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Strafe für abweichende Meinung

Montag 17. September 2007 von Frankfurter Allgemeine Zeitung


Frankfurter Allgemeine Zeitung

Robert von Lucius
Strafe für abweichende Meinung. Der Fall Käßmann und der Fall Führer: Die evangelische Kirche bewegt ein Streit über eine Amtsenthebung

HANNOVER, 16. September. Ein Streit über die Amtsenthebung eines Geistlichen in Bückeburg bewegt derzeit die evangelische Kirche: Landeskirchen und Kirchenämter schauen mit Spannung auf den Ausgang eines Machtkampfs, bei dem es nicht nur um Rechthaberei unter zwei Männern oder um unterschiedliche theologische Positionen geht. Im „Fall Führer“ stellt sich vielmehr die Frage, ob sich leitende Geistliche künftig hüten müssen, ihre theologisch begründete Meinung innerkirchlich oder öffentlich zu äußern, und es geht darum, ob politische Korrektheit in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vonnöten ist.

Einen vergleichbaren Fall habe es, berichtet einer der einflußreichsten deutschen Staatskirchenrechtler in der EKD, noch nicht gegeben. Die Evangelische Landeskirche Schaumburg-Lippe hatte ihren obersten Theologen, Werner Führer, im Juni seines Amtes enthoben, weil er der hannoverschen Landesbischöfin Margot Käßmann nach ihrer Scheidung einen Rücktritt nahelegte. Oberkirchenrat Führer vertritt in vielen Fragen Minderheitenpositionen, versucht diese aber mit seiner Deutung lutherischen Glaubens zu belegen. Sein Zerwürfnis mit Landesbischof Johannesdotter, dessen Stellvertreter er ist (oder je nach Ausgang des Machtkampfs war), ist offenbar tief. Es ging bis hin zum Streit darüber, wer denn die Briefe im Landeskirchenamt zuerst lesen dürfe.

Der Anlass zum Streit: Als Käßmann als erste amtierende Bischöfin ihre Scheidung ankündigte, hatte sie erwogen, ihr Amt niederzulegen, sich aber dagegen entschieden. Das respektierten andere Kirchen, zumindest schwiegen sie – mit der Ausnahme von Führer. Zudem warf er, falsch informiert, ihr berechnendes Verhalten vor und entschuldigte sich dafür später. Käßmann akzeptierte das und hoffte, damit werde dieser Vorfall vergessen. Die Landeskirche Schaumburg-Lippe aber wollte das nicht auf sich beruhen lassen oder sah eine scheinbar günstige Gelegenheit, einen manchen unliebsamen Kirchenmann aus seinem Amt zu drängen. Damit erst wurde die breitere Aufmerksamkeit auf „den Fall Führer“ und auch auf den Fall Käßmann gelenkt. Ihr ist die vermeintliche Solidarität der kleinen Nachbarkirche höchst unlieb.

Diese enthob Führer seines Amtes. Er klagte dagegen und bekam am 1. August vom Rechtshof der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen recht. Er habe sich zwar fehlerhaft verhalten, seine Entlassung aber sei unverhältnismäßig und damit rechtswidrig, entschied die Richterin und sagte vorahnend, eine Versetzung in den Wartestand wäre erst recht rechtswidrig. Die Landeskirche hob zwar vier Tage nach dem Urteil Führers Suspendierung auf, verweigert ihm aber trotz des eindeutigen innerkirchlichen Gerichtsspruchs weiterhin den Zugang zu seinem Arbeitszimmer. Sie erwägt derzeit für den 58 Jahre alten Führer den Wartestand – ein vorzeitiger Ruhestand mit anderem Namen. In den nächsten Tagen will sie entscheiden. Damit reagierte sie auf einen Fehler Führers mit einem noch weit größeren, sagen Kirchenrechtler. Der Anwalt Führers hat eine Klage auch dagegen angekündigt – angemessen als Disziplinarstrafe wäre nur eine Rüge, eine Geldbuße oder eine Gehaltskürzung.

Niemand will sich derzeit öffentlich äußern. Führer erlaubt seinem Anwalt nicht, das Urteil dieser Zeitung zur Verfügung zu stellen. Die Landeskirche hat in keiner Presseerklärung die Suspendierung ihres zweiten Mannes gemeldet, wiewohl dadurch die anfangs drei Personen umfassende Kirchenleitung derzeit nur aus einer Person, dem Bischof, besteht. Die vierteljährliche Kirchenzeitschrift bildet zwar in fast jedem Heft den Bischof ab und andere kirchliche Mitarbeiter, meidet aber dessen Stellvertreter. Ein Schleier des Schweigens und Unwohlseins begleitet den „Fall Führer“ auf allen Seiten. Er sei ein Alarmsignal für die Kirche, sagt ein Pfarrer, der bereit ist zu sprechen (er ist im Ruhestand).

Der Zwist kann sich, wenn die Landeskirche das Urteil weiterhin nicht beachtet, ausweiten zu einer Debatte über kirchliche Gerichtsbarkeit und Strukturen und die Rolle und Ãœberlebensberechtigung kleiner Landeskirchen. In einer größeren Landeskirche mit juristischem Sachverstand hätte das, so glauben Kirchenrechtler, nicht geschehen können. Die Landeskirche Schaumburg-Lippe aber umfaßt nur 22 Gemeinden in der Grenzregion zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Mit 67 000 Gemeindemitgliedern ist sie neben der Landeskirche Anhalt die weitaus kleinste der 23 Gliedkirchen der EKD. Die Landeskirche Hannover – bei der Wahl zu ihrem Vorsitz war 1999 pikanterweise Johannesdotter ein Gegenkandidat zu Frau Käßmann – ist mit 3,1 Millionen Mitgliedern fünfzigmal so groß wie Schaumburg-Lippe, das trotz des Zusammenschlusses von viel größeren Landeskirchen auf seiner Selbständigkeit beharrt. Allein der Stadtkirchenverband Hannover ist viermal so groß wie die Landeskirche im Süden, die stets Sonderwege ging – so lehnte sie jahrzehntelang eine Ordination von Frauen ab.

Quelle: F.A.Z., 17.09.2007, Nr. 216 / Seite 4

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 17. September 2007 um 11:07 und abgelegt unter Kirche, Pressemeldungen.