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Vater Staat entmachtet die Eltern

Jürgen Liminski
Vater Staat entmachtet die Eltern

Der Bundestag trifft heute eine fatale Entscheidung: Mit der Stärkung des Kindeswohls werden die Rechte von Müttern und Vätern ausgehebelt.

Auf einmal soll es ganz schnell gehen. Justizministerin Zypries drängt, Familienministerin von der Leyen schiebt mit, Bundeskanzlerin Merkel schaut weg und läßt gewähren. Die Novellierung des Paragraphen 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches soll am heutigen Donnerstag in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden. In einigen Wochen soll dann die Novellierung des Sozialgesetzbuches folgen. Dann wäre das von manchen so ersehnte „Frühwarnsystem“ installiert. Es soll aber nicht nur Alarm schlagen, wenn Kinder mißhandelt werden, sondern wohl vor allem dem Staat mehr Rechte und Handhabe geben, um Eltern gefügig zu machen – mit oder ohne Mißhandlung der Kinder. Schließlich sind schon heute Kinder nicht nur ein „Mischgut“, wie Forscher die privaten und gesellschaftlichen Folgen und Eigenschaften von Kindern nennen, sondern auch ein Mangelgut. Es gibt zu wenig von ihnen. Deshalb müssen sie besser ausgebildet und für die Produktion passend gemacht werden. Da ist Freiheit, wie sie in Familie gelebt wird, eine hinderliche Größe.

Die Ideologie der 70er Jahre wird mit Verspätung umgesetzt

Nicht allen in Regierung und Parteien sind die Hintergedanken der Ideologen im Familienministerium bewußt. Sie sind aber im zweiten Familienbericht aus den siebziger Jahren nachzulesen. Da wurden Eltern als gesellschaftliche Funktionsträger und Erziehung als gesellschaftliche Aufgabe definiert. Und Ende der 70er Jahre legte die damalige sozial-liberale Koalition auch ihre Reform des „Jugendhilfegesetzes“ vor, eine Art Vorläufer der heutigen Novellierungen. Man forderte einen umfassenden Erziehungsauftrag des Staates. Der Staat sollte neben der Familie gleichberechtigt tätig werden. Damals warnte der Sachverständige Sozialethik-Professor Anton Rauscher, Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle der deutschen Bischöfe in Mönchengladbach, mit den Worten: „Sind wir ohne es zu merken auf dem Wege, zwar nicht zu einer Staatsjugend wie in den totalitären Systemen, wohl aber zu einer staatlich betreuten Jugend?“ Diese Frage elektrisierte manchen Politiker. Die Reform scheiterte an der Unionsmehrheit im Bundesrat. Heute ist es wieder soweit. Wenn das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) entsprechend novelliert wird, sind die Ideologen ihrem Traum von der staatlichen Kontrolle über Erziehung und Gesellschaft einen bedeutenden Schritt nähergekommen – unter einer CDU-Kanzlerschaft und unter aktiver Mithilfe einer CDU-Familienministerin. Natürlich wird die wahre Absicht nicht so offen gesagt. Man redet vom Schutz der Kinder und sorgt dafür, daß die Medien die entsprechenden Einzelfälle publikumswirksam verbreiten. Lea-Sophie ist da nur ein Glied in der Gedankenkette der Erziehungs-Ideologen. Es hilft so ganz nebenbei auch, die Versäumnisse der Jugendämter zu vertuschen.

Offiziell heißt es also, die Novelle des Paragraphen 1666 BGB soll Kindern helfen, die von ihren Eltern mißhandelt oder vernachlässigt werden. Aber in der Begründung zur Novelle ist schon zu lesen, warum diese Hilfe bisher zu kurz greift: Die Jugendämter und Familiengerichte setzen und setzten die vorhandenen Gesetze nicht um. Die vielen Eingriffsmöglichkeiten werden in § 1666 Absatz 3 BGB aufgezählt. Sie reichen aus. Eigentlich ist eine Novelle also nicht nötig. Bei den Einzelfällen, die immer wieder zur Begründung herangezogen werden, haben die Ämter und Familiengerichte ebenso versagt wie die Eltern. Aber darum geht es den Ideologen nicht. Sie wollen alle Eltern entmündigen und deren Rechte, die im Grundgesetz stehen, schwächen. Man soll sich nur noch am „Kindeswohl“ orientieren.

So will es Justizministerin Zypries, so will es Familienministerin von der Leyen, so will es die Kanzlerin. Der Tatbestand „elterliches Erziehungsversagen“, den die Ämter nachzuweisen hatten, soll entfallen. Damit aber wird die Beweislast umgekehrt. Jetzt müssen Eltern vor Gericht beweisen, daß sie nicht gegen das Kindeswohl verstoßen. Das nach Artikel 6 Grundgesetz „zuvörderst ihnen obliegende“ Erziehungsgrundrecht wird damit in das Ermessen des Richters oder der Jugendämter gestellt. Eltern sollen erziehen müssen, wie es dem vom Staat vorgegebenen „Wohl“ des Kindes entspricht. Daß dieses Wohl mehr mit Krippen und Arbeitsmarkt zu tun hat als mit Bindung und Liebe, liegt auf der Hand.

Aber das sieht die – selbst kinderlose – Justizministerin anders. Sie hält auch das Grundgesetz für eine Manövriermasse und sagt das auch: „Das Recht muß sich den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen“, meinte sie jüngst in einem Interview. Bisher war es eigentlich so, daß das Recht sich an der Natur des Menschen orientierte. Aber das gilt für diese Regierung offenbar nicht mehr, die glaubt, mit Gesetzen den Menschen verändern zu können.

Mit den Novellierungen wird das gut austarierte Verhältnis zwischen den Rechten und Pflichten der Eltern einerseits und den Interventions- und Aufsichtsmöglichkeiten des Staates andererseits zugunsten des Staates verschoben. Vater Staat übernimmt die Erziehung. Das ist das Ziel. Daß dieses Ziel der Verfassung widerspricht, stört die Regierung nicht. Sie glaubt, jede einzelne Maßnahme sei verfassungskonform. Aber es gibt auch den „kumulativen Verfassungsbruch“ – und der liegt nach Ansicht von Verfassungsexperten vor. Das wird deutlich, wenn man das gemeinsame Ziel der Novellen sieht: Richter und Ämter sollen bestimmen, ob die Eltern zum Wohl des Kindes funktionieren. Das könnte schon der Fall sein, wenn einem Richter oder dem Amt es nicht paßt, daß die Eltern ihren christlichen Glauben praktizieren, indem sie etwa mit den Kindern den Rosenkranz beten. Das wird dann so nicht gesagt, aber es reicht, wenn Zweifel an der frühkindlichen Förderung formuliert werden. Denn nach den Gesetzesänderungen kommt es, wie es in einem Papier eines leitenden Beamten des Familienministeriums zu lesen ist, „auf die Sicherung einer frühen Förderung der Basisbedürfnisse des Kindes“ an.

Es wird Zeit, daß die Eltern sich gegen dieses Berliner Vorhaben zur Wehr setzen. Das Familiennetzwerk etwa tut das bereits und hat sämtliche Abgeordneten trotz des handstreichartigen Vorgehens bei der Novellierung per Fax und Mail informiert. Niemand im Bundestag wird sagen können, er habe das nicht gewußt. Alle haben den kalten Hauch der DDR verspürt, der vom Kanzleramt und den beiden Ministerien in Richtung Familien und Freiheit ausgeht.

Katholische Abgeordnete hoffen auf Hilfe der Kirche

Aber wenn jetzt die Kirche nichts sagt, so ein Fraktionsmitglied der Union, dann können katholische Abgeordnete auch nichts machen. Auch aus dem Familienausschuß kam kein Widerspruch. Das ist nicht weiter verwunderlich, die einzelnen Streichungen und Veränderungen erscheinen für sich genommen harmlos. Der Zusammenhang zwischen den Novellierungen und den anderen politischen Handlungen und Zielsetzungen – Ausbau des Krippensystems in einem Maß, das den Bedürfnissen nicht entspricht; Recht auf Krippen- und Kitaplatz; Gleichsetzung des Kindeswohls mit frühkindlicher Förderung – vermittelt erst die Konturen der staatlichen Interventionsgewalt und Erziehungsmaschinerie. Keine Spur mehr vom Prinzip der Subsidiarität, wonach der Staat nur solche Aufgaben wahrnehmen soll, die von den Eltern nicht geleistet werden können.

Im Gegenteil: Indem diese Regierung den wirtschaftlichen Spielraum von Familien erheblich eingeschränkt hat und beide Eltern somit drängt und teilweise sogar dazu zwingt, einem Erwerbsberuf nachzugehen, mithin Zeit für die Erziehung raubt, zwingt sie die Eltern auch, ihre Kinder den „professionellen“ öffentlichen Händen zu übergeben. Diese Hände werden kaum Werte vermitteln oder Glauben weitergeben. So kann eine Gesellschaft auch professionell zugrunde gehen.

Deutsche Tagespost vom 24.04.2008