Zum diskriminierenden Begriff „Homophobie“
Donnerstag 28. April 2022 von Prof. Dr. Werner Thiede
Seit der deutsche Bundestag und viele andere Regierungen rund um den Globus die Öffnung der Ehe für Gleichgeschlechtliche beschlossen haben, genießen Schwule und Lesben nicht nur staatlichen, sondern oft sogar kirchlichen Segen. Jegliche Kritik an gleichgeschlechtlicher Praxis ist unabhängig von ihrer Motivation obsolet geworden. Das spiegelt sich insbesondere im Erfolg des Kunstbegriffs „Homophobie“, mit dem die Minderheit Homosexueller vor Diskriminierung geschützt werden soll.
Doch dieser offenbar bereits in die Alltagssprache eingegangene Ausdruck diskriminiert längst andere Menschen – nämlich all diejenigen innerhalb und außerhalb der GleichgeÂschlechtlichen-Szene, die sich mit dem Phänomen der Homosexualität in der einen oder anderen Hinsicht doch auch sachlich-kritisch auseinandersetzen möchten. Eine solche AusÂeinandersetÂzung scheint kaum mehr möglich zu sein. Wer sich als WissenÂschaftler mit dem „Homo“-Thema analytisch so befasst, dass dabei auch kritische Aspekte aus MediÂzin, Psychologie oder Theologie zum Tragen kommen, wird mittels des Begriffs „homoÂphob“ meist schnell an den Pranger gestellt und kollegial isoliert. Wenn sich ein christlicher PubliÂzist die einschlägigen neutestamentlichen Aussagen zu eigen macht, ist er rasch gebrandÂmarkt und muss damit rechnen, von manchen kirchlichen Zeitschriften gar nicht mehr geÂdruckt zu werden. Wer als Pfarrer in der Gemeinde seine biblisch begründete Position kundÂtut, hat mit heftigen Reaktionen – womöglich sogar von Seiten der Kirchenleitung – zu rechÂnen. Eine diskriminierte Minderheit bilden heute kaum mehr die Homo- oder TransÂsexuellen, sondern eher schon die angeblich „Homophoben“. Sie zu diskriminieren, ist ja die durchÂschaubare Absicht des Begriffs „homophob“.
Wo es derart unsachlich und unfair zugeht, dort sind mit Sicherheit psychologische und weltÂanschauliche Faktoren im Spiel. Der Begriff der Phobie stammt aus der Psychologie: Er beÂzeichnet die krankhafte, psychoanalytisch auszumachende Furcht vor etwas Bestimmten. Wenn man nun gewisse Themen nicht mehr kritisch ansprechen darf, herrscht offensichtlich eine solche Phobie in Gesellschaft und Kirche vor – nämlich eine ausgeprägte „HomoseÂxuellenkritik-Phobie“. Dies ist eine sachliche Feststellung; sie möchte nicht verletzen, sondern aufklären helfen.
Demgegenüber will das Wort „homophob“ sehr wohl verletzen; es ist ein pauschalisierender Kampfbegriff. Seine Verwendung zielt darauf, nicht nur die unsachlichen, sondern auch die sachlichen Kritiker gleichgeschlechtliÂcher Praxis zu verängstigen und zum Schweigen zu bringen. Das ist mittÂlerweile auch vielÂfach gelungen. Gewiss ist es im Blick auf unsachliche Kritik völlig legitim, Abwehrstrategien zu entwickeln; die aber sollten ihrerseits möglichst sachlich sein – was bei dem Totschlag-Argument der Verwendung des Begriffs „homophob“ definitiv nicht der Fall ist. Schon die Abkürzung „homo-“ ist höchst fragwürdig, weil im Ansatz für manche Ohren missverÂständÂlich. Altgriechisch gelesen bedeutet sie „gleich“ und bezieht sich hier auf die GleichgeÂschlechtÂlichkeit. Lateinisch verstanden aber heißt homo „Mensch“. Insofern unterstellt der Ausdruck „homophob“ dem Klang nach für manche Ohren missverständlich so etwas wie Menschenfurcht, ja es klingt sogar so etwas wie MenschenÂfeindschaft an – was natürlich absurd ist, aber bei dieser problematischen Abkürzung für den einen oder anderen Sender und Empfänger mitschwingen könnte. Und die zweite Worthälfte „-phob“ deutet auf eine psychologiÂsche Größe hin, womit indirekt unterstellt wird, dass alle Kritik an GleichgeÂschlechtlichkeit ein Fall für Psychologen oder gar Psychiater sei. Ebenso absurd! Es mag Einzelfälle geben, in denen der Begriff angemessen wäre – aber als gängiger Pauschalbegriff für sämtliche Arten von Kritik an Homosexualität ist er ein Unding. Ja er stellt ein sprachliches Monster dar, desÂsen Aggressions- und Verwirrungspotenzial so groß ist, dass er zumindest in kirchlichen und theologischen, um Wahrheit und Fairness bemühten Kreisen sich eigentlich von selbst verbieÂten sollte.
Nicht alle Argumente von Kritikern der Gleichgeschlechtlichkeit mögen überzeugend sein; diesbezüglich sind umso mehr offene Diskussionen angesagt, nicht jedoch Tabuisierungen und gezielte Verletzungen. Der bekannte Umstand, dass Homosexuellen über lange Zeit hierzulande hinÂsichtlich ihrer Menschenrechte übel mitgespielt wurde, ist zweifellos höchst bedauerlich. Er rechtfertigt aber nicht eine Entwicklung, die langsam in gegenteilige Richtung zu gehen droht. Wieder werden Mitmenschen an den Pranger gestellt oder jedenfalls als hochÂpeinlich ausgeÂgeben – doch nun sozusagen auf der anderen Seite. Der Begriff „homophob“ spaltet auf nieÂderträchtige Weise, statt eine sachliche Debatte zu fördern. Er sollte unter dialogfreundliÂchen und gebildeten Zeitgenossen künftig obsolet sein. Würde er hingegen immer weiter zur sprachÂlichen Normalität werden, dann könnte es dazu kommen, dass schließlich auch die Bibel als „Homophobie“-förderliches Buch einer radikalen Kultur- und Gesellschaftskritik anheimfällt. Umso mehr wäre es an der Zeit, in Theologie und Kirche „klimatisch“ endlich wieder ausgewogenere Debatten zum Thema Ehe und GleichgeschlechtÂlichkeit zuzulassen, statt sich positionell dem Zeitgeist anzubiedern.
Prof. Dr. Werner Thiede
Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.
Werner Thiede: Evangelische Kirche – Schiff ohne Kompass? Impulse für eine neue Kursbestimmung“, Darmstadt 2017 , Hardcover, € 15
Dr. theol. habil. W. Thiede ist apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, Pfarrer i.R. und Publizist (www.werner-thiede.de).
Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 28. April 2022 um 14:45 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Sexualethik.