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Der Kölner Dom und die Spuren des Schöpfers in einer gefallenen Schöpfung

Vor dem 2. Weltkrieg hatte ich oft Gelegenheit, den wunderschönen gotischen Kölner Dom zu besuchen. Jede freie Minute verbrachte ich dort, um dieses edle Beispiel der Architektur aus dem 13. Jahrhundert zu bewundern. Die kühne Eleganz der Säulen und Pfeiler, das hohe, unvergleichliche Deckengewölbe, die beiden berühmten Türme, die mittelalterlichen Glasmalereien und die wunderbare Orgel. Wenn diese Orgel aufbrausend das riesige Bauwerk mit Musik erfüllte, dann musste ich an Jesaja 6 denken, wo der Prophet die Herrlichkeit seines Gottes sieht. Je mehr ich den Dom bewunderte, umso größer wurde auch meine Bewunderung für die Urheber dieses Werkes, die Architekten, Baumeister und Handwerker. Jahrhunderte wurde geplant und gearbeitet.

Die gewaltigen Fundamente und die harmonische Linienführung waren das Ergebnis sorgfältigen Planens. Experten mit mathematischen, statischen, mechanischen und künstlerischen Fähigkeiten, die es außerdem noch verstanden, alle diese Kenntnisse hineinmünden zu lassen in dieses großartige Bauwerk, waren hier am Werk gewesen. Der Kölner Dom hat die Unbill und Verwüstungen der Jahrhunderte überstanden. Die Konstrukteure kannten also nicht nur die Prinzipien der Schönheit, sondern auch die der Dauerhaftigkeit. Ihre Handwerkskunst war in jeder Hinsicht erstklassig. So bewunderte ich unsere Vorfahren, indem ich ihrer Hände Arbeit bestaunte. Wenn man bedenkt, wie wenige technische Hilfsmittel, die heute ein Architekt als unbedingte Voraussetzung betrachten würde, damals zur Verfügung waren, dann kann man erst die ans Wunderbare grenzende Meisterschaft jener Handwerker und Baumeister ermessen.

Jahrhunderte nachdem das Bauwerk entstand, zeigt es noch ohne Zweifel die Gedanken und die Handschrift seiner Erschaffer. Der wohldurchdachte Gesamtplan lässt uns heute verwundert rätseln, welche Art Zeichenbüro damals wohl zur Verfügung stand und wie etwa die Pläne vervielfältigt wurden. Nun anzunehmen, ein derartiges Meisterwerk der Baukunst sei ohne jegliches Planen einfach so entstanden, hieße, den gerechtfertigten Spott eines jeden auch nur halbwegs mit dem Baugewerbe vertrauten Menschen herauszufordern. Auch die Belastbarkeit der verschiedenen Baustoffe musste durch alte mathematische Formeln errechnet werden – und konnte nicht einfach in einen Computer gefüttert werden.

Zusätzliche Schwierigkeiten

Bisher fiel es uns nicht schwer, beim Anblick ihrer Hände Werk die Maurer und Architekten zu bewundern. Das Bild ist klar – ein nahezu vollkommenes Kunstwerk widerspiegelt in aller Klarheit die Gedanken und die Kunstfertigkeit seiner Schöpfer. Aber dieses Bild blieb nicht immer so klar.

Vielleicht war Köln während des 2. Weltkrieges die am heftigsten bombardierte Stadt in West-Europa. Ein Deutscher erzählte mir einmal, dass auf alle 2 Quadratmeter der Kölner City eine Bombe fiel. Der Kölner Dom steht unmittelbar neben dem Hauptbahnhof. Köln ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, besonders durch die Verbindungen zum Ruhrgebiet. Somit war gerade der Hauptbahnhof verständlicherweise ein Bombenziel der Alliierten. Nicht alle Bomben erreichten ihr Ziel, und viele Häuser um den Bahnhof wurden zerstört. Eine Anzahl schwerer Bomben traf den Kölner Dom und richtete an dem ehrwürdigen Bauwerk enormen Schaden an.

Im Herbst 1946 kam ich zum ersten Mal nach dem Kriege wieder nach Deutschland, diesmal im Regierungsauftrag als Mitglied einer Versöhnungskommission. Wie bestürzt war ich beim Anblick des vertrauten Domes. Fünf Kriegsjahre hatten dem Bauwerk einen fast nicht wiedergutzumachenden Schaden zugefügt. Aber die beiden berühmten Türme standen noch. Als ich von Krefeld her nach Köln einfuhr, konnte ich sie im Morgennebel ausmachen. Erst als man näherkam, wurde die Zerstörung in ihrem ganzen Ausmaß erkennbar. Praktisch jedes Gebäude in der Nachbarschaft des Kölner Domes war dem Erdboden gleichgemacht. Majestätisch ragte die Kathedrale aus Schutt und Trümmern. Aber beim Näherkommen wurden riesige Löcher und klaffende Risse an den Seiten der Türme sichtbar. Die Löcher zeigten die Stärke des Mauerwerkes. Jedes andere Gebäude wäre inmitten der explodierenden Bomben zusammengefallen. Nicht so der Dom. Er war beschädigt, schwer beschädigt, aber nicht zerstört. Hoch oben an einem der Türme war ein riesiges Loch mit Tonnen von Beton und Bausteinen provisorisch ausgefüllt. Das alte Dach – wie oft hatte ich es in besseren Zeiten bewundert – befand sich in einem unbeschreiblichen Zustand. Es waren nur noch Trümmer. Riesige Sparren und Balken, einst die Krönung der Herrlichkeit, hingen nun gefährlich über dem bombennarbigen Abgrund. Der Wind strich durch die Trostlosigkeit und riss weitere Steine und Mörtel zu Boden, wo der Schutt sich immer höher auftürmte. Wo einst die Orgel stand und ihre Musik zur Anbetung erklang, gähnte nur noch ein großes Loch. Es war ein chaotisches Bild. Und an diesem Ort hatte ich einst die Ordnung und Schönheit des großartigen Baues bewundert.

Eine Überlegung stellte ich beim Anblick dieser Ruinen und bei dem Gedanken an die ehemalige Schönheit ganz bestimmt nicht an. Keinen Augenblick lang brachte ich das Chaos dieses einst so stolzen Bauwerkes in irgendeinen Zusammenhang mit Unzulänglichkeit oder bösem Willen der Erbauer. Sie hatten es nicht für die Zerstörung geschaffen. In gleicher Weise habe ich natürlich auch nie an der Existenz der Männer gezweifelt, die den Dom entworfen und konstruiert hatten, nur weil ich in dem Bauwerk, so wie es jetzt vor mir stand, so viele Widersprüchlichkeiten sah. Der Kölner Dom war praktisch eine Ruine. Aber sogar diese Ruine des 2. Weltkrieges trug unverkennbar die Kennzeichen schöpferischer Planung. Ja, diese deutliche Handschrift des Designers und die ursprüngliche Schönheit wurden in gewisser Hinsicht in der Zerstörung noch verdeutlicht. Die entsetzlichen Löcher in den Mauern zeigten besser noch als die intakten Mauern, wie wohldurchdacht und gut gearbeitet worden war. Es gab nirgends Füllmaterial und Minderwertigkeit hinter falschen Fassaden, wie man es heute oft findet. Es war solide Handarbeit, gebaut für Jahrhunderte. Die mächtigen Strebepfeiler standen noch, die lieblichen gotischen Spitzbögen waren geblieben. Die Bombenlöcher brachten erst zutage, wie sorgfältig auch die normalerweise verborgenen Konstruktionen durchdacht und ausgeführt waren. Sicherlich hatten die Erbauer nie darüber nachgedacht, welcher Feuerprobe ihr Werk ausgesetzt sein würde und wie genau man auch das sonst dem Auge nicht Zugängliche würde sehen können.

Wir können zusammenfassend sagen, dass die Zerstörung und die Ruinen zweierlei verdeutlichen. Einmal, die Existenz der Architekten und Handwerker wird durch die Zerstörung nicht in Frage gestellt. Zum andern, ihre großartige Leistung wird keineswegs vermindert. Man kann noch einen Schritt weitergehen und festhalten, dass in gewisser Hinsicht gerade die Ruinen noch besser als der unzerstörte Dom die Existenz und die große Fähigkeit der Erbauer unterstreichen.

Dieses ganze Bild erinnerte mich an die Studienzeit, wo wir zum Zwecke des Lernens Pflanzen, Tiere und Menschen sezierten. Oft ist es auch in der Biologie so, dass die zerstörte, sezierte Pflanze oder das Tier oder auch der Mensch besser geeignet sind, einige Aspekte der Ordnung und auch der Schönheit in der Natur aufzuzeigen, als das Heile, Unzerstörte. Am Kölner Dom war sozusagen eine Sektion vorgenommen worden. Sein Innerstes war bloßgelegt.

Planungsfehler?

Niemand wird den Erbauern des Kölner Domes den Vorwurf machen wollen, sie hätten eine Ruine entworfen und erstellt. Ganz offensichtlich lag es in der Absicht der Planer, etwas für die Ewigkeit zu schaffen – oder doch nahezu für die Ewigkeit. Etwas war nun geschehen, das die Architekten weder geplant noch geahnt hatten. Und doch konnte man zwischen all den Trümmern sehr wohl Planung und ungewollte Zerstörung unterscheiden. Der Dom war gleichzeitig ein Bild der Vollkommenheit und der Verkommenheit – ein widersprüchliches Bild. Trotzdem würde niemand die folgenden Schlüsse aus dieser Situation ziehen:

  1. Weil der Dom teilweise zerstört wurde und ein widersprüchliches Bild von Chaos und Ordnung zeigt, kann kein denkender Wille, kein Baumeister dahinterstehen.
  2. Weil das Bauwerk eine Mischung von Kunstwerk und Trümmerhaufen darstellt, gibt es keine Hoffnung, dahinter Wesenszüge eines ordnenden Geistes zu erkennen.

Niemand würde auf den Einfall kommen, dass Konstruktion und Destruktion denselben Urheber haben. Das wäre schierer Nihilismus!

Es ist natürlich meine Absicht, durch das Beispiel des zerstörten gotischen Domes ein Prinzip deutlich zu machen. Es soll gleichzeitig die Antwort auf einige von unserem Professor so geschickt aufgegebenen Rätsel veranschaulichen. Wie der Kölner Dom damals nach dem Krieg Chaos und Ordnung unentwirrbar miteinander verband, so bietet sich uns die Welt, in der wir leben, dar. Gut und Böse in endlosen Überlagerungen, voller Schönheit und Abstoßung, Chaos und Ordnung, Liebe und Hass. Kein denkender Mensch kann übersehen, dass das Leben, wie es sich uns darstellt, ein schier hoffnungsloses Durcheinander all dieser Elemente darstellt. Gleichermaßen wollen wir uns die Unlogik vor Augen halten, die nun folgert: die Widersprüchlichkeit des zerstörten Domes beweist, dass kein Baumeister hinter allem steht, und das Durcheinander von Gut und Böse in der Welt beweist, dass es keinen Gott gibt. Unser Professor sah ganz klar die Ungereimtheiten und folgerte daraus:

  1. Die Natur ist nicht auf einen Baumeister, einen planenden Geist zurückzuführen. Diese atheistische Sicht haben viele Menschen mit unserem Professor gemein. Denn der Atheist argumentiert, dass er nichts als Widersprüche in der Natur sehen könne und es deshalb keinen ewigen Geist oder Gott gebe. Diese Denkweise bezeichnet man mit Recht als einen Kurzschluss im logischen Denkprozess. Und das ist es in der Tat. Aber er wird heute leider selten als solcher erkannt.
  2. Aus der Natur werden keine Wesensmerkmale eines Schöpfergeistes klar ersichtlich, weil die Natur unklar und widersprüchlich ist. Das ist wiederum ein Denkfehler. Wir haben anhand des Kölner Domes herausgestellt, dass schon die Überreste einer Ordnung, die bloßen Hinweise auf Planung, die sich durch die allgemeine Zerstörung hindurchgerettet haben, die übriggebliebenen Strebepfeiler und Spitzbogen, deutlich von den Urhebern des Gesamtwerkes sprechen. Und so weist jedes noch so kleine Aufleuchten von Schönheit, Liebe, Freude, Ordnung, Gesundheit und Tugend inmitten von Hass, Krieg, Zerstörung, Chaos und Hässlichkeit in dieser Welt unübersehbar auf den großen Designer, den Baumeister hin, der alles erschuf, ehe die Zerstörung einsetzte. Ja, wie wir bereits gesehen haben, kann mitunter die Zerstörung wie bei einer Sektion Dinge freilegen, die in noch größerer Klarheit von der ursprünglichen Ordnung und Schönheit Zeugnis ablegen. Die Erforschung der Krebszelle – ein treffendes Beispiel für die Zerstörung, zu der eine lebende Einheit fähig ist – hat manche bis dahin verborgene Information über die gesunden, intakten Zellen gegeben, neue Erkenntnisse, die anhand nur gesunder Zellen unter dem Mikroskop nie gewonnen worden wären.

Zusammenfassung

Zusammenfassend können wir festhalten, dass trotz der Mischung von Gut und Böse, Grässlichkeit und Schönheit, Liebe und Hass in der Natur, trotz der Widersprüchlichkeiten des Lebens, die Ablehnung des Schöpfers und die Ersatzthese von Zufall und langen Zeitspannen als Urheber aller Ordnung in der Natur unhaltbar ist. Jede kleine Insel der Liebe, der Freundlichkeit, der Schönheit mit der planenden Ordnung inmitten der Schrotthalde der Natur muss uns zum Schöpfer hinführen, wie sehr der Schutt auch alles zu ersticken droht. Wie klein die brennende Flamme auch sein mag, sie wird unbeirrbar das Wesen des Schöpfers erhellen – auch wenn die Dunkelheit überhandzunehmen scheint. Trotzdem führen Atheisten in aller Welt immer wieder dieses eine Argument ins Feld, dass wir nicht wissen können, ob ein Schöpfer existiert und wie er in seinem Wesen ist, weil die Natur, die er schuf – falls er sie schuf – heute ein Durcheinander von Gut und Böse ist.

Jeder noch so kleine Überrest von Schönheit und Ordnung entlarvt dieses Argument als Lüge. Man sollte meinen, die Unlogik dieses atheistischen und agnostischen Argumentes liege klar auf der Hand. Der einzige Vorwand, hinter dem sich dieses Argument noch verstecken kann, ist der von Kierkegaard und der modernen Theologie bereits angeführte, nämlich, dass bei Überlegungen dieser Art es so etwas wie einen logischen Denkprozess nicht gebe. Aber dieses Argument führt direkt hin zum gedanklichen Nihilismus, und wir könnten die kleinen grauen Zellen unseres Gehirns gleich ausschalten und auf jede logische Schlussfolgerung verzichten.

Dies ist einer der Gründe dafür, warum Römer, Kapitel 1 – wir hatten bereits damit zu tun – so dogmatisch ist. Auch Paulus weiß um die Widersprüchlichkeiten der Natur. Aber er sieht auch die andere Seite. Mitten im Schutt des Hasses, der Sünde, der Garstigkeiten und Gewalttätigkeiten wird die Liebe, Freundlichkeit und Schönheit doch lebendig und zeugt von dem großen Planer und seiner Liebe. Die Bibel lehrt durchgängig, dass Krankheit, Tod, Hass und Elend nur äußere Zeichen einer Zerstörung sind, die auf eine einstmals bessere Welt übergegriffen hat. Sie lehrt auch, dass man die äußeren Zeichen der Zerstörung sehr wohl von den Inseln der Ordnung, der Liebe und der Tugend, die immer noch auf das „Original-Bauwerk“ hinweisen, unterscheiden kann. So behält Römer 1 bis auf diesen Tag seine Bedeutung.

Selbst das gefallene, beschädigte oder zerstörte Universum offenbart dem Beschauer genug von seinem Schöpfer, um jeden ehrlich kritischen Menschen zur dankbaren Anbetung zu führen. Erstaunlicherweise war unseren Vorfahren bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts dieser Gedanke durchaus geläufig. Erst das Aufkommen der neuen These, die Schöpfung und Leben dem Zufall und Chaos zuschreibt, hat die bisherigen Erkenntnisse verdrängt. Aber im Lichte moderner Erkenntnisse auf den Gebieten der Mathematik, Physik, Thermodynamik und Chemie werden die darwinistischen und andere ähnliche Hypothesen, die nun seit über 100 Jahren ungestraft verbreitet werden, völlig unhaltbar. Und die vormals geltenden Erkenntnisse bezüglich der Notwendigkeit eines Schöpfers werden im gleichen Maße unterstützt, ja unaufhebbar! Gerade heute! Jeder noch so kleine Beweis von System und Ordnung muss – wenn er nicht aus dem Chaos spontan hervorkommt, wofür die moderne Naturwissenschaft keinen Raum lässt – auf einen planenden Geist irgendwo zurückgeführt werden. Darum haben wir es in Römer 1 mit Tatsachen zu tun. Die Betrachtung der Natur muss zur Erkenntnis des Schöpfers und seines Wesens hinführen, weil kleine Inseln von Ordnung vorliegen. Atheisten und Agnostiker sind noch immer „ohne Entschuldigung“.

Aus: Arthur Ernest Wilder-Smith, Ist das ein Gott der Liebe?, Hänssler-Verlag, Stuttgart 1977 [1]