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Homosexualität und christlicher Glaube – Skizzen eines Umbruchs

Freitag 9. Dezember 2022 von Ron Kubsch


Ron Kubsch

Auch innerhalb der evangelikalen Bewegung wird die Akzeptanz für eine homosexuelle Lebensweise immer stärker. Dabei wird gemäß dem Anspruch der Bewegung, dass das Leben bibelgemäß gestaltet sein muss, eine bestimmte Auslegung der entsprechenden Bibelstellen vorgenommen, wonach die Bibel Homosexualität nicht insgesamt, sondern nur eine falsche Homosexualität ablehne. Nachdem es zu Beginn der gesellschaftlich wachsenden Akzeptanz der Homosexualität noch Widerstand von vielen konservativen Christen der evangelikalen Bewegung gegeben hatte, ist auch hier ein schneller und weitreichender Umbruch eingetreten. Wer an der biblischen Ethik festhält, sollte das mit Klarheit in den Argumenten und großer Barmherzigkeit gegenüber den Betroffenen tun.

Ich will im Folgenden den Umbruch skizzieren, der zu einer sehr weitgehenden Neubewertung von Homosexualität innerhalb der evangelikalen Bewegung in Deutschland geführt hat. Als Seelsorger kenne ich die Nöte und speziellen Anfechtungen, in denen homophil-empfindende Christen stehen. Wenn ich diese seelsorgerlichen Aspekte heute ausblende, darf das bitte nicht so verstanden werden, als würde ich die emotionalen Herausforderungen nicht ernst nehmen. Ich will aber hier einen Schwerpunkt setzen, den der französische Philosoph Michel Foucault vielleicht „Reden von Archäologie oder Genealogie“ nennen würde. Ich grabe gewissermaßen in der Vergangenheit und zeichne den Bewertungsumbruch in der theologischen Diskussion über die Homosexualität innerhalb der evangelikalen Bewegung in Deutschland nach. Dabei betrachten wir zwei gegensätzliche Sichtweisen auf die Homosexualität. Anschließend zeichne ich den Verlauf des Umbruchs bis zu diesem Ergebnis nach. Zum Schluss werde ich einige Empfehlungen für eine Haltung geben, die ich für die beste halte.

Zwei unterschiedliche Sichtweisen

Zum Verständnis der gegenwärtigen Situ­ation ist es wichtig, zwischen der traditionellen und der revisionistischen Sicht auf die Homosexualität zu unterscheiden. Aus ihnen gehen auch bestimmte Argumentations­sche­mata hervor, die in der Diskussion auf­ein­andertreffen.

Die traditionelle Sichtweise

Die traditionelle Sicht meint die Auf­fassung, dass die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau der exklusive Liebesbund ist, in dem die Geschlechtergemeinschaft ausgelebt wird. Dieser ist schon durch die Schöpfung vorgegeben. Alle Gebote, die sexuelles Verhalten betreffen, gehen von dieser Grundlage aus. Demnach ist Homosexualität nicht mit dem Willen Gottes vereinbar. Der legitime Ort sexueller Begegnung ist die Ehe, die öffentlich und auf Lebenszeit geschlossen wird.1 Bis ins 20. Jahrhundert hinein galt diese Sichtweise im Judentum und in den christlichen Kirchen als selbstverständlich und wurde mit der Heiligen Schrift und dem Naturrecht begründet.

Die für die Verwerfung der gleichgeschlechtlichen Liebe herangezogenen alttestamentlichen Begründungstexte sind vor allem 1. Mose 1–2, 3. Mose 18,22 und 20,13. Dabei ist wichtig, dass die Gebote aus dem 3. Mosebuch immer im Zusammenhang mit der grundlegenden Sicht auf den geschöpflichen Sinn von Sexualität gesehen und nicht willkürlich zum Maßstab gemacht wurden.

Im Neuen Testament ist das erste Kapitel im Römerbrief besonders wichtig. Auf die Weigerung der Menschheit hin, Gott gebührend zu ehren, liefert Gott die Menschen ihren eigenen Herzensgelüsten aus (vgl. Röm 1,18–25). Als erstes und einziges ausgeführtes Exempel nennt Paulus das homosexuelle Verhalten der Frau (vgl. Vers 26) und des Mannes (vgl. Vers 27). Der gleichgeschlechtliche Verkehr wird als widernatürlich bezeichnet (vgl. Vers 26).

Weiter erwähnt Paulus Homo­sexualität in den sogenannten Lasterkatalogen: In 1. Korinther 6,9–10 schreibt etwa der Apostel warnend, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht ererben werden, weder „Unzüchtige noch Götzendiener, Ehebrecher, Lustknaben, Knabenschänder, Diebe, Geizige, Trunkenbolde, Lästerer oder Räuber werden das Reich Gottes ererben“.

Paulus fügt – und das ist für die christliche Ethik wichtig – in Vers 11 hinzu: „Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.“ Paulus rechnet also mit der Veränderbarkeit von Lebensweisen, die gegen Gottes Willen sind, zu denen er auch homosexuelles Verhalten zählt.

Die revisionistische Sichtweise

Viele Christen lehnen heute diese traditionelle Sicht ab und vertreten eine revisionistische Position. Mit ihr wird der gesamte biblische Befund gegen die herkömmliche Auslegung neu bewertet. Wesentlich ist, dass die Unterscheidung zwischen guter und schlechter Homosexualität eingeführt wurde. Die Homosexualität, die die Bibel verurteile, sei problematisch. Die redliche und legitime Homosexualität finde zwar in der Bibel keine explizite Erwähnung, solle aber als mit dem Willen Gottes vereinbar oder als von Gott geduldet betrachtet werden.

Es gibt sehr unterschiedliche Begrün­dungs­strategien für die revisionistische Sicht­weise. Hauptsächlich werden folgende Ar­gumente vorgebracht:

  1. Die Heilige Schrift selbst liefere eine implizite Wertschätzung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Demnach wenden sich die Bibeltexte, auf die sich die Traditionalisten berufen, gar nicht gegen die Homosexualität an sich, sondern gegen mögliche Aspekte solcher Beziehungen, etwa gewalttätige Homosexualität, in der ein grobes Machtgefälle für die sexuelle Ausbeutung genutzt werde. Gern wird auch darauf verwiesen, dass die Bibel gar nicht das Geschlechtliche verurteile, sondern nur heidnische Kulte, in der die Geschlechtlichkeit damals eine Rolle gespielt habe.
  2. Die Bibel kenne die Homosexualität nur als freie Entscheidung, nicht jedoch als natürliche Anlage, in der sich ein Mensch jeweils schon vorfindet. Hier werden medizinische oder human­wissenschaftliche Erkenntnisse heran­gezogen, um eine konstitutionelle Homo­sexualität oder Identität zu behaupten. Da die biblischen Autoren diese Einsicht noch nicht hatten bzw. haben konnten, seien sie fälschlicherweise davon ausgegangen, gleichgeschlechtliche Sexualität sei eine willentliche Entscheidung des Menschen. Nur deshalb konnte sie in der Antike als Sünde bezeichnet werden.
  3. Einige Bibelausleger und Ethiker gehen davon aus, dass die biblischen Texte sehr wohl eine bleibende Bedeutung für die Bewertung der Sexualität haben. Die biblischen Normen seien aber durch das Liebesgebot „einzufangen“. Demnach habe die Gemeinde homosexuelle Menschen zu bejahen, so wie sie auch Habgierige, Stolze oder Geldliebende bejahe. Es wird also die gebotene Liebe zum Sünder ausgebeutet, um auch die Sünde im Leben eines Jesusnachfolgers zu tolerieren.
  4. Schließlich gibt es Theologen, die zwar eingestehen, dass die Bibel die Homo­sexualität als Sünde verwirft, aber zugleich behaupten, dass die Schrift unser Gewissen und Handeln in dieser Frage nicht binden könne. So sagte der Neutestamentler Friedrich Wilhelm Horn in einem Debattenbeitrag zur Veröffentlichung der EKD-Orientierungshilfe Zwischen Autonomie und Angewiesenheit:2 „Ich selber bejahe das Recht auf homosexuelle Lebenspartnerschaften aus theologischen Überlegungen ausdrücklich, sage aber auch deutlich, dass ich mich mit dieser Entscheidung klar gegen biblische Vorgaben positioniere.“3

Diese revisionistischen Argu­mentationen sind inzwischen auch innerhalb der evangelikalen Bewegung zu hören. Schauen wir uns an, wie es dazu kam.

Der Umbruch

Maßgebliche Impulse für eine theologische Neubewertung der Homosexualität kamen aus dem England der Nachkriegszeit. Über die Niederlande, aber auch Skandinavien, strahlten sie auch nach Deutschland aus.

Eine von der britischen Regierung 1954 in Auftrag gegebene Untersuchung spielt dabei eine wichtige Rolle. Da die Kommission unter dem Vorsitz von Lord John Wolfenden arbeitete, ging die Verlautbarung als Wolfenden Report in die Geschichte ein.4 Die Mitglieder der Kommission kamen zu dem Ergebnis, dass es nicht die Aufgabe von Recht und Gesetz sei, in das Privatleben der Bürger einzugreifen und sexuelles Verhalten zu normieren.

Zu den Vorarbeiten der Kommission gehörten eine Reihe von Untersuchungen, an denen neben der katholischen Kirche auch die anglikanische Kirche mitwirkte. Dem Werk Homosexuality and the Western Christian Tradition (dt. „Homosexualität und das westliche Christentum“) des anglikanischen Moraltheologen D.S. Bailey (1955) kommt in dieser Debatte eine denkwürdige Stellung zu.5

Bailey verfasste auch den Eintrag in der 3. Auflage der seinerzeit bedeutendsten deutschen theologischen Enzyklopädie (RGG, 1959). Die exegetischen Beobachtungen beschränken sich dabei im Prinzip auf die knappe Feststellung: „Das NT verwirft männliche und weibliche h[omosexuell]e Akte (Röm 1,26–27) und erwähnt bes. die Lustknaben und ‚Sodomiten‘ (1Kor 6,9–10; 1Tim 1,9–10).“6 Bailey folgert daraus für die kirchliche Sexualethik eine Beschränkung legitimer sexueller Beziehungen auf „heterosexuelle und bes. eheliche Beziehungen“.7 Er fügte aber hinzu, dass innerhalb der Kirche in dieser Frage Uneinigkeit besteht. Er selbst neige zu der Einschätzung, dass nur noch „starke gefühlsmäßige Faktoren persönlicher und sozialer Art“ (ebd.) schnellen Reformen im Weg stünden.

Als erster deutscher Autor meldete sich 1962 der jüdische Sozialethiker Hans-Joachim Schoeps mit einem ausführlichen exegetischen Beitrag zu Wort. Der Beitrag von Schoeps brachte eine radikale Neubewertung der biblischen Texte: Ihm zufolge handelt es sich bei den alttestamentlichen Versen nicht um ethische Weisungen, sondern um rein kultkritische Texte, die sich ausschließlich gegen Kultprostitution in der kanaanäischen Umwelt Israels wenden. Deshalb könnten sie für die ethische Diskussion keine Relevanz besitzen.8

Neben diesem betont hermeneutischen Ansatz etablierte sich Ende des 20. Jahr­hunderts ein Ansatz, der vor allem mit dem sozio-kulturellen Kontext argumentiert (z.B. Karl Hoheisel). Anknüpfend an spätmoderne Identitätskonzepte wird behauptet, die Homosexualität habe in der Antike einen völlig anderen „Sitz im Leben“ gehabt, als das heute der Fall ist. Damals habe die gleichgeschlechtliche Sexualität gesellschaftliche Machtverhältnisse abgebildet und verfestigt (z.B. Herr und Knecht). Einvernehmliche und auf Treue angelegte gleichgeschlechtliche Liebe habe es nicht gegeben. Insofern beantworte der biblische Befund die ethischen Fragen der Gegenwart überhaupt nicht.

Vor dem Blick auf die Entwicklung im evangelikalen Raum sei darauf verwiesen, dass es bis Ende der 90er-Jahre durchaus prominenten Widerstand gegen hermeneutische oder soziokulturelle Neuinterpretationen gegeben hat. Drei prominente Beispiele möchte ich nennen:

Wolfhart Pannenberg (1928–2014), der angesehene Münchner Systematiker, schrieb 1994:

„Die biblischen Urteile über homosexuelles Verhalten sind eindeutig in ihrer mehr oder weniger scharfen Ablehnung, und alle biblischen Aussagen zu diesem Thema stimmen ausnahmslos darin überein … In der Gesamtheit des biblischen Zeugnisses wird also praktizierte Homosexualität ausnahmslos zu den Verhaltensweisen gerechnet, in denen die Abwendung des Menschen von Gott besonders eklatant zum Ausdruck kommt.“9

Der pensionierte nordelbische Bischof Ulrich Wilckens (*1928) veröffentlichte 1978 in seinem Römerbrief-Kommentar eine längere Fußnote, in der er verschiedene Erklärungsansätze zur Entstehung von Homosexualität erörtert. Er ergänzte seine Erläuterungen mit dem Hinweis, dass es nicht mehr möglich sei, „die Aussage des Paulus heute noch in dem Sinne zu übernehmen, daß Homosexualität ein sittlich verwerfbares Vergehen ist“.10 Diese Bewertung hat er bei der Herausgabe der 3. Auflage aus dem Jahr 1997 ausdrücklich zurückgenommen und diese Entscheidung in einem offenen Brief kommentiert. Er schrieb:

„Gewiss haben zur Zeit des Alten und Neuen Testaments ‚auf Dauer angelegte Liebesbeziehungen zu Menschen gleichen Geschlechts‘, wie es sie heute gibt, noch nicht im Blick gestanden. Aber auch in solchen Partnerschaften heute wird doch in der sexuellen Praxis jedenfalls genau das getan, was im alttestamentlichen 3. Mosebuch (18,22; 20,13) und im neutestamentlichen Römerbrief (1,26 f.) konkret benannt wird: Beischlaf von Männern mit Männern. Diese Sexualakte sind es, die als ‚Greuel‘ beziehungsweise als ‚Schande‘ verurteilt werden.“11

Ein drittes Beispiel ist ein mir vorliegendes Fakultätsgutachten des Profes­soren­kollegiums des Fachbereichs Evangelische Theologie der Universität Mainz aus dem Jahre 1994. Darin heißt es:

„In der Grundlinie ist das Urteil der Bibel, des Alten und des Neuen Testaments über die Homosexualität einhellig und eindeutig. Sie ist Sünde gegen Gott und sie bildet ein schweres Vergehen. … Es geht in den Verwerfungen (des Heiligkeitsgesetzes) grundsätzlich um homosexuelle Praxis, wobei auch nicht nur gleichgeschlechtliche Vergewaltigung verurteilt wird, auch nicht nur Päderastie, sondern jeder homosexuelle Verkehr.“12

Weiter wird erklärt: „[Die Kirche] kann nur den Segen weitergeben, der ihr anvertraut ist. Zu einer öffentlichen Segnung des Zusammenlebens von homosexuellen Paaren besitzt sie keine geistliche Autorität.“13

Heute sieht die Lage völlig anders aus. Hinter dieser Entwicklung steht meines Erachtens kein großer Fortschritt bei der Auslegung der entsprechenden Bibeltexte, sondern ein enormer gesellschaftlicher Druck, unter dem die kirchliche Verkündigung und Praxis sich heute sieht. Wer es wagt, sich kritisch zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder Ehe zu äußern, wird schnell als fundamentalistisch, intolerant, lieblos oder homophob eingestuft.

Der Schweizer Journalist Philipp Gut schrieb 2009 in der Zeitung Die Welt:

„Die Homosexualisierung der Gegenwart erreicht Rekordwerte. Mehr noch: Es scheint ein irritierender Kult um die Schwulen entstanden zu sein, Homosexualität ist zu einer Art Religion geworden. Wer sich outet, wird zum leuchtenden Märtyrer einer bekennenden Kirche. Wer sich dem Kult widersetzt, den trifft der Bannstrahl. Wie in allen Glaubenssystemen gilt auch hier: Wer die Stirn runzelt, gehört nicht dazu. Die Schwulenparty will nicht gestört werden.“14

So ist es kaum verwunderlich, dass nicht nur im Raum der großen Kirchen, sondern auch innerhalb der evangelikalen Bewegung ein Umdenken eingesetzt hat.

Bereits in den 60er-Jahren haben bekenntnisorientierte Seelsorger und Theologen wie der Schweizer Arzt und Eheberater Theodor Bovet (1900–1976)15, Helmut Thielicke (1908–1986)16 sowie Adolf Köberle (1898–1990)17 für eine Korrektur der traditionellen Sicht plädiert.

Thielicke meinte, die christliche Seelsorge solle sich vor allem darum bemühen, Betroffene „zu einer Sublimierung des homosexuellen Triebes anzuleiten“18. Ist ein Homosexueller nicht imstande, Askese zu üben, solle er bereit sein, „innerhalb des Koordinatensystems seiner Konstitution die mann-männliche Verbundenheit ethisch verbindlich zu gestalten“ (S. 803). Um Ausstrahlung und Ärgernis zu vermeiden, solle eine solche Beziehung allerdings nicht öffentlich geführt werden (vgl. S. 804).

Die Evangelische Allianz in Deutschland sowie die ihr angeschlossenen Werke haben die traditionelle Sichtweise lange verteidigt. Allerdings wurde hinter den Kulissen seit Jahren in verschiedenen Runden darüber diskutiert und die Einmütigkeit im öffentlichen Auftreten war schon in den letzten Jahrzehnten brüchig.

Es bildete sich zum Beispiel die Selbsthilfeorganisation Zwischenraum heraus. Das Netzwerk für Christen gleich welcher sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität ist überkonfessionell. Viele Mitglieder haben jedoch einen evangelikalen, pietistischen oder charismatischen Hintergrund.19

Die Ärztin Dr. Valeria Hinck lernte Zwischenraum im Jahr 2002 kennen und legte dort das Manuskript „Homosexualität und Bibel“ vor. Die Untersuchung war eigentlich als Handout für interessierte Freunde, Bekannte und Gesprächspartner gedacht. Zwischenraum ermutigte Frau Hinck zur Veröffentlichung. So erschien das Buch Streitfall Liebe in mehreren Auflagen und entwickelte innerhalb der evangelikalen Kreise eine starke Ausstrahlung.20

Valeria Hinck hatte früher selbst verschiedene seelsorgerliche Angebote in Anspruch genommen. Irgendwann gestand sie sich ein, dass es nicht ihr Weg sein kann, Veränderung von ihren lesbischen Gefühlen zu suchen oder sexuell abstinent zu bleiben. So entschied sie sich dafür, als homosexueller Mensch zu leben.21 Sie weiß, dass ihr Weg nicht unter einer biblischen Verheißung steht, nimmt aber eine Art „Notordnung“ für sich in Anspruch. Die Bibel selbst gebe Beispiele dafür, dass „das ‚Überschreiten‘ von im Buchstaben an sich eindeutig formulierten Gesetzen sogar Ausdruck eines Handelns im Geist Jesu sein kann“22.

Andere Theologen mit Nähe zur Evangelischen Allianz meldeten sich ebenfalls zu Wort. Klaus Douglass, gut vernetzt in evangelikalen Kreisen und viele Jahre Pfarrer der Andreasgemeinde in Niederhöchstadt, schrieb ein überschwängliches Vorwort zum Buch Streitfall Liebe.23

Die Autorin selbst schreibt am Ende ihres Buches:

„Die Bibel ermutigt nirgendwo zu homosexuellem Verhalten. Es bleibt unter Berücksichtigung des kulturellen Hinter­grundes … nicht eindeutig, ob sich die Kritik der Bibel nicht nur gegen die promiskuitiven homosexuellen Verhal­tensweisen ihrer Zeit (in aller Regel ausgeübt von ansonsten heterosexuell lebenden Individuen) richtet; eine in beidseitiger Liebe gelebte Partnerschaft homosexuell veranlagter Menschen hierbei aber unberücksichtigt bleibt. Diese offene Situation entspricht keiner expliziten Erlaubnis. Sie relativiert aber die grundsätzliche Verurteilung jeglicher homosexuellen Lebensform als unzweifelhafte Sünde, wie es in konservativ-christlichen Gemeinden verbreitet ist.“

Jürgen Mette, der u.a. im Vorstand von Willow Creek Deutschland und dem Bibellesebund tätig war und zum Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz gehörte, schrieb 2015 in der Zeitschrift Wir:

„Ich meine, wir sollten unsere schlagfertigen Argumente gegen praktizierte Homosexualität noch mal prüfen, Fachleute konsultieren, Schutzräume für Betroffene in unseren Gemeinden schaffen und das ganze Thema in Barmherzigkeit tauchen.“24

Rolf Krüger, der meines Wissens von 2010 bis 2017 beim Internetportal Jesus.de als Redakteur gearbeitet hat, warb in seinem Blog leidenschaftlich für die revisionistische Sichtweise und unterstützte 2019 die Herausgabe des Buches Nicht mehr schweigen, in dem 25 homosexuelle Christen über ihr Coming-out sowie ihre Ausgrenzungserfahrungen sprechen.25

Veronika Schmidt, Sexualberaterin und Autorin des bei SCM Brockhaus erschienenen Buches Liebeslust – unverschämt und echt genießen, sagt:

„Der einzige Weg ist es, von Regeln und Gesetzen wegzukommen. Es muss mehr über Verantwortung und Eigenverantwortung des Einzelnen gesprochen werden. Es sollte nicht mehr darum gehen, ob man Sex vor der Ehe haben darf oder nicht, und ob man homosexuell sein darf oder nicht.“26

Ein bemerkenswerter Einschnitt ist meines Erachtens das Dokument „Ehe als gute Stiftung Gottes: Leit­gedanken zu Ehe und Homo­sexualität“, das 2017 von der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) veröffentlicht wurde. Das Papier entstand nach langem Ringen und präsentierte einen Kompromiss innerhalb des Hauptvorstands.

In der Einleitung bekennen sich die Ver­fasser erfreulicherweise zum Schrift­prinzip, demnach die Bibel als geschriebenes Wort Gottes verbindlicher Maßstab bei allen Fragen des Glaubens und Lebens ist.27

Unter Absatz 2 ist dann aber davon die Rede, dass die in der Bibel beschriebene homosexuelle Praxis „mit dem Willen Gottes und damit dem biblischen Ethos unvereinbar (3.Mose 18,22; 20,13; Römer 1,24–27; 1.Korinther 6,9; 1.Timotheus 1,10)“ sei. Diese Formulierung erlaubt sowohl eine traditionelle als auch eine revisionistische Interpretation. Sie kann so verstanden werden, als ob die in der Bibel beschriebene homosexuelle Praxis mit der heute gelebten Homosexualität nichts oder wenig zu tun habe und es damit auch für einen homosexuellen Christen möglich ist, sein Begehren zu entfalten und gleichzeitig in Harmonie mit Gottes Willen zu leben.

Als ich das Papier zum ersten Mal las, vermutete ich, dass diese Stellungnahme die Grundlage dafür schaffen solle und werde, dass die traditionelle und die revisionistische Sichtweise unter dem Dach der Evangelikalen nebeneinander koexistieren.28

Aktuelle Forderungen aus dem Raum der evangelikalen Szene bestätigen meine Befürchtungen. Ein Schlüsseltext ist das Buch Homosexualität und christlicher Glaube von Dr. Martin Grabe, der Teilnehmer der Konsultationen der DEA war. Das Buch, das im Jahr 2020 erschienen ist, wurde eingehend besprochen.29 Es bietet theologisch und argumentativ nichts Neues, darum möchte ich nur die Reaktionen darauf hervorheben.

Grabe deutet die einschlägigen Bibeltexte revisionistisch, aber er geht weit darüber hinaus. Er dekonstruiert die traditionelle Sichtweise und legt diejenigen, die Homo­sexualität als Sünde sehen, auf die therapeutische Couch. Ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Begehren der homosexuellen Minderheit hat vor allem etwas mit der „Ab­wehr eigener homoerotischer Anteile“ zu tun (S. 9–10). Wenn ein Mensch homosexuell ist, dann habe Gott das so gewollt (S. 59).

Es sei die historische Gelegenheit gekommen, die destruktive Idee von der Homosexualität als Sünde auszumerzen. Es sei Zeit für einen Paradigmenwechsel (vgl. S. 87). Er vergleicht das Momentum mit der Reformation, mit dem Kampf gegen den Sklavenhandel, Bonhoeffers Widerstand im 3. Reich sowie mit Martin Luther Kings Kampf gegen die Rassendiskriminierung (vgl. S. 86–87).

„Homosexuelle Christen dürfen ebenso wie heterosexuelle Christen eine verbindliche, treue Ehe unter dem Segen Gottes und der Gemeinde eingehen und sind in der Gemeinde in jeder Hinsicht willkommen.“ (S. 76)

Das Buch hat erwartungsgemäß hohe Wellen geschlagen. Wohl auch, weil Dr. Martin Grabe ärztlicher Direktor der Klinik Hohe Mark in Oberursel ist, die Akademie für Psychotherapie und Seelsorge (APS) leitet und ein Magazin für Psychotherapie und Seelsorge mit herausgibt.

Auf der einen Seite gab es begeisterte Reaktionen. Michael Diener, der ehemalige Vorsitzende der DEA, schrieb auf Facebook (und das wurde von Thorsten Dietz begeistert aufgenommen):

„Martin Grabes Buch lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Er hat als Person und in der Darlegung seiner Grundthesen meine volle Unterstützung. Und es werden immer mehr werden, die theologisch, psychologisch, existentiell aufbegehren und aus der pietistisch-evangelikalen Welt Stellung beziehen werden FÜR eine offene Position, nicht GEGEN, sondern im Gehorsam gegen das Evangelium und das lebendige Wort Gottes.“

Auf der anderen Seite gab es kritische Reaktionen, z.B. von Pfarrer Ulrich Parzany, Dr. Joachim Cochlovius oder Prof. Dr. Christoph Rädel, die auch auf den erheblichen Angriff im Buch auf die traditionelle Sichtweise antworteten, die doch in der Evangelischen Allianz vorherrschte und jetzt als Sünde bezeichnet wurde.30

Wenn es bei diesem Status bleibt, also beide Sichtweisen unter dem Dach der evangelikalen Bewegung vertreten werden, wird sich nach meiner Einschätzung die revisionistische Sichtweise immer weiter ausbreiten.

Das hat meines Erachtens etwas mit dem Anspruch der Post-Evangelikalen zu tun. Es gab schon immer Menschen, die sich von evangelikalen Gemeinden und einem evangelikalen Glauben abgewandt haben. Teilweise wurden sie dabei zu Anti-Evangelikalen, die Gemeinden und Glauben öffentlich als sektiererisch anklagten.

Bei den Post-Evangelikalen ist das anders. Alles, was sie sagen, könnten sie etwa im Raum einer durchschnittlichen landeskirchlichen Gemeinde sagen, ohne damit aufzufallen. Aber die Post-Evangelikalen verfolgen ein anderes Ziel. Sie verlassen den Raum des Evangelikalismus nicht, sondern wollen die evangelikale Bewegung radikal erneuern. Sie rufen die Evangelikalen zur Umkehr auf, etwa dazu, die Bibel kritisch zu lesen oder sich für eine Sexualethik der Vielfalt zu öffnen. Sie sehen einen missionarischen Auftrag.

Die Worthaus-Initiative oder die neu ins Leben gerufene Initiative Coming In (englisch: Hereinkommen), bestätigen das. Hinter Coming In steht Zwischenraum. Es wird dafür geworben, dass „Glaubens­geschwister unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität, als Mitglieder in christlichen Gemeinden willkommen sind und uneingeschränkt mitarbeiten können“31. Unterstützt wird die Initiative unter anderem von Michael Diener, Martin Grabe und dem an der CVJM-Hochschule in Kassel lehrenden Professor Tobias Künkler, einem Baptistenpastor und zwei Pastoren aus dem Bund Freier evangelischer Gemeinden.

Thorsten Dietz und Tobias Faix haben sich ebenfalls zur sexuellen Vielfalt bekannt.32 Christian A. Schwarz hat sich ebenso geäußert.33

Für Christen, die innerhalb evan­gelikaler Kreise an der traditionellen Sichtweise festhalten, wird die Luft dünner. Meiner Beobachtung nach sind Seelsorger durch das staatliche Gesetz zum Verbot von Konversionstherapien bereits verunsichert. Initiativen wie Coming in führen zu weiteren Verunsicherungen.

Kürzlich sagte mir ein schwuler Christ, der abstinent lebt, aber in Anfechtungen seelsorgerlichen Beistand sucht, dass er kaum mehr Seelsorger findet, die bereit sind, ihn auf der Grundlage der biblischen Ethik dabei zu unterstützen, ein Leben zu führen, das Gott gefällt.

Was ist zu tun? Vier Empfehlungen

Ich bin trotzdem der Überzeugung, dass wir als Christen, die der biblischen Sexualethik treu bleiben wollen, den zeitgeistigen Begründungsstrategien sehr viel entgegenzusetzen haben. Menschen sind aus christlicher Sicht nicht einfach ihren Trieben ausgeliefert. Es ist aber auch realitätsfremd, sich mit seiner Identität in gnostischer Weise von seiner Leiblichkeit emanzipieren zu wollen. Der Mensch ist nach biblischem Verständnis eine Leib-Seele-Einheit. Er hat nicht nur einen Leib oder eine Seele, sondern ist Leib und Seele.

Die menschliche Sexualität ist jedoch niemals bloßer Trieb. Zu leiblichen Elementen des Begehrens treten immer die Äußerungen des Herzens, der Wille, der Verstand, die Wertbindung. Insofern ist auch einleuchtend, dass gemäß dem Neuen Testament die geschlechtlichen Sünden den ganzen Leib auf destruktive Weise beflecken (vgl. 1Kor 6,18).

Ich bin aber kein Romantiker und schätze es so sein, dass die Zeit, in der evangelikale Christen Kirche oder Gesellschaft mit biblischer Theologie und Ethik prägen konnten, erst einmal vorbei ist. Wir leben in einem säkularen Zeitalter. Deshalb müssen wir vor allem schauen, dass wir in unseren Gemeinden einen Weg finden, um mit diesen großen Herausforderungen umzugehen. Die Aufgaben sind jetzt schon gewaltig und werden m.E. noch größer werden. Deshalb gebe ich vier Empfehlungen:

Meine erste Empfehlung ist eigentlich keine Empfehlung, sondern eine scharfe Warnung: Gebt dem Sauerteig keinen Raum.

Paulus schreibt an die Galater (Gal 5,7–10):

„Ihr lieft so gut. Wer hat euch aufgehalten, der Wahrheit nicht zu gehorchen? Solches Überreden kommt nicht von dem, der euch berufen hat. Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig. Ich habe das Vertrauen zu euch in dem Herrn, ihr werdet nicht anders gesinnt sein. Wer euch aber irremacht, der wird sein Urteil tragen, er sei, wer er wolle.“

Mir ist klar, dass die Problem­lage im Galaterbrief eine andere war. Es ging um die Freiheit vom Gesetz. Dennoch meine ich, dass sich der Vers auf unser Thema übertragen lässt. Es geht auch in der sexualethischen Diskussion um falsche Lehre, die zu einem falschen Leben führt. Wir dürfen nicht zulassen, dass Post-Evangelikale mit ihrer revisionistischen Sicht die Gemeindelehre oder das Gemeindeleben prägen. Schweigen wird leider meist als stille Zustimmung gewertet, auch wenn man oft nur Streit aus dem Weg gehen will. Wenn Gemeindeleitungen Revisionsbemühungen nicht stoppen, dann wird irgendwann ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuern. Insofern halte ich es für unbedingt notwendig, dass Stellung bezogen wird. Hirten, die diese Entwicklung widerstandslos hinnehmen, stellen sich ihrer Verantwortung nicht.

Meine zweite Empfehlung lautet: Die eigene Position richtig verteidigen. Viele Leute wundern sich darüber, wie schnell der beschriebene Umbruch stattfindet. Es werden demnächst erste Workshops dazu angeboten, wie die alte schwulenfeindliche Kultur in den Kirchengemeinden durch eine neue LGBT+-freundliche Kultur ersetzt werden kann. Über das „Was“ wird schon nicht mehr diskutiert, sondern nur noch über das „Wie“.

Die traditionelle Position zu verteidigen, heißt natürlich, dass wir uns biblisch-exegetisch rückversichern und deutlich machen, dass die revisionistische Bibelauslegung wissenschaftlich nicht haltbar ist.

Wir müssen aber genauso den geistesgeschichtlichen Aspekt im Auge haben. Der Umbruch geht auch deswegen so schnell, weil die Vertreter revisionistischer Sichtweisen sich ein psychologisches Menschenbild und moderne Ideen zur sexuellen Identität zu eigen gemacht haben. Es wird gar nicht mehr hinterfragt, dass jeder Mensch vor allem als sexuelles Wesen angesehen wird. Die Behauptung, Sexualität enthalte immer ein Spektrum von Orientierungen, bleibt unwidersprochen. Es wird auch nicht hinterfragt, welchen Stellenwert sexuelle Handlungen im Leben haben und warum sie das Wichtigste zu sein scheinen. Wir sind herausgefordert, dieses moderne Menschenbild und die entsprechenden Denkweisen zu hinterfragen.

Meine dritte Empfehlung lautet: Wir brauchen das Gebot und die Gnade.

Ich kenne Gemeinden, die mit bewundernswerter Sorgfalt am biblischen Gebot festhalten, aber die Augen vor den Nöten und Kämpfen sexuell angefochtener Geschwister verschließen. Wenn mit Gesten der Selbstverständlichkeit sexuelle Reinheit eingefordert wird, entsteht schnell der Eindruck, unter Christen gebe es so etwas wie Versagen in diesem Bereich nicht. Da das Thema ohnehin sehr schambesetzt ist, findet kaum jemand den Mut, die persönlichen Nöte ans Licht zu bringen. So kann sich eine pharisäische Gesinnung etablieren, ein doppelter Standard. Vordergründig ist alles geklärt, aber hinter dem Vorhang sieht das Leben anders aus. Das Sollen wird so stark betont, dass das Sein nur noch verzerrt wahrgenommen wird.

Es gibt auch die gegenteilige Reaktion: die einseitige Betonung der Gnade. Fix­punkt ist dann nicht mehr das biblische Gebot, sondern die eigene Erfahrung mit allen Höhen und Tiefen. Wie wir gesehen haben, ist es nicht unüblich, die Normen den gesellschaftlichen Wirklichkeiten an­zu­passen. Die Spannung zwischen Sollen und Sein wird abgebaut, indem die Forderungen des göttlichen Gebots abgeschwächt werden.

Diese beiden Strategien im Umgang mit Herausforderungen des Geschlechtlichen sollten bei uns eine tiefe Traurigkeit hervorrufen. Sie antworten weder auf die Forderungen Gottes noch auf die Nöte der Menschen.

Nötig ist eine Kultur, die von dem Gebot und der Gnade geprägt ist, also eine evangeliumsgemäße Kultur. Das Gebot zeigt uns unsere Übertretungen und treibt uns zum Kreuz. Die Gnade macht uns Mut, dass wir mit unseren Nöten und Sünden in das Licht treten und Vergebung sowie Erneuerung empfangen. Ganz konkret: Es braucht Räume, in denen homosexuell empfindende Mitchristen sich öffnen können. Wir brauchen Brüder und Schwestern, die Angefochtene in ihren Kämpfen begleiten, also ihre Lasten in Beichte und Fürbitte mittragen (vgl. Gal 6,1–2).

Gemeinschaft und echte Freundschaften sind essenziell. Viele schwule und lesbische Christen, die sich zur Keuschheit verpflichtet haben, leben ziemlich isoliert und einsam. Solche Einsamkeit ist sehr schmerzhaft und treibt manchmal in die Verzweiflung oder auch in das sexuelle Abenteuer. Nicht selten tragen sie selbst ihren Teil zur Vereinsamung bei. Trotzdem kann die Gemeinde sie durch Gemeinschaft und durch belastbare Freundschaften unterstützen.

Der Blick auf unsere Geschwister darf sich auch nicht auf die sexuelle Frage einengen. Das ist eine Folge der gesellschaftlichen Überhöhung. Für gleichgeschlechtlich empfindende Christen soll und muss sich auch nicht alles um dieses Thema drehen. Sie haben doch viele Gaben Gottes, mit denen sie in der Gemeinde dienen dürfen. Etliche sind künstlerisch begabt, einigen fällt ein evangelistischer Lebensstil sehr leicht, wieder andere sind sehr sensibel. Eine Gemeinde mit einer robusten Kultur der Gnade wird Geschwistern helfen, abstinent zu leben und sich mit ihren Gaben in christusgemäßer Weise einzubringen.

Ich kenne Brüder, die mit gleichge­schlechtlicher Anziehung kämpfen und zur gleichen Zeit einen gesegneten Verkündigungsdienst tun.

Meine vierte Empfehlung dreht sich um die Herrschaft von Jesus Christus.

Der evangelische Ethiker Klaus Bockmühl hat einmal gesagt: „Die Grundregel der christlichen Sexualethik ist eine denkbar einfache. Sie lautet: ‚Ihr gehört nicht euch selbst. Machet Gott Ehre mit eurem Leibe!‘“34

Unsere Sexualethik muss in den größeren Rahmen der Herrschaft Christi hineingestellt werden. Wir müssen weg von der Vorstellung, eine erfüllte Sexualität oder die Ehe sei das Wichtigste im Leben.

Das Wichtigste im Leben bin weder ich noch ist es die Partnerschaft. Es geht um das Reich Gottes, um die Herrschaft Christi, um Jesus selbst. Eine Leidenschaft wird nicht durch Leugnung, sondern durch eine größere Leidenschaft überwunden.

Noch einmal abschließend Klaus Bockmühl:

„Es ist die Übernahme des Herr­schafts­­an­spruches Christi und seine Ver­wirk­lichung, die das positiv tragende Element christlicher Sexualethik bildet. Darin findet der Christ die neuen Impulse, die neuen Motive, die in der Lage sind, seine geschlechtlichen Fragen zu ordnen und einzuordnen.“35

Ron Kubsch

Quelle: Evangelium21.net (2.12.2022)

Ron Kubsch ist Studienleiter am Martin Bucer Seminar in München, Dozent für Apologetik und Neuere Theologiegeschichte sowie 2. Vorsitzender und Generalsekretär bei Evangelium21. Er bloggt seit über 15 Jahren unter TheoBlog.de und hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter Die Postmoderne (2007), und Der neue Paulus (2017). Seit 2009 ist er Schriftleiter der Zeitschrift Glauben und Denken heute. Ron ist mit Dorothea verheiratet. Sie haben drei erwachsene Kinder.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 9. Dezember 2022 um 9:18 und abgelegt unter Gemeinde, Kirche, Sexualethik, Theologie.