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Die KIGALI-VERPFLICHTUNG 2023. Ein Bericht mit Anmerkungen von Ulrich Parzany

In Kigali, der Hauptstadt von Rwanda, fand vom 17. bis 21. April 2023 die 4. Globale Anglikanische Zukunftskonferenz (Global Anglican Future Conference – GAFCON) statt. 1.302 Delegierte kamen aus 52 Ländern. Darunter waren 315 Bischöfe. Die GAFCON-Bewegung begann 2008. Anlass war der Konflikt um praktizierte Homosexualität und die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Aber es ging von Anfang an um die Grundlagen des christlichen Glaubens. Bei GAFCON IV wurde am 21.4.2023 das KIGALI COMMITMENT beschlossen. Diese Erklärung hat m.E. kirchengeschichtliche Bedeutung.

In einer der großen reformatorischen Kirchengemeinschaften, die bis jetzt ihr bestimmendes Zentrum in Europa hatte, kündigt die überwältigende Mehrheit der verbundenen Kirchen ihrem Oberhaupt und den leitenden Institutionen die Gefolgschaft auf. Die Mehrzahl der Kirchenmitglieder der Anglikanischen Kirchengemeinschaft wie überhaupt der christlichen Kirchen lebt auf der südlichen Erdhalbkugel. Wer meint, die europäischen Kirchen könnten dem Rest der Welt ihre Theologie aufzwingen, weil sie noch mehr Geld hätten, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden.

Weil GAFCON und die KIGALI-VERPFLICHTUNG in Deutschland bisher nur geringe Aufmerksamkeit erhält, berichte ich hier.

An der Konferenz in Kigali nahmen auch leitende Bischöfe der “Global South Fellowship of Anglican Churches“ (GSFA) teil. Zusammen mit den leitenden Bischöfen, die zu GAFCON gehören, repräsentierten sie die überwältigende Mehrheit (etwa 85%) der geschätzt etwa 80 Millionen Anglikaner weltweit. Die weltweite anglikanische Gemeinschaft (Anglican Communion) ist ein Zusammenschluss von bischöflich verfassten Kirchen, die durch die Reformation bestimmt sind, aber auch katholische Elemente in ihrem hochkirchlichen Flügel bewahrt haben. Der Erzbischof von Canterbury gilt als ihr geistliches Oberhaupt. Alle 10 Jahre lädt er Bischöfe zur „Lambeth Conference“ nach London ein. Außerdem treffen sich die leitenden Bischöfe der 41 Provinzen in unregelmäßigen Abständen zum „Primate’s Meeting“. Etwa alle drei Jahre berät ein „Anglican Consultative Council“ die Anliegen der Kirchengemeinschaft. Diese vier „Instrumente der Gemeinschaft“ („Instruments of Communion“) sind die Leitungsorgane der Anglikanischen Weltgemeinschaft.

Nun haben sich die in Kigali vertretenen Vertreter der überwältigenden Mehrheit der Anglikaner nicht nur von ihrem Oberhaupt, dem Erzbischof von Canterbury, losgesagt, sondern auch die Leitungsautorität der vier „Instrumente der Gemeinschaft“ bestritten.

Ich berichte mit Zitaten aus der Kigali Verpflichtung (Kigali Commitment). Da es bisher keine offizielle deutsche Übersetzung dieses Textes gibt, biete ich im Folgenden meine eigene Übersetzung an. Ich empfehle aber dringend, den Originaltext in englischer Sprache zu lesen:

https://www.gafcon.org/news/gafcon-iv-the-kigali-commitment

Die KIGALI-Verpflichtung (in Auszügen)

Absage an Autorität der Bibel zerstört Gemeinschaft

Im Absatz „Die Autorität des Wortes Gottes“ („The Authority of God’s Word“) heißt es:

„Die gegenwärtigen Spaltungen in der Anglikanischen Gemeinschaft sind durch radikale Abwendung vom Evangelium des Herrn Jesus Christus verursacht worden. Manche in der Gemeinschaft sind durch leere und trügerische Philosophien dieser Welt gefangen genommen worden (Kolosser 2,8). Ein solches Versagen, das Wort Gottes zu hören und zu beachten, untergräbt die Mission der Kirche insgesamt. Die Bibel ist Gottes geschriebenes Wort, von Gott eingegeben, als es von seinen treuen Boten geschrieben wurde (2.Timotheus 3,16). Sie hat Gottes eigene Autorität, legt sich selber aus, sie muss nicht ergänzt und sie kann auch niemals durch menschliche Weisheit aufgehoben werden. Gottes gutes Wort ist die Regel für unser Lebens als Jünger Jesu und die höchste Autorität in der Kirche. Es begründet, gibt Kraft und steuert unsere Mission in der Welt. Die Gemeinschaft, an der wir uns mit unserem auferstandenen und erhöhten Herrn freuen, wird genährt, indem wir Gottes Wort vertrauen, ihm gehorchen und einander ermutigen, dass es alle Bereiche unseres Lebens gestaltet. Die Gemeinschaft wird zerbrochen, wenn wir uns von Gottes Wort abwenden oder es in einer Weise umdeuten, dass der klare Wortsinn in seinem biblischen Zusammenhang verdreht wird, und so seine Wahrheit, Klarheit, Vollgenügsamkeit und damit seine Autorität verneinen.“

Über die aktuelle Krise in der Anglikanischen Gemeinschaft

„Trotz der seit 25 Jahren andauernden Warnungen durch die meisten leitenden Bischöfe, ist der Zusammenhalt der Gemeinschaft durch wiederholte Abwendungen von der Autorität des Wortes Gottes zerrissen worden. Diese Warnungen wurden offen und absichtlich missachtet. Jetzt kann dieser Riss ohne Buße nicht mehr repariert werden.“

Die Entscheidung, die Sünde zu segnen

„Die letzte dieser Veränderungen war die Mehrheitsentscheidung der Generalsynode der Kirche von England im Februar 2023, durch die Vorschläge der Bischöfe, dass gleichgeschlechtliche Paare Gottes Segen empfangen sollen, angenommen wurden. Es betrübt den Heiligen Geist und uns, dass die Leitung der Kirchen von England entschieden hat, Sünde zu segnen.“ (“It grieves the Holy Spirit and us that the leadership of the Church of England is determined to bless sin.”)

„Weil der Herr gleichgeschlechtliche Gemeinschaften nicht segnet, ist es seelsorgerisch betrügerisch und gotteslästerlich, Gebete zu formulieren, die Segen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zusprechen.“

„Jede Ablehnung, der biblischen Lehre zu folgen, dass der einzig angemessene Kontext für sexuelle Aktivität die ausschließliche, lebenslange Gemeinschaft eines Mannes und einer Frau in der Ehe ist, verletzt die geschaffene Ordnung (1.Mose 2:24; Matthäus 19,4-6) und gefährdet das Heil (1.Korinther 6,9). Öffentliche Stellungnahmen durch den Erzbischof von Canterbury und andere Leiter der Kirche von England zur Unterstützung von Segnung gleichgeschlechtlicher Paare sind Verrat an ihren Ordinations- und Weihegelübden, dem Irrtum zu wehren und die in der Schrift gelehrte Wahrheit zu wahren und zu verteidigen.“

„Wir haben kein Vertrauen, dass der Erzbischof von Canterbury oder die anderen Institutionen der Gemeinschaft, die er leitet (die Lambeth Conference, der Anglican Consultative Council und die Primates’ Meetings) in der Lage sind, einen gottgefälligen Weg vorwärts anzubieten, der für die akzeptabel ist, die der Wahrheit, Klarheit, Vollgenügsamkeit und Autorität der Heiligen Schrift verpflichtet sind. Die Institutionen der Gemeinschaft („Instruments of Communion“) haben versagt, die wahre Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, die auf dem Wort Gottes und dem gemeinsamen Glauben an Christus gegründet ist.“

„Good disagreement“?

„Alle vier Institutionen schlagen für die Anglikanische Gemeinschaft als Weg nach vorne vor, zu lernen, gemeinsam in ‚guter Meinungsverschiedenheit/Uneinigkeit‘ (‚good disagreement‘) zu gehen. Wir lehnen die Behauptung ab, dass zwei gegensätzliche Positionen in Angelegenheiten, die das Heil betreffen, gültig sein können. Wir können nicht mit denen in guter Meinungsverschiedenheit gemeinsam gehen, die absichtlich den Weg weg von dem Glauben, „der ein für allemal den Heiligen überliefert ist“ (Judas 3), gewählt haben. Das Volk Gottes ‚geht auf seinen Wegen‘, ‚geht in der Wahrheit‘ und ‚geht im Licht‘, all das erfordert, dass wir nicht in christlicher Gemeinschaft mit denen in Finsternis gehen. (5.Mose 8,6; 2.Johannes 4,1; 1.Johannes 1,7)“

Die leitenden Bischöfe in Kigali sehen sich nicht als die Spalter der Gemeinschaft. Die Spaltung geschieht durch die Entscheidungen der Kirche von England. „Die Kirche von England hat gewählt, ihre Beziehungen mit den orthodoxen Provinzen in der Gemeinschaft zu beschädigen.“ (The Church of England has chosen to impair her relationship with the orthodox provinces in the Communion.)

Ruf zur Buße

Das „Kigali Commitment“ spricht ausführlich über die Notwendigkeit der Buße. Sie habe die Konferenz an jedem Tag bestimmt. Die Teilnehmer sind selbst zur Buße bereit und sehen Buße als Weg zur Erneuerung der Kirche. Ohne Buße könne der Bruch der Gemeinschaft nicht geheilt werden.

Sichere Häfen: neue Diözesen

Da die Anglikanische Kirche eine bischöfliche Verfassung hat, bildet GAFCON neue Diözesen (Bischofsbezirke), um Gläubigen eine Zuflucht zu gewähren. So die „Anglican Church in North America” (ACNA), die “Anglican Church in Brazil”, das “Anglican Network in Europe” (ANiE), die “Church of Confessing Anglicans Aotearoa New Zealand”, und die “Diocese of the Southern Cross”. Es heißt ausdrücklich: “Wir ermutigen die leitenden Bischöfe von GAFCON, weiterhin für solche sicheren Häfen für treue Anglikaner zu sorgen.“ Den Mitgliedern der Kirche von England, die mit dem Kurs ihrer Leitung nicht einverstanden sind, sichern sie Unterstützung zu. In dem Zusammenhang wird besonders das „Anglikanische Netzwerk in Europa“ genannt. Wir sind gespannt, was das in Zukunft bedeutet.

Man darf auch gespannt sein, wie die Entwicklung in der Kirche von England weitergeht. Es gibt dort nicht wenige, die mit GAFCON verbunden sind. Die evangelikale Theologie des Anglikaners John Stott und anderer Engländer hat die Lausanner Bewegung für Weltevangelisation maßgeblich bestimmt. Neue Ansätze des missionarischen Gemeindeaufbaus der Kirche von England fanden starke Resonanz in den Missionarischen Diensten der evangelischen Kirchen in Deutschland. Die evangelikalen Anglikaner in Großbritannien werden sich wohl kaum so widerstandslos ins kirchliche Abseits drängen lassen, wie wir es uns in den evangelischen Kirchen in Deutschland haben gefallen lassen.

Angemessene Seelsorge

„Im Bewusstsein unserer eigenen Sünde und Gebrechlichkeit verpflichten wir uns selbst, allen Menschen in unseren Kirchen angemessene Seelsorge  zu bieten. Das ist angesichts der gegenwärtigen Konfusion um Sexualität und Gender besonders nötig, die bewusst und systematisch weltweit vorangetrieben wird.“

„Angemessene Seelsorge bestärkt Treue in der Ehe und Enthaltsamkeit für Alleinlebende. Es ist keine angemessene Seelsorge, Menschen fehlzuleiten und zu behaupten, dass Gott sexuell aktive Beziehungen von Menschen gleichen Geschlechts segnet. Das ist lieblos, weil es sie zum Irrtum führt und ihnen einen Stolperstein auf den Weg ins Reich Gottes legt (1.Korinther 6,9-11)“

„Wir bekräftigen, dass jede Person von Gott geliebt wird und dass wir entschlossen sind zu lieben, wie Gott liebt…. Wir sind gegen Verachtung und Herabwürdigung von Personen, einschließlich derer, die Gottes Wegen nicht folgen, weil Menschen zum Ebenbild Gottes geschaffen sind. Wir danken Gott für alle, die dem Wort Gottes treu zu leben suchen auch angesichts aller sexueller Versuchungen.“

GAFCON in Zukunft

Auf Vorschlag des Generalsekretärs von GAFCON, Erzbischof Benjamin Kwashi, Jos in Nigeria, hat der Rat der leitenden Bischöfe für die Zukunft sieben Prioritäten beschlossen, die hier zusammengefasst wiedergegeben werden:

– Eine Dekade der Jüngerschaft, der Evangelisation und Mission (2023-2033)

– Die nächsten Generation von Leitern soll Bibel-basiert theologisch ausgebildet werden.

– Jugendliche und Kinder sollen das Wort Gottes kennen lernen und in der Nachfolge Jesu wachsen

– Dienste von Frauen, einschließlich der Leitungsdienste, sollen gestärkt werden.

– Die GAFCON-Barmherzigkeitsdienste sollen erweitert werden.

– Bischöfe sollen zu treuen, mutigen und dienenden Leitern fortgebildet werden.

– Die Gemeinschaft der leitenden Bischöfe  soll durch gegenseitige Besuche gefördert werden.

Zum Schluss heißt es im Kigali Commitment:

„Am allerwichtigsten ist, dass wir uns neu zu dem Auftrag verpflichten, das Evangelium vom gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Christus zu verkündigen, alle aufzurufen, ihn als Herrn in Buße und Glaube anzuerkennen, und voll Freude und in Treue seinem Wort in allen Bereichen unseres Leben gehorsam zu sein. Wir wollen neue Wege erforschen, uns gegenseitig zu ermutigen, füreinander zu beten und uns einander in diesen Dingen Rechenschaft zu geben.“

Ausgewählt, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Ulrich Parzany (26.4.2023)