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Wer hat Angst vorm „Gotteswahn“?

Freitag 18. April 2008 von pro Christliches Medienmagazin


pro Christliches Medienmagazin

Wer hat Angst vorm „Gotteswahn“?
Interview mit Alister McGrath

„Niemand? Und wenn er kommt? Dann laufen wir trotzdem…“ Lautet so das Motto der Christen in Deutschland, die sich vor radikalen Angriffen fundamentalistischer Atheisten fürchten? Nicht immer und überall. Doch eine lebendige Apologethik, eine „Verteidigung des Glaubens“, fehlt uns zumindest in Deutschland. Ganz anders ist das in Großbritannien. Dort bieten Christen einem Autor wie Richard Dawkins mutig die Stirn. Einer von ihnen ist Alister McGrath, Professor in Oxford.

Alister McGrathpro: Professor McGrath, Richard Dawkins hat mit seinem Buch weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt und das Thema „Gott“ oder eher „Gott-Losigkeit“ wieder in den Vordergrund gerückt. Worum geht es in der Debatte denn eigentlich?

McGrath: Richard Dawkins will in seinem Buch Religion und Religiosität beziehungsweise die Existenz Gottes widerlegen. Er sieht Gott als Wahnvorstellung, einen „psychopathischen Straftäter“, der von verrückten und getäuschten Menschen erfunden wurde. Glaube wird auf einen Vorgang des „Nicht-Denkens“ reduziert und als ein „blindes Vertrauen“ ohne Fakten beschrieben. Dawkins geht von der grundsätzlichen Überzeugung aus, daß die Naturwissenschaft Gottes Existenz widerlegt hat und diese somit unwahrscheinlich ist. Und jeder, der weiterhin glaubt, ist demnach ein Feind der Aufklärung oder ein abergläubischer Reaktionär. Glaube ist, nach Dawkins, kindisch und irrational. Er denkt, daß es unnatürlich ist, zu glauben. Daß Menschen indoktriniert sind und daß Atheismus sozusagen die natürliche Ausgangs-Position aller Menschen ist. Das ist alles natürlich extrem vereinfacht und überspitzt dargestellt.

pro: Warum sind seine Thesen nicht haltbar?

 McGrath: Dawkins lässt sich an vier Punkten anfechten, jedem dieser Argumente liegt seine These zugrunde, daß Gott eine Illusion ist. Erstens zweifelt er, daß Glaubensentscheidungen rational getroffen werden können. Er versteht es nicht, was Christen meinen, wenn sie über Glauben sprechen. Dawkins behandelt dies als eine „blinde“ Entscheidung, der kein sorgsamer Prozess der Reflektion vorangegangen ist. Zweitens besteht er darauf, daß die Naturwissenschaften es unmöglich machen, an Gott zu glauben. Diesen Anspruch lehnen jedoch christliche wie auch atheistische Naturwissenschaftler gleichermaßen ab. Dawkins ist mit dieser Meinung in einem altmodischen und bereits abgelösten Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion des 19. Jahrhunderts stehen geblieben. Drittens bietet er Lesern eine naturwissenschaftliche Lösung für den Ursprung des Glaubens an. Dieser entsteht durch so genannte „Meme“, die Dawkins als naturwissenschaftlich bewiesene Phänomene betrachtet. Tatsächlich hat er die Idee des „Mems“ erst vor rund 30 Jahren entwickelt. Sie gilt als exzentrisch und ist in der Naturwissenschaft nicht anerkannt. Viertens argumentiert er, daß Religion unweigerlich zu Gewalt führt. Dies ist meines Erachtens sein stärkster Punkt. Er übertreibt ihn jedoch zu sehr, als daß er dann noch überzeugt.

pro: Was hat Sie veranlaßt, zusammen mit Ihrer Frau eine Antwort auf Dawkins zu veröffentlichen?

 McGrath: Ich bin bestürzt über den „Gotteswahn“ – es finden sich kaum wissenschaftliche Analysen in dem Buch, jedoch viele pseudo-wissenschaftliche Spekulationen, gepaart mit sehr allgemein gehaltener Religionskritik, die größtenteils älterer atheistischer Literatur entnommen wurde. Er hat sich von einem Naturwissenschaftler, der sich leidenschaftlich für die objektive Betrachtung einer Sache einsetzt, zu einem aggressiven und antireligiösen Propagandisten entwickelt. Nicht nur viele Wissenschaftler, auch viele Atheisten sind durch Dawkins extrem einfaches mit falschen Thesen unterlegtes Buch beunruhigt. Dawkins mißbraucht, anders kann man es nicht sagen, die Naturwissenschaften für seine atheistische Propaganda. Wenn es denn schon eine öffentliche Debatte zu dem Thema Gott und Gottes Existenz gibt, dann sollten Leser die Argumente beider Seiten hören. Jede ernsthafte Debatte sollte ausgewogen sein, umfangreich und so wahrhaftig wie möglich das Für und Wider aufgestellter Thesen debattieren.

pro: Worum geht es in Ihrem Buch?

 McGrath: Meine Frau und ich haben uns mit Dawkins‘ Behauptungen auseinander gesetzt und eine wissenschaftliche, objektive Kritik zum „Gotteswahn“ geschrieben, die die Zuverlässigkeit seiner Thesen prüft. Es ist ein neutrales Buch, das Dawkins vorrangig aufgrund naturwissenschaftlicher Argumente entkräftet. Mir ist wichtig, noch einmal hervorzuheben, daß unser Buch eine kritische Analyse von Dawkins‘ Thesen ist. Natürlich enthält es auch theologische Argumente, ich bin jedoch dagegen, von Christen auf eine rein theologische Debatte eingeschränkt zu werden. Es ist kein religiöses Manifest, das den Kreationismus oder die Intelligent Design-Idee propagiert.

pro: Erreicht Ihr Buch die gleiche Aufmerksamkeit wie „Der Gotteswahn“?

 McGrath: Der Auflage nach zu urteilen, erhält das Buch große Aufmerksamkeit. Der Atheismus-Wahn ist im englischsprachigen Raum bereits ein Bestseller und wird vorrangig von säkulären Lesern gekauft.

pro: Was hält Dawkins von Ihrem Buch? Hat er es gelesen?

 McGrath: Nein, er hat es nicht gelesen. Dawkins denkt jedoch, daß wir auf seinen Erfolg aufbauen und als Trittbrettfahrer mit unserem Buch Geld verdienen möchten. Es ist ja bereits das zweite Buch, das ich in Antwort auf Dawkins‘ Veröffentlichungen geschrieben habe. (Anm. d. Redaktion: das erste Buch hieß „Dawkins‘ God: Genes, Memes, and the Meaning of Life“. Es ist noch nicht auf Deutsch veröffentlicht.) Dawkins setzt sich ungerne in öffentlichen Debatten auseinander, obwohl ich bereits in Oxford mit ihm diskutiert habe. Unser Kollege, der Mathematiker und Christ Professor John Lennox hat im vergangenen Herbst eine öffentliche Podiumsdiskussion in den USA mit ihm bestritten. Generell bevorzugt es Dawkins aber, eher einseitig und ohne Unterbrechungen seine Thesen vorzutragen.

pro: Was fasziniert die breite Öffentlichkeit an Dawkins‘ Thesen?

McGrath: Ich denke, daß viele Menschen gerne einfache Antworten auf schwierige Fragen erhalten. Und die Frage nach dem Sinn des Lebens, beziehungsweise nach Gott ist eine schwierige Frage. Je pessimistischer der Ausblick auf das Leben ist, desto wahrscheinlicher und realer erscheint er uns oft. Das atheistische Weltbild ist so ein pessimistischer Ausblick. Schwärzer könnte die Zukunft nicht gemalt werden. Zwangsläufig gehen wir Menschen dann davon aus, daß es wahr sein muß. Ich war früher selbst Atheist und kann das von daher nur bestätigen.

pro: Wie hilfreich ist die aktuelle Mediendebatte um Dawkins?

McGrath: Die Mediendebatte wird von einfachen Überschriften plakativ angeheizt. Wie fast mit jedem Thema sind die populären Medien nicht bereit, sich fundiert mit dem Neuen Atheismus und Dawkins auseinander zu setzen. Im englischsprachigen Raum gab es jedoch bereits einige umfangreiche öffentliche Kritiken in den Medien, die zumeist von Atheisten geschrieben wurden. Der Kulturtheoretiker Terry Eagleton beispielsweise hat eine verheerende Rezension über den „Gotteswahn“ geschrieben.

pro: Gibt es einen typischen „Dawkins-Anhänger“ oder Leser?

McGrath: Das ist eine interessante Frage. Der typische Dawkins-Leser ist wahrscheinlich eher männlich als weiblich, entstammt der „denkenden“ Mittelschicht und ist eher ein Alt-68er. Als ein Beispiel: schauen Sie sich nur die bekanntesten Atheisten der letzten fünf Jahre allein in Großbritannien an. Das sind Richard Dawkins, Michael Dennett, Christopher Hitchens und Sam Harris. Fällt Ihnen etwas auf? Sie sind weiß, männlich und entstammen der Mittelschicht. Diese Autoren sind allesamt extrem rationale Menschen, die eine eingeschränkte, individuelle Weltanschauung halten, die außerdem sehr westlich ist. Nur, die wenigsten Menschen sind auf Basis rein rationaler Argumente gläubig. Menschen glauben an Gott auch aus tiefen moralischen und ästhetischen Gründen. Von daher denke ich, daß das Hauptaugenmerk und der Kernmarkt für Dawkins´ Buch und Leser bei der so genannten Generation der „Swinging 60s“ liegt.

pro: Ist Atheismus eigentlich eine Religion?

McGrath: Ja, der Atheismus ist eine Religion. Er hat seine eigenen „Hohepriester“ wie zum Beispiel Dawkins, seine eigenen Organisationen und Treffen. Wissen Sie, was ich eigentlich denke? Ich denke, Dawkins hat das Buch geschrieben, um Atheisten in ihrem Glauben zu stärken. Weil Glaube und Religion, anders als in den 60er Jahren vorhergesagt, nicht ausgestorben sind, sondern seitdem immer stärker werden. Der „Gotteswahn“ ist eigentlich ein Manifest, um die Zweifel von Atheisten zu beantworten. Das hat Dawkins aber nur sehr eingeschränkt angestellt: bekannte Atheisten, wie beispielsweise Professor Michael Ruse von der Florida State University, haben bereits öffentlich angemerkt, daß sie beschämt sind, daß Dawkins es für nötig hält, den Atheismus mit falschen, übertriebenen und schlecht recherchierten Argumenten zu verteidigen. Er geht sogar so weit, Dawkins´ Eifer mit religiösem Fundamentalismus, den beispielsweise einige Kreationisten zeigen, auf eine Stufe zu stellen.

pro: Dawkins hält die Naturwissenschaften für eine absolute „Meßlatte“. Welche Grenzen sind ihr denn gesetzt?

McGrath: Die Naturwissenschaften sind exzellent, um Fragen von Beziehungen, Form und Beschaffenheit in der Natur zu beantworten. Dawkins aber geht davon aus, daß die Naturwissenschaften an sich atheistisch sind. Was die Naturwissenschaft nicht kann, ist tiefgreifende und moralische Fragen zu beantworten. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Zum Beispiel die Frage nach dem Sinn des Lebens. Es gibt Einschränkungen in der Leistungsfähigkeit der Naturwissenschaft. Und die meisten Naturwissenschaftler sehen das genauso. Im englischsprachigen Bereich werden dazu umfangreiche und technische Debatten unter Wissenschaftlern geführt, von Kollegen wie beispielsweise Dr. Francis Collins oder Dr. Owen Gingerich.

pro: Wie sehen Sie denn das Verhältnis von Christen gegenüber den Naturwissenschaften?

McGrath: Tendenziell haben konservative Protestanten in den USA, aber auch in Deutschland eher ein Problem mit den Naturwissenschaften, besonders mit der Biologie. Sie empfinden eine Spannung zwischen der Bibel und den Naturwissenschaften, sehen ihre Autorität durch sie gefährdet. Katholiken stehen dem, allein schon historisch gesehen, sehr viel entspannter gegenüber: im Katholizismus ist es die Aufgabe der Kirche, die Bibel zu interpretieren. Sie nehmen die Naturwissenschaften nicht als wirkliche Bedrohung oder Gegensätzlichkeit wahr.

pro: Was sehen Sie als den Auslöser für einen so genannten „neuen“ Atheismus, also eine Renaissance der Antireligiosität an?

McGrath: Die Ereignisse des 11. Septembers in den USA und die wachsende Bedrohung durch fundamentalen Islamismus vorrangig, sowie das Erstarken und weiterhin anhaltende Interesse an Religion und auch Christentum hat zu einer neuen atheistischen Welle geführt. Anders als in den 60er Jahren versprochen, hat der Marxismus die Religion nicht abgelöst. Ganz im Gegenteil, Religion und das Interesse daran hat weltweit in den vergangenen Jahren zugenommen – wenn wir einmal von Westeuropa absehen.

pro: Ist Dawkins eventuell auch eine Chance für das Christentum?

McGrath: Definitiv, auf der einen Seite sehe ich die Aufmerksamkeit um Dawkins sehr kritisch. Auf der anderen Seite heiße ich diese öffentliche Debatte, wenn sie denn schon geführt wird, willkommen. Dies ist so etwas wie ein Weckruf für Christen und die Kirche. Wir sind faul geworden, was unseren Glauben betrifft. Wir setzen uns oft nicht kritisch mit Fragen auseinander beziehungsweise hinterfragen unseren Glauben. Dawkins fordert uns Christen auf, zu denken und sich informiert mit seinen Aufrufen auseinander zu setzen. Das heißt natürlich, daß wir wissen müssen, warum wir glauben, was wir glauben.

pro: Sie schreiben in Ihrem Buch, daß sich eine gute Religionskritik lohnt. Was sind denn Elemente einer „guten“ Religionskritik?

McGrath: Eine gute Religionskritik setzt voraus, daß ich meinen eigenen Glauben sehr gut kenne, und, daß ich ihn auch hinterfrage. Wir haben teilweise Ideen und Vorstellungen „geerbt“, mit denen wir uns noch nie auseinander gesetzt haben. Tatsache ist: manchmal liegen wir einfach mit unserem Glauben falsch und müssen ihn prüfen und gegebenenfalls revidieren. Dawkins ist so ein Aufruf und eine Herausforderung, dies zu tun. Er ist extrem gut gegen einen oberflächlichen Glauben. Ich selbst bin Protestant. Von daher halte ich den Reformationsaufruf „Ecclesia semper reformanda est“ – die Kirche muß sich immer selbst reformieren – für sehr wichtig. Unser Glaube sollte intellektuell informiert und geistlich reich sein. Christen haben eine gute Antwort auf Dawkins. Von daher kann ich nur empfehlen, daß Leser sich nicht einschüchtern lassen. „Der Gotteswahn“ sollte als Einladung zum Dialog verstanden werden, Dawkins‘ Punkte können alle entkräftet und beantwortet werden.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 18. April 2008 um 10:40 und abgelegt unter Interview.