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Predigt über Joh. 15,7-11: In Jesus bleiben, bringt bleibende Frucht.

Das Johannesevangelium ist nichts für unterkühlte Analytiker, die einen fortlaufenden Gedankengang suchen, der in logischer Folge Punkt für Punkt aneinander reiht. Nicht umsonst nennt Martin Luther in der ersten Ausgabe seiner deutschen Übersetzung des Neuen Testaments von 1522, das „Johannisevangelion“ das „einzige zarte rechte Hauptevangelium.“ Wir sind also bei Johannes aufgefordert, unsere Logik draußen zu lassen und uns mit Liebe einzulassen auf seine umkreisende Denkweise.

7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. 8 Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger. 9 Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! 10 Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe, so wie ich meines Vaters Gebote gehalten habe und bleibe in seiner Liebe. 11 Das habe ich euch gesagt, auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde. (Joh 15,7-11)

Wer nun um Johannes 15 herumgeht und diesen spiralförmigen Gedanken nachgeht, der wird immer wieder auf die zwei Worte stoßen: Frucht bringen. Imperativ! Befehlsform: Bringt Frucht! Jesus sagt es beim Abschied zu den paar Jüngern, zu den Treuen, die ihm nicht die Gefolgschaft aufgekündigt haben: Bringt Frucht! Und wenn wir mehr sein wollen als kirchliche Trittbrettfahrer, die nur auf- und abspringen, mehr als fromme Spießer, die nur lamentieren und kritisieren, mehr als christliche Genießer, die nur konsumieren und vegetieren, wenn wir Jünger sein wollen, Nachfolger, Mitarbeiter, Engagierte, dann gilt dieser Imperativ uns: Bringt Frucht!

Liebe Gemeinde! Die Kirche ist ein riesiger Baum geworden. Trotz einigem Gegenwind ist aus dem zarten Setzling ein großer Stamm geworden. Viele Zweige geistlichen Lebens bilden eine imposante Krone. Nun kann man sich vor diesen Baum stellen und ihn bewundern oder belächeln. Man kann sich auch unter diesen Baum setzen und sich in seinem Schatten wohl sein lassen. Man kann sich sogar in die Zweige setzen und wie die Vögel auf alles pfeifen. Aber Jesus will in der Kirche keine Gaffer, Gähner und Genießer, sondern Früchtebringer. Betet mit, ringet mit, arbeitet mit. Das ist gefragt.

So steht der Evangelist Johannes im Einklang mit allen Zeugen des Neuen Testaments, wenn er ruft: Bringt Frucht!

Was meint er damit? Was ist Frucht? Man kann allgemein an menschliche Taten denken, an Guttaten und Wohltaten. Aber Johannes 15 meint mehr. Man kann an paulinische Stellen wie Galater 5,22 denken, wo unter dem Stichwort Frucht von Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Glaube, Sanftmut, Keuschheit, auch von Gerechtigkeit und Wahrheit die Rede ist. Aber Johannes 15 meint mehr. Adolf Schlatter, der große Bibelausleger, vermerkt in seinen Erläuterungen zum NT dazu: „Die Menschen, die die Jünger zu Gott führen, die Gemeinde, die durch ihren Dienst zu Gott berufen wird, das ist die Frucht, die an den Reben wächst.“ So hat der Begriff Frucht einen doppelten Inhalt: Glaubenswachstum und Gemeindewachstum. Frucht bringen heißt, im Glauben wachsen und evangelistisch etwas bringen. Frucht bringen heißt, dynamisch etwas bringen.

Wer auf seinem Glauben sitzenbleibt, ist eine faule Tomate, die nichts bringt. Wenn unserem Glauben keine Füße, keine Hände und kein Mund mehr wachsen, dann ist er abgestorben. Wo nur noch ein christlicher Lebensstil ohne missionarischen Elan kultiviert wird, da ist keine auf dem Weinstock gewachsene Frucht.

Also: Bringt viel Frucht!

Nun müssen wir heute überall etwas bringen. In der Schule sind’s ordentliche Noten, sonst wird’s nichts mit dem Studium. Im Betrieb sind’s hohe Stückzahlen, sonst gehören wir in kurzer Zeit zum Heer der Arbeitslosen. Im Büro sind’s gute Leistungen, sonst bleiben wir auf einer miesen Gehaltsstufe sitzen. Nur wer büffelt und strebt, sich auf den Hosenboden setzt und sich ins Zeug legt, der schafft’s. Kommt also zu aller Plackerei, mit der wir es die Woche über zu tun haben: noch am Sonntag ein weiterer Imperativ hinzu: Bringt viel Frucht!? – Gott sei Dank nicht. Immer wenn es um Frucht geht, wird nicht befohlen und nicht angetrieben, nicht gezwungen und nicht gedroht.

Noch kein Bauer stand vor seinem Obstbaum und kommandierte: „Auf die Plätze, fertig, los! Wer zuerst reift, hat gewonnen.“ Auf Kommando wächst nichts, auch nicht im Glauben. Früchte lassen sich nicht befehlen. Frucht muss wachsen. Deshalb heißt es hier nicht: Wer büffelt und strebt, wer jagt und hetzt, wer tut und macht, der schafft’s. Hier steht, und darin liegt das ganze Evangelium, diese frohe Botschaft: „Wer bleibt, der bringt.“ 6 mal in diesen 5 Versen stoßen wir auf den Begriff bleiben. Ein Lieblingsbegriff des Johannes. 112 mal taucht er im Neuen Testament auf. 66 mal allein bei Johannes. Deswegen bittet der Kirchenvater Augustinus: Fordere, Herr, was du willst, aber gib uns, was du forderst, so sollst du nicht vergebens befehlen.

Um dieses Weinstockgleichnis zu verstehen, muss man einmal in einem Weinberg gewesen sein. Im Winter ist es ein trostloser Anblick. Aus der Erde ragen nur ein paar Stecken, die wie abgestorbene, fleischlose Arme aussehen. Irgendwo liegen ein paar ausgegrabene Pfahlwurzeln, die wegen ihrer Länge auffallen. Nichts erinnert an Leben; ein einziges Totenfeld, dieser Weinberg im Winter. Dann wird es Frühjahr. Der Winzer kommt und schneidet den Stock so, dass nur der Stamm und zwei Äste, die nach links und rechts hinausgebunden werden, übrig bleiben. Der Weinstock sieht aus wie ein Kreuz. (Bild) Dann treiben die Säfte. An den Schnittwunden bilden sich kleine Tropfen, die zur Erde fallen. Der Weinstock blutet, sagt der Kenner. Schließlich schießen über Nacht so viel Zweige und Blätter hervor, dass der eigentliche Weinstock völlig darunter verschwindet. Ein wahres Wunder der Schöpfung, dieser Weinstock im Sommer. Und das bin ich, sagt Jesus.

Und in dieser Lebenssphäre sollen wir bleiben. Dies wird uns dadurch ermöglicht, dass Jesus sagt: „Ihr seid die Reben.“ Christen sind Zweige am Weinstock Jesu. So einfach hat es unser Gott eingerichtet. Wir sind nicht Wurzeln, die das Wasser suchen müssen. Wir sind nicht der Stamm, dem die Tragkraft zugemutet wird. Wir sind nicht die Rinde, die irgendetwas schützen müsste. Wir sind erst recht nicht die Krone, die über alles hinausreicht. Zweige sind wir, die am Stock bleiben und nehmen, was sie brauchen. Wir müssen nicht suchen, wir müssen nicht tragen, wir müssen nicht schützen, wir müssen nicht glänzen, wir müssen nur bei ihm bleiben, in ihm drin bleiben. Die organische Wesensverbundenheit mit Jesus ist die Grundlage aller Frucht.

1. Bleibt im Wort Gottes.

Ein Pfarrer erzählt: Zu Hause stand ein kleiner Baum im Garten. Als seine ersten Zweige grün wurden, bekamen die Buben die strikte Anweisung, Fußballspiele in großer Entfernung zu veranstalten. Sie taten das schon, aber ein verunglückter Strafstoß wurde zum Volltreffer und knickte den schönsten Zweig. Aber nicht nur der Zweig, auch die Buben waren geknickt. Wie konnte dem Zweig vor dem Verdorren und ihnen vor der Strafe geholfen werden? Sie besorgten einen Zwirnsfaden, wickelten ihn um die Bruchstelle und siehe da, der Zweig stand so schön wie vorher – aber nur einen Tag lang. Dann fiel der Mutter auf, wie die Blätter hingen und welk wurden. Sie entdeckte den Zwirnsfaden, der nichts nutzte. Es gab keine Strafe, aber sie hatten für ihr Leben gelernt, dass Zweige nicht angebunden, sondern nur verbunden leben können. Genau das gilt auch hier. Es gibt so viele Zwirnsfadenchristen. Sie sind angebunden an der Kirche, mit dem Faden der Tradition. Sie sind angebunden an den Glauben mit dem hauchdünnen Fädchen der Erinnerung. Sie sind angebunden an den Kreis mit dem Faden der Kameradschaft. Dieses Christsein nützt nichts. Dabei kommt nichts heraus. Dieses Christsein welkt. Wir müssen nicht angebunden, sondern verbunden sein, in Jesus drin sein.

Dies geschieht nach Vers 7 zuerst im Wort. „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben.“

Was heißt das jetzt „im Wort bleiben?“ Das ist etwas anderes, als ein oberflächliches Hören des Wortes, wo das Wort in das eine Ohr rein und aus dem andern wieder raus geht. Es ist auch etwas anderes, als des mechanische Lesen des Wortes, mit dem man einer religiösen Pflicht zu genügen meint.

Dieses Hören und Lesen ist das erste, aber dann muss es weiter gehen.

Was es heißt, dass seine Worte in uns bleiben, das sehen wir an Maria. „Sie bewegte alle diese Worte in ihrem Herzen.“ Das heißt: sie dachte darüber nach, sie verarbeitete sie in ihrem Inneren. Sie lebte davon, sie labte sich daran. Sie stützte sich darauf. Die Worte, die sie gehört hatte, waren ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Sie wurden ihre Nahrung und ihre Kraft.

So müssen wir auch mit dem Worte umgehen, es im Herzen bewahren und bewegen. Wenn ich einmal ein triviales Gleichnis brauchen darf: wir müssen das Wort wiederkäuen, so wie die Kühe ihr Futter wiederkäuen. Nur so wird die Kraft ausgenutzt, die in dem Worte enthalten ist.

Es geht uns doch auch so mit der Nahrung für unseren Leib. Es ist ein wahres Wort: „Der Mensch lebt nicht von dem, was er isst, sondern von dem, was er verdaut.“ Wer die Speise nicht genügend kaut und zerkleinert, nutzt sie lange nicht so aus, wie der, welcher sie richtig kaut. O, was hat ein Wort Gottes für eine wunderbare Kraft, wenn man es richtig isst! Man wird dadurch genährt, man erstarkt im inneren Leben.

Es kommt darauf an, dass wir es hören als Gottes Wort, dass wir es bewegen und bewahren in unserem Herzen, damit es unsere Seelen nähren und sättigen und stärken kann.

Dazu kommt noch das Lesen des Wortes Gottes. Das ist eine überaus wichtige Sache. Nur muss es richtig gemacht werden. Wenn man das Wort pflichtmäßig und mechanisch liest, wird man nicht viel Nutzen davon haben. Ich habe erst von der Zeit an Segen vom Bibellesen gehabt, als ich angefangen habe, die Bibel mit dem Fragezeichen der Selbstprüfung zu lesen. Dadurch wird das Wort lebendig und persönlich, wenn man sich bei dem Lesen des Wortes fragt: Herr, wer bist du? Herr, was soll ich tun? Habe ich das? Wenn man so das Wort Gottes liest, dann fängt über dem Lesen der Herr an, mit uns zu reden. Und dann hat man Segen und Gewinn.

Jetzt fängt man an das Wort zu studieren, Jesus ist im AT und NT zu finden, da findet man auf einmal Dinge, die unglaublich sind. Und dann lernen wir das Wort Gottes auswendig, wenn man wie Maria das Wort im Herzen bewegt.

Eine sehr wichtige Folge! Dann lernen wir biblisch denken, biblisch reden, biblisch handeln. Das Wort, das wir in uns aufgenommen haben, das uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, beeinflusst uns, bestimmt uns, dass wir alles vom Standpunkt der Bibel aus betrachten. Wir sehen die Menschen und die Verhältnisse ganz anders an, als wir früher getan haben. Wir reden anders. Das Wort Gottes wird unsere Triebkraft, unsere Richtschnur, unser Lebensbrot.

  1. Hören, 2. Lesen, 3. Nachdenken, 4. Studieren, 5. Auswendig lernen

Bleiben wir im Worte und bleibt das Wort in uns, dann – bleiben wir in Jesus.

Es gibt kein Bleiben in Jesus, wenn wir nicht im Worte bleiben. Es hat keinen Zweck, von dem Bleiben in Jesus zu reden und sich danach auszustrecken, wenn wir nicht im Worte Gottes bleiben. Wer ein Bleiben in Jesu erreichen will, ohne treu zu sein im Hören und Lesen und Verarbeiten des Wortes Gottes, der wird nur Enttäuschungen erleben. Warum gibt es so wenig Bleiben in Jesu? Weil es so viel Versäumnisse gibt auf dem Gebiet des Bibellesens. Daher so viel oberflächliches, saftloses Christentum. Für alles hat man Zeit, aber für die Bibel hat man keine Zeit. Wie soll da ein Bleiben in Jesu möglich sein?

Das Bleiben in Jesu ist zunächst ein Bleiben im Wort. Und dieser bleiben in Jesus bringt die Früchte des Geistes in uns hervor aus Gal. 5,22 hervor. Anders geht es nicht. Alle Selbstveredelungsversuche des Humanismus sind leider gescheitert.

Martin Luther gibt uns ein praktisches Beispiel, wie wir mit Gottes Wort den Abend beschließen und den Morgen beginnen können. Er schreibt seinem Friseur Peter Balbierer – und das gilt all denen, die heute nur noch mit dem Krimi oder dem Kassettenrekorder schlafen können –: „Am Abend musst du eine Stelle aus der Heiligen Schrift in dem Gedächtnis mit dir zu Bette nehmen, womit du wiederkäuend wie das reine Tier sanft einschlafen magst. Und wenn du am Morgen aufstehst, wirst du es wie eine Hinterlassenschaft von gestern vorfinden.“

2. Bleibt im Gebet.

Und so kommt man, ohne dass man es merkt, ins Gebet hinein. So gibt uns das Lesen des Wortes, wenn ich so sagen darf, Öl auf unsre Gebetslampe. So kommen wir in einen wirklichen Umgang mit dem Herrn. So – bleiben seine Worte in uns, wie es hier heißt. Und was ist die Folge davon, wenn wir das Wort so als Brot essen?

„Wenn Ihr in mir bleibt, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren“ (Vers 7). Gemeint ist das Gebet in Jesu Namen, das im Grunde nichts anderes will, als was er uns in seiner freigiebigen Güte zugedacht hat. Wer also im Gebet bleibt, wer im Wort bleibt, wer als Zweig im Weinstock drin bleibt, und daraus seine Kraft bezieht, für den gilt: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“

Die erste Schiene, auf der unser Glaubensleben verläuft, ist die Schiene des Wortes, die zweite Schiene ist das Gebet.

Wie es kein Bleiben in Jesu gibt ohne ein Bleiben im Wort, so gibt es auch kein Bleiben in Jesu ohne ein Bleiben im Gebet. Darum mahnt Paulus auch immer wieder: „Betet ohne Unterlass.“ „Haltet an am Gebet.“ Das Gebet muss uns zur zweiten Natur werden. So wie das Atmen uns keine Mühe macht, sondern eine Selbstverständlichkeit ist. Wir atmen – und wissen gar nicht, dass wir atmen. Dann muss uns auch das Beten zu einer Selbstverständlichkeit werden wie das Atmen. Ist das möglich?

Wenn das nicht möglich wäre, dann würde Paulus nicht auffordern, ohne Unterlass zu beten, anzuhalten am Gebet. Oder das sog. Herz-Jesu Gebet, ähnlich wie ein Mantra, vor uns hinlabern. Das geht freilich nicht. Wir haben unseren Aufgaben nachzukommen. Aber er meint, dass wir bei allem in betender Verbindung mit dem Herrn sein und bleiben können, dass wir auch während der Arbeit, ja während der Unterredung immer wieder aufschauen dürfen, um einen Blick, einen Seufzer des Gebets auf den Herrn zu richten. So bleiben wir mit ihm in Verbindung, so erfüllen wir unseren Beruf vor seinen Augen, unter seiner Leitung.

Wir gehen mit Gebet in den Tag. Es ist so, wie es im Liede heißt:

                                       Mein erster Blick, wenn ich erwache,

                                       sind deine Wunden, o Herr Jesu Christ,

                                       und die unendlich große Sache,

                                       dass du für mich am Kreuz gestorben bist,

                                       erfüllt mit Dank und Staunen meinen Sinn,

                                       und reißt mein Herz zu deinen Füßen hin.

Wir gehen aber nicht nur betend in den Tag, wir gehen auch betend durch den Tag. In allem schauen wir auf ihn, setzt uns immer wieder in Verbindung mit der göttlichen Kraftquelle.

Und wir gehen auch betend aus dem Tag. Wir machen es so, wie es in dem Verse heißt:

                                    Mein letzter Blick, eh‘ ich die Augen schließe,

                                    ist mein Herr Jesus Christ, der für mich wacht.

                                    Mit meinem letzten Denken ich ihn grüße,

                                    geh‘ mit dem Blick auf ihn dann in die Nacht,

                                    und unter seinen Flügeln find‘ ich Schutz

                                    und biete allem Sorgengeiste Trutz.

So ist das Leben eines Kindes Gottes, wenn es recht steht, ein Leben des Gebets, ein Bleiben im Gebet, ein Bleiben in Jesus.

Aber was heißt das, wenn der Herr hier sagt: „Ihr werdet bitten, was ihr wollt – und es wird euch widerfahren?“ Ist das wirklich so zu verstehen?

Ganz gewiss. Aber – die zweite Hälfte dieses 7. Verses setzt die erste Hälfte des Verses voraus. Die zweite gilt nicht ohne die erste. Erst müssen wir biblisch denken, reden und handeln lernen, erst muss das Wort Gottes in uns zu Fleisch und Blut geworden sein, dann dürfen wir bitten, was wir wollen. Denn dann bitten wir auch, was Gott will.

Andreas Bräm, einer der Elberfelder Reformatoren des 19. Jhd. Sagt: Die Dinge des Alltags nehmen uns so gefangen, dass wir wieder anfangen müssen, biblisch denken zu lernen. Haben wir biblisch denken und reden gelernt, dann werden wir auch biblisch beten lernen.

Willst du dein Beten prüfen, ob es biblisch ist, ob es schriftgemäß ist, dann frage das Gebet des Herrn. Dies Gebet hat der Herr ja nicht dazu gegeben, dass wir immer nur diese Worte sprechen und beten, sondern er hat es uns als ein Mustergebet gegeben, an dem wir unser Beten prüfen können, ob es mit des Herrn Willen übereinstimmt.

Die drei ersten Bitten fangen an mit „dein“ – dein Name, dein Reich, dein Wille. Dann kommen die Bitten mit „unser“ und „uns“. Wir lernen daraus? Erst kommt Gott! Die Angelegenheiten Gottes sollen uns wichtiger sein als die eigenen Angelegenheiten.

Machen wir die Angelegenheiten Gottes zu den unseren, dann macht Gott unsere Angelegenheiten zu den seinigen.

Das sehen wir an der Geschichte von Paulus und Silas im Kerker zu Philippi. Gegen Recht und Gesetz waren die Apostel gepeitscht und ins Gefängnis geworfen worden. Was tut jetzt Paulus? Erwägt er, wie er freiwerden kann? Nicht im Entferntesten! Sondern er widmet sich dem Kerkermeister und führt ihn zu Christo. Die Angelegenheiten Gottes sind ihm so wichtig, dass er seine eignen darüber völlig vergisst. Er kommt deswegen nicht zu kurz? Gott regelt die Angelegenheiten des Paulus. Er redet mit den Obersten der Stadt über das Unrecht, das sie den beiden Männern getan haben, und er macht sie so bange, dass sie den Kerkermeister veranlassen sie zu entlassen!

3. Bleib in der Liebe.

Gottes Liebe ist eine besondere Sache. Auch in der Kardinalstelle 5. Mose 7,7ff. Ist Erwählung und Liebe zusammengebunden: „Nicht hat euch der Herr erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker, sondern weil er euch geliebt hat.“ Jesus liebt uns: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.“ Das ist eine Liebeserklärung auf höchster Ebene. Wenn schon das Wort der Mutter „Ich mag dich“ beim Kind ein Lächeln hervorruft, wenn schon das Wort des Ausbilders „Ich schätze dich“ beim Lehrling ein ganzes Arbeitsklima verändert, ja wenn schon das Wort des Liebenden „Ich liebe dich“ beim Geliebten Purzelbäume des Glücks auslöst, was müsste eigentlich in unserem Leben passieren, wenn wir dieses Wort wieder begriffen: Ich liebe dich. Er will nicht nur ein Lächeln hervorrufen, das Klima verändern oder Purzelbäume auslösen, sondern vollkommene Freude in unser Leben bringen.

Vollkommene Freude ist lichtecht und blasst durch die Jahre nicht ab, sie ist wasserecht und keine Fluten können ihr etwas anhaben, sie ist kochecht, keine Hitze vermag sie zu vertreiben. Vollkommene Freude ist ewig, denn – und so wusste es schon der Psalmist (16,11): „Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.“

Jesus liebt uns. Dies wird weiter dadurch unterstrichen, dass er uns Freunde nennt. Schon Knecht Gottes wäre ein Ehrentitel für uns. Diesem Herrn als Hilfsarbeiter oder Handlanger zu dienen wäre schon eine tolle Bevorzugung. Aber Gottes Freunde sollen wir sein, wir, die wir nach dem Römerbrief elende Menschen sind, die wir nach dem Heidelberger Katechismus geneigt sind, Gott zu hassen, wir dürfen ihm so nahe sein. Wer es fassen kann, der fasse es: Jesus liebt uns.

Allerdings ist es keine Allerweltsliebe. Jesus liebt nicht so wie ein stürmischer Liebhaber, dessen lodernde Flamme der Begeisterung vielleicht bald zur Sparflamme wird und dann ganz erlischt. Er liebt überhaupt nicht so wie ein Mensch, sondern so wie Gott.

„Wie mich der Vater liebt, so liebe ich euch auch.“ Dieses „wie – so“ kommt immer wieder. „Wie mich mein Vater kennt, so kenne ich die Meinen.“ (Joh 10,14): „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ (Joh. 20,21) Wer Gottes Liebe erkennen will, muss sich in Johannes 3,16 auskennen. In diesem Herzblatt, wie es Albrecht Bengel nannte, oder in diesem Hauptspruch, wie es Martin Luther zu bezeichnen pflegte, heißt es: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden.“ So hat Gott geliebt und nicht anders. Gottes Liebe wird nur so offenbart, dass sein einziger Sohn hingegeben wird.

Es geht um die Abwehr eines groben Missverständnisses. Viele meinen nämlich, Liebe muss sich in der Erfüllung ihrer Wünsche erweisen. Wenn das aber nicht in Erfüllung geht, was man sich erbittet, dann werden Fäuste gegen den Himmel geballt, dann wird gefragt und geschrien, etwa so, wie bei Wolfgang Borchert: „Wo ist die Liebe, wo bleibt sie? Wir haben sie gesucht in jeder Ruine, in jeder Nacht. Du kommst mit unseren langen Listen von Tränen nicht mehr mit, du bist ein Märchen, lieber Gott.“ Johannes sagt: So hat uns Gott eben nicht geliebt, dass er zum Wünscheerfüller geworden ist. Wahre Liebe lässt sich überhaupt nicht an der Erfüllung von Wünschen messen, sondern nur am Grad ihrer Opferfähigkeit. Gott aber war hochgradig opferfähig. Er gab seinen Sohn.

Luther schreibt: „Das heißt ja nicht einen Groschen geben, ein Auge, eine Kuh, ein Königreich, ja auch nicht den Himmel mit der Sonne und den Sternen, noch die ganze Kreatur, sondern er gab seinen Sohn.“ Das heißt weiter, dass er ihn nicht nur zu uns auf die Erde gab. Er gab ihn für uns in den Tod. Gott hatte ein ganzes Ja zum Kind in der Krippe und zum Mann am Kreuz. Jesus war sein einziger Sohn. Er hatte keinen zweiten. Und das Unfassliche: er gab ihn freiwillig, er gab ihn aus eigenem Entschluss. So opferbereit war Gott, so hat Gott geliebt. Die Frage nach Gottes Liebe muss mit dem Blick auf Jesus beantwortet werden: „Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget, sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget, sehet dies Kind.“ Jesus ist die Liebe Gottes in Person. Diese opferbereite, hingebende Liebe, die am Kreuz ihren Höhepunkt fand, denn „niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde,“ diese Opferliebe wendet Jesus uns zu. So und nicht anders liebt er uns.

Vielleicht müsste man nach Johannes, dem Evangelisten, formulieren: so – und nicht anders – liebt Jesus mich. Wenn er damals den Schieber Zachäus und die Dirne am Jakobsbrunnen genauso gemeint hat wie den Gottsucher Nikodemus und den Lieblingsjünger Johannes, dann darf ich mich hier auch wieder finden. Ich bin angesprochen, bin gemeint, bin bei dieser völlogen Liebe nicht ausgegrenzt. Augustinus sagt dazu: „Er liebt jeden Einzelnen von uns so, als gäbe es außer uns niemand, dem er seine Liebe schenken könnte.“ Und Luther erklärt: „Glaubst du, dass du ein Mensch bist? Greif dir nach der Nase, ob du noch genauso einer bist wie ein anderer. Gott hat seinen Sohn nicht dem Teufel oder den Hunden gegeben, sondern dir.“ Jesus liebt mich.

„Bleibet in meiner Liebe“ heißt nun ganz einfach, alles auf diese Liebe bezogen sein lassen. Diese Liebe treibt uns zum Nächsten, der diese Liebe noch nicht kennt. Bleibt im Wort, bleibt im Gebet, bleibt in der Liebe, dann bringen wir Frucht!

Amen

Prädikant Thomas Karker, Predigt am Sonntag, den 30.4.2023