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Fiatgeld und Corona-Regime – Die real existierende Postmoderne

Prof. Dr. Michael Esfeld ist seit 2002 Professor für Wissenschaftsphilosophie an der Universität Lausanne. Seit 2010 ist er Mitglied der Leopoldina, Deutsche Nationale Akademie der Wissenschaften; 2013 erhielt er den Forschungspreis der Alexander von Humboldt-­Stiftung. Hauptarbeitsgebiete sind das Verhältnis von Natur­ und Geisteswissenschaften, die Philosophie des Geistes und die Philosophie der Physik. Letzte Buchveröffentlichungen: „Wissenschaft und Freiheit. Das naturwissenschaftliche Weltbild und der Status von Personen“ (Suhrkamp 2019); „Und die Freiheit? Wie die Corona­-Politik und der Missbrauch der Wissenschaft unsere offene Gesellschaft bedrohen“ (mit Christoph Lütge, riva 2021).

Fiatgeld

Was haben die unbegrenzte Schöpfung von Fiatgeld und das Corona­-Regime miteinander gemeinsam? Offensichtlich ist, dass Ersteres die Voraussetzung für Letzteres ist: Ohne die Möglichkeit für die Regierungen, beliebig Geld aus nichts zu schaffen, hätte es die Corona­Lockdowns nicht gegeben, weil jeder die wirtschaftlichen Konsequenzen unmittelbar in seinem Geldbeutel gespürt hätte. Doch die Parallele liegt tiefer: Das Fiatgeld läutet die erste, wirtschaftliche Phase der real existierenden Postmoderne ein, das Corona­-Regime deren zweite, gesamtgesellschaftliche Phase.

1971 setzte Präsident Nixon die Definition des US­-Dollar durch eine bestimmte Menge Gold (damals 1/35 einer Feinunze) aus. 2002 lobte Willem Duisenberg, damals Präsident der EZB, den Euro als die weltweit erste Währung, die an nichts gebunden ist. Das ist die Postmoderne im Geldsystem: die Konstruktion einer Realität in Form eines Anspruchs auf reale Güter und Dienstleistungen (Kaufkraft des Geldes) aus nichts, per fiat, in Form ungedeckter und damit potenziell unbegrenzter Geldschöpfung. Dieses ist eine postfaktische Realität: Es gibt keine Fakten, die diese Realität bestimmen und damit begrenzen. In der Bindung des Geldes an Gold, Silber oder einen Warenkorb wird hingegen seine Kaufkraft durch die Sachwerte bestimmt, die ihm zugrunde liegen. Deren Verfügbarkeit ist begrenzt. Sie können nicht durch politische Entscheidungen vermehrt werden.

Die Goldbindung des US­-Dollar geriet 1971 aus den Fugen durch einen Staat, der nach innen immer weitere Wohlfahrtsansprüche befriedigen will, ohne Wohlstand zu schaffen (Johnsons „great society“), und der nach außen Machtansprüche auch mit militärischen Mitteln durchsetzt (Vietnamkrieg). Vor die Wahl gestellt, diese Ansprüche der Realität anzupassen oder eine Illusion zu schaffen, um besagte Ansprüche zu befördern, entschieden sich die USA und viele weitere Staaten für Letzteres.

Postfaktische Realität

Mit dem Corona­-Regime wird die real existierende Postmoderne zunehmend totalitär: Sie erfasst nunmehr alle Bereiche des Zusammenlebens. Die Corona­-Viren­wellen sind eine Tatsache. Das Virus ist für Menschen mit geschwächtem Immunsystem gefährlich. Aber wenn es sich dabei um eine Pandemie handeln sollte, so ist es doch eine recht sonderbare – nur ein kleiner Teil der Krankenhauseinweisungen in Deutschland (im Schnitt 2%) beruhte 2020 auf einer Infektion mit dem Virus. Eine landesweite Überlastung drohte nie. Die Krankenhausaufenthalte insgesamt stiegen nicht an, sondern gingen eher zurück. Entsprechend wurden Betten abgebaut statt zusätzliche Kapazitäten geschaffen. Eine Übersterblichkeit gab es 2020 nicht (siehe „Der Staatsvirus“ von Gunter Frank; Achgut Edition 2021). Kurz: Es gab und gibt keine Fakten, die eine Notlage begründen könnten.

Stattdessen wird eine postfaktische Realität konstruiert mit dem Ziel, Akzeptanz für umfassende soziale Kontrolle zu gewinnen: Alles, einschließlich der Kontakte im engsten Familien­ und Freundeskreis, ist staatlicher Regulierung unterworfen, wie die Lockdowns gezeigt haben; nichts, selbst nicht der eigene Körper, ist Privateigentum, das staatlicher Verfügungsgewalt entzogen ist. Das wurde in der Diskriminierung derjenigen deutlich, die sich nicht den als Impfung angepriesenen medizinischen Eingriff aufzwingen lassen (und der weder in Bezug auf Wirksamkeit noch auf Sicherheit die Standards einer Impfung erfüllt).

Gerechtfertigt werden diese Eingriffe mit der Behauptung, dass jeder mit seinem alltäglichen Handeln andere gefährden könnte. Jede Form physischen Kontakts kann zur Ausbreitung eines Virus beitragen; jede Tätigkeit hat Auswirkungen auf die nichtmenschliche Umwelt, die zur Veränderung des Klimas beitragen können. Die gewohnten, alltäglichen Lebensweisen so darzustellen, dass sie andere gefährden, dem dient die Konstruktion einer Corona­ oder Klimakrise und die Angst und Hysterie, die mit diesen Konstruktionen geschürt werden. Wissenschaft lässt sich dafür in derselben Weise einspannen wie einst die Religion: Mit Modellrechnungen, in denen man die Parameter willkürlich justieren kann, lassen sich beliebige Katastrophenszenarien an die Wand malen. Die Dominanz der Modelle gegenüber der Evidenz passt hervorragend zur postfaktischen Realitätskonstruktion der Postmoderne.

Das Verhältnis von Recht und Staat wird umgekehrt

Das Verhältnis zwischen Rechten und dem Staat wird einer Kehrtwende unterworfen. War es in der Moderne Aufgabe des Staates, die Grundrechte zu schützen, so gewährt in der Postmoderne der Staat Freiheiten als Privilegien für konformes Verhalten. Man kauft sich von dem Generalverdacht, andere durch sein alltägliches Handeln zu schädigen, dadurch frei, dass man einen sozialen Pass erwirbt, dessen Bedingungen der Staat willkürlich festsetzt, wie wir es mit 2G, 3G, Impfpässen usw. erleben. Der zertifizierte Mensch löst den mündigen Bürger ab. Belohnungen für Anpassung treten an die Stelle der Grundrechte.

Dieser postmoderne Totalitarismus unterscheidet sich intellektuell dadurch von den früheren Totalitarismen, dass an die Stelle des großen Narrativs von dem absoluten Gut – der klasselosen oder der reinrassigen Gesellschaft als Endziel der Geschichte – viele kleine Narrative partieller Güter (wie Gesundheitsschutz, Klimaschutz usw.) treten, die aber je für sich dann, wenn sie dominant sind, eine genauso umfassende soziale Kontrolle implizieren wie einst die großen Narrative. Wie inzwischen deutlich wird, muss man nahtlos von einem Narrativ zum nächsten übergehen – von Corona zu Klima zu Krieg und was sonst noch kommen mag –, um die Illusion des für alles sorgenden Staates aufrechtzuerhalten.

Aufklärung

In seinem Aufsatz „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ (1784) definiert Immanuel Kant Aufklärung als den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Wenn man in diesem Aufsatz „Religion“ durch „Wissenschaft“ und „Vormünder“ durch „Experten“ ersetzt, dann zeichnet er ein ziemlich passendes Bild der heutigen Situation. Kant unterscheidet zwischen privatem und öffentlichem Gebrauch der Vernunft: Der private Gebrauch ist eingeschränkt durch die jeweiligen Abhängigkeitsverhältnisse, sodass man den vorgegebenen Regeln folgen muss. Der öffentliche Vernunftgebrauch in Meinungsäußerung, Kritik dieser Regeln und Vorlegen von Verbesserungsvorschlägen muss nach Kant aber jederzeit frei sein, damit Aufklärung möglich ist. Somit ist es wichtig, dass auch Wissenschaftler ihrer Verantwortung gegenüber den Bürgern, die sie ja durch ihre Abgaben finanzieren, im öffentlichen Gebrauch ihrer Vernunft nachkommen, statt sich von Politikern und deren Sprachrohren in den Medien vorgeben lassen, was man sagen darf und was nicht.

Neue Weichenstellung zwischen Freiheit und Totalitarismus

Das Corona­, das Klima­ und das Kriegsregime haben gemeinsam, die Ressourcen künstlich zu verknappen. Die absichtlich herbeigeführte Verknappung der Ressourcen soll offenbar als Vorwand dienen, um ein System sozialer Kontrolle zur zentralen Verteilung der Ressourcen einzuführen. Früher hat man Ressourcenknappheit in und nach Kriegen mit Lebensmittelkarten und dergleichen zu steuern versucht; heute kann man das digital und gezielt tun als Belohnung für konformes Verhalten. Nichtkonforme – und das sind letztlich alle diejenigen, die sich ihre bisherige Lebensweise nicht zerstören lassen wollen und die lediglich ihre Grundrechte einfordern – kann man auf diese Weise dann in allerletzter Konsequenz genauso vernichten wie früher Juden oder „Kapitalisten“. Das ist die Dystopie, auf die wir zusteuern, wenn wir ein System umfassender sozialer Kontrolle gewähren lassen. Wie nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg stehen wir daher heute wieder vor einer Weichenstellung zwischen Freiheit und Totalitarismus.

Allerdings haben totalitäre Systeme, wenn sie nicht in reine Gewaltherrschaften übergehen, nur so lange Bestand, wie die Bürger nicht die Mechanismen durchschauen, durch die sie hinter das Licht geführt werden. Deshalb ist es wichtig, sich nicht durch die Vormünder in Gestalt von „Experten“ entmündigen zu lassen: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ ist nach Kant der Wahlspruch der Aufklärung. Wenn genügend Menschen diesen Mut aufbringen, werden wir wieder zu dem Weg zurückkehren, der zu einem friedlichen Zusammenleben, zu technologischem und wirtschaftlichem Fortschritt und mit ihm zu mehr Lebensqualität und Möglichkeiten zur Entfaltung eines selbstbestimmten Lebens für alle führt: Das ist der Weg einer faktenbezogenen Wissenschaft und eines die Grundrechte sichernden Rechtsstaates.

Beitrag von Prof. Dr. Michael Esfeld, Professor für Wissenschaftsphilosophie an der Universität Lausanne (Schweiz).

www.michaelesfeld.com

Wir danken dem SmartInvestor [1] für die freundliche Genehmigung zur Übernahme!