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Cantate: Die wichtigste Frage.

Der Lateiner kennt sich ja aus: Cantare heißt ja ‚singen‘. Ein Gottesdienst, in dem fleißig gesungen wird ist ja etwas Feines. Ein richtiger Ohrenschmaus. Richtig, deswegen sind sie ja gekommen und heute morgen schon so früh aufgestanden. Aber warum ist denn solch ein GD im Jahreskreis dem Singen gewidmet? Diese Frage ist wichtig, warum singen die Christen überhaupt? Sie werden sagen: o, wenn es mir gut geht, dann träller ich ein Liedchen, wenn ich vom Arzt eine gute Nachricht erhalten habe, dann posaune ich es aus, bin ich bei der nächsten Tariferhöhung mit dabei, dann zwitschern die Alten wie die Jungen. Ja wenn uns allzu Gutes widerfährt, dann haben wir auch einen guten Grund zu singen und fröhlich zu sein und Gott zu loben und zu danken.

Aber wieso singen die Christen? Da stirbt Jesus elendiglich am Kreuz; ist das ein Grund zum Singen? Wenn er wenigstens etwas auf dem Kerbholz gehabt hätte, dann könnte man ein Jubellied anstimmen: Endlich ist Ruhe! Und jetzt ist Kantate in Philippi, natürlich nicht in einem alten Gotteshaus. Die Musikfreunde dieser römischen Kunstmetropole gehen dazu auch nicht in einen Konzertsaal der Bremer Glocke. Dieses Kantate findet im Gefängnis statt. Diese geistliche Musik schallt aus vergitterten Fenstern, durch Zellengänge und schwedische Gardinen. Kantate im Knast, so könnte eine flott aufgemachte Zeitungsüberschrift lauten. Und weil diese Aufführung in Philippi solchen Eindruck hinterließ, wurde sie immer wieder notvollen Situationen gesungen. Weil es so viel Gefängnisse gibt, in denen wir leben und leiden, deshalb tun wir gut daran, auf diese Kantate zu hören, was dieses Kantate für Auswirkungen hatte. Da wollen wir heute genau hinhören, was das auch mit unserer Predigtreihe zu tun hat.

1. Gefangen und doch frei!

Ich möchte Ihnen einen Mann vorstellen, dem ein solcher Schreck gewaltig in die Knochen gefahren ist. Lukas berichtet von ihm in der Apostelgeschichte, in 16. Kapitel. Obwohl er einen anständigen, einen ehrbaren Beruf hat. Niemand kann ihm einen fragwürdigen Lebenswandel vorwerfen. Er ist Beamter im römischen Weltreich. Und das ist schon was. Er arbeitet als Gefängniswärter, als Chef einer Justizvollzugsanstalt in Philippi. Seltsame Gefangene hat er in dieser Nacht. Er weiß gar nicht so richtig, was ihnen vorgeworfen wird. Ein paar Leuten haben sie offensichtlich ihre dunklen Geschäfte verdorben. Es ist zum Aufruhr gekommen, von Unruhestiftung war die Rede, davon, dass diese Leute Sitten einführen wollten, von denen sich römische Bürger fernzuhalten hätten. Die Beamten, die über den Fall zu entscheiden hatten, haben sie auspeitschen lassen und sie dann ins Gefängnis gesteckt. In sein Gefängnis. Und dann haben sie ihm noch gesagt, er sei für sie verantwortlich. Er solle gefälligst gut auf sie aufpassen. Irgend etwas stimme nicht mit diesen Leuten. (siehe Skizze unten: Gefängnis)

Ja, irgend etwas stimmt nicht mit diesen Leuten. Er hat sie in die hinterste Zelle gesteckt, wo es dunkel, kalt und feucht ist, wo den meisten Gefangenen die Knie schlottern vor Kälte und Angst. Als Zugabe hat er ihre Füße noch in den Holzblock geschlossen, so dass sie sich nicht mehr bewegen können. Und dann war die Tür zu!

Im Gefängnis in Philippi ist es Nacht. Längst sind die Lichter gelöscht. Es geht auf Mitternacht zu. Da werden die Häftlinge plötzlich geweckt. Wegen einem Geräusch fahren sie aus dem Schlaf hoch und richten sich auf ihren Pritschen auf. Was war das für ein ungewöhnlicher Ton in diesem Zellenbau? Das Hallen der Schritte, das Drehen der Schlüssel, das Klirren der Ketten, das Knarren der Türen, das Brüllen der Wächter, das Klatschen der Peitschen, das Stöhnen der Ärmsten, das alles war ihnen wohl vertraut, aber was ist das? Singen von Männern? Das muss von draußen kommen: feuchtfröhliche Spätheimkehrer von der Kneipe. Das muss von droben kommen: weinselige Aufpasser beim Kartenspiel. Nein! der Gesang kommt von drinnen. Ein Duett wird gesungen. Was für ein Wohlklang geht durch die Räume. Ein Nachtkonzert erfüllt den Trakt. Auch wenn ihre Sperrsitze hinter abgesperrten Türen nicht die beste Akustik bieten, so tut ihnen dieses Lob Gottes wohl. Das Loblied hat immer stärkenden Charakter. Der Lobgesang hat immer einen tröstenden Aspekt. Der Lobpreis ist die Arznei für die kranke Seele. Bei Paulus und Silas ist das Gotteslob festgeschrieben. Natürlich schmerzt die Behandlung durch den Mob auf der Straße; ihre Rücken waren eine einzige Wunde. Natürlich drückt die verschärfte Haft im Bunker; ihre Füße waren schmerzhaft gepflockt. Aber weil die beiden Apostel sich jetzt nicht nach vorne oder hinten, sondern nur nach oben orientieren, sind sie des Lobes voll.

2. Frei und doch verloren!

Er kann schlecht schlafen in dieser Nacht, unser Gefängniswärter. Irgendwie ahnt er, dass etwas passieren wird. Er war ja von der harten Sorte als pensionierter Soldat. Plötzlich ein gewaltiges Erdbeben. Balken bersten, Steine brechen, Türen krachen auf. Sofort ist er aus dem Bett. Er weiß: „Wenn die Gefangenen weg sind, dann geht es mir dreckig. Ich bin für die Gefangenen verantwortlich. Wenn sie fliehen sitz ich selber da, wohin ich meine Delinquenten gesteckt habe.“ Und seine dunkelsten Ahnungen werden bestätigt. Die Türen sind alle offen. Da gibt es nur eins: Er nimmt sein Schwert und will sich töten.

Da hört er plötzlich die Stimme eines seiner Gefangenen, der mit klarer Stimme ruft: „Tu dir nichts an, wir sind noch alle hier.“ Das gibt es doch nicht, das kann es doch nicht wahr sein. Welcher Gefangene würde nicht fliehen, wenn er die Gelegenheit dazu hätte? Das müssen Wesen aus einer anderen Welt sein. Jetzt ihn packt das schiere Entsetzen.  Der Gefängniswärter fällt zitternd auf seine Knie. Und er fragt: „Was muss ich tun, um gerettet zu werden?“ (Skizze: 3 Männer) Eine seltsame Frage in dieser Situation. Rettung hatten doch die anderen nötig, seine Gefangenen. Paulus und Silas. Und nicht er, der Gefängniswärter. Die hatten Schlimmes zu erwarten, er doch nicht. Es war doch alles gut geworden. Keiner der Gefangenen war weg. Er musste keine Angst haben, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Und doch bricht diese seltsame Frage aus ihm heraus: „Was muss ich tun, um gerettet zu werden?“

Ich glaube, ihm war in einem Augenblick klargeworden: gefangen sind nicht meine Gefangenen, gefangen und verloren bin ich. Meine Gefangenen sind in Wirklichkeit frei. Wer in der hintersten Zelle, eingesperrt in den Block, singen kann, wer Gott loben und preisen kann, der muss frei sein, unendlich frei. Und wer zitternd ein Gefängnis zu bewachen hat, wer Angst haben muss vor Erdbeben und Vorgesetzten, der ist in Wirklichkeit gefangen.

Was muss ich tun, um gerettet zu werden, um frei zu werden, um genauso frei zu werden wie ihr? Denn ihr, ihr seid doch im Grunde viel besser dran als ich.

Was muss ich tun um gerettet zu werden?

Wenn jemand einen bösen Autounfall erlebt, fragt er genauso. Was muss ich tun um gerettet zu werden? Dann aber nichts wie ins Krankenhaus, da flicken sie dich wieder zusammen.

Wenn jemand am Ertrinken ist, fragt er nicht mehr, was muss ich tun, dass ich gerettet werde, das fragen für ihn andere und werfen den Rettungsring.

Der frühere Evangelist Julius Dammann sagte einmal: „Ich fürchte kein Wort in der Bibel so, wie das Wort ,verloren‘.

Der Gefängniswärter wusste: „Ich bin verloren,“ und jetzt fordert Gott Rechenschaft und ich kann nicht auf eins antworten. Da kann ich noch so eine weiße Weste haben.

Für viele ist Gott doch so etwas wie ein überirdischer Punktesammler, der vielleicht zu Weihnachten mahnende Briefe verschickt, etwa so: „Punktekonto ist unterschritten. Im letzten Jahr hat es leider nicht gereicht.“

Gott ist Einer, vor dem man sich zu hüten hat. Einer, der meilenweit über einem steht. Einer, mit dem man besser nicht allzu viel zu tun bekommt, bei dem man nur den Kürzeren ziehen kann.

Ist Gott aber so? Ist Gott so etwas wie ein überirdischer Punktesammler der peinlich genau darauf achtet, dass wir auch ja genug Umsatz bringen? Ist Gott einer, vor dem man sich im Grunde hüten muss? Zunächst einmal: Ja! Denn wenn man es genau nimmt, und Gott nimmt es genau, dann genügen unsere Leistungen nie und nimmer seinen Erwartungen. Die Diagnose, die Paulus im Römerbrief stellt, gilt doch bis heute: „Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer. . .  da ist keiner, der nach Gott fragt. Sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben. Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer . . . sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.“

Luther sagt im kleinen Katechismus: ich bin ein verlorener und verdammter Mensch.

Warum? Seit Adam und Eva autonom sein wollten, ohne Gott leben wollten, sind wir wie sie auf dem highway to hell, auf der Autobahn in die Hölle. (Skizze: Minuszeichen)

Bsp. Du willst mit dem Zug nach Stuttgart, steigst aber in den Zug nach Hamburg. Du kannst die tolle Gegend bestaunen, wirst aber nie am Ziel ankommen. Seit dem Sündenfall sitzen wir im falschen Zug und sind jenseits von Eden.

Wer sich Gottes Wort aussetzt, merkt, das der Sündenfall Trennung von Gott bewirkt, der kann sich nicht mehr edel, hilfreich und gut vorkommen, der spürt etwas von dem, was Karl Barth den „unendlichen qualitativen Unterschied“ zwischen Gott und Menschen genannt hat. Der entdeckt: Meine Leistungen genügen ja nie und nimmer seinen Erwartungen. Das fängt ja schon beim ersten Gebot an: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Was sind denn Götter? Martin Luther sagt: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ Und da fällt mir doch unendlich vieles ein. Vieles, woran ich mein Herz hänge, vieles, was ich festhalten möchte mit aller Kraft.

Die Bibel gibt diesem unendlichen qualitativen Unterschied einen Namen, der nicht mehr allzu populär ist heute: Sünde. Wir zwei passen nicht zusammen, du heiliger und gerechter Gott und ich erbärmlicher, erbarmungswürdiger Mensch, ewig verloren. Dein Anspruch und meine Leistung, das passt nicht zusammen. Kaufleute würden heute sagen: „Das rechnet sich nicht.“ Verloren, ewig verloren.

3. Verloren und doch gerettet.

Ich weiß nicht, welche Antwort der Kerkermeister erwartet hat in dieser Situation. Die Antwort jedenfalls, die Paulus und Silas ihm geben, muss ihn noch mehr verwirrt haben: „Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und deine Angehörigen gerettet.“

Was ist aber jetzt ‚Glaube‘?

Um das zu erklären, habe ich hier mal ein chin. Schriftzeichen. Daran möchte ich ihnen etwas erklären. Die chin. Schriftzeichen sind vielfach aus mehreren Elementen zusammengefügt und ergeben so den Sinn. (Skizze: Chin. Zeichen)

Wir fangen einmal mit diesen 3 Strichlein hier an. Der untere Strich ist die Erde, ist ja klar, auf ihr stehen wir ja. Der obere, das ist der Himmel da oben und etwas was dazwischen ist, etwas was zwischen Himmel und Erde ist, das sind schlicht und einfach Worte. Das was zwischen Himmel und Erde ist, das sind Worte und diese Worte, die kommen natürlich woher. Hierfür haben wir hier unten dieses Kästchen. Die Worte, die kommen aus einem Mund. Und in diesem Fall kommen sie aus dem Munde eines eines anderen, also nicht aus dem eigenen. Worte die aus dem Munde eines anderen kommen, und mit diesen Worten aus dem Munde eines anderen, da geschieht etwas. Jetzt erlauben sie mir, dass ich ein bisschen aushole und aus dem Strich hier mal ein wenig etwas anderes mache. Da macht jemand mit den Worten aus dem Munde eines anderen etwas. Stellen sie sich vor dieses Männchen hier nähme statt den Worten aus dem Munde eines anderen einen Stuhl, und der stützt sich da drauf. Was meinen sie was passieren würde, wenn ich den Stuhl wegnehmen würde? Dann würde der gute Mann auf die Nase fallen. Der stützt sich mit seinem ganzen Dasein auf diesen Stuhl; Glauben heißt nichts anderes, als sich mit allem was ich habe auf das Wort aus dem Munde Jesu zu stützen.

Ja, gibt es denn so etwas? Da ist einer zutiefst entsetzt, weil er vielleicht zum ersten mal in seinem Leben spürt, wie unfrei, wie gefangen er ist, zutiefst entsetzt, weil er zum ersten mal mit der Welt Gottes konfrontiert wird. Da erwartet er nun vielleicht auf die Frage: Was muss ich tun! Die Antwort: Du musst noch mehr opfern! Aber Paulus sagt: Glaube an den Herrn Jesus und du wirst gerettet! Vielleicht hat er gedacht: Du musst Dich religiös mehr ins Zeug legen, aber Paulus sagt: Glaube an den Herrn Jesus und du wirst gerettet! Vielleicht schaut er Paulus und Silas mit offenem Mund und geweiteten Augen an und wartet auf das, was jetzt noch kommt. Aber es kommt nichts mehr. Paulus hat gesagt: Glaube an den Herrn Jesus und du wirst gerettet!

Ja, aber, soll das denn alles sein? So einfach ist das, sich retten zu lassen? (Skizze: +)

So einfach ist das, mit Gott ins Reine zu kommen? So einfach, weil es für Gott so schwer war. Gott hat es seinen Sohn gekostet. Jesus wurde ausgelacht, verspottet, geschlagen, angespuckt, angepöbelt, gefoltert, ans Kreuz genagelt, starb einen grausamen Erstickungstod, damit das nun so einfach ist, mit Gott ins Reine zu kommen.

Der Kerkermeister hat nicht argumentiert: Ich hab doch gar nichts gegen Gott gemacht, er hat nicht diskutiert: Mensch, das mit Jesus, kann das alles sein? Und er hat nicht lamentiert: O, was werde meine Nachbarn jetzt denken, wenn ich fromm werde. Er hat ganz einfach sein Leben Jesus anvertraut! Er hat vielleicht proklamiert: Herr Jesus, ich will gerettet werden. Ich bekenne dir meine Sünden. Ich brauche dich. Dir soll mein Leben gehören. Ich übergebe es dir. (Skizze: Spruchband)

So wirst du gerettet, indem du dich auf Jesus verlässt, indem du aufhörst, dich alleine retten zu wollen! Es gibt nur einen Weg zum Leben, nur einen Weg zur Wahrheit, nur einen Weg zur Freude und zur Freiheit, und das ist Jesus Christus. Sich auf ihn verlassen, einzig und allein auf ihn vertrauen. So geschieht Rettung durch Jesus heute. So einfach ist das Evangelium.

Jetzt hat der Kerkermeister auch seinen Cantate-Sonntag gehabt!

Luther hat schon damals in der Pest, die ganze Landstriche entvölkert hat, die 2G Regel verkündet: Der Gerechte wird aus Glauben leben! Hast Du dich auch schon retten lassen?

Amen

Prädikant Thomas Karker, Sonntag Cantate, 15.5.2022

Skizze: