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Zum diskriminierenden Begriff „Homophobie“

Seit der deutsche Bundestag und viele andere Regierungen rund um den Globus die Öffnung der Ehe für Gleichgeschlechtliche beschlossen haben, genießen Schwule und Lesben nicht nur staatlichen, sondern oft sogar kirchlichen Segen. Jegliche Kritik an gleichgeschlechtlicher Praxis ist unabhängig von ihrer Motivation obsolet geworden. Das spiegelt sich insbesondere im Erfolg des Kunstbegriffs „Homophobie“, mit dem die Minderheit Homosexueller vor Diskriminierung geschützt werden soll.

Doch dieser offenbar bereits in die Alltagssprache eingegangene Ausdruck diskriminiert längst andere Menschen – nämlich all diejenigen innerhalb und außerhalb der Gleichge­schlechtlichen-Szene, die sich mit dem Phänomen der Homosexualität in der einen oder anderen Hinsicht doch auch sachlich-kritisch auseinandersetzen möchten. Eine solche Aus­einanderset­zung scheint kaum mehr möglich zu sein. Wer sich als Wissen­schaftler mit dem „Homo“-Thema analytisch so befasst, dass dabei auch kritische Aspekte aus Medi­zin, Psychologie oder Theologie zum Tragen kommen, wird mittels des Begriffs „homo­phob“ meist schnell an den Pranger gestellt und kollegial isoliert. Wenn sich ein christlicher Publi­zist die einschlägigen neutestamentlichen Aussagen zu eigen macht, ist er rasch gebrand­markt und muss damit rechnen, von manchen kirchlichen Zeitschriften gar nicht mehr ge­druckt zu werden. Wer als Pfarrer in der Gemeinde seine biblisch begründete Position kund­tut, hat mit heftigen Reaktionen – womöglich sogar von Seiten der Kirchenleitung – zu rech­nen. Eine diskriminierte Minderheit bilden heute kaum mehr die Homo- oder Trans­sexuellen, sondern eher schon die angeblich „Homophoben“. Sie zu diskriminieren, ist ja die durch­schaubare Absicht des Begriffs „homophob“.

Wo es derart unsachlich und unfair zugeht, dort sind mit Sicherheit psychologische und welt­anschauliche Faktoren im Spiel. Der Begriff der Phobie stammt aus der Psychologie: Er be­zeichnet die krankhafte, psychoanalytisch auszumachende Furcht vor etwas Bestimmten. Wenn man nun gewisse Themen nicht mehr kritisch ansprechen darf, herrscht offensichtlich eine solche Phobie in Gesellschaft und Kirche vor – nämlich eine ausgeprägte „Homose­xuellenkritik-Phobie“. Dies ist eine sachliche Feststellung; sie möchte nicht verletzen, sondern aufklären helfen.

Demgegenüber will das Wort „homophob“ sehr wohl verletzen; es ist ein pauschalisierender Kampfbegriff. Seine Verwendung zielt darauf, nicht nur die unsachlichen, sondern auch die sachlichen Kritiker gleichgeschlechtli­cher Praxis zu verängstigen und zum Schweigen zu bringen. Das ist mitt­lerweile auch viel­fach gelungen. Gewiss ist es im Blick auf unsachliche Kritik völlig legitim, Abwehrstrategien zu entwickeln; die aber sollten ihrerseits möglichst sachlich sein – was bei dem Totschlag-Argument der Verwendung des Begriffs „homophob“ definitiv nicht der Fall ist. Schon die Abkürzung „homo-“ ist höchst fragwürdig, weil im Ansatz für manche Ohren missver­ständ­lich. Altgriechisch gelesen bedeutet sie „gleich“ und bezieht sich hier auf die Gleichge­schlecht­lichkeit. Lateinisch verstanden aber heißt homo „Mensch“. Insofern unterstellt der Ausdruck „homophob“ dem Klang nach für manche Ohren missverständlich so etwas wie Menschenfurcht, ja es klingt sogar so etwas wie Menschen­feindschaft an – was natürlich absurd ist, aber bei dieser problematischen Abkürzung für den einen oder anderen Sender und Empfänger mitschwingen könnte. Und die zweite Worthälfte „-phob“ deutet auf eine psychologi­sche Größe hin, womit indirekt unterstellt wird, dass alle Kritik an Gleichge­schlechtlichkeit ein Fall für Psychologen oder gar Psychiater sei. Ebenso absurd! Es mag Einzelfälle geben, in denen der Begriff angemessen wäre – aber als gängiger Pauschalbegriff für sämtliche Arten von Kritik an Homosexualität ist er ein Unding. Ja er stellt ein sprachliches Monster dar, des­sen Aggressions- und Verwirrungspotenzial so groß ist, dass er zumindest in kirchlichen und theologischen, um Wahrheit und Fairness bemühten Kreisen sich eigentlich von selbst verbie­ten sollte.

Nicht alle Argumente von Kritikern der Gleichgeschlechtlichkeit mögen überzeugend sein; diesbezüglich sind umso mehr offene Diskussionen angesagt, nicht jedoch Tabuisierungen und gezielte Verletzungen. Der bekannte Umstand, dass Homosexuellen über lange Zeit hierzulande hin­sichtlich ihrer Menschenrechte übel mitgespielt wurde, ist zweifellos höchst bedauerlich. Er rechtfertigt aber nicht eine Entwicklung, die langsam in gegenteilige Richtung zu gehen droht. Wieder werden Mitmenschen an den Pranger gestellt oder jedenfalls als hoch­peinlich ausge­geben – doch nun sozusagen auf der anderen Seite. Der Begriff „homophob“ spaltet auf nie­derträchtige Weise, statt eine sachliche Debatte zu fördern. Er sollte unter dialogfreundli­chen und gebildeten Zeitgenossen künftig obsolet sein. Würde er hingegen immer weiter zur sprach­lichen Normalität werden, dann könnte es dazu kommen, dass schließlich auch die Bibel als „Homophobie“-förderliches Buch einer radikalen Kultur- und Gesellschaftskritik anheimfällt. Umso mehr wäre es an der Zeit, in Theologie und Kirche „klimatisch“ endlich wieder ausgewogenere Debatten zum Thema Ehe und Gleichgeschlecht­lichkeit zuzulassen, statt sich positionell dem Zeitgeist anzubiedern.

Prof. Dr. Werner Thiede

Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

 

Werner Thiede: Evangelische Kirche – Schiff ohne Kompass? Impulse für eine neue Kursbestimmung“, Darmstadt 2017 , Hardcover, € 15

Dr. theol. habil. W. Thiede ist apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, Pfarrer i.R. und Publizist (www.werner-thiede.de).