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Barmen: Erkenntnisse aus den Anfängen des Bekenntniskampfes im Dritten Reich (1933/34)

Samstag 29. April 2023 von Pastor Dr. Stefan Felber


Pastor Dr. Stefan Felber

Die folgenden Thesen sind eine Zusammenfassung einer Neu-Lektüre der Barmer Bekenntnistexte von 1934, verfaßt im Januar 2021 für eine Gesprächsrunde im Gemeindehilfsbund (bisher unveröffentlicht). Die Seitenzahlen beziehen sich auf das Originaldokument, das hier einsehbar ist.

Erkenntnisse aus den Anfängen des Bekenntniskampfes im Dritten Reich (1933/34)

1. Die modernistische Partei der Deutschen Christen stellte sich mit dem Staat und den gleichgeschalteten Medien in eine Linie.
Diese erstrebten eine gleichgeschaltete und bekenntnisneutralisierte Nationalkirche an.

2. Die bekennenden Kräfte wollten jedenfalls in den ersten Jahren den NS-Staat nicht an sich in Frage stellen (anders ab 1935), wiesen jedoch mit aller Entschiedenheit seinen Versuch zurück, die Landeskirchen in eine Reichskirche zu vereinigen und damit ihre spezifischen Bekenntnisstände aufzuheben.

3. Die Vertreter der Bekenntnissynode kamen darum nicht mit der Absicht einer neuen Union oder einer neuen Kirche zusammen, sondern gerade aus Sorge um einen Angriff von außen und innen, der alle geltenden Bekenntnisse in Frage gestellt hätte (S. 74).

4. Widerstandskraft kam allein aus dem Wort Gottes, aus dem Kraft für die Gewißheit geschöpft wurde, nicht in taktischen Koalitionen.

5. Ebenso wurde Einigkeit der Kirche erhofft „nur aus dem Worte Gottes im Glauben durch den Heiligen Geist“ (S. 74).

6. Der klare, ernste Ton und die inhaltliche Bestimmtheit des Redens auf den damaligen Bekenntnissynoden steht in hellem Kontrast zur heutigen Schleichtaktik und vernebelnden Allgemeinheit kirchlichen Redens.
„Den Riß nur verdecken, heißt ihn verewigen.“ (S. 61)

7. Die Barmer Bekenntnissynode verstand sich zu dem klaren Urteil, daß sie dem gegenwärtigen Kirchenregiment Vollmacht und Recht absprach, eine Reform der Verfassung vorzunehmen. Mehr noch: Ein Verhandeln über Fragen der Verfassung wird mit der gegenwärtigen Kirchenleitung „grundsätzlich abgelehnt“ (S. 60).

8. Was ist die Begründung für diese scharfe Abgrenzung?
Im Vorspruch erklärt die Barmer Bekenntnissynode vor der deutschen evangelischen Öffentlichkeit, die Einheit der evangelischen Kirche sei „aufs schwerste gefährdet … bedroht durch die … mehr und mehr sichtbar gewordene Lehr- und Handlungsweise der herrschenden Kirchenpartei der Deutschen Christen und des von ihr getragenen Kirchenregimentes. Diese Bedrohung besteht darin, daß die theologische Voraussetzung, in der die Deutsche Evangelische Kirche vereinigt ist, sowohl seitens der Führer und Sprecher der Deutschen Christen als auch seitens des Kirchenregimentes dauernd und grundsätzlich durch fremde Voraussetzungen durchkreuzt und unwirksam gemacht wird. Bei deren Geltung hört die Kirche nach allen bei uns in Kraft stehenden Bekenntnissen auf, Kirche zu sein. … Gemeinsam dürfen und müssen wir als Glieder lutherischer, reformierter und unierter Kirchen heute in dieser Sache reden. Gerade weil wir unseren verschiedenen Bekenntnissen treu sein und bleiben wollen, dürfen wir nicht schweigen, da wir glauben, daß uns in einer Zeit gemeinsamer Not und Anfechtung ein gemeinsames Wort in den Mund gelegt ist.  Wir befehlen es Gott, was dies für das Verhältnis der Bekenntniskirchen untereinander bedeuten mag. Wir bekennen uns angesichts der die Kirche verwüstenden und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der Deutschen Christen und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung zu folgenden evangelischen Wahrheiten …“ (S. 8f.)

9. Für uns besonders interessant ist, daß der Vortrag von Hans Asmussen, der ja mit der Erklärung gemeinsam von der Synode angenommen wurde (S. 27 unten), nicht nur eine Bekenntnisnot, sondern ausdrücklich auch eine Rechtsnot feststellt (S. 12 unten). Und dieser doppelte Notstand rechtfertige es, sich in der genannten Zusammensetzung verschiedener evangelischer Kirchen, also mit verschiedenen Bekenntnissen, zu versammeln und zu erklären: Mit der Einheit des Bekenntnisses ist die Evangelische Kirche selbst „auf das schwerste gefährdet“ (S. 13).
Den Lehrnotstand der Kirche sieht er seit mehr als 200 Jahren sich vollziehen (S. 17).
„Wenn wir dagegen protestieren, dann protestieren wir nicht als Volksglieder gegen die jüngste Geschichte des Volkes, nicht als Staatsbürger gegen den neuen Staat, nicht als Untertanen gegen die Obrigkeit, sondern wir erheben Protest gegen dieselbe Erscheinung, die seit mehr als 200 Jahren die Verwüstung der Kirche schon langsam vorbereitet hat“ (S. 17). „Protest gegen andere Offenbarungsquellen … Andere Herren …, andere Gebote … bieten sich uns an als Erlöser, aber sie erweisen sich als Folterknechte einer unerlösten Welt“ (S. 18).

10. Asmussen erklärte offen, daß man als Synode die Frage nach der Zukunft ihrer Bekenntnis- und Arbeitsgemeinschaft nicht beantworten könne. Fakt sei aber: Gott hat die gegenwärtige Bekenntnisgemeinschaft herbeigeführt. Darum werde Gott auch noch weisen, wie es weiter gehen soll.
Die Synode hat diesbzgl. dann auch noch einige Beschlüsse gefaßt (Rechtslage S. 37f., Bruderrat und Aufgaben, siehe S. 60ff., 70ff. bes. Dienst zur Erneuerung des Pfarrerstandes und Aufbau der Bekennenden Gemeinde).

11. Die Barmer Theologische Erklärung versteht sich nicht als Verhandlungsangebot mit den „Gegnern“, sondern als „conditio sine qua non“. „Es geht hier um die letzten Dinge“ (S. 15). Und diese sind nicht verhandelbar (S. 24).

12. Die sechs knappen Abschnitte sind fokussiert auf die Themen Christologie und Ekklesiologie.

13. Die Frage einer Neugründung wurde im Mai 1934 also noch offengelassen („wir befehlen es Gott …“), dann aber in Berlin-Dahlem (20. Okt. 1934) In Dahlem wird unter anderem konstatiert, …

  • daß die Einheit nunmehr zerbrochen ist, weil der Grundartikel „tatsächlich beseitigt“ ist (I. 1),
  • daß der „Geist einer falschen, unbiblischen Offenbarung“ den „Gehorsam gegen Schrift und Bekenntnis als Disziplinwidrigkeit bestraft“ (I. 4),
  • daß alle bisherigen Proteste umsonst geblieben sind (II. 1, wohl eine Erinnerung an Mt 18,15–17),
    somit die Möglichkeit einer Erneuerung der gemeinsamen kirchlichen Ordnung nunmehr fehlt (II. 2) –
    und damit das „kirchliche Notrecht“ eintritt, zu dessen Verkündigung sich die Unterzeichner „gezwungen“ sehen (II. 3).

Da die Verfassung als zerschlagen anzusehen sei, bestünden keine rechtmäßigen Organe mehr (III. 1). Deshalb sehen sich die Brüder genötigt, von der bloßen theologischen Erklärung weiterzuschreiten zur Berufung neuer Leitungsorgane (III. 2). Gemeinden und Pfarrer werden aufgefordert, von der bisherigen Kirchenleitung keine Weisungen entgegenzunehmen und sich von der Zusammenarbeit auch mit denen zurückzuziehen, die dem Reichskirchenregiment weiterhin gehorsam sein wollen (III. 3). Schließlich wird diese Entschließung an die Reichsregierung übergeben und diese aufgefordert, daß die Kirche in ihren eigenen Angelegenheiten (unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts) allein zu urteilen und zu entscheiden hat (IV.).

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Samstag 29. April 2023 um 11:33 und abgelegt unter Allgemein.