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Die klimareligiöse Welle ist eine Absage ans Christentum

Donnerstag 2. Februar 2023 von Neue Zürcher Zeitung


Neue Zürcher Zeitung

Die Klimaschützer wollen, dass wir in Panik geraten. Damit bereiten sie den Boden für freiheitsentziehende oder gewaltsame Vorgehensweisen. Die radikalen Weltretter der Klimabewegung malen endzeitliche Szenarien an die Wand. Extinction Rebellion oder die Letzte Generation laden die naturwissenschaftliche und politische Frage, wie es um Natur und Klima steht, religiös auf. Denn wenn von Autobahnklebern und Kunstbeschädigern das Recht gebrochen wird, weist dies darauf hin, dass der politische Diskurs verlassen wird mit der Berufung auf «höhere» Werte. Wohlfeile Apokalyptik heiligt die illegalen Mittel.

Begegnen wir in den klimaprognostischen Horrorvisionen kryptochristlicher Apokalyptik? Dürfen sich die Verwahrer immer leerer werdender Kirchenbänke damit trösten, dass die Gesellschaft heute nicht weniger religiös sei als früher? Es wäre das Bild von der Religion als Zuckerwürfel: Man sieht ihn zwar von Auge nicht mehr, aber er hat sich wohltuend im Kaffee aufgelöst.

Schön wäre es. Denn dann könnte man sich seitens der christlichen Glaubensgemeinschaften getrost mit Greta Thunberg und ihren Kampfgenossen verbünden. Gestandene Autoritäten evangelisch-reformierter und katholischer Provenienz haben sich denn auch dem neuen Kinderkreuzzug angeschlossen.

Christliche Zukunftsvision

Ein Blick auf das, was christliche «Apokalyptik» bedeutet, lässt jedoch erkennen, dass wir es bei den klimareligiösen Untergangsszenarien nicht mit der säkularisierten Form christlicher Endzeitvorstellungen zu tun haben. Nicht umsonst wird das letzte Buch des Neuen Testaments schon länger nicht mehr die «Apokalypse» genannt, sondern mit «Offenbarung des Johannes» übersetzt. Denn der griechische Begriff der Apokalypse bedeutet nicht so etwas wie eine ultimative Horrorvision, sondern «Aufdeckung».

Am Schluss des Neuen Testaments wird enthüllt, was geschehen wird. Das Charakteristikum christlicher Endzeitvorstellung ist jedoch, dass diese Enthüllung zwar in der Form einer Zukunftsvision geschieht, aber in der Vergangenheitsform geschildert wird. An entscheidender Stelle heisst es von Jesus Christus in der «Offenbarung des Johannes»: «Siehe, gesiegt hat der Löwe aus dem Stamm Juda, der Spross aus der Wurzel Davids.»

Die Menschen sollen sich fürchten

Denn durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi ist die Entscheidung schon gefallen: Gott hat den Menschen und die Schöpfung angenommen. Deshalb führt die Geschichte nicht in den Untergang, sondern in das ewige Reich Gottes. Die Tage bis zu jener bereits beschlossenen Vollendung soll der Mensch als Zeit der Bewährung durchleben, indem er durch ein Leben aus dem Glauben Gottes ewige Herrschaft vorbereitet, ohne diese je selbst aufrichten zu können.

Diese Geschichtsphilosophie hat Konsequenzen: Sie hat das Abendland, wenn es seinen Glauben ernst genommen hat, davor bewahrt, das Paradies auf Erden selbst herbeizwingen zu wollen, sei es als «Tausendjähriges Reich», als «Drittes Reich» oder auch mittels der Herrschaft des Proletariats. Denn Gott hat alles Wesentliche schon getan.

Ausdruck dieser Sichtweise, die trotz der Widerständigkeit, ja teilweisen Widerwärtigkeit der Welt zum geduldigen Weitergehen auffordert, ist ein Kirchenlied des evangelischen Dichters Georg Neumark (gestorben 1681): «Wer nur den lieben Gott lässt walten». Es fordert in christlicher Gelassenheit nicht zu Passivität und Defaitismus auf, sondern zur Sorge um diese Welt: «Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht das Deine nur getreu.»

Angesichts der Bedrohungen durch die Welt, die auch menschengemacht sein können, soll der Christ sein Mögliches tun, aber immer im Rahmen dessen, was ihm zusteht, weil er stets auf Gottes Wegen gehen soll. Das hebt sich ab vom Zwanghaften wider- und postchristlicher Ideologien, die mit eigenen Kräften und nicht selten gewaltsam versuchen, das Elysium zu schaffen.

Vor diesem Hintergrund muss man die gegenwärtige klimareligiöse Welle als Absage an das Christentum deuten. Von Bismarck stammt das Diktum: «Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt.» Heute scheint es umgekehrt: Man fürchtet zwar Gott nicht mehr, aber dafür so ziemlich alles andere auf der Welt. Das Fürchten ist gegenwärtig der grosse Treiber. Hans Jonas hat es «zur ersten, präliminaren Pflicht einer Ethik geschichtlicher Verantwortung» erklärt.

Der Traum vom Zwang

Vergröbert bei Greta Thunberg heisst das: «Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre.» Dies ist kein Ausweis christlicher Gottesfurcht, sondern diesseitiger Zukunfts- und Todesfurcht. Das dadurch geschaffene Klima ist geeignet, den Boden für freiheitsentziehende oder gewalttätige Vorgehensweisen zu bereiten. Bei Jonas ist das schon vorgedacht, wenn er zur «Kupierung von Produktionskapazitäten» schreibt: «freiwillig, wenn möglich, erzwungen, wenn nötig».

Von christlicher Gelassenheit geprägtes Handeln würde sich demgegenüber dadurch auszeichnen, dass es um die beschränkte Wirkung menschlichen Bemühens weiss und dennoch mit den Mitteln der Vernunft versucht, im vorläufigen Diesseits das Mögliche zu tun. Dies im Bewusstsein Georg Neumarks: «Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht.»

Martin Grichting
Neue Zürcher Zeitung 23.1.2023
Veröffentlicht mit Genehmigung des Autors und der NZZ

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 2. Februar 2023 um 11:31 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Klima.