gott, ist nicht in unser Belieben gestellt, sondern heilsnotwendig.
Warum ist Jesus dieses Bekenntnis so wichtig? Es geht um eine vierfache Beziehung:
- die Beziehung zu Jesus. Das Bekenntnis zu Jesus drückt Verbindlichkeit und Treue aus. Wie bei Mann und Frau das Eheversprechen und der Ehering. Epheser 5,32 vergleicht die Beziehung zwischen Mann und Frau mit dem Verhältnis zwischen Christus und seiner Gemeinde. Es geht um einen exklusiven Liebesbund. Liebe zielt auf Eindeutigkeit ab, auch auf Abgrenzung von anderen möglichen Beziehungen. So ist es offensichtlich auch bei Jesus, der äußerst traurig darüber ist, dass Petrus ihn verleugnet. Ein einzelnes Versagen kann immer vergeben werden. Aber die Grundhaltung soll sein: „Ich folge Jesus Christus, und das ist gut so! Jeder in meiner Umgebung soll dies wissen.“ Das Bekenntnis drückt Verbindlichkeit und Treue aus.
- Das Bekenntnis betrifft damit auch die Beziehung zu Gott. Es ist Anerkennung und Ehrung seiner Majestät und Freundlichkeit. Jesus erklärt: „Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt den Vater nicht.“ (Joh 5,23) Wird er als Sohn Gottes anerkannt, dann wird auch der Erlösungsplan Gottes anerkannt. Gott wird neu erkannt als Schöpfer, Erlöser und Vollender der Welt in einer tiefen Liebe zum Sünder. Das Johannesevangelium arbeitet heraus, dass es Jesus in allem um die Ehre des Vaters geht: „Ich ehre meinen Vater.“ (Joh 8,23) Die Jesus-Predigt bringt Gott neu zu Ehren. Jeder Jünger, der Jesus glaubt, bringt Gott neu zu Ehren. Bekennen hängt aufs engste mit dem Ehren Gottes zusammen. Das ist deswegen so wichtig, weil die gefallene Welt Gott seine Ehre raubt (Röm 1,21).
- Bei der Bekenntnisfrage geht es gleichzeitig um die Beziehung zu sich selbst: „Weiß ich eigentlich, wo ich stehe? Bin ich mir im Klaren über Gott? Habe ich nur religiöse Gedanken? Oder bin ich ein Mensch, der lebt, was er denkt?“ In der Jesusbeziehung werden Persönlichkeiten geformt im Sinne von Klarheit, Aufrichtigkeit, Glaubwürdigkeit und Eindeutigkeit. Es gibt kein anonymes Christentum, sondern nur bekennendes. Römer 10 zeigt, dass Herz und Mund, Denken und Lebenshaltung in Ãœbereinstimmung kommen sollen. Das Bekenntnis hilft zu Klärung und Persönlichkeitsbildung.
- Das Bekenntnis betrifft die Beziehung zu anderen Menschen im eigenen Umfeld, aber auch die Öffentlichkeit. Jesus legt Wert darauf, dass wir vor anderen Menschen bekennen. Das hat den Effekt, das andere auf Jesus aufmerksam werden. Sie werden zum Glauben eingeladen oder im Glauben gestärkt. Ohne Freimut zum Bekenntnis zu Jesus ist keine Evangelisation oder Gemeindearbeit denkbar. Dabei wird immer deutlich, wer dem Evangelium nicht folgt und Christus ablehnt. Das Bekenntnis schafft Unterscheidung, manchmal auch Ablehnung, Druck und Verfolgung. Je mehr Druck aufs Christentum ausgeübt wird, desto klarer tritt hervor, welche Kraft es in sich trägt. In unserem Umfeld geht es um die Bekanntmachung des Evangeliums und die Unterscheidung zwischen Glaube und Unglaube.
3. Kirchliche Bekenntnisschriften
In der württembergischen Landeskirche legt jeder Pfarrer und jeder Kirchengemeinderat beim Antritt seines Dienstes ein Amtsgelübde ab: „Im Aufsehen auf Jesus Christus, den alleinigen Herrn der Kirche, bin ich bereit, mein Amt als Kirchengemeinderat zu führen und dabei mitzuhelfen, dass das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und in den Bekenntnissen der Reformation bezeugt ist, aller Welt verkündigt wird. Ich will in meinem Teil dafür Sorge tragen, dass die Kirche in Verkündigung, Leben und Lehre auf den Grund des Evangeliums gebaut wird, und will darauf achthaben, dass falscher Lehre, der Unordnung und dem Ärgernis in der Kirche gewehrt wird. Ich will meinen Dienst im Gehorsam gegen Jesus Christus nach der Ordnung unserer Landeskirche tun.“ In anderen Landeskirchen gibt es ähnliche Amtsgelübde.
Was ist mit den „Bekenntnissen der Reformation“ gemeint? Als Martin Luther im 16. Jhdt. das Evangelium in der Bibel neu entdeckte, musste er gemeinsam mit seinen Mitstreitern gegenüber der katholischen Kirche und dem Kaiser klarstellen, wo sich Irrtümer eingeschlichen hatten. Diese Klarstellungen wurden in verschiedenen Dokumenten zusammengefasst. Um einen Eindruck zu vermitteln von solch einer Bekenntnisschrift, seien an dieser Stelle die sogenannten Schmalkaldischen Artikel von Luther vorgestellt.
3.1 Die Schmalkaldischen Artikel
1536 sprach Papst Paul III. eine Einladung zu einem Konzil, eine Zusammenkunft aller Kirchenleiter, nach Mantua aus. Für die Beratungen darüber in Schmalkalden verfasste Luther ein Gutachten, das abstecken sollte, worüber man mit Rom diskutieren könne, worüber nicht. Dieses Gutachten grenzt sich gegenüber der katholischen Lehre stärker ab als das Augsburger Bekenntnis. Melanchthon verhinderte, dass es auf der Tagung in Schmalkalden 1537 als Bekenntnis der Protestanten angenommen wurde. Doch später fand es Eingang in das Konkordienbuch, eine Sammlung von Lehrdokumenten. So wurde es eine evangelische Bekenntnisschrift. Sie zeigt gut auf, wie wichtig Luther die Rechtfertigungsbotschaft ist, und warum sie sich nicht vereinbaren lässt mit dem katholischen Gottesdienst- und Kirchen-Verständnis. Luther spricht zu Beginn die Lehre vom dreieinigen Gott an und die Lehre von Jesus, der Gott und Mensch zugleich ist. Darüber brauche man nicht zu diskutieren, man sei sich einig. Gotteslehre und Christologie verbinden bis heute alle drei großen christlichen Weltkirchen. Ãœber die Person Jesu ist man sich einig, nicht aber über sein Amt und Werk, über die Lehre von der Erlösung. „Von diesem Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erden oder was nicht bleiben will; denn es ist kein anderer Name, dadurch wir können selig werden, spricht St. Petrus Act 4. Und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (BSLK 415f; zitiert nach der dritten Auflage 1956) Luther beschreibt seine Rechtfertigungslehre hier nicht mit theologischen Thesen, sondern mit aneinandergereihten Bibelworten. Rö 4,25: „Jesus, um unserer Sünde willen gestorben, um unserer Rechtfertigung willen auferweckt.“ Joh 1,29: „Siehe, das ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt.“ Jes 53,6: „Gott warf unser aller Sünde auf ihn.“ Erlösung muss geglaubt werden, man kann sie nicht durch Werke und Verdienste des Menschen erreichen. Aufgrund dieser Bibelworte soll man gewiss sein und nicht zweifeln; „sonst ist alles verloren, und behält Bapst und Teufel und alles wider uns Sieg und Recht“. (416)
Luther wendet diesen Hauptartikel von der Rechtfertigung als Kriterium auf die Gottesdienstpraxis an, sprich: die Messe, den Abendmahls-Gottesdienst der katholischen Kirche. „Die Messe im Papsttum muss der größte und schrecklichste Greuel sein, als die stracks und gewaltiglich gegen diesen Hauptartikel strebt.“ Warum? Weil die Messe als Opfer und Werk der Kirche verstanden wird, das dem Menschen gegen die Sünde hilft. Der Gottesdienstvollzug gilt als Gabe an Gott. Das Kreuzesopfer von Jesus wird gegenwärtig gesetzt und gewissermaßen neu vollzogen; also ist die Kirche beteiligt am Sühnen und Erwerben der Gnade.
Von den Einsetzungsworten her aber müssen Gottesdienst und Abendmahl ganz anders verstanden werden: Was Jesus am Kreuz an Gnade erworben hat, wird in Wort und Sakrament ausgeteilt. Es geht nicht um ein Geben oder Opfern, sondern um ein Empfangen im Glauben. Eucharistie als Werk der Kirche: das ist gerade so, wie wenn ein Gast ein Brot vom Tisch des Gastgebers nimmt und es ihm reicht – „schau, das schenke ich dir“. Das wäre freilich eine unangemessene Geste! Was auf dem Tisch bereitliegt, ist Geschenk des Gastgebers! Es geht ums Beschenktwerden von Gott, „ohn all Verdienst und Würdigkeit“, nicht um ein Schenken und Einwirken auf Gott; mit diesem irrigen Gedanken macht man Jesus sein Heilswerk streitig. Als hätte Jesus nicht ganze Arbeit geleistet und man müsse ihm noch nachhelfen.
Luthers Kritik zielt hauptsächlich auf den Gottesdienst; durch ihn wird das geistliche Leben geprägt. Wenn es mit dem Gottesdienst nicht stimmt, dann stimmt es auch mit dem geistlichen Leben der Christen nicht, mit dem Bibel- und Glaubensverständnis. Auch heute kämpfen wir nicht um die rechte Lehre wie um eine lebensferne Theorie, sondern um den Gottesdienst und die Verkündigung, die die Freude an Jesus und an der Gnade weckt, andernfalls auf Nebengleise führt, in Skepsis gegenüber der Bibel, Humanismus und Verdienstreligion. Mit der Messe weist Luther auch die Lehre vom Fegefeuer zurück, weil die sogenannten Seelmessen dem Zweck dienen, verstorbene Personen aus dem Fegefeuer zu befreien. Die Lehre vom Fegefeuer kam bereits in der Zeit der Alten Kirche auf (1. bis 4. Jhdt.); ein Missverständnis, das sich an 1.Kor 3,15 entzündete: „Er selbst wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch.“ Die Kritik Gottes am Christen, der insbesondere bei der Gemeindearbeit viel versäumt oder verdorben hat, wird verglichen mit Feuer. Es geht um Gottes Urteil über das Menschen-Werk, das im Gewissen brennt und beschämt. Doch der Christ wird trotzdem gerettet um Jesu willen. Dieser Gnadenbotschaft hat nichts zu tun mit der Vorstellung, der Christ müsse erst in einem Fegefeuer geläutert werden. Das ist ein Missverständnis. Die Fegefeuer-Lehre ist eine dunkle, unbiblische Drohung. Sie kündigt dem erlösten Christen eine höllische Zeit im Jenseits an mit unklarer Zeitbegrenzung. Wo sie gilt, wird die Bibel verfälscht.
Sozusagen im gleichen Atemzug verwirft Luther weitere kirchliche Praktiken, die mit der verdienstlichen Opfer-Messe zusammenhängen: Wallfahrten (Reisen zu Orten mit angeblich besonderer Heilswirkung), Bruderschaften und Klöster (Ordensbrüder und Mönche, die sich den Himmel verdienen wollen); Reliquiensammlungen (angebliche Hinterlassenschaften aus dem Urchristentum, die Erlass von Fegefeuerzeit bringen soll). Auch die Anrufung von heiligen Personen „streitet wider den ersten Hauptartikel und tilget die Erkenntnis Christi“, sagt Luther. Wenn Christus ganz erlöst, braucht es keine Unterstützung oder gar Mit-Erlösung durch Maria und andere vorbildliche Christen. „Summa: Was die Messe ist, was draus kommen ist, was dran hängt, das können wir nicht leiden und müssen’s verdammen.“ (425) Das ist eine harte Formulierung. Aber man muss sehen, dass diese Praxis Menschen massenweise in die Irre geführt hat mit Folgen für Zeit und Ewigkeit.
Luther hält das Selbstverständnis der katholischen Kirche für falsch: „Wir gestehen ihnen nicht zu, dass sie die Kirche sind, und sind’s auch nicht, und wollen auch nicht hören, was sie im Namen der Kirche gebieten oder verbieten; denn es weiß gottlob ein Kind von 7 Jahren, was die Kirche sei, nämlich die heiligen Gläubigen und ‚die Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören’; denn also beten die Kinder: ‚Ich glaube an die heilige christliche Kirche.’ Diese Heiligkeit steht nicht in Chorhemden, langen Röcken und andern Zeremonien, die sie über die Heilige Schrift erdichtet haben, sondern im Wort Gottes und rechtem Glauben.“ (459f) Diese Bestimmung ist dem katholischen Kirchenverständnis entgegengesetzt, zu dem unverzichtbar der Papst und die kirchliche Hierarchie gehören; der Messevollzug nur durch geweihte Priester; als Norm und Basis neben der Bibel auch die Tradition mit vielen Regeln für Gottesdienst und Kirchenjahr, inklusive Marienverehrung und Heiligenanrufung, Fronleichnamsprozession und Weihwasser. Luther will zur neutestamentlichen Gemeinde zurück. Er entfernt den Überbau, die Wucherungen der Tradition.
Das setzt einen Maßstab voraus, nämlich die Bibel. Luther spricht die Schriftfrage in den Schmalkaldischen Artikeln nicht an. Innerhalb der späteren Sammlung der Bekenntnisschriften findet sich in der Konkordienformel 1577 der wichtige Grundsatz des Schriftprinzips. Das bedeutet: Alles ist von der Bibel her zu begründen. Die Lutheraner bekennen sich „zu den prophetischen und apostolischen Schriften AT und NTs als zu dem reinen, lautern Brunnen Israels, welche alleine die einige wahrhaftige Richtschnur ist, nach der alle Lehrer und Lehre zu richten und zu urteilen sein“ (834).
3.2 Ein Ãœberblick
Die für lutherischen Kirchen maßgeblichen Bekenntnisschriften wurden 1580 im bereits erwähnten Konkordienbuch zusammengestellt. Es liegt bis heute als Buch vor: „Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche“. Der Sinn der Sammlung war der, die verschiedenen theologischen Richtungen im protestantischen Lager unter einen Hut zu bringen. Die reformierte Kirche hat eine eigene Bekenntnistradition, angefangen mit dem Heidelberger Katechismus von 1563, der mit der ersten berühmten Frage beginnt (Gütersloh, 3. Aufl. 1986, 15): „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre. Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst; und er bewahrt mich so, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt kann fallen, ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss. Darum macht er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens gewiss und von Herzen willig und bereit, ihm forthin zu leben.“
Das biblische Evangelium wird erkannt und persönlich angewendet. Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirchen unterscheiden sich vom Luthertum bei der Lehre von der Erwählung und vom Abendmahl. Wir beschränken uns hier auf die lutherische Bekenntnistradition. Im Folgenden werden die Texte aus dem Konkordienbuch kurz vorgestellt, die bis heute kirchenamtlich anerkannt und lehrreich sind:
- Das Konkordienbuch beginnt mit den drei altkirchlichen Symbolen: „Symbol“ bedeutet im theologischen Sinne: Erkennungszeichen des Christen; ein Tauf- und Glaubensbekenntnis. Das Apostolische Glaubensbekenntnis (Apostolicum): Wir sprechen es gemeinsam im Gottesdienst. Es stammt aus den Anfängen des Christentums. Das Nizänische Glaubensbekenntnis: Manchmal kommt es im Gottesdienst vor. Es ist dem Apostolischen Glaubensbekenntnis sehr ähnlich. Es wurde auf Synoden in Nicäa (bei Istanbul) 325 und Konstantinopel (= Istanbul) 380 von einem Konzil der Bischöfe angenommen. Es richtet sich gegen die Irrlehre der Arianer, die die Gottessohnschaft von Jesus bestreiten. Deshalb wird das Gottes-Wesen von Jesus besonders stark betont: „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftiger Gott vom wahrhaftigen Gott, geboren, nicht geschaffen, mit dem Vater einerlei Wesen“. Athanasianum: Das Bekenntnis des Athanasius. Er war ein wichtiger Bischof in Alexandria (Ägypten), der sich im 4. Jhdt. als Kämpfer gegen den Arianismus hervortat. Ob der Text wirklich von ihm stammt, ist umstritten. Dieses Bekenntnis ist viel länger als unser gewohntes Glaubensbekenntnis. Es besteht aus vielen Lehrsätzen. Sie halten den Glauben an den dreieinigen Gott fest. Ein Leitsatz lautet: „Wer da will selig werden, der muss vor allen Dingen den rechten christlichen Glauben haben.“
- Es folgt das Augsburgische Bekenntnis, das evangelische Hauptbekenntnis, 1530 auf dem Reichstag in Augsburg vor Kaiser und Papstgesandten vorgelegt. Luthers Freund Melanchthon hat es verfasst. Sein Ziel ist eine Einigung mit der katholischen Seite über die Kernpunkte christlicher Lehre. In 21 Artikeln werden die Themen vorgestellt, über die man sich aus der Sicht Melanchthons einigen können müsste, weil sie mit Schrift und Tradition übereinstimmen. Die Artikel 22-28 kommen auf die kontroversen Punkte zu sprechen: das Abendmahl ohne Kelchgenuss, das Zölibat (Eheverbot für Priester), das Verständnis des Mess-Gottesdienstes als Opfer, Mönchsgelübde, willkürliche bischöfliche Anordnungen gegen das Evangelium. Der Kaiser ließ einige katholische Theologen eine Widerlegung (Confutatio) anfertigen. Melanchthon antwortete mit einer ausführlichen Apologie, einer Verteidigung. Darin hält Melanchthon z.B. fest, dass sich der Römerbrief und der Jakobusbrief nicht widersprechen. Das Neue Testament lehrt: „der Glaube allein“! Das meint aber einen Glauben, der in der Liebe tätigist, lebendig und aktiv, nicht eingebildet, tot und ohne praktische Auswirkung.
- Darauf folgen die oben vorgestellten Schmalkaldischen Artikel von 1537.
- Im Traktat „Von der Gewalt und Obrigkeit des Papstes“ beschreibt Melanchthon die evangelische Sicht des Papstamtes. Der Papst will nach göttlichem Recht Oberhaupt aller Bischöfe sein. Er beansprucht das Schwert, agiert also wie ein weltlicher Fürst mit weltlichem Recht und Gewalt. Er verlangt, dass jeder Christ das Papstamt als heilsnotwendig akzeptieren muss. Dieser Anspruch wird als „falsch, ungöttlich und tyrannisch“ zurückgewiesen. Es wird aufgezeigt, was biblisch das Bischofsamt ist: der Dienst am Wort für die Gemeinde vor Ort; auch geistliche Aufsicht über die Kirche einer Region oder eines Landes, aber keine weltliche Herrschaft mit zwingender Autorität.
- Sodann führt das Konkordienbuch den Kleinen und Großen Katechismus Luthers als verbindliche Lehre auf. Luther schrieb die Katechismen 1529, weil er bei Besuchen in Kirchengemeinden feststellte, dass die Leute wenig Ahnung hatten vom Glauben und dass auch bei den Pfarrern viel Chaos in den Köpfen herrschte. Der Kleine Katechismus war als Unterrichtshilfe für Pfarrer gedacht. Und als Lernbüchlein, das der Hausvater verwendet, um seinen Kindern den Glauben beizubringen. Ursprünglich waren die Katechismus-Sätze auf Tafeln gedruckt, die man im Haus aufhängen und auswendig lernen konnte. Der Katechismus bringt die eiserne Ration unters Volk: 10 Gebote, Glaubensbekenntnis, Vaterunser; und was man über Taufe, Beichte und Abendmahl wissen sollte. Auch der berühmte Morgen- und Abendsegen steht im Katechismus. Der Große Katechismus behandelt dieselben Stücke, nur ausführlicher. Er stellt einen Unterricht für Pfarrer dar, damit sie wissen, was sie predigen sollen.
- Schließlich findet sich in der Bekennntis-Sammlung die Konkordienformel von 1577: eine theologische Lehrschrift, die 12 strittige Punkte abhandelt. Sie betreffen u.a. die Erbsünde, den unfreien Willen und das Abendmahl. Der württembergische Theologe Jakob Andreä brachte damit die Einigung zwischen verschiedenen theologischen Richtungen in Deutschland zustande, die nach dem Tod Luthers entstanden waren. Einige Akzentsetzungen Melanchthons wurden von etlichen favorisiert, von andern scharf abgelehnt. Das Bekenntnis grenzt sich ab gegen „die Täufer“ – wir würden heute sagen: Baptisten; und gegen den Calvinismus, die reformierte Theologie, die das Abendmahl eher als eine symbolische Zeichenhandlung versteht, ohne den in Brot und Wein gegenwärtigen Christus.
- Das Konkordienbuch schließt mit einem Verzeichnis der Zeugnisse (Catalogus testimoniorium): damit sind Lehrsätze der alten Kirchenlehrer gemeint. Die Zitatensammlung zeigt, dass die Reformation nichts Neues lehrt, sondern dass man die Linie der orthodoxen, d.h. der rechtgläubigen Bischöfe der Alten Kirche verfolgt. Die Faustregel lautet: „Das Neue im Christentum ist immer das Falsche.“ Das kann man schon im Galaterbrief studieren: „Mich wundert, dass ihr euch so bald abwenden lasst zu einem andern Evangelium, obwohl es doch kein andres gibt.“ (Gal 1,6f) Es lohnt sich, den Glauben auch zu stärken durch das Lesen von Glaubensvätern älterer oder neuerer Zeit.
Das Konkordienbuch stellt für die lutherische Kirche die Bekenntnisschriften im engeren Sinne dar. Alle Landeskirchen anerkennen heute auch die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen 1934 als „theologisches Zeugnis“, damit als wichtigen Orientierungstext. Als im dritten Reich die NSDAP versuchte, die verfassten Kirchen dem Staat zu unterwerfen und durch die Bewegung der „Deutschen Christen“ braunes Gedankengut in die Theologie und Gemeinde hineinzutragen, wehrte sich die Bekenntnissynode von Barmen mit einer 6-Punkte-Erklärung. Die These 1 lautet: „Jesus Christus, wie er in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören… haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“ Dieser Satz weist die neuen Lehren der Deutschen Christen, eine von allem Jüdischen gereinigte Blut-und-Boden-Theologie, zurück. Man kann hier studieren: das Bekenntnis wirkt dann kraftvoll, wenn es den aktuellen Irrlehren seiner Zeit entgegengesetzt wird. Das Alte muss immer wieder neu gesagt werden, damit es wieder greift und trifft und alle den Unterschied und die Abgrenzung verstehen können.
3.3 Die Hilfestellung
Inwiefern ist die Beschäftigung mit den Bekenntnisschriften eine Hilfe?
- Man bekommt eine Ahnung vom Wunder der jahrhundertealten, von Jesus bewahrten Kirche. Schon im 3. und 4. Jahrhundert haben Christen um die Gotteslehre und die Christologie (Lehre von Jesus Christus) gerungen und gegen die Irrlehre das Richtige festgehalten. Das ist eine gute Basis für nachfolgende Generationen.
- Man bekommt ein Verständnis dafür, was evangelisch ist. Die Reformatoren rücken die Hauptsache an der Bibel in den Mittelpunkt: dass Jesus, der Gekreuzigte und Auferstandene, Sünder von Sünde, Tod und Teufel erlöst, einfach aus Gnade. Sie gilt jedem, der bereut, umkehrt und glaubt. Man kommt ins Staunen über das Gnadenevangelium.
- Man wird ermutigt, genau hinzuschauen und das biblische Evangelium als Kriterium anzuwenden für Verkündigung, Gottesdienst, Seelsorgepraxis und Gemeindeleben. Wo das Gotteswort unterdrückt wird und die Gemeinde unter dem Wort zur religiösen, humanistischen oder politischen Vereinigung umfunktioniert wird, muss man aufstehen und widersprechen. Die Reformatoren machen Mut: Erneuerung durchs Wort, durch die Wahrheit, durch den Heiligen Geist ist möglich.
- Die Bekenntnisschriften ermutigen zum Zeugnis gerade in der evangelischen Kirche, die sich verfassungsmäßig auf die Bekenntnisschriften als Lehrgrundlage festgelegt hat. Allerdings ist diese Lehrgrundlage der Bibel untergeordnet und kann von der Bibel her jederzeit kritisch hinterfragt werden. Doch wer anfängt, sich mit den Bekenntnisschriften zu beschäftigen, erkennt ihre tiefe biblische Verwurzelung. Sie liefern eine gute Argumentationsgrundlage für eine evangelische, biblisch begründete Sichtweise. Sie führen zu einem vom Evangelium bestimmten Gemeindeleben hin. Wir sollten mit Berufung auf die Bekenntnisschriften der originalen Jesusbotschaft und der Lehre der Apostel Raum verschaffen.
Quelle: Die Regenbogenkirche bricht mit dem Bekenntnis. Handreichung des Arbeitskreises Württemberg des Netzwerks Bibel und Bekenntnis (Juli 2024)
Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 29. Juli 2024 um 12:41 und abgelegt unter Gemeinde, Kirche, Kirchengeschichte, Theologie.