»… ich habe dich bei deinem Namen gerufen …« Andacht zum Wochenspruch (6. Sonntag nach Trinitatis, Woche ab 7.7.2024)
Montag 8. Juli 2024 von Pastor Heinrich Kemner (1903-1993)
»… ich habe dich bei deinem Namen gerufen …« (Jesaja 43,1)
Den Russen entkommen, suchte ich im Sommer 1945 die Heimat. Nach abenteuerlichen Wegen erreichte ich sie schließlich. Durch die Entbehrungen geschwächt, war ich im Grunde nur noch Haut und Knochen.
Als ich den Ahldener Kirchturm endlich erblickte, kamen mir Tränen der Freude. Ein Hindernis war noch vor dem Pfarrhaus. Die Brücke über die Aller war gesprengt. Endlich kam eine Fähre. Aber wie erschrocken war ich: Die ganze Fähre war voller Gemeindemitglieder.
Sollte mich denn kein einziger erkennen? Als wir mitten auf dem Wasser waren, rief plötzlich die Mutter meines Frisörs: »Unser Pastor, unser Pastor!« Bei der Begrüßung lag die Fähre eine Weile still. Am Ufer angekommen, rannte die Frau voraus und rief meine Frau, die sie beim Erbsenpflücken fand. Vor Freude ließ meine Frau alles stehen und liegen und lief mir entgegen. Zehn Meter vor mir blieb sie stehen, entdeckte mein verändertes Aussehen und rief: »Bist du es, oder bist du es nicht?« Ich nannte sie beim Namen, das genügte.
War es bei Maria Magdalena nicht ähnlich? Und doch hatte die Begegnung mit dem Auferstandenen, der Namensanruf, ein undeutba-res Geheimnis. Der Gekreuzigte war der Auferstandene. Aber im Auferstehungsleib war nicht sofort die Leiblichkeit Jesu zu erkennen.
»Wie wir getragen haben das Bild des Irdischen, so werden wir auch tragen das Bild des Himmlischen«, sagt Paulus in 1. Korinther 15. Das Bild geht durch Sarg und Grab mit hindurch. Aber doch ist die verklärte Leiblichkeit anders als die Leiblichkeit von Fleisch und Blut, die das Reich Gottes nicht ererben kann.
Wie die Emmausjünger und manche andere Auferstehungszeugen in dem Auferstandenen nicht augenblicklich den Gekreuzigten in seiner verklärten Leiblichkeit erkannten, so erging es auch Maria Magdalena.
Erst der Namensanruf eröffnete ihr den Weg zum vollen Osterjubel.
Das Geheimnis der Person wird im Namen geweckt. Mit diesem Anruf begann die Geschichte bei Zachäus. Mit dem Namensanruf wird auch im Alten Testament das Geheimnis zwischen menschlicher und göttlicher Begegnung gedeutet: »Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!«
Wer immer mit einem betrübten und sorgenvollen Herzen nach Ostern hin sucht und fragt, wer immer, wie Maria, am offenen Grab weint und den Trost sucht, der allein durch die Begegnung mit dem Auferstandenen geschenkt werden kann, für den erbitte ich, daß der Herr ihn in seiner ungelösten Lebensfrage beim Namen rufen möge. Es ist ein Geheimnis, was auch heute noch erfahrbar ist, daß der Auferstandene uns in seinem Wort, wenn der Heilige Geist es aufschließt, so begegnen kann, daß wir uns durch Jesus gerufen wissen. Wer das Geheimnis von Ostern so erlebt, der kann nur in staunender Anbetung wie Maria stammeln: »Rabbuni, mein Meister!«, der nimmt wie Thomas die Ostergabe: »Mein Herr und mein Gott!«
Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 8. Juli 2024 um 8:36 und abgelegt unter Allgemein, Predigten / Andachten.